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These: Ein Finale Frankreich vs. England will niemand sehen!

Ist Harry Kane als Stürmer der "Three Lions" noch tragbar? Werden die Spanier in Frankreichs Abwehrblock ihren Meister finden? Ansichtssache zum EM-Halbfinale:

These: Ein Finale Frankreich vs. England will niemand sehen! Foto: © getty

In unserem Format "Ansichtssache" versuchen wir, Meinungen, Stimmungen, Überreaktionen oder sonstige Ansichten jeglicher Art in eine These zu packen und zu analysieren.

Das kann mal provokant sein, mal eine oft gehörte Meinung. Mal sehr strittig, mal weniger. Mal eine Prognose, mal eine simple Einordnung.

Dieses Mal stehen die Halbfinal-Partien bei der EURO 2024 im Fokus. Hat die Niederlage gegen Österreich die Sinne bei den "Oranje" geschärft? Soll Harry Kane auf die Bank gesetzt werden? Und wäre ein Finale Frankreich gegen England eine Niederlage für den Fußball?

Unsere Redaktions-Kollegen waren aufgerufen, vier Ansagen zu liefern, die in weiterer Folge von den LAOLA1-Redakteuren Maximilian Girschele und Christopher Köller eingeordnet wurden.

(Text wird unterhalb fortgesetzt)

1) Das spielstarke Spanien ist nach den bisherigen Leistungen Favorit auf den EM-Titel. Gegen die defensiv stabilen Franzosen wird aber Endstation sein.

Maximilian Girschele:

Zu Prognosen lasse ich mich kaum mehr hinreißen, daher sage ich nur: Es treffen zwei Welten aufeinander.

Auf der einen Seite die "Furia Roja", die - auf Grundlage der bisherigen Turnier-Leistungen - mit Deutschland den vermeintlich größten Konkurrenten auf den EM-Titel bereits ausgeschalten hat. Ihr gegenüber stehen elf Pragmatiker, deren Ziel es neuerlich sein wird, die Null zu halten.

Einzig Polen hat es bislang geschafft, der "Équipe Tricolore" einen Treffer einzuschenken, das Spiel endete 1:1. Mehr als ein Tor haben die Franzosen bislang auch noch nicht erzielt, dies wird gegen die Spanier aber wohl nötig sein. Die spielfreudigen Youngsters Lamine Yamal und Nico Williams über 90 Minuten unter Kontrolle zu halten, wird praktisch unmöglich sein.

Deshalb freue ich mich auf einen wahren Kracher, der seiner Erwartung hoffentlich gerecht wird. Denn auf minimalistischen Fußball steht niemand - dazu kommen wir noch.

Christopher Köller:

Leider bin ich genauso wenig ein Orakel, und kann daher weder die nächsten Lottozahlen noch das Ergebnis dieser Partie punktgenau vorhersagen.

Aber ist es möglich, dass Frankreich die groß aufspielenden Spanier aus dem Turnier nimmt? Natürlich.

Was Frankreich macht, hat Hand und Fuß. Solange die Null steht und vorne explosive Angreifer lauern, die - obwohl ihr Visier noch nicht richtig eingestellt ist - immer für einen Treffer gut sein sollten, muss auch mit "Les Bleus" zu rechnen sein.

Dem ist sich natürlich auch Spanien bewusst. Den Iberern bleibt aber ohnehin nichts anderes übrig, als ihr Spiel durchzuziehen und im Idealfall einen frühen Treffer zu erzielen. Denn Frankreich bei diesem Turnier aus seiner Reserve zu locken, hat noch niemand geschafft.

2) Die Niederlande kassierten gegen Österreich die nützlichste Niederlage der ganzen EURO, haben danach richtig in den Turnier-Modus gefunden. Für die variable Truppe ist jetzt alles möglich.

Maximilian Girschele:

Wenn es eine Nation ins Halbfinale schafft, dann ist natürlich alles möglich.

Die Niederlage gegen das ÖFB-Team hat bei der "Elftal" sicher nochmal die Sinne geschärft. Rumänien stellte im Achtelfinale keine große Hürde dar, die Türkei in der nächsten Runde wiederum sehr wohl.

