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Türkei-Teamchef Montella: "Glaube nicht an Formationen"

Erst im Oktober übernahm Vincenzo Montella als Türkei-Coach. Achtelfinal-Gegner Österreich streut er Rosen, selbst gilt er als Verfechter des schönen Spiels.

Türkei-Teamchef Montella: Foto: © getty

Vincenzo Montella soll die neue Generation der türkischen Nationalmannschaft bei der Fußball-EM in lichte Höhen führen.

Zuletzt war der Teamchef aber mit viel Gegenwind konfrontiert. Die Causa um Jungstar Arda Güler und dessen Einsatzzeit brachte ihm so heftige Kritik ein, dass sich sogar der Verbandspräsident schützend vor den ehemaligen Stürmer-Star stellte.

Montella nahm das alles scheinbar gelassen hin. Der 50-Jährige dementierte medial erhobene Mobbingvorwürfe mit einem Lächeln auf den Lippen und dem Verweis auf seine bisherige Amtszeit.

Die zeigt ihn vielmehr als Förderer der jungen Garde um Güler, das 19-jährige Supertalent von Real Madrid, und Kenan Yildiz (19/Juventus). Wesentlich beteiligt soll der Süditaliener daran gewesen sein, dass Yildiz und Can Uzun (18/Nürnberg) für die Türkei auflaufen. Sie waren auch für Deutschland spielberechtigt.

"Aeroplanino" - Montella, die introvertierte Roma-Ikone

"Wir sind zu einer Einheit geworden und werden uns nicht ablenken lassen", betonte Montella. Güler sei mit Leistenbeschwerden vor dem Portugal-Match (0:3) eben nicht ganz fit gewesen, erklärte der Trainer mit ruhiger Stimme. Abseits des Platzes galt der frühere Klassestürmer schon immer als eher introvertiert.

Als Fußballer trug Montella den Spitznamen Aeroplanino: kleines Flugzeug. Diesen erwarb er, weil der 1,72 m große Angreifer nach jedem Tor mit ausgebreiteten Armen über den Platz rannte, was auch biografisch stimmig war. Der Fußball hatte den Sohn eines Fiat-Arbeiters aus Pomigliano d'Arco nordöstlich von Neapel ja das Fliegen gelehrt. Als 13-Jähriger zog er allein von daheim aus, das Ziel 500 Kilometer weit im Norden: FC Empoli. Dort schoss er Tor um Tor, bis erst Genua, dann AS Roma ihn wollte.

In der Hauptstadt erlebte er seine beste Zeit als Fußballer, verewigte sich mit 101 Toren und feierte gemeinsam mit Francesco Totti 2001 den bisher letzten Meistertitel. Die Roma öffnete Montella auch das Tor zur Nationalmannschaft, seinen dort erworbenen Erfahrungsschatz wird er aktuell gewiss einbringen.

"Glaube nicht an Formationen, sondern Strategien"

Bei der EM-Endrunde 2000 spielte er in Italiens Team nur eine Nebenrolle, erlebte das verlorene Finale gegen Frankreich (1:2 n.V.) aber auf dem Platz. Er sah, wie sich David Trezeguet mit dem Golden Goal unsterblich machte (103.). Er selbst erzielte in 20 Länderspielen für die Azzurri drei Tore.

Montellas Vorliebe für Ballbesitz ist seit seinem Engagement bei Fiorentina bekannt, als er von 2012 bis 2015 als Greenhorn Offensivfußball fürs Auge spielen ließ. Umschaltsituationen nahmen seine Mannschaften - meist im 4-2-3-1-System - zuletzt trotzdem gern wahr. Mit überfallsartigen Angriffen wurde Demirspor 2022/23 Vierter der Süper Lig. Und Montella ein Fall für die Nationalmannschaft.

"Ich glaube nicht an Formationen, sondern an Strategien, und die können sich ändern", sagte Montella einst. Der türkische Teamchef ist kein Dogmatiker, er ist Pragmatiker - und dabei fast immer auf der Suche nach dem schönen Spiel. Das wurde ihm bei Milan (2016-2017) und Sevilla (2018) zum Verhängnis. In Mailand etwa experimentierte er so viel herum, dass bei seinen Spielern nur Verwirrung blieb.

Großer Respekt vor ÖFB-Team: "Österreich sieht aus wie ein Verein"

Gut möglich, dass Montella das Fehlen des gesperrten Hakan Calhanoglu am Dienstag gegen Österreich (ab 21:00 Uhr im LIVE-Ticker >>>) mit einem besonders gewieften Plan kaschieren will. Sein Respekt vor dem ÖFB-Team ist jedenfalls groß. "Sie haben so gute Automatismen, sind so gut eingespielt, dass Österreich aussieht wie ein Verein und keine Nationalmannschaft." Im März setzte sich das ÖFB-Team in Wien mit 6:1 durch.

Es war ein Stimmungsdämpfer, der die teils unerfahrene Auswahl endgültig ohne Geheimfavoriten-Status nach Deutschland schickte. Siege gegen Kroatien (1:0) und Deutschland (3:2) zum Start von Montellas Amtszeit hatten Hoffnungen geschürt, die im Anschluss selten befriedigt wurden.

In den folgenden sechs Spielen blieb man sieglos - ehe nun zwei Erfolge zum perfekten Zeitpunkt gelangen. Dank des 3:1 gegen Georgien und des 2:1 gegen Tschechien in der Gruppenphase steht die Türkei erstmals seit dem Halbfinal-Vorstoß 2008 wieder in der K.o.-Runde bei einer EM oder WM.



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