In der Serie "Das Tor zur Welt" nehmen wir internationale Fußball-Klubs und ihre Geschichten genau unter die Lupe. Wir beleuchten die Hintergründe, die in der schnellen, täglichen Berichterstattung gerne untergehen.
Den Anfang hat die Story über Nottingham Forest gemacht, der nach 23 Jahren wieder in die Premier League zurückgekehrt. Hier lesen>>> Zuletzt ging es um den AC Monza, der zum ersten Mal in der Serie A spielen wird. Das ist mit der Hilfe von Silvio Berlusconi gelungen. Hier lesen>>>
Diesmal geht es um den FC Vaduz, der als erster Liechtensteiner Klub in einem Europacup-Playoff steht - noch dazu gegen den SK Rapid - und ein ganz spezieller Klub mit außergewöhnlichen Auflagen ist.
Ein kleines Land ganz groß.
Liechtenstein kennen viele nur vom Durchfahren, in wenigen Minuten erreicht man von Vorarlberg kommend die Schweiz. Das ganze Fürstentum weist mit rund 38.000 Einwohnern ungefähr so viele wie die Stadt Steyr auf.
Fürst Hans-Adam II (die Regierungsgeschäfte führt seit 2004 Sohn Alois) blickt von seinem Schloss in Vaduz aus auf 160,5 Quadratkilometer Land. Fußball? Nur Nebensache. Auch wenn der FC Vaduz mit dem erstmaligen Erreichen eines Europacup-Playoffs einen historischen Meilenstein erreicht hat.
Auch wenn der SK Rapid kommt (ab 20 Uhr im LIVE-Ticker), obwohl der Fürst höchstpersönlich in Wien das Schottengymnasium besuchte. Dass der in der zweithöchsten Schweizer Liga vertretene Fußball-Exot die Hütteldorfer trotzdem ärgern will, liegt auf der Hand. Schließlich fehlt nach dem sensationellen Rauswurf von Konyaspor nur noch die Hürde Playoff, um die Gruppenphase der Conference League zu erreichen.
"Liechtenstein als Fußball-Nation unbedeutend", aber...
Wie speziell der FC Vaduz aus dem Mini-Land Liechtenstein, 194. der FIFA-Weltrangliste, ist, wissen aktuell die ÖFB-Legionäre Manuel Sutter, Kristijan Dobras und Anes Omerovic. Aufgrund der geografischen Nähe "verirrten" sich immer wieder Österreich-verbundene Spieler und Trainer ins Fürstentum.
Weshalb LAOLA1 bei Ex-Vaduz-Trainer Eric Orie sowie den Ex-Rapidlern Boris Prokopic und Christopher Drazan nachfragte, die allesamt einmal für den SCR-Gegner aufliefen. "Das ist Wahnsinn! Dass sie Konyaspor rausgehaut haben, ist eine große Sache. Die sind jetzt natürlich aus dem Häuschen und haben die Möglichkeit, gegen Rapid um einen Gruppenplatz zu spielen. Das ist der größte Erfolg der Geschichte", weiß der nunmehrige Dornbirn-Sportdirektor Eric Orie, von April 2010 bis November 2012 Trainer des FC Vaduz.
Von der Birkenwiese ist Vaduz für den niederländischen Wahl-Vorarlberger nicht weit entfernt, Ex-Spieler nehmen wichtige Rollen im Verein ein, so war etwa Sportdirektor Franz Burgmeier Ories Kapitän. Ansonsten pflegt Dornbirn gute Kontakte nach Vaduz, das bestätigen die Leihen von Torhüter Justin Opelt und Elvin Ibrisimovic.
Die Station im Nachbarland ist trotzdem mit nichts zu vergleichen. "Liechtenstein ist sowieso ein Land, das man nicht vergleichen kann. Es liegt zwischen Österreich, Schweiz und Deutschland – als Fußball-Nation unbedeutend."
Unbeliebt, aber geduldet im Schweizer Liga-System
Das bestätigt auch der Ex-Altacher Prokopic, der aktuell nur mehr in der dritten Schweizer Liga beim SC Brühl seine Karriere ausklingen lässt. "Es ist eher ein Dorfklub. Es gibt schon andere Vereine, aber die sind nicht unbedingt nennenswert. Es ist sehr familiär, weil es so klein ist, sie haben aber leider keine Fankultur. Es wird nicht nach einem Match gelebt wie in Altach, wo jedes Match wie ein Dorffest ist. Das haben sie nicht."
Da der Liechtensteiner Verband insgesamt nur sieben Klubs anführt und das Niveau überschaubar ist, kicken die Vereine im Schweizer Liga-System mit - weil sie dürfen, auch wenn sie unbeliebt sind. "Vaduz hat es immer geschafft, eine konkurrenzfähige Mannschaft zu stellen – aber eigentlich nur, weil sie in der Schweiz mitspielen dürfen. Wenn die nicht in der Schweiz mitspielen dürfen, gibt es das gar nicht und interessiert gar keinen", urteilt Orie hart aber ehrlich.