Mit den "Three Lions" wartet nun nochmal eine ganz andere Hausnummer, die angesichts der bisherigen EM-Gegner vermutlich nur mit Frankreich zu vergleichen ist. Das Duell mit dem Weltmeister von 2018 endete 0:0, ein Tor von Xavi Simons wurde wegen einer Abseitsstellung aberkannt.

Unter den vier verbleibenden Teams sind die Niederlande wohl jenes, mit der geringsten Erfolgschance. Aber warum sollte Bondscoach Ronald Koeman seine Kritiker nicht weiterhin eines Besseren belehren und die "Oranje" zum ersten EM-Titel seit 1988 führen? Vielleicht hilft ihm ja die Erfahrung vom Triumph als Spieler...

Christopher Köller:

Wenn man mit einer Niederlage am letzten Spieltag Gruppenplatz drei und in weiterer Folge Rumänien und Türkei als Achtel- bzw. Viertelfinalgegner "geschenkt" bekommt, dann kann man sehr wohl von einer nützlichen Niederlage sprechen. 

Ja, die Niederländer haben in der K.o.-Runde ein etwas verbessertes Gesicht gezeigt, waren bislang jedoch ganz klar Profiteure des Turnierbaums. Die großen Turnierfavoriten waren nämlich allesamt in der anderen Hälfte des Rasters zu finden.

Hätte man die Hürden Rumänien und Türkei nicht genommen, hätte man das Turnier aus "Oranje"-Sicht als großen Misserfolg abstempeln müssen, an einem Halbfinal-Einzug lässt sich jedoch wenig aussetzen.

Dazu kann die Reise gerne auch noch weitergehen. Denn auch England ist in seiner aktuellen Verfassung ein dankbarer Halbfinal-Gegner, wie man ihn auf diesem Level nur selten zu Gesicht bekommt. 

Im Gegensatz zu meinem Kollegen sehe ich die Niederlande als Favoriten in diesem Halbfinale. Das Finale ist also mehr als möglich. Und wer im Finale steht, der hat alle Chancen - vorherige Auslosung hin oder her.

3) Das Denkmal Harry Kane wackelt! Teamchef Gareth Southgate sollte den Mut haben, den Kapitän zu Beginn auf der Bank zu lassen.

Christopher Köller: 

Und wenn wir schon dabei sind, dann auch gleich Bellingham, Foden und Saka.

Der langweilige Offensiv-Fußball der Engländer lässt sich nicht an einem einzigen Feldspieler festmachen, folglich wäre es auch das falsche Signal, den Bayern-Star als schwächstes Glied und Sündenbock herauszuheben.

England versagt als Kollektiv darin, sich qualitativ hochwertige Chancen herauszuspielen. Dass die Spieler die nötige Qualität besitzen, um attraktiven Fußball zu spielen, steht außer Frage. Ohne Plan und Risiko lassen sich jedoch nur schwer Tore erzielen.

Ich kann mir nur schwer vorstellen, dass ein personeller Wechsel im Sturm wiedererstarkte und hochexplosive "Three Lions" zur Folge hätte.

Fakt ist, dass Harry Kane lediglich einen Treffer hinter dem Führenden der Torschützenliste liegt. Dass der Star-Mittelstürmer trotz durchschnittlicher Leistungen am Ende noch Torschützenkönig werden könnte, ist daher alles andere als unrealistisch.

Kane besitzt eine Menge Klasse, auch wenn sie nur daraus bestehen sollte, einen Elfmeter zu verwerten oder bei einem Abpraller richtig zu stehen. Aber das sind ja ohnehin genau jene Momente, auf die das fantasielose "Offensivspiel" der Engländer wartet.

Maximilian Girschele:

Mit Harry Kane verhält es sich ein wenig wie mit Cristiano Ronaldo. Sieht man über den Altersunterschied der beiden Weltklasse-Angreifer hinweg, und auch darüber, dass CR7 inzwischen in Saudi-Arabien kickt, während der Engländer für die Bayern stürmt, dann lassen sich die Parallelen nicht von der Hand weisen.

