Internationale Aushängeschilder sind im deutschen Fußball-Nationalteam seit geraumer Zeit rar gesät.
Das macht auch die DFB-Durststrecke bei Großturnieren sichtbar. Eine der wenigen Ausnahmen ist Spielführer Ilkay Gündogan.
Der 33-Jährige führte in der Vorsaison Manchester City als Kapitän zum Triple, auf den erfahrenen Mittelfeldmann ruhen auch die deutschen Hoffnungen für die Heim-EM 2024. Bundestrainer Julian Nagelsmann sieht in dem Mittelfeldspieler einen "Anführer".
Gündogan, der die deutsche Nationalelf nach der 2:3-Niederlage gegen die Türkei wohl auch im Länderspiel im Wiener Ernst-Happel-Stadion gegen Österreich (Dienstag ab 20:45 Uhr im LIVE-Ticker>>>) aufs Feld führen wird, gilt eher als Mann der leisen Töne.
Die bewegte Karriere eines "Beobachters"
"Ilkay ist ein Beobachter, der sehr viel wahrnimmt und kanalisiert, keiner, der vor der Mannschaft spricht oder dauernd in der Kabine rumschreit. Er macht das sehr subtil, intelligent. Er ist zu Recht der Kapitän der Mannschaft", meinte Nagelsmann beim Oktober-Lehrgang in Nordamerika.
Aufgewachsen in Gelsenkirchen, führte Gündogans Weg unter anderem über Schalke 04 und VfL Bochum zum 1. FC Nürnberg, wo der damals 18-Jährige 2009 sein Bundesliga-Debüt ausgerechnet gegen die Schalker feierte. Bei den Franken spielte sich der Enkel eines türkischen Gruben-Gastarbeiters in die Auslage, resultierend in einen Wechsel zu Borussia Dortmund unter Trainer Jürgen Klopp 2011.
Die fünf BVB-Jahre waren von enormen Höhen und Tiefen gekennzeichnet: Der 1:2-Finalniederlage in der Champions League 2013 gegen Bayern München (Gündogan erzielte per Elfmeter das 1:1) folgte kurz darauf eine 14-monatige Zwangspause wegen einer Wirbelsäulenverletzung.
Gündogan kämpfte sich zurück und wechselte schließlich gemeinsam mit Bayern-Trainer Pep Guardiola im Sommer 2016 von der deutschen Bundesliga nach England zu Manchester City. Nach einem glücklosen ersten Jahr (Kreuzbandriss) sammelte der Deutsche dort in sieben Jahren sechs Meister-, zwei FA-Cup- und vier Liga-Cup-Titel und holte schließlich auch den Triumph in der Königsklasse nach.
Nagelsmann: "Ilkay spielt seit Jahren auf top, top Niveau"
Mittlerweile verdient Gündogan seine "Brötchen" beim FC Barcelona und zieht an der Seite von Gavi, Joao Felix und Robert Lewandowski die Fäden. Bälle verteilen, Übersicht bewahren, nach hinten absichern - diese und andere Aufgaben soll er nicht nur bei den Katalanen umsichtig erfüllen, sondern auch im DFB-Team.
"Ilkay spielt seit Jahren auf einem top, top Niveau. Warum soll das in der Nationalmannschaft nicht so sein?", so Nagelsmann.
Beim Debüt des DFB-Trainers gegen die USA (3:1) Mitte Oktober glänzte Gündogan wie erhofft: Er erzielte nicht nur das 1:0, sondern war in seinem 70. Länderspiel auch so präsent wie selten zuvor mit dem Adler auf der Brust.
Der Regisseur ist auf der Sechs gesetzt, an seiner Seite spielte zuletzt Pascal Groß statt dem verletzten Joshua Kimmich. "Ilkay gibt jedem ein gutes Gefühl. Er ist ein absoluter Topspieler, der eine unfassbare Spielintelligenz und Ballsicherheit hat", erklärte Brighton-Profi Groß.
Gündogan soll die deutschen Toptalente Florian Wirtz und den aktuell verletzten Jamal Musiala, aber auch Leroy Sane und Niklas Füllkrug in Szene setzen. Diese mit Potenzial versehene Offensive will auch gegen das ÖFB-Team zeigen, was sie kann. Dem Kapitän ist aber auch klar: "Wir sind in einem Lernprozess. Wir wissen, dass wir an einigen Schrauben drehen müssen."
Erdogan-Skandal ist Schnee von gestern
Die Kapitänsschleife hatte der 33-Jährige bereits von Nagelsmann-Vorgänger Hansi Flick erhalten. Dessen Nachfolger hat nicht vor, das zu ändern - auch nicht bei einem Comeback von Keeper Manuel Neuer im Nationalteam nächstes Jahr.
"Ilkay wird Kapitän bleiben", erklärte Nagelsmann kürzlich. Dabei war Gündogan einst in Deutschland nicht unumstritten, nicht zuletzt wegen eines gemeinsamen Fotos mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan vor mehr als fünf Jahren kurz vor der WM in Russland.
Doch das ist Schnee von gestern, Gündogans Bedeutung für das DFB-Team wird nicht mehr hinterfragt. Er selbst erklärte, unabhängig vom Kapitänsamt sehe er seine Verantwortung immer darin, "ein gutes Vorbild zu sein - was Trainingsleistung angeht, was Einstellung angeht, was Motivation angeht. Die Erwartungen sind wie immer die gleichen, dass man vor allem auch auf dem Platz vorneweg marschiert und das als allererstes mit Leistung."