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Willy Sagnol: Der "Inspektor" des georgischen Märchens

Georgien, Tiflis oder Kvaratskhelia: Nichts davon war dem Franzosen ein Begriff. Nun macht sich "Sir Willy" im Land des Kaukasus unsterblich.

Willy Sagnol: Der Foto: © getty

Zu seinen Zeiten als aktiver Spieler hallte es von den Rängen: Wiiillyyyy!

Nun erlangt Willy Sagnol als Trainer im Land der Vilis einen Legendenstatus. Der Franzose zog mit Georgien ins EM-Achtelfinale ein, wo am Sonntag Top-Favorit Spanien wartet (ab 21:00 Uhr im LIVE-Ticker). Er übernahm 2021 das Amt des Nationalcoaches und führte die "Dschwarosnebi" (zu deutsch: Kreuzritter) zur erstmaligen Teilnahme an einem Endturnier.

Das ist der Kader von EM-Neuling Georgien

Der Georgische Fußballverband wurde 1990 gegründet und trat erst im Jahr 1992 der UEFA und der FIFA bei. Bevor der ehemalige Bayern-Kicker dort das Traineramt übernahm, hatte keiner Georgien auf dem Schirm.

Auch Sagnol nicht.

"Ich kannte dort nichts"

Als er das Angebot für den Nationaltrainerposten Georgiens bekam, war er irritiert. "Ich kannte dort nichts", sagte der Franzose in einem Interview mit der FIFA. 2006 spielte er sogar gegen das kulturreiche Land.

Sagnol hatte zunächst andere Ziele. Als Kind verfolgte er sogar den Traum, eines Tages Polizeiinspektor zu werden. Doch er hat sich dem Fußball gewidmet - nicht die schlechteste Entscheidung. Nachdem er 2009 wegen anhaltender Achillessehnenbeschwerden seine erfolgreiche Spielerkarriere beendete, brauchte es lange, bis er ins Trainergeschäft einstieg.

Erst 2013 gab er als Interimscoach des französischen U20-Nationalteams sein Debüt, danach folgte ein Engagement bei der U21-Auswahl. 2014/15 übernahm er mit Girondins Bordeaux erstmals einen Verein.

Licht und Schatten

Einen dunklen Fleck in seiner jungen Trainerkarriere stellte eine Aussage im Vorfeld des Afrika-Cups 2015 dar. Angesprochen auf Abwesenheiten afrikanischer Spieler während des Kontinentalturniers meinte Sagnol, dass unter seiner Leitung weniger Afrikaner verpflichtet werden.

Prompt war er mit Rassismus-Vorwürfen konfrontiert. Sagnol wies die Anschuldigungen aber zurück und entschuldigte sich: "Wenn ich durch meine mangelnde Klarheit oder meine nicht optimale Wortwahl jemanden verletzt oder vor den Kopf gestoßen habe, dann tut es mir leid."

Bordeaux traf in der Europa League auf Liverpool
Foto: © getty

Trotz des Fauxpas glückte der Einstieg durchaus. In der ersten Saison wurde Bordeaux Sechster und holte die meisten Punkte seit dem Meistertitel 2009. Danach verließen Leistungsträger wie Wahbi Khazri oder Henri Savet den Klub. Sportlich ging es dann bergab.

2015/16 war für Sagnol keine leichte Saison. In der UEFA Europa League wurde Bordeaux Gruppenletzter und in der Ligue 1 bangte man als 14. um den Klassenerhalt. Schließlich zog der Klub die Reißleine und entließ Sangol. Mittlerweile ist der Verein zweitklassig.

Pause in Bordeaux

Ein Jahr später wurde er beim FC Bayern München - bei jenem Verein, wo er als Spieler einst so große Erfolge feierte - Co-Trainer unter Carlo Ancelotti. Nach dessen Entlassung durfte der Franzose die Münchner einmal als Interimscoach an der Seitenlinie führen. Danach war jedoch auch in München für ihn Schluss.

Bis auf Platz sechs in Bordeaux blieb der Franzose als Trainer eher unscheinbar. Er legte freiwillig eine dreieinhalbjährige Pause ein und lebte mit seiner Familie weiterhin in Bordeaux. Lange war es ruhig um ihn.

Sagnol war Co-Trainer unter Carlo Ancelotti
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2020 sprach er in einem Interview mit "Sport1" über seine weiteren Pläne. "Das kann Trainer sein, aber auch Sportdirektor, es hängt davon ab, was sich mir bietet", meinte der Franzose. Zwar war er nur zehn Spiele lang unter Carlo Ancelotti Co-Trainer bei Bayern, jedoch war diese Zeit für Sagnol sehr lehrreich.

"Von ihm habe ich viel gelernt. Und bald will ich wieder auf dem Rasen stehen", sagte er.

"Es hat irgendwie gefunkt"

Ein weiteres Jahr musste er sich gedulden, bis Georgien anklopfte. Sagnol betonte 2016, dass er gerne eines Tages eine "exotische" Nationalmannschaft trainieren würde. Als Beispiel nannte er die USA oder Japan.

Doch von Georgien war zu diesem Zeitpunkt nie die Rede. Sollte eines Tages ein Angebot für ein ungewöhnliches Projekt reinkommen, dann würde Sagnol dieses annehmen. Und so kam es auch.