Auch Ronaldo wurde in den letzten Wochen vorgeworfen, seinem Team eher zu schaden als zu helfen. Der 39-Jährige hatte im Spiel der Portugiesen eine hemmende Wirkung, kein einziger Treffer ist ihm schlussendlich gelungen. Dafür mussten Diogo Jota und Gonçalo Ramos auf der Bank schmoren, die ihren Torriecher schon mehrfach unter Beweis stellten.

Selbiges trifft - zumindest bei dieser EURO - auf Kane zu. Dass der 31-Jährige alles andere als fit wirkt, ist nicht zu übersehen. Dafür sind zwei Turnier-Tore, darunter jenes in der Verlängerung gegen die Slowakei, fast schon bemerkenswert. Dadurch wird der Stürmer bei Teamchef Gareth Southgate wohl auch ein Stein im Brett haben.

Etwas frischer Wind würde den "Three Lions" bestimmt nicht schlecht tun, allerdings bringen die Ersatzmänner Ivan Toney und Ollie Watkins besonders auf dieser Ebene keine Erfahrung mit. Dann ausgerechnet im Kampf um die Final-Teilnahme auf den Anführer dieser Mannschaft freiwillig zu verzichten - das wird Southgate nicht tun.

4) Diese minimalistische Spielweise will niemand sehen: Ein Finale Frankreich - England wäre eine Niederlage für den Fußball.

Maximilian Girschele:

Ein Finale Frankreich gegen England als Niederlage für den Fußball zu bezeichnen, finde ich mutig. Auch unter dem Gesichtspunkt, dass beide Mannschaften für Minimalismus stehen.

Freilich ist es nicht "geil" anzusehen, wenn das Erfolgsrezept zweier Nationen lautet, hinten ja kein Tor zuzulassen. Es kann mitunter passieren, dass es zu einem wahren Mittelfeld-Geplänkel kommt, welches wahrlich keine Werbung für den Fußball wäre.

Diese Konstellation würde allerdings auch den Raum für Überraschungen öffnen. Schließlich verfolgen beide Teams ein Ziel: den Pokal für den Europameister sein Eigen nennen zu dürfen. Und da kann es schon mal gut sein, dass das Visier etwas weiter als gewöhnlich geöffnet wird.

Und wer dieses potenzielle Endspiel auf zwei Individualisten herunterbrechen will, bekommt ebenfalls sofort eine Story geliefert: Kylian Mbappé gegen Jude Bellingham, die zwei derzeit wohl besten Spieler dieses Planeten, beide heiße Anwärter auf den Ballon d'Or und in wenigen Tagen auf Vereins-Ebene im selben Team.

Doch zuvor wären sie erbitterte Rivalen. Allein beim Gedanken daran wünsche ich mir dieses Finale. Und eine Niederlage wäre dies sicher nicht.

Christopher Köller:

Hey, as long as it works.

Das werden sich zumindest Didier Deschamps und Gareth Southgate denken. Und sie müssen ja schließlich wissen, wie es geht. Immerhin standen in den vergangenen Jahren keine anderen europäischen Teams öfter unter den letzten Vier einer EM oder WM als Frankreich und England.

Und zumindest bei den Franzosen ist es auch nachzuvollziehen, warum sie weiterhin an ihrer Taktik festhalten. Immerhin sprang für die "Equipe Tricolore" in der Deschamps-Ära bereits ein WM-Titel heraus (2018). Mit ein bisschen Glück im Elfmeterschießen wäre 2022 beinahe ein zweiter dazugekommen.

Dass sich ein Gareth Southgate deutlich mehr Kritik gefallen muss, ist zum großen Teil wohl auch darauf zurückzuführen, dass die Engländer im Gegensatz zu Frankreich noch auf den großen Coup warten. Ob er in diesem Jahr gelingt?

Es ist zumindest nicht ausgeschlossen. Immerhin hat das bisherige Turnier gezeigt, dass die abwartende Variante mit kompakter Defensive für einen Halbfinal-Einzug reicht. Und solange jene Variante die augenscheinlich erfolgversprechendste Variante bleibt, werden wir uns wohl auch in zukünftigen EM- und WM-Endrunden damit herumschlagen müssen – zumindest bis der mitreißende Offensivfußball zeigt, wieder für Titel gut zu sein.


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