news

Hakan Sükür: Vom Idol zum Staatsfeind Nr. 1

Er ist der treffsicherste Kicker, den die Türkei je hatte und wurde so zum Nationalheld. Heute ist sein Name tabu. Warum dem so ist und wie es Sükür heute geht:

Hakan Sükür: Vom Idol zum Staatsfeind Nr. 1 Foto: © getty

Sie nannten ihn "Kral". Den König. Oder alternativ auch gerne den "Bullen vom Bosporus". Seines Zeichens Rekordtorschütze der türkischen Nationalmannschaft und der Süper Lig, der Galatasaray im Jahr 2000 zum UEFA-Cup-Triumph führte. Die Rede ist von Hakan Sükür.

Er war lange Zeit ein türkischer Volksheld, der durch seine Leistungen auf dem Platz zum generationenübergreifenden Idol wurde und dessen Vita auch Inter Mailand und das in den Nuller-Jahren so starke Parma zieren.

Der 52-Jährige lebt heute in den USA. Oder besser: Er überlebt. Denn sein Vermögen in der Türkei wurde eingefroren, seine Besitztümer konfisziert. In den Staaten brauchte er eine Zeit lang sogar Polizeischutz.

Sükür wurde in seiner Heimat zur Persona non grata, flüchtete im Jahr 2015, als ihm die Verhaftung drohte. In den Folgejahren hielt er sich mit kleineren Jobs über Wasser, arbeitete etwa in einem Cafe oder als Uber-Fahrer. Zudem verkaufte er Bücher. Wie konnte es dazu kommen?

Sükür: Per Haftbefehl gesucht

Den heute 52-Jährigen zog es 2011 in die Politik, er kandidierte für die Regierungspartei AKP von Präsident Recep Tayyip Erdogan und zog ins Parlament ein. Doch nur rund zwei Jahre später verließ er die Partei bereits wieder, weil er mit deren Vorgehen gegenüber der oppositionellen Bewegung von Fethullah Gülen nicht einverstanden war.

Gülen wird von Erdogan auch für den gescheiterten Putschversuch 2016 verantwortlich gemacht. Sükür soll später selbst Teil der Bewegung geworden sein, bestreitet dies aber. Dennoch wird ihm in der Türkei vorgeworfen, als Mitglied derer für den Aufstand mitverantwortlich zu sein. Seither wird Sükür in seiner Heimat per Haftbefehl gesucht.

"Ich hatte nichts mehr, Erdogan hat mir alles genommen."

Sükür über seine Flucht in die USA.

Außerdem soll Sükür Erdogan und dessen Filius Bilal schon vor dem Putschversuch in einem Twitter-Posting beleidigt haben. Handfeste Beweise dafür wurden aber nie vorgelegt. Sükür verneinte damals, sich mit irgendeiner seiner Aussagen auf den Präsidenten oder dessen Familie bezogen zu haben.

"Ich bin kein Verräter oder Terrorist"

"Ich hatte nichts mehr, Erdogan hat mir alles genommen: mein Recht auf Freiheit, mein Recht auf freie Meinungsäußerung und mein Recht auf Arbeit. Niemand scheint in der Lage zu sein, zu erklären, was meine Rolle bei diesem Putsch gewesen sein soll. Ich habe nie etwas Illegales getan, ich bin kein Verräter oder Terrorist", meinte Sükür einst gegenüber der "Welt am Sonntag".

Sükür beendete 2008 seine aktive Karriere, kann auf 51 Treffer für sein Heimatland zurückblicken, in der Süper Lig erzielte er 249 Tore in 489 Spielen - beides Rekorde, die so schnell wohl keiner brechen wird. Zudem erzielte er bei der WM 2002 im kleinen Finale gegen Südkorea nach nur 10,8 Sekunden das schnellste WM-Tor der Geschichte. Sein Name aber ist in jenem Land, für das er all dies leistete, seit nunmehr acht Jahren tabu.

Wenn ein Name zur Straftat wird

"Ich bin vielleicht ein Feind der Regierung, aber nicht des Staates oder der türkischen Nation. Ich liebe mein Land", beteuert Exil-Türke Sükür. Die Liebe ist aber bisweilen eine einseitige.

Von Ruhm und Glanz is' wenig über, würde man in Österreich sagen. Und den Hut zieht man nur mehr anderswo vor ihm, nicht mehr aber in der Türkei - zumindest öffentlich. Und wer es doch tut, wie die türkische TV-Stimme Alper Bakircigil, muss mit Konsequenzen rechnen. Der Kommentator wurde bei der WM 2022 beim Spiel zwischen Marokko und Kanada während der Übertragung ausgetauscht, weil er beiläufig Sükürs Namen erwähnte. Unmittelbar nach dem Spiel wurde Bakircigil entlassen. 