Den Kontakt zu Sagnol stellte Levan Kobiashvili her. Die beiden kannten sich bereits aus Spielerzeiten in der Deutschen Bundesliga. Der Georgier war 16 Jahre lang Profi beim SC Freiburg, FC Schalke 04 und Hertha BSC. Heute gehört Kobiashvilli der Verbandsspitze des georgischen Fußballverbands an.

Kobiashvili ist seit 2015 Präsident des Georgischen Fußballverbandes
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"Es hat aber gedauert, bis ich dem georgischen Verband zugesagt habe, weil die ersten Gespräche mit dem Beginn des Covid-Ausbruchs stattfanden und ich mich meiner Familie widmen wollte", wird der Franzose bei der "Frankfurter Allgemeinen" zitiert.

Schließlich kam es zur Einigung, Willy Sagnol wurde im Februar 2021 Nationaltrainer von Georgien: "Ein paar Monate später haben mich mehrere ehemalige Bundesliga-Spieler vom georgischen Verband angerufen, und es hat irgendwie gefunkt."

Das Vertrauen hat sich bezahlt gemacht

Am 25. März 2021 gab er im WM-Qualispiel gegen Schweden sein Debüt, welches mit 0:1 verloren ging. Seinen ersten Sieg bejubelte Sagnol in einem Testspiel gegen Rumänien. Die Quali für die WM in Katar wurde jedoch klar verpasst. Obwohl es in den ersten elf Spielen satte sieben Niederlagen hagelte, hielten die Georgier an Sagnol weiter fest.

Und er zahlte das auch zurück. Ganze sieben Monate im Jahr verbrachte der Franzose im Land am Schwarzen Meer, nur um Georgien und die Leute dort besser kennenzulernen. Zudem habe "die lokale Kultur großen Einfluss auf die Spielweise einer Nationalmannschaft".

Georgien ist bekannt für seine lebendige Musik- und Tanztradition. Komponenten, die mit viel Freude und Leidenschaft verbunden sind. Und genau diese Werte übertrug der Franzose auf seine Mannschaft. Nationalspieler Nika Kvekveskiri lobte deshalb "die Arbeit, die Disziplin und die Taktik, die Sagnol eingebracht hat."

Der Erfolg kam dann von alleine: In der Nations League dominierte Georgien seine Gruppe in der Liga C nach Belieben und wurde Erster. So hatte man zumindest die Playoffs für die EURO 2024 sicher. Über die eigentliche Quali verfehlten die "Dschwarosnebi" zwar das Ziel klar, jedoch fixierte der Staat aus dem Kaukasus über den Playoff-Umweg das EM-Ticket. Luxemburg und Griechenland wurden geschlagen.

Am 26. März 2024 feierte Georgien zuhause in Tiflis nach Elfmeterschießen den erstmaligen Einzug in ein Endturnier. Ein ganzes Land war in Ekstase. "Ernsthaft, ich habe noch nie so viele Männer weinen sehen", sagte Sagnol im Anschluss des Spiels.

Von Beginn an waren die Georgier von ihm überzeugt. "Er hat vorher keine überragende Trainerkarriere gehabt, aber er hat gezeigt: Er will das", sagte etwa Kobiashvili.

Geht der EM-Traum weiter?

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Sturm-Spieler Kiteishvili stand gegen Portugal in der Startelf
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Drei Monate später war es in Dortmund soweit. Am 18. Juni 2024 ertönte erstmals die georgische Hymne bei einem Großevent. Georges Mikautadze schoss das Premieren-Tor, jedoch verlor Georgien zum Auftakt mit 1:3 gegen die Türkei. Trotzdem blieb die Sagnol-Elf auf der Hut, gegen Tschechien holte man den ersten Punkt. Im Gruppenfinish schlug man Portugal sensationell mit 2:0. Als Gruppendritter schafften die "Dschwarosnebi" den Einzug ins Achtelfinale.

Spielerisch sind die Georgier den Gruppengegnern zwar unterzuordnen - jedoch begeisterten sie mit leidenschaftlichem Teamplay und gefährlichen Umschaltmomenten. Sagnol bevorzugt ein 3-5-2-System, wo die Außenspieler zwischen Verteidigung und Mittelfeld wechseln.

Neben dem sportlichen Aspekt erklärte der 47-Jährige ein weiteres Erfolgrezept seiner Mannschaft. "Wenn du das kleine Team im Turnier bist, dann weißt du, dass du nichts zu verlieren hast", meinte Sagnol im Anschluss der Portugal-Partie.

"Unsere einzige Verantwortung vor dem Turnier war es, Georgiens Nation stolz auf ihre Spieler zu machen. Und ich glaube, das haben wir so gut wie möglich gemacht."

Nun steht die Nummer 74 der FIFA-Weltrangliste tatsächlich unter den 16 besten Teams aus Europa.

Die Story gleicht einem Märchen: Sagnol wird zum Helden einer Nation, von der er früher wenig bis gar nichts wusste. Auch der Star des Teams war für ihn zuvor kein Begriff. "Ich kannte nicht mal Kvaratskhelia", gab der Franzose gegenüber "11Freunde" zu.

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