Granit Xhaka ist mit 129 Einsätzen Rekordspieler der Schweiz.
Seit Herbst 2020 ist er Kapitän der "Nati". Früher war der Mittelfeldspieler als Heißsporn berüchtigt, wurde von den Fans teilweise gehasst. Mittlerweile hat sich das Blatt gewendet.
Im EM-Viertelfinale treffen die Eidgenossen am Samstag auf England (ab 18:00 Uhr im LIVE-Ticker). Bislang spielt die Auswahl von Murat Yakin ein solides Turnier, hat man doch im Achtelfinale Titelverteidiger Italien eliminiert. Und gegen die strauchelnden "Three Lions" scheint für Xhaka und Co. auch der Einzug ins Halbfinale möglich.
Für den 31-jährigen Xhaka wäre dies ein weiteres Highlight in seiner ereignisreichen Karriere.
Eine Sportler-Familie
Der defensive Mittelfeldspieler, der auch etwas weiter vorne in der Zentrale eingesetzt werden kann, kam am 27. September 1992 in Basel auf die Welt. Seine Eltern sind gebürtige Kosovo-Albaner, die 1990 in die Schweiz zogen.
Vater Ragip saß im ehemaligen Jugoslawien drei Jahre lang im Gefängnis, weil er gegen die damalige kommunistische Regierung protestiert hatte. Zwei Jahre nach seiner Freilassung wird Granit geboren. Er hat einen Bruder und eine Schwester.
Der eineinhalb Jahre ältere Taulant ist Spieler des FC Basel. Die Cousins Agon Xhaka, Armando Sadiku - Albaniens erster Torschütze bei einer EM-Endrunde - und Sherif Sadiku sind ebenso Fußball-Profis.
Im Alter von vier Jahren begann Granit mit Bruder Taulant beim FC Concordia Basel mit dem Fußballspielen. Von der Jugend-Akademie des FC Basel schafften beide 2010 den Sprung in die Kampfmannschaft. Auch im Schweizer Nationaldress spielten die Brüder in sämtlichen Jugend-Mannschaften.
Granit gewann mit der U17 die WM 2009. Am 4. Juni 2011 debütierte er mit 19 Jahren unter Ottmar Hitzfeld in der EM-Qualifikation gegen England (2:2) im A-Team. Am Ende verfehlte die Schweiz die Quali zur EURO 2012. Taulant blieb hingegen ohne Einberufung. Deshalb entschied er sich im September 2014, für Albanien aufzulaufen. 2021 beendete er seine Nationalmannschaftskarriere.
Mercedes G-Klasse
Abseits der Nationalmannschaft machte Granit im Sommer 2012 mit dem Wechsel zu Borussia Mönchengladbach den nächsten Karriereschritt. Damit war er auf Klub-Ebene erstmals von seinem Bruder getrennt. Dieser blieb, mit Ausnahme einer Leihe zu Grasshoppers Zürich, bis zum heutigen Tag beim FC Basel.
"Wir sind vom Alter her nur 18 Monate auseinander, sind nicht nur Brüder, sondern auch beste Freunde, telefonieren täglich oft mehrmals miteinander und können über alles reden", sagte Granit einst im Gespräch mit "Sport1". "Wir teilen alles. Was mir gehört, gehört auch Granit - was Granit gehört, gehört auch mir", meinte Taulant.
Anlässlich des 33. Geburtstages von 'Tauli', wie er liebevoll genannt wird, überraschte ihn Granit mit einem weißen Mercedes der G-Klasse.
"Ob es gegen meinen Bruder geht oder nicht, spielt keine Rolle"
Während seiner Zeit bei den "Fohlen" reifte Granit Xhaka zum Weltklassespieler. Auch im Schweizer Nationalteam war er spätestens dann nicht mehr wegzudenken.
Trotz des Ausscheidens im WM-Achtelfinale 2014 - es war seine erste Teilnahme an einer Endrunde - ging es für Xhaka sportlich bergauf. 2014/15 wurde er in Gladbach zum Kapitän befördert und der Einzug in die UEFA Champions League war geglückt.
Auch in privater Hinsicht blieb 2015 in schöner Erinnerung. Xhaka lernte seine zukünftige Frau Leonita kennen, die er zwei Jahre später heiratete. Das Paar hat zwei Töchter.
"Gegen eine Nation zu spielen, der man viel zu verdanken hat, ist ehrlich gesagt ein Scheißgefühl."
Mit der EM-Teilnahme 2016 und dem Wechsel zum FC Arsenal folgten weitere sportliche Höhepunkte.
In Frankreich wartete ein besonderes Erlebnis auf Xhaka, mit der Schweiz trat er gegen Albanien an, wo Bruder Taulant auflief. Die Familie Xhaka war im Zwiespalt.
Der Vater wünschte sich ein Unentschieden, Granit und Taulant hätten sich ein Aufeinandertreffen gerne erspart. "Gegen eine Nation zu spielen, der man viel zu verdanken hat, ist ehrlich gesagt ein Scheißgefühl", meinte Granit damals gegenüber der "Sport Bild".
