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Casement Park: Eine Stadion-Ruine als EURO-Gastgeber 2028

Die nächste Fußball-EM wird auf der Insel stattfinden. In Belfast hat man mit der Spielstätte mehr als nur eine Baustelle zu bewältigen.

Casement Park: Eine Stadion-Ruine als EURO-Gastgeber 2028 Foto: © getty

In der nordirischen Hauptstadt Belfast wird für die Europameisterschaft 2028 auf ein Stadion gesetzt, das aktuell weit davon entfernt ist, überhaupt ein Fußballspiel auszutragen. Der altehrwürdige Casement Park ist gezeichnet von seiner Vergangenheit und der Beweis dafür, dass Sport und Politik nicht immer trennbar sind.

An der Andersonstown Road im Westen der Stadt gelegen, bestehen seit den 2000er-Jahren Bemühungen, das verlassene Stadion wieder aufzubauen und so die Gaelic Athletic Association (GAA) an ihre alte Wirkungsstätte zurückzuholen.

Der Verband hält weiter die Hoffnung auf den Neubau aufrecht, ein Sprecher der Ulster GAA versichert gegenüber LAOLA1: "Der neue Casement Park wird im Herzen von Belfast einige der größten, bedeutendsten und aufregendsten Sportereignisse der Insel beherbergen und der zweitgrößten Stadt Irlands Farbe, Lebendigkeit und eine große Anzahl von Zuschauern bringen."

Doch was fast schon Fußball-romantische Züge hat, könnte noch vor dem eigentlichen Baubeginn bereits scheitern. Zwar besteht großes Interesse vonseiten der Politik, das neue Stadion zu realisieren. Weil aber die Baukosten einen gewaltigen Aufschub erlitten haben und nur knapp unter der Halbe-Milliarde-Marke zirkulieren, ist die Gefahr des Stadion-Aus akuter denn je. Hinzu kommt, dass die ansässigen Bewohner in der Vergangenheit ohnehin ihre Unzufriedenheit über das geplante Vorhaben öffentlich gemacht haben.

Die Wurzeln reichen nach 1916

Der Casement Park öffnete als eine der größten Stadien Nordirlands im Juni 1953 mit dem Finalspiel der ersten Ulster Senior Club Football Championship zwischen Armagh Harps und St. John's aus dem County Antrim seine Pforten.

Der Namensgeber erlebte diesen Tag nicht. Noch während des Ersten Weltkriegs wurde am 3. August 1916 der irische Unabhängigkeitskämpfer, Diplomat und Menschenrechtsaktivist Sir Roger David Casement für seine Verwicklungen im Oster-Aufstand von den Briten im Pentonville-Gefängnis (London) gehängt.

(Text wird unterhalb fortgesetzt)

Das sind die Stadien der EURO 2028 in Großbritannien/Irland

Die Haupttribüne, so wird erzählt, soll gar aus jenem Stahl gebaut worden sein, der nach dem Zweiten Weltkrieg aus verlassenen amerikanischen Flugzeughangars in der Grafschaft Fermanagh gewonnen wurde.

Die Stadiongeschichte dauert auf den Monat genau 60 Jahre an. Im Juni 2013 wurden die Tore trotz einer großen Renovierung zum Jahrtausendwechsel sowie der Installation der Flutlichtanlage 2006 geschlossen. Seitdem zerfällt der 31.500 Zuschauer fassende Casement Park in seine Einzelteile und gleicht heute einer Ruine - und das inmitten des Arbeiterviertels Andersonstown, dessen Fundamente der irische Nationalismus und die irischen Katholiken sind.

2000er-Jahre: Zwei Standorte und kein Stadion

Obwohl der Schlüssel zum letzten Mal mit dem Viertelfinale der Ulster Senior Football Championship zwischen Gastgeber Antrim und Monaghan am 10. Juni 2013 gedreht wurde, sind Pläne, ein neues Stadion zu errichten, einige Jahre älter.

Der Casement Park im Oktober 2023: Politik, Finanzen und der Zahn der Zeit lassen den Sport missen.
Foto: © getty

Die ursprüngliche Idee (2006) sah den Bau einer Multi-Zweck-Arena auf dem Gelände des im September 2000 geschlossenen Maze-Gefängnisses in Lisburn vor, die die Heimstätte für den nordirischen Fußball, Rugby und gälischen Sportarten hätte werden sollen.

Allerdings wurde das Vorhaben nach einem Einspruch fallen gelassen, stattdessen sollte ab 2009 in Ost-Belfast im Stadtteil Sydenham eine 25.000 Zuschauer fassende Fußball- und Rugby-Arena entstehen. Der Kostenpunkt für das neue Blanchflower Stadium lag damals bei 134 Millionen Euro.

Die Ulster GAA, die Partner des Maze-Projekts waren, blieb außen vor. Stattdessen verblieb man im Casement Park im Westen Belfasts und versuchte, die Renovierung voranzutreiben.

