Bei den Spielern von Club Brügge musste der Frust raus.
Gegen Cercle Brügge reichte es am vergangenen Wochenende trotz zweimaliger Führung nur zu einem 2:2, was der kleinere Stadtrivale wie einen Sieg feierte.
"Es war eben ein Derby und einer der Cercle-Spieler hat eine Flagge auf dem Platz präsentiert. Ein Spieler von Club Brügge hat sie ihm weggenommen und sie weggeworfen. Dann kam es zu einer Rudelbildung. Das war ein bisschen wie im Kindergarten", sagt Peter Vandenbempt.
Der belgische Fußball-Journalist und -Kommentator verfolgt das zuletzt turbulente Geschehen rund um den Gegner des FC Salzburg (Donnerstag, ab 21 Uhr im LIVE-Ticker und bei DAZN) im Sechzehntelfinale der UEFA Europa League genau.
Die Szenen nach dem Schlusspfiff stehen für ihn sinnbildlich für die momentane Situation des Vereins.
"Das Verhalten hat für mich einfach gezeigt, dass große Spannungen innerhalb der Mannschaft herrschen."
"Sie hätten sagen können: Wir sind ein großer Klub, warum sollte uns das stören, wenn der Gegner das macht? Das Verhalten hat für mich einfach gezeigt, dass große Spannungen innerhalb der Mannschaft herrschen", so Vandenbempt, der für das belgische "Radio 1" und den TV-Sender VRT Spiele live kommentiert.
Noch im Herbst sah die Lage anders aus. Bis zum neunten Spieltag hat Club Brügge kein Ligaspiel verloren. Nach zwei anfänglichen Niederlagen in der UEFA Champions League trotzte man Borussia Dortmund und Atletico Madrid jeweils ein Remis ab und schoss die AS Monaco mit 4:0 aus dem Stade Louis II.
Zoff mit Kapitän Kapitän Ruud Vormer
Die Tabellenführung in der Jupiler Pro League hat der Verein längst verspielt, aus den letzten 16 Spielen konnten nur fünf gewonnen werden. Auf Tabellenführer KRC Genk fehlen satte elf Zähler.
Unter der jüngsten Bilanz hat auch das Verhältnis zwischen den Spielern, den Fans und Trainer Ivan Leko gelitten. Als dieser seinen Kapitän Ruud Vormer gegen KAA Gent (1:1) ausgewechselt hat, reagierte der ungehalten und tat seinen Unmut lautstark kund.
Dass sich der Anhang gegen Leko stellt, verwundert Vandenbempt: "Er war eigentlich immer sehr beliebt hier. Im letzten Jahr hat er den Meistertitel geholt, davor war er ein verdienstvoller Spieler für den Verein. Er ist ein sehr energischer, leidenschaftlicher Trainer an der Seitenlinie. Das mögen die Fans in Brügge sehr. Als er Vormer ausgewechselt hat, haben sie ihn zum ersten Mal beschimpft und ausgepfiffen. Das war wirklich neu."
Aufgrund von fehlendem Selbstvertrauen und Verletzungen tendiert Leko auch dazu, seine spielerische Ausrichtung zu verändern und tiefer zu stehen. "In den meisten Champions-League-Spielen hat Brügge aber versucht, offensiv zu spielen. Leko ist ein Trainer, der will, dass sein Team das Heft in die Hand nimmt. Er will angreifen und hoch pressen", erklärt Vandenbempt.
Bei der Grundausrichtung vertraut der Kroate auf ein 3-5-2 mit Wesley und Siebe Shrijvers im Angriff, wobei sich Letzterer eher um seinen Sturmpartner bewegt. Auf Wesley wird Salzburg genau aufpassen müssen.
Ausnahmekönner Wesley und Vanaken
"Viele Experten sagen ihm eine große Karriere in der Premier League voraus. Aber ich bin mir noch nicht ganz sicher. Seine Entwicklung war in letzter Zeit nicht ganz ideal, er hat Möglichkeiten ausgelassen und falsche Entscheidungen im Spiel getroffen. Auch seine Laufwege haben nicht immer gepasst", findet Vandenbempt.
Der Brasilianer, der gegen Cercle ein herrliches Tor per Ferse erzielt hat, gilt als technisch ähnlich beschlagen wie der offensive Mittelfeldspieler Hans Vanaken, der 2018 mit dem Goldenen Schuh, den Preis für den besten Spieler der belgischen Liga, ausgezeichnet wurde.
Probleme machen Club Brügge Verletzungen auf Schlüsselpositionen im System von Leko. Linksaußen Arnaut Danjuma, zu Saisonbeginn einer der herausragenden Torschützen und Assistgeber, ist aufgrund einer schweren Knöchelverletzung schon länger out.
"Leko will einen Fußball entwickeln, bei dem die Außenspieler besonders wichtig sind. Die Ausfälle auf diesen Positionen waren auch ein Problem in den letzten Wochen", erklärt Vandenbempt.
Ob Leko auch gegen die bekannt offensiv variabel und aggressiv auftretenden Salzburger seinem Stil treu bleiben wird? "Ich denke schon. Schon am Sonntag wartet in der Liga aber ein absolutes Schüsselspiel gegen Tabellenführer KRC Genk. Ich vermute daher, dass für den Verein das Ligaspiel wichtiger sein wird als jenes gegen Salzburg."
Abseits des sportlichen Trubels wird auch einem anderen Thema in Brügge und ganz Belgien große Aufmerksamkeit geschenkt.
"Der Respekt vor Salzburg ist groß"
Im Herbst erschütterte "Footballgate" das Land. Eine Großrazzia hat zu insgesamt 29 Festnahmen geführt. Leko wurde von der Polizei für eine Nacht festgehalten, weil einer seiner Ex-Manager, Dejan Veljkovic, im Skandal um Bestechung, Geldwäsche und Spielmanipulation als einer der Hauptverdächtigen gilt.
"Der belgische Verband hat die Ermittlungen bezüglich der Spielmanipulations-Vorwürfe aufgenommen. Vor Saisonende muss er eine Entscheidung treffen. Veljkovic tritt jetzt als Kronzeuge auf. Viele Coaches, Klubbesitzer und auch Spieler sind in Angst, weil sie nicht wissen, was passieren wird", schildert Vandenbempt die aktuell heikle Lage.
Eine angenehme Ausgangssituation vor wichtigen internationalen und nationalen Spielen sieht anders aus.
Vandenbempt sieht Salzburg daher in der Favoritenrolle: "Hier in Belgien wird Salzburg als sehr harter Gegner gesehen. Der Respekt vor Salzburg ist sehr groß, weil sie in allen Bewerben sehr dominant auftreten. Mit dem Einzug in Halbfinale der letzten Saison haben sie natürlich in Europa Eindruck hinterlassen."
Ganz abschreiben will er Club Brügge aber nicht: "Die Mannschaft hatte auch in der Liga zuletzt gute Momente, sie gibt immer ihr Bestes. Man weiß nur momentan nicht, was man von ihr bekommen kann."