"Man ist geduldet. Sie haben es natürlich lieber, dass die Schweizer Traditionsvereine wie Aarau aufsteigen als ausländische Vereine", unterstreicht der Ex-Coach, dass Vaduz nicht unbedingt einen Beliebtheitspreis gewinnt.
Das bestätigt auch Prokopic: "Früher haben sie nicht so einen guten Ruf gehabt, weil sie keiner in der Liga haben wollte, weil es für die Schweizer doch eine relativ weite Anreise war. Die sind ein bisschen verwöhnt. In Österreich fährst du durchs ganze Land, neun bis zehn Stunden. Sie fahren vier Stunden und beschweren sich."
Für Drazan, ehemals Flügelflitzer bei Rapid, waren die "Auswärtsspiele" in einem anderen Land aber nie ein Problem. "Das ist eigentlich, wie wenn du in der Schweiz bist. Du fahrst ja nicht so extrem lange." Auch Prokopic ergänzt: "Das wird überhaupt nicht so wahrgenommen. Du weißt gar nicht, ob du jetzt in Liechtenstein oder in der Schweiz die Grenze überschritten hast. Von dem her ist es eher ein Schweizer Verein in meinen Augen."
Eintrittsgebühr, um überhaupt mitspielen zu dürfen
Dass Vaduz in der Schweiz schon in der höchsten Super League gespielt hat und aktuell in der Challenge League nur auf dem vorletzten, neunten Platz liegt, ist die eine Sache. Die andere ist, dass die Liechtensteiner auch noch eine Gebühr entrichten müssen, um überhaupt teilnehmen zu dürfen.
Das bestätigen alle Befragten unisono und ist auch so nachvollziehbar. "Die Schweizer haben das ja erlaubt. Ich kann mich noch erinnern, man muss immer einen Beitrag zahlen", weiß Orie. "Schon zu meinen Zeiten hat man auf das TV-Geld verzichtet."
Bis 2011 war der Vertrag immer nur befristet, inklusive jährlicher Zitterpartie, wie es weitergeht. Seit elf Jahren sind diese Sorgen Vergangenheit, allerdings beinhaltet der Vertrag einige Regeln, die nicht alle öffentlich sind. "Sie müssen für die Super League und sogar für die Challenge League jedes Jahr eine Gebühr abgeben, damit sie mitspielen dürfen. Das wissen viele nicht", bestätigt Prokopic.
Diese umfassen auch eine Eintrittsgebühr, die jedoch mit europäischen Erfolgen der Vaduzer steigt. Je weiter sie kommen, desto teurer wird es. Vor zwei Jahren budgetierte die Liga mit 1,375 Millionen Franken (1,42 Mio. Euro) von Vaduz für die 2. Liga. Zudem erhalten die Liechtensteiner nicht den kompletten jährlichen Sockelbeitrag inklusive TV-Gelder wie die Konkurrenz. Im Klartext überweist Vaduz aber kein Geld, sondern die Summe wird mit den reduzierten Zahlungen verrechnet, weshalb die Schweizer Klubs deutlich mehr Geld erhalten als die "Gäste".
Meistertitel tabu und EC-Fixticket über Liechtensteiner Cup
So mischte Vaduz auch schon ein paar Jahre in der Super League mit, doch den Meistertitel werden sie nie erringen können - weil sie es nicht dürfen. Sollte Vaduz Erster sein, würde der Zweitplatzierte zum Schweizer Meister gekrönt werden. Ebenso kann Vaduz auf dem Liga-Weg keinem Schweizer Klub einen Europacup-Platz wegschnappen.
Deshalb tritt auch in diesem Fall ein Unikum zutage. Der einzige nationale Bewerb in Liechtenstein ist nämlich der Cup, der Sieger löst das Europacup-Ticket. "Normalerweise gewinnst du immer den Cup und bist international dabei", erinnert sich Drazan.
Die Betonung liegt auf normalerweise, wie Orie zugeben muss. "Das ist natürlich ein Geschenk, den Cup gewinnt Vaduz fast immer und dafür bist du für Europa qualifiziert. Nur ich habe ihn einmal nicht gewonnen", gibt der Ex-Coach zu, obwohl es aus seiner Sicht mit dem FC Balzers und Eschen/Mauren nur zwei konkurrenzfähige Mannschaften gibt. 2012 musste er Eschen/Mauren im Finale den Vorzug lassen. Doch selbst als Corona-bedingt der Cup ausfallen musste, einigten sich die Klubs darauf, dass Vaduz den internationalen Startplatz erhalten soll.