Die Stormont-Regierung wendete ab 2011 nach damaligem Wechselkurs ca. 160 Millionen Euro für die Renovierung der bestehenden Stadien in Belfast auf. Dadurch konnte die Zukunft der nordirischen Nationalmannschaft sowie des Linfield Football Club's im Windsor Park gesichert werden. Und das lokale Rugby-Team Ulster Rugby freut sich seit einer Dekade über das renovierte Kingspan Stadium im Stadtteil Ravenhill.

Einmal mehr blieb trotz eines Budgets von ca. 71 Millionen Euro der Casement Park über. Das Vorhaben klang vielversprechend: ein Neubau mit einem Fassungsvermögen von 40.000 Zuschauern. Baubeginn sollte Ende 2013 sein und die Arbeiten im September 2015 abgeschlossen werden. Damit sollte die Ulster GAA aus St. Tiernach's Park in Largy (County Monaghan) zurück an ihre alte Wirkungsstätte ziehen.

Ein Jahrzehnt gezeichnet von Aufschüben

Die ohnehin komplexe Situation rund um die Andersonstown Road wurde nochmals verschärft. Im September 2013 reichten Anwohner aus West-Belfast erfolgreich eine Petition ein, die den Baubeginn des neuen Stadions vertagte. Nach einem Beschluss des nordirischen High Court's im Dezember 2014 legte die Ulster GAA im Oktober 2016 einen neuen Stadionplan vor, der eine Kapazität von "nur" 34.500 Zuschauern vorsah. Das Produkt: Antrag abgelehnt, der Casement Park wurde einmal mehr seinem Schicksal überlassen.

Die Hoffnung auf ein neues Stadion flackerte einmal mehr im Oktober 2020 auf. Die damalige Ministerin für Infrastruktur, Nichola Mellon, empfahl eine Wiederaufnahme des Bauprojekts. Geplant war, dass die Arbeiten im Sommer 2023 beendet werden. Im Juli 2021 wurde das Vorhaben zwar genehmigt, bis zum Startschuss der ersten Abrissarbeiten dauerte es aber bis in den Februar 2024.

Der irische Journalist Peter Makem schrieb bereits 2020 in einem Kommentar treffend zur Situation: "Casement Park - Das Stadion, das sich weigert, neu gebaut zu werden."

Das neue Stadion: Es fehlen hunderte Millionen Euro

Für den Casement Park grenzt es fast schon an Fußball-Romantik, EM-Gastgeber zu sein. In der Politik - unter der Führung von Michelle O'Neill - erhofft man sich ein Abflachen der sozialen Spannungen. Die nordirische Bundeskanzlerin machte im Frühjahr bei einem US-Besuch klar, dass die Austragung der Europameisterschaft 2028 eine "unglaubliche Möglichkeit" sei, das Volk über das Sportturnier zu "vereinen."

Eine Konzeptstudie: So soll der Casement Park nach der Fertigstellung aussehen.
Foto: © Ulster GAA

Auch wenn diese Vorstellung verlockend klingt, stehen der Stadt- sowie der Landesregierung eine große Hürde im Raum: Die Finanzierung. An der Andersonstown Road fielen nach Angaben des im Juli aus dem Amt geschiedenen nordirischen Staatssekretärs Chris Heaton-Harris Ausgaben von ca. 360 Millionen Euro an.

Die nordirische Regierung zeigte sich zu dem Zeitpunkt gewillt, ca. 73 Millionen Euro bereitzustellen. Irland bot 50 Millionen Euro und die Ulster GAA plante 17,5 Millionen Euro ein. In Summe machte das 140,5 Millionen Euro. Allerdings fehlten da bereits 219,5 Millionen Euro. Und auf dem Tisch der britischen Regierung lag die Bitte um eine finanzielle Unterstützung.

Im September verschlechterte sich die Situation drastisch. Die Kosten für das Stadion sollen laut der neuen britischen Regierung offenbar auf 474 Millionen Euro gestiegen sein, mit der Schätzung, dass das Potenzial für eine Summe von 533 Millionen Euro gegeben ist. 

Am Freitag, dem 13. September, folgte schließlich die Hiobsbotschaft: Die britische Regierung erklärte, dass man keine finanzielle Unterstützung für das Stadion leisten werde. Wie die Zukunft des Bauprojekts nun aussehen soll und ob es überhaupt noch eine neue Spielstätte geben wird, bleibt ungewiss.

Eine "neue Heimat" für die GAA

Sollte trotz der finanziellen Niederlage dennoch ein Geldgeber gefunden und das Stadion gebaut werden, würde das einem Wunder gleichen. Noch im August versicherte ein Sprecher der Ulster GAA, dass der Neubau "ein Katalysator für die Entwicklung und das Wachstum der gälischen Spiele" sei, "in dem County-, Vereins- und Schulspiele ausgetragen werden." Zudem werde es "globale Möglichkeiten für die Stadt Belfast schaffen, indem es ihr ermöglicht, internationale Veranstaltungen, Konzerte und große Sportturniere auszurichten."

