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Wieso Hollands Fußball so stark von Suriname abhängig ist

Nur 600.000 Menschen leben in Suriname. Dennoch ist der Einfluss auf die niederländische Nationalmannschaft enorm. Warum das so ist:

Wieso Hollands Fußball so stark von Suriname abhängig ist Foto: © GEPA

Suriname ist ein bevölkerungsmäßig kleines Land.

Gerade einmal um die 600.000 Menschen leben auf einer Fläche, die sich über rund 160.000 km² südamerikanischer Landmasse erstreckt und damit ungefähr doppelt so groß wie Österreich ist. Das macht Suriname zu der am siebtwenigst dicht besiedelten Nation der Welt.

Der surinamische Impact auf den internationalen Fußball sollte anhand solcher Kennzahlen eigentlich überschaubar sein. Ist er aber nicht. Denn bei weitem nicht alle Surinamer leben auch in Suriname.

Rund 400.000 aktuell in den Niederlanden lebende Menschen sind surinamischer Herkunft und machen damit 2,3 Prozent der holländischen Bevölkerung aus. Mehr als zehnmal so hoch ist der surinamische Anteil im EURO-Kader der niederländischen Nationalmannschaft. Und das ist fußballhistorisch gesehen keine Ausnahme.

Manche der legendärsten Oranje-Kicker wie Patrick Kluivert, Ruud Gullit, Frank Rijkaard, Edgar Davids, Clarence Seedorf oder, um ein aktuelleres Beispiel zu nennen, Virgil van Dijk haben allesamt ihre Wurzeln in Suriname oder wurden teilweise sogar dort geboren und prägten die jüngere holländische Fußballgeschichte nachhaltig.

LAOLA1 ist den Gründen des enormen surinamischen Einflusses auf den holländischen Fußball auf die Spur gegangen:

Die Surinamer, ein heterogenes Volk

Um die surinamische Fußballleidenschaft nachvollziehen zu können, muss man zunächst die düstere Geschichte des südamerikanischen Lands verstehen. Eine einfache Erklärung wie, "Die Surinamer haben den Fußball einfach im Blut", gibt es nämlich nicht. Tatsächlich setzt sich das surinamische Blut im Durchschnitt äußerst heterogen zusammen.

Rund 37 Prozent aller Surinamer sind afrikanischer Herkunft. Wer sich ein wenig mit der grausamen europäischen Kolonialgeschichte auskennt, weiß auch den traurigen Grund dafür:

Suriname, dessen Name sich von den indigenen Surinen ableitet, wurde erstmals 1498 von einem europäischen Auge, genauer gesagt von jenem Christopher Columbus', erblickt. Die ersten permanenten Siedler trafen rund eineinhalb Jahrhunderte später ein und kamen aus Großbritannien.

Die Niederlande mischten sich erst 1667 ein, als sie während des Zweiten Englisch-Niederländischen Seekriegs die junge Siedlung zunächst besetzten und diese aufgrund eines Tauschs mit Großbritannien schließlich für über 200 Jahre behalten sollten. Was sie im Gegenzug dafür aufgaben? Eine kleine Kolonie in Nordamerika namens Neu-Amsterdam, heute besser als New York City bekannt.

Bereits die Briten schifften tausende Afrikaner nach Suriname, unter niederländischer Kolonialherrschaft wurde die Anzahl an Sklaven aber vervielfacht. Zeitweise bis zu 60.000 Sklaven arbeiteten unter unmenschlichen Bedingungen auf den niederländischen Plantagen und bildeten dabei die überwiegende Mehrheit der damaligen surinamischen Bevölkerung.

1863 wurde die Sklaverei in Suriname schließlich abgeschafft, die Niederländer mussten sich von nun an Leiharbeitern aus vor allem Indien und Indonesien bedienen. Die Nachfahren dieser Leiharbeiter bilden heute rund 40 Prozent der surinamischen Bevölkerung. Rund 13 weitere Prozent der Surinamer haben gemischte Wurzeln, der Rest ist vor allem indigener, europäischer oder chinesischer Herkunft.