Im ersten Brüder-Duell der EM-Geschichte ging Granit als Sieger vom Platz (1:0). Die Eidgenossen überstanden die Gruppenphase, schieden dann im Achtelfinale gegen Polen im Elfmeterschießen aus. Für die Albaner war beim EM-Debüt bereits in der Gruppenphase Schluss.
Zwischen Schweiz, Albanien und dem Kosovo
Aus Albanien hagelte es Kritik, da Xhaka sich für die Schweiz entschieden hatte. Vor dem EM-Spiel traf er zwei Mal auf die albanische Nationalmannschaft.
"Ich kam in diesem Land auf die Welt, ich ging hier zur Schule, lernte Fußball spielen und wurde zu demjenigen, der ich bin."
"In der Schweiz zu spielen und dann zu hören, wie du von 13.000 Albanern ausgepfiffen wirst, ist alles andere als ein gutes Gefühl", so Xhaka in einem Interview mit "albinfo.ch".
Trotz des Unmuts bekannte er sich zu 100 Prozent zu den Eidgenossen: "Ich bin der Schweiz dankbar für alles. Ich kam in diesem Land auf die Welt, ich ging hier zur Schule, lernte Fußball spielen und wurde zu demjenigen, der ich bin."
Die Möglichkeit für den Kosovo zu spielen ließ sich Xhaka eine Zeit lang offen, konkreten Kontakt zum Verband gab es aber nicht.
"Kosovo, mein Land, vergesse ich nie und ich bin ihm eng verbunden", sagte Xhaka 2014. Der Kosovo wurde erst 2016 als vollberechtigtes Mitglied in die FIFA und UEFA aufgenommen. Bei einem Freundschaftsspiel zwischen der Schweiz und dem Kosovo wurde Xhaka bei jeder Ballaktion von den gegnerischen Fans beklatscht.
Fußballer des Jahres
Beim FC Arsenal unterschrieb Xhaka 2016 einen Fünf-Jahres-Vertrag. Gleich in seiner Premieren-Saison zählte er zur festen Größe in der Mannschaft von Arsene Wenger.
National feierte man 2017 den Gewinn des FA Cups. In diesem Jahr wurde der Mittelfeldstar erstmals zum Schweizer Fußballer des Jahres gekürt. 2022 und 2023 folgten zwei weitere Auszeichnungen.
Serbien und der Doppelkopfadler
Im Sommer 2018 stand die WM in Russland auf dem Programm. Das Gruppenduell mit Serbien versprach viel Brisanz, da mit Xhaka, Xherdan Shaqiri, Valon Behrami und Blerim Dzemaili gleich vier Spieler mit albanischen Wurzeln im Kader der Eidgenossen standen.
Hintergrund: Serbien erkennt den Kosovo, in dem über 90 Prozent der Einwohner albanischstämmig sind, bis heute nicht als Staat an. Von Februar 1998 bis Juni 1999 kam es zum Kosovokrieg, in dem albanische Rebellen gegen serbische Streitkräfte um die Unabhängigkeit des Kosovo kämpften. 2008 erklärte der Staat die Unabhängigkeit.
Die Schweiz gewann das Spiel 2:1, ausgerechnet Xhaka und Shaqiri drehten die Partie. Beide Akteure ließen sich zu einem provokanten Torjubel hinreißen, indem sie mit den Händen die Silhouette des Doppelkopfadlers, Albaniens Nationalsymbol, formten. Eine Aktion, die in beiden Lagern nicht gut ankam.
Xhaka und Shaqiri nahmen die Situation locker. Ersterer betonte, dass er den Sieg seiner Familie und dem Land seiner Eltern gewidmet habe. Wer dabei der Gegner ist, sei ihm "scheißegal". Shaqiri schloss sich seinem Teamkollegen an: "Es geht um Fußball, nicht um Politik." Die FIFA belegte die beiden mit einer Geldstrafe von 8.680 Euro. Im Achtelfinale scheiterte die Schweiz an Schweden.
Xhaka spürte Hass
Bei Arsenal kam mit Trainer Unai Emery ein neuer Mann an Bord. Die "Gunners" erreichten unter ihm das Europa-League-Finale 2019, das gegen Chelsea mit 1:4 verloren wurde. In der Folgesaison ernannte der Coach Xhaka zum neuen Arsenal-Kapitän.
Jedoch hat diese Ehre den Schweizer nicht gerade beflügelt. Im Gegenteil, er erlebte eine schwierige Phase.
"Wir waren bereit zu gehen, die Koffer waren gepackt."
Im Oktober 2019 wurde Xhaka nach seiner Auswechslung gegen Crystal Palace von den Fans ausgepfiffen. Der Schweizer reagierte frustriert, hielt sich die Hand ans Ohr und warf sein Trikot auf den Boden. Seine Zukunft in London wackelte, er spielte mit den Gedanken, zu Hertha BSC zu wechseln.