Somit ist Vaduz europäisch ein Dauergast, in der Quali wohlgemerkt, in den letzten Jahren in der Europa League. "Wie ich leider schon verletzt war, haben wir sogar Frankfurt gezogen, da haben sie den ganzen Kader mitgenommen, in Frankfurt war das Stadion sogar gegen uns mit 50.000 ausverkauft. Wenn du ein bisschen Glück hast und eine Runde weiter kommst, spielst du so wie jetzt gegen Rapid – das ist trotzdem leiwand", werden in Vaduz die kleinen Erfolge schon zu großen Highlights, wie Drazan, der aufgrund eines Knorpelschadens im Knie nur 14 Spiele für den Klub absolvierte, schildert.
"Es ist ein bisschen so wie mit den Vorarlbergern in Österreich"
Denn das Budget ist begrenzt, der Fürst hält nicht viel von Fußball und Zuschüsse bleiben aus. Dabei erwähnt Orie, dass vor seiner Zeit noch durchaus mehr Geld investiert wurde, um den FC Vaduz nach vorne zu bringen.
Nun ist man mit geringen Mitteln auf die Gunst der Schweizer angewiesen, doch es gibt viele kritische Stimmen, warum ein Liechtensteiner Klub mitspielen muss. Das Nachbarland wird großteils belächelt, nicht ernst genommen in Bezug auf Fußball, wie Prokopic erwähnt:
"In der 2. Liga nicht, aber in der Super League heißt es immer noch: Du hast keine Fans, keine Zuschauer – da will keiner hinfahren. Es ist ein bisschen so wie mit den Vorarlbergern in Österreich", scherzt Prokopic, der selbst lange Jahre in Vorarlberg spielte.
"Auch wenn man den Experten nach den Spielen zuhört, ist es eher so, dass sie wollen und es besser wäre, wenn jemand anderer aufsteigen würde. Aber für die 2. Liga sind sie ein sehr guter Klub, auch für die jungen Spieler. Sie leihen viele aus Zürich, Basel oder Bern aus. Somit ist es eine gute Adresse."
Nationalteam als Vaduz-Kopie und Schweizer Top-Klubs als Ziel
Top-Klubs verleihen ihre Akteure gerne für mehr Spielpraxis nach Liechtenstein, umgekehrt streben Profis des FC Vaduz nach höheren Aufgaben, vorrangig ligaintern in der Schweiz, wenn es für den großen Sprung noch nicht reicht.
"Sie wollen natürlich Fuß fassen, die Klubs in der Schweiz in der Super League sind natürlich um ein Vielfaches größer, mit besseren Verdienstmöglichkeiten, auch um Karriere zu machen", erklärt Orie. Dass Vaduz Talente ausbilden kann, hat der Klub schon bewiesen und lukriert dadurch immer wieder Erlöse.
Die wichtigen Entscheidungsträger sind weiterhin Liechtensteiner, "damit das nicht verloren geht", meint Prokopic. Rundherum arbeiten jedoch viele Schweizer und Österreicher. Jahrelang war das Liechtensteiner Nationalteam eine Kopie des FC Vaduz, um sich damit einen Vorteil zu verschaffen.
Unter Ories Vorgänger Pierre Littbarski waren viele Deutsche in Vaduz, unter ihm begann ein Umdenken mit regionalen Spielern. Allerdings hängt es auch von der Qualität der Liga und den Ambitionen ab, ob es nur mit Liechtensteinern geht, musste Orie damals feststellen. Rekord-Torschütze Mario Frick oder der Ex-Rieder Martin Stocklasa hätten es aber von Liechtenstein aus weit gebracht.
Rapid für alle Favorit, aber Ausrufezeichen für Vaduz
Leicht hat es der FC Vaduz wahrlich nicht bei allen Sonderrregelungen und erschwerten Bedingungen. Umso mehr Auftrieb gibt der Erfolg in der Conference-League-Quali, auch wenn sich alle sicher sind, dass dadurch nicht unbedingt viel mehr Heim-Fans gegen Rapid ins Stadion kommen werden.
"Für das Land und den Verein ist es schon super und ein Ausrufezeichen. Es werden schon mehr Zuschauer kommen, aber nicht extrem viel mehr. Das ist halt dort so. Es ist schwer, weil Fußball dort nicht das große Ding ist", findet Drazan.
Orie plant mit seinem Trainer Thomas Janeschitz die Fahrt nach Vaduz zum Hinspiel gegen Rapid. "Ich denke schon, dass sowas ein Aufbau ist für Fußball in Liechtenstein. Mit Rapid kommt man wieder in den Fokus und unter die Scheinwerfer. Das gibt schon einen Ruck."
Rapid dürfe Vaduz nicht unterschätzen, schließlich wurde der Schweizer Zweitligist Konyaspor ausgeschaltet. Am Aufstieg Rapids zweifelt aber keiner so wirklich. "Wenn Rapid international spielen will, müssen sie schon aufsteigen. Wenn du nicht weiterkommst, hast du es auch nicht verdient", stellt Drazan klar.