Im Verlauf des 20. Jahrhundert entwickelte diese bunte Nation ein immer stärker werdendes Nationalgefühl; 1975 konnte schließlich die Unabhängigkeit von den Niederlanden erwirkt werden – was aber nicht überall im Land gut ankam. Ungefähr ein Drittel der surinamischen Bevölkerung verließ das Land in den Jahrzehnten vor und nach der Unabhängigkeit aus Furcht vor einer – schließlich tatsächlich eintretenden – wirtschaftlichen Stagnation.

Die Destination? Natürlich die Niederlande.

"Ein Teil des orangenen Erfolgs wurde in Suriname geboren"

Humberto Tan ist ein niederländischer Moderator und Journalist mit surinamischen Wurzeln
Foto: © getty

Eines dieser Kinder der surinamischen Diaspora heißt Umberto Tan. Der bekannte niederländische Moderator und Sportjournalist hat sein Wissen über surinamischen Einfluss auf den niederländischen Fußball mit LAOLA1 geteilt.

"Ein Teil des orangenen Erfolgs wurde in Suriname geboren", sagt Tan, der in einer Zeit aufwuchs, als surinamische Kicker im niederländischen Fußball alles andere als gang und gäbe waren.

Tatsächlich gab es vor Tans Geburt im Jahr 1965 nur einen einzigen Surinamer, der je für Oranje auflief: Humphrey Mijnals.

"Ein Surinamer spielt Fußball, weil es ihm gefällt. Er hat mehr Spaß (als der Holländer). Manchmal spielt er nicht, um zu gewinnen, sondern nur aus Freude am Spiel."

Humberto Tan

Mijnals leistete Pionierarbeit, als er als erster Surinamer im holländischen Profifußball anheuerte und dort große Erfolge als Innenverteidiger feierte. Warum seine Position extra erwähnt wird? Weil Mijnals in Holland zunächst mit kläglichem Ausgang als Mittelstürmer aufgestellt wurde, da ein schwarzer Spieler in der Verteidigung für die Niederländer damals undenkbar war.

Es ist ein Klischee, das längst überholt, laut Tan aber auch nicht völlig aus der Luft gegriffen ist. In einem Interview für das Buch "Oranje brillant" beschrieb er den typischen surinamischen Fußballer einmal so:

"Ein Surinamer spielt Fußball, weil es ihm gefällt. Er hat mehr Spaß (als der Holländer). Manchmal spielt er nicht, um zu gewinnen, sondern nur aus Freude am Spiel. Die Holländer wollen alles besprechen, wohingegen die surinamischen Spieler eher intuitiver spielen. Wenn man das mit der holländischen Effektivität kombiniert, ist es absolut tödlich."

Gullit ebnete den Weg

Diese "tödliche" Mischung fand in einem legendären Spieler seine Personifikation: Ruud Gullit.

Der Sohn einer Holländerin und eines Surinamers bestach zu einem durch seinen spektakulären Spielstil, war gleichzeitig aber mit enormer Spielintelligenz ausgezeichnet.

Ruud Gullit und Frank Rijkaard waren zwei der ersten schwarzen Spieler Hollands
Foto: © getty

Gullit war es auch, der 1981 gemeinsam mit Frank Rijkaard und dem heute eher weniger bekannten Romeo Zondervan als erster Surinamer seit Mijnals zwei Jahrzehnte zuvor für die niederländische Nationalmannschaft auflief und eine neue Ära im holländischen Fußball einläutete.

Diese Wegbereiterrolle wurde von Gullit in vielfacher Weise ausgefüllt. In den frühen 80ern wurde schwarzen Menschen in den Niederlanden mit offenem Rassismus begegnet, egal welch geniale Fußballer sie waren.

So war es damals gang und gäbe, dass von Seiten holländischer Politiker öffentlich gegen den surinamischen Einfluss auf den heimischen Fußball gehetzt wurde und Fußballtrainer wie der spätere Bondscoach und GAK-Trainer Thijs Libregts "schwarze Spieler wie Gullit" als "faul" bezeichneten.