Ex-Gala-Präsident als Tabubrecher

Konsequenzen muss auch der frühere Präsident jenes Klubs fürchten, für den Sükür 228 seiner 249 Süper-Lig-Tore erzielte und dreimal Torschützenkönig wurde. Burak Elmas stand Galatasaray Istanbul von Juni 2021 bis Juni 2022 vor, war zuvor jahrzehntelang für den Klub in verschiedenen Funktionen tätig.

Rekordtorschütze: Sükür traf 51 Mal für sein Heimatland.
Foto: © GEPA

Im vergangenen Dezember wagte es der Geschäftsmann, in einem Interview bei "Serbestiyet" Sükürs Namen öffentlich auszusprechen. Mehr noch: der 49-Jährige lobte den Ex-Stürmer sogar in höchsten Tönen.

Sükür sei "der beste Profi, den ich je kennengelernt habe", sagte Elmas unverblümt. Auch er sei politisch mit Sükür nicht immer einer Meinung gewesen, man müsse das Sportliche aber getrennt davon betrachten. Und da mache Sükür niemand etwas vor. "Er hat immer hart trainiert, auf seine Ernährung geachtet, Tore gemacht und uns zu Meisterschaften verholfen", blickt Elmas zurück.

Eine vergleichsweise gelinde Konsequenz könnte die Aberkennung seiner Galatasaray-Mitgliedschaft sein. Dies geschah bei Sükür, auf politischen Druck hin, bereits 2017, obwohl die Mitglieder des Klubs dagegen votierten.

Sükür ein Spielball der Politik?

Mit seinen Aussagen stellt sich Elmas klar in Opposition zur Erdogan-Regierung und lässt sich ganz offenkundig nicht einschüchtern. Das sei, wie Sükür meint, aber das Ziel des "Regimes", wie er es nennt: "Die Politiker in der Türkei benutzen den Fußball für ihre Zwecke. Die Politik benutzt mich als bekanntesten Spieler der Türkei, der auch im Volk populär ist, um Angst zu säen.“"

"Die Boutique meiner Frau wurde mit Steinen beworfen, auf der Straße wurden meine Kinder belästigt. Nach jeder Äußerung, die ich gemacht habe, erhielt ich Drohungen."

Sükür über die Zeit unmittelbar vor der Flucht in die USA.

Wer gegen den Strom schwimmt, wie er, der bekommt schnell Probleme. Davon betroffen war und ist auch die gesamte Familie des einstigen Fußball-Idols. "Die Boutique meiner Frau wurde mit Steinen beworfen, auf der Straße wurden meine Kinder belästigt. Nach jeder Äußerung, die ich gemacht habe, erhielt ich Drohungen", blickt er auf die Zeit unmittelbar vor seiner Flucht zurück. Sogar sein krebskranker Vater wurde zeitweilig inhaftiert und später unter Hausarrest gestellt.

Sich deswegen nicht mehr zu den von ihm angeprangerten Missständen zu äußern, kommt für Sükür aber nicht in Frage. Schon oft sei ihm von nahestehenden Personen empfohlen worden, sich nicht mehr politisch zu äußern und so auch die Möglichkeit zu eröffnen, wieder in seine Heimat zurückkehren zu können. "Es gibt abertausende Menschen, die in der gleichen Situation sind wie ich. Es wäre egoistisch, nur an mich selber zu denken. Ich könnte mich selber nicht mehr ernst nehmen", meint er dazu.

So geht's Sükür heute

Doch es gibt auch positive Nachrichten: Im Vorjahr erhielten Sükür und seine Familie die lang ersehnte "Green Card", die ihnen ein dauerhaftes Leben und Arbeiten in den Staaten ermöglicht. Wenig später eröffnete Sükür in Palo Alto (Kalifornien) eine Fußballschule für Teenager.

Langsam, aber sicher, kann sich Sükür nun endlich eine einigermaßen solide Lebensgrundlage aufbauen.

Der 52-Jährige ist auch auf seinen Sozialen Kanälen höchst aktiv, nimmt dort teilweise mehrmals täglich zum Geschehen in Fußball und Politik Stellung. Dort zeigte er zu seinem 50er vor zwei Jahren auch, dass er sein fußballerisches Handwerk nach wie vor beherrscht:

In seiner Heimat ist Sükür jedoch aus der öffentlichen Wahrnehmung verschwunden, man will ihn aus dem kollektiven Gedächtnis streichen.

Die Kommentare unter seinen Beiträgen auf den diversen digitalen Kanälen sprechen dagegen eine andere Sprache. Für seine Fans bleibt "der Bulle vom Bosporus" ein unvergessener, wenn auch tragischer Held. Einer, der seit Jahren ein verhältnismäßig tristes Dasein in den USA fristen muss, weil er in seinem Heimatland zum Feind erklärt wurde.

In einem aber sind sich wohl Widersacher und Fürsprecher einig: Ohne Hakan Sükür wäre der türkische Fußball ein anderer.


Diese Türkei-Stars stellen sich dem ÖFB-Team entgegen

Kommentare