Der Optimismus verfolgt ein klares Ziel: Die Gemeinschaft soll über den Bau hinaus in "sozialer, kultureller und wirtschaftlicher Hinsicht" profitieren, wobei der Casement Park in den "kommenden Jahren ein wichtiger Katalysator für die Schaffung von Wohlstand in Belfast" sein soll.

Die Uhr tickt in Nordirland

Neben der Finanzierung sind weitere Baustellen zu meistern. Offiziell wollen Unionisten-Politiker keine zusätzlichen öffentlichen Gelder für den Wiederaufbau des Casement Parks aufgewendet wissen. Aufgrund der namentlichen Vorgeschichte sowie der Lage des Stadions dürften die Hintergründe wohl klar auf der Hand liegen.

Der Blick ins Stadion: Volle Tribünen und reichlich Stimmung werden erwartet.
Foto: © Ulster GAA

Sollte für das fehlende Geld eine Lösung gefunden werden, steht der nordirischen Regierung eine weitere Hürde bevor. Die UEFA-Regularien sehen vor, dass der Stadionneubau bis zum Sommer 2027 abgeschlossen sein muss - also in drei Jahren.

Und um den Druck einmal mehr zu erhöhen, werden UEFA-Verantwortliche das Bauprojekt sowie dessen Entwicklung genaustens beobachten. Will Nordirland Gastgeber bleiben, muss in Windeseile die Finanzierung restlos geklärt werden, damit die Arbeiten beginnen können.

Fünf Spiele und über 100 Millionen Euro

Sollte der neue Casement Park also trotz allem gebaut und rechtzeitig fertiggestellt werden, würde man auf dem Rasen fünf Spiele austragen, wobei bisher nicht bekannt ist, um welche es sich handelt. Erwartet werden für die Partien ca. 150.000 Fans, die durch Ticketverkäufe, Hotelkosten und weitere Spesen ca. 125 Millionen Euro lukrieren sollen.

Die Situation ist heikel, aber klar: Wenn das Bauprojekt nicht bis zum Sommer 2027 fertiggestellt wird und die Abnahme der UEFA besteht, dann steht Nordirland mit höchster Wahrscheinlichkeit ohne eigene Heimstätte da. Denn die Irish Football Association (IFA) hat deutlich gemacht, dass es "keinen Weg zur Finanzierung einer Erweiterung" des 18.500 Zuschauer fassenden Windsor Park's geben wird.

Auch wenn alle Zahnräder ineinander greifen, steht die nordirische Nationalmannschaft sportlich vor einer Hürde. Denn per UEFA-Regularien sind maximal nur zwei Gastgeberländer automatisch für das Turnier qualifiziert. Die Lösung für das Problem: Alle fünf Gastgeber (England, Nordirland, Irland, Schottland und Wales) sollen regulär an der Qualifikation teilnehmen und im Zweifel ein Schlupfloch im Regelbuch ausnutzen.

Und so soll es ablaufen: Sollte einem Gastgeber die Qualifikation für die Europameisterschaft nicht gelingen, würde man auf das Regulativ der automatischen Qualifikation aufgrund des Gastgeberstatus zurückgreifen. Bei einem zweiten nicht qualifizierten Gastgeber würde man gleichermaßen vorgehen.

Das Verhältnis zum Windsor Park

Das Verhältnis zwischen den Lokalfans bezüglich des Casement Park's und des Windsor Park's gilt als schwierig. Denn die erstgenannte Sportstätte ist im westlich gelegenen, irisch-geprägten Stadtteil Andersonstown zu finden, während der 1905 eröffnete Windsor Park im südlichsten Stadtteil Balmoral und damit im Einflussgebiet der Unionisten steht. Getrennt werden die beiden Arenen von der Autobahn M1 und einer Luftlinie von knappen zwei Kilometern.

Neben der geografischen und politischen Lage ist die Situation auch sportlich angespannt. Der Casement Park unterliegt der GAA, der Windsor Park der IFA und ist das Heimstadion der nordirischen Fußball-Nationalmannschaft. Zudem wird an gleicher Stelle das Finale des nordirischen Pokals ausgespielt. 

Allerdings ist der Windsor Park zu klein, das UEFA-Unterlimit bei der Kapazität für internationale Turniere liegt bei 30.000 Zuschauern. Dass dann ausgerechnet der verfallene Casement Park unter der Prämisse des Neubaus den Zuschlag erhalten hat, dürfte der IFA sauer aufgestoßen sein.

Hinzu kommt, dass der gegenseitige Stadionbesuch aufgrund der blutigen Vergangenheit der Stadtbewohner als fast ausgeschlossen gilt. Tatsächlich wollen einige Unionisten bereits angekündigt haben, den Casemant Park auch bei der Europameisterschaft 2028 zu meiden.

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