Freilich ist Rassismus noch heute und nicht nur in Holland ein viel zu großes Problem, Gullits Erfolg öffnete für viele junge schwarze Menschen, wie es Tan damals einer war, aber viele Türen:

"Wenn ich in dieser Zeit gesagt habe, dass ich aus Bijlmer (stark surinamisch geprägtes Viertel in Amsterdam, Anm.) komme, hatte ich oft das Gefühl, ich müsste mich dafür verteidigen. Gullit, aber nicht nur er, hat mit seinem Weg von der Straße ins Stadion gezeigt, dass du durch harte Arbeit erfolgreich sein kannst – auch wenn du 'anders' aussiehst", so der heute äußerst erfolgreiche Moderator.

Als sechs Surinamer mit Ajax die Champions League gewannen

Nicht nur Tan wurde von Gullit inspiriert, sondern auch zahlreiche hochtalentierte Fußballer, die die jüngere niederländische Fußballgeschichte stark prägten. Seit Gullits Debüt kam keine niederländische Auswahl ohne Spieler mit surinamischen Wurzeln mehr zustande.

Beim Champions-League-Sieg Ajax Amsterdams 1995 waren sechs Kicker mit surinamischen Wurzeln dabei
Foto: © getty

Speziell die Generation der erfolgreichen Ajax-Mannschaft rund um Clarence Seedorf, Edgar Davids, Patrick Kluiviert und Co., die 1995 mit sechs Kickern surinamischer Herkunft sensationell die Champions League gewann, hat es damals ganz Fußball-Holland und freilich auch Tan angetan, aber auch von der aktuellen hält er viel:

"Die neueste Generation zeigt erneut viel Qualität. Gravenberch und Van Dijk in Liverpool zum Beispiel, oder auch Denzel Dumfries bei Inter oder Bergwijn bei Ajax."

Dabei vergisst Tan sogar auf Spieler wie RB-Leipzig-Zauberer Xavi Simons oder BVB-Topscorer Donyell Malen, die wohl dafür sorgen werden, dass das ÖFB-Team am zweiten EURO-Gruppenspieltag im Berliner Olympiastadion einen äußerst herausfordernden Abend erleben wird.

Immer mehr Holländer spielen für Suriname

Suriname selbst hat übrigens auch ein Nationalteam. Die "Natio", so der Spitzname, besteht seit einer Regeländerung der FIFA von 2021 mittlerweile großteils aus gebürtigen Holländern mit surinamischen Wurzeln. Der bekannteste von ihnen ist Real-Sociedad-Stürmer Sheraldo Becker.

Diese Regeländerung ist Fluch und Segen zugleich für Fußball-Suriname. "Die Menschen in Suriname sind sehr stolz, dass 'unsere' Spieler dabei helfen, den niederländischen Fußball besser zu machen. Seit die FIFA die Regeln geändert hat, hoffen wir aber natürlich, dass sich einige gute, talentierte Spieler für Suriname entscheiden. Aber bis jetzt haben dies nur die Spieler getan, welche keine Chance haben, für die Niederlande zu spielen", schildert Desney Romeo, seines Zeichens Präsident der surinamischen Sportjournalisten-Vereinigung.

Unter Mithilfe der "Diaspora-Spieler", wie Romeo sie nennt, konnte Suriname sich vor drei Jahren zum allerersten Mal für den CONCACAF Gold Cup qualifizieren, seither blieben die großen Erfolge aber aus. 

Romeo dazu: "Am Anfang waren die surinamischen Fußball-Fans für die Nominierung von Diaspora-Spielern, aber mittlerweile ist eine gewisse Enttäuschung spürbar, weil dieses Projekt keine Weiterentwicklung des nationalen Fußballs mit sich bringt, da die lokal geborenen Spieler keine Chance mehr im Nationalteam bekommen."

Trotz zuletzt schwacher Leistungen bleibt das große Ziel des surinamischen Fußballverbands die Teilnahme an der WM 2026. "Das wird aber ein schwieriges Unterfangen, wenn wir keine besseren Spieler bekommen", sagt Romeo.

Ein Mann drückt bezüglich einer WM-Qualifikation Surinames fest die Daumen - Humberto Tan: "Mein Traum wäre ein Duell zwischen der niederländischen Nationalmannschaft und Suriname, damit die einzigartige sportliche Verbindung zwischen den beiden Ländern unterstrichen und gefeiert wird."

Ein gewisser Anteil des orangenen Erfolgs ist schließlich in Suriname geboren. Und dieser Anteil ist beträchtlich.


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