Bei "Players' Tribune Football" sprach Xhaka über seinen "schwierigsten Moment", er spürte puren Hass von Seiten der Fans. "Ich hatte einen Vertrag eines anderen Klubs vorliegen, nur meine Unterschrift fehlte. Wir waren bereit zu gehen, die Koffer waren gepackt", so Xhaka. Letztlich kam es nicht dazu, Emery wurde entlassen und Mikel Arteta folgte im Dezember 2019 als Arsenal-Coach.
Dieser überzeugte Xhaka vom Verbleib. "Er war ehrlich, offen und hatte einen klaren Plan. Das gefiel mir. Auch wie herzlich er mit mir war. Ich spürte, dass ich ihm vertrauen konnte", verriet der Schweizer.
Xhaka erlebte einen Neustart. In einer offensiveren Rolle wurde der Mittelfeldspieler die Stütze eines jungen, aufstrebenden Teams. Die Titel im Community Shield und FA Cup 2020 waren das Resultat.
Sieg und Leid
Mit einem Jahr Verspätung ging es 2021 in die paneuropäische EM. Die Schweiz kam diesmal nur als Gruppendritter in die K.o.-Phase, wo Top-Favorit Frankreich wartete. Doch unverhofft kommt oft, im Achtelfinale setzte sich die "Nati" nach Elfmeterschießen durch.
Es war Xhakas erster Erfolg in einem K.o.-Spiel mit der Nationalmannschaft. Jedoch gab es einen Wermutstropfen: Xhaka fehlte im Viertelfinale gelbgesperrt. Die Schweiz verlor letztlich im Elfmeterschießen gegen Spanien.
Nach dem Turnier konnte sich der Mittelfeldmann trotzdem freuen, Arsenal verlängerte seinen Vertrag. Es verging eine Saison ohne Titel.
Xhaka gegen Serbien wird erneut zum Politikum
WM 2022. Wieder wartete Serbien in der Gruppe. Und erneut fiel Xhaka mit mehreren Aktionen negativ auf.
Im Gruppenfinale gegen Serbien, das die Schweiz mit 3:2 gewann, legte er sich mit der gegnerischen Bank an. Dabei machte Xhaka eine obszöne Geste, griff sich in den Schritt. Nach dem Schlusspfiff jubelte er in einem Jashari-Trikot.
Ardon Jashari ist ebenso Schweizer Nationalspieler mit albanischen Wurzeln, der Teil des Kaders bei der WM 2022 war. Sein Name war auf der Brust Xhakas zu lesen.
Jashari (Adem Jashari; Anm.) ist jedoch auch der Name eines Unabhängigkeitskämpfers, der als Mitbegründer der kosovarischen Befreiungsarmee UÇK und als Symbolfigur des militärischen Widerstands gegen die Serben gilt. Serbien wertete Xhakas Aktion als politisches Signal.
Der Schweiz-Kapitän kam ungeschoren davon. Im Achtelfinale kassierte die "Nati" gegen Portugal eine 1:6-Klatsche.
Rückkehr nach Deutschland
Bei Arsenal erlebte Xhaka in der Saison 2022/23 seinen zweiten Frühling. Plötzlich waren die "Gunners" im Meisterschaftskampf dabei. Am Ende ging ihnen die Puste aus und Manchester City wurde mit fünf Punkten Vorsprung auf die Londoner Meister.
Für Xhaka endete nach sieben Jahren das Kapitel Arsenal. Eine Zeit, die einer Achterbahnfahrt glich. Erst gehasst und am Ende geliebt. Die Fans wollten nicht, dass er geht.
Trotzdem zog es Xhaka zurück nach Deutschland. Eine Rückkehr nach Gladbach stand im Raum, jedoch machte Bayer 04 Leverkusen das Rennen. Dieser Wechsel erwies sich als Goldgriff.
Meister, DFB-Pokal, und noch mehr?
Die "Werkself" wurde in der abgelaufenen Saison als erste deutsche Mannschaft ohne Niederlage Meister. Hinzu kam der Triumph im DFB-Pokal, wo Xhaka im Endspiel das Siegtor schoss. In der UEFA Europa League verpasste man im Finale gegen Atalanta Bergamo das Triple.
Aktuell weilt der 31-Jährige mit der Schweizer Nationalmannschaft in Deutschland bei der EURO 2024. Bislang ist man ungeschlagen, und die Auftritte verheißen Gutes. In der Gruppenphase hatte man Gastgeber Deutschland am Rande einer Niederlage, im Achtelfinale ließ man Italien keine Chance. Im Viertelfinale warten nun die Engländer, die bisher unter ihren Erwartungen performten.
Auf der Insel genießt Xhaka nach wie vor reichlich Anerkennung. "The Guardian" schwärmte über ihn, machte eine verblüffende Aussage. "Granit Xhaka ist drei gute Spiele davon entfernt, ein echter Kandidat für den Ballon d'Or zu sein."
Wer weiß, wie weit es für die Schweiz bei dieser EM noch geht. Am Ende könnte der Ballon-d'Or-Sieger 2024 tatsächlich Granit Xhaka heißen.