Die glorreichen Jahre sind vorüber. Die Curva Sud im Stadio Olimpico ist ein Schatten ihrer selbst.
Dabei war die Fanszene der AS Roma einst eine der bedeutendsten Italiens, nicht zuletzt hat sie 1999 das „Manifesto degli Ultras“ verfasst, auf das sich seither so ziemlich jede Ultra-Gruppe Europas bezieht.
„Die Roma-Kurve ist auf einem historischen Tiefpunkt angelangt“, sagt Kai Tippmann. Der Deutsche lebt seit über zehn Jahren in Italien und ist absoluter Experte in Sachen italienischer Fans.
Er hat mehrere Bücher italienischer Ultras ins Deutsche übersetzt und versorgt seine Leser auf dem Blog altravita.com regelmäßig mit fundierten Informationen zu den italienischen Kurven.
Im LAOLA1-Interview erzählt Tippmann von „Stadionbesuchsverhinderungsmaßnahmen“, Polizeichefs, die sich profilieren wollen, dem Wandel in der politischen Ausrichtung der Roma-Kurve und der schwierigen Situation der Curva Sud.
LAOLA1: Am Donnerstag spielt die Austria in Rom. Interessiert das die Roma-Fans überhaupt?
Kai Tippmann: Es ist ein eher merkwürdiger Zustand für die Roma im Moment. Die organisierten Fans haben im Moment noch ein paar andere Diskussionen zu führen. Sportlich haben die Fans auch nicht unbedingt die Vorstellung, in Europa etwas gewinnen zu können. Das Zuschauerinteresse ist eher durchwachsen.
LAOLA1: Welche Diskussionen sind das?
Tippmann: Die Fankurve hat die komplette letzte Saison durchgestreikt und streikt auch diese Saison. Selbst beim Derby finden sich nur 35.000 Zuseher ein, bei anderen Spielen noch weniger. Das hat damit zu tun, dass die römische Polizei seit der Ernennung ihres neuen Polizeichefs einen konfrontativen Kurs fährt. Durch die Römer Fankurven wurden erstmals in der Geschichte Trennwände gezogen – was seit Jahrzehnten ein Fanblock war, besteht jetzt aus mehreren Sektoren. Außerdem wurden Gesichtsscanner an den Eingängen eingeführt. Eine Zeitlang war sogar im Gespräch, an den Eingängen der Kurve Fingerabdruck-Scanner anzubringen. Seit dieser Saison gibt es für Heim- und Gästefans massenhaft Strafzahlungen, wenn diese sich erdreisten, in der Kurve nicht auf ihrem Platz zu sitzen.
LAOLA1: Wie werden diese Maßnahmen öffentlich argumentiert?
Tippmann: Da wird nicht viel argumentiert, das ist jetzt so, weil man die Gewalt verhindern möchte. Das ist grundsätzlich immer die Kernaussage. Was eine Blocktrennung oder Gesichtsscanner bei sowieso namensgebundenen Tickets damit zu tun haben könnten oder wieso jemand gewalttätig ist, wenn er in der Kurve irgendwo steht, erschließt sich mir nicht.
LAOLA1: Was sind die wahren Hintergründe?
Tippmann: Es ist ein neuer Polizeichef da, der ein gewisses Interesse daran hat, sich als starker Macher zu etablieren – dafür eignet sich der Fußball prima. Jeder Zeitungsleser in Italien hat eine Meinung zum Fußball und den Fans. Da kann man sich hervorragend profilieren. Fußballfans haben ja auch kaum eine Lobby. Solche Maßnahmen lassen sich ungestört durchführen und man kann sich schnell auf die Titelseiten schwingen – nach dem Motto: „Endlich macht da jemand was!“
LAOLA1: Die Vereine nehmen das einfach so hin?
Tippmann: Ja. Das ist ein italienisches Phänomen. Ich stelle mir schon länger die Frage, warum das so ist. Rom ist nicht die einzige Stadt, in der seit einigen Spielzeiten Stadionbesuchsverhinderungsmaßnahmen gefahren werden. Die Besucherzahlen sinken seit zehn Jahren kontinuierlich auf immer neue historische Tiefs. In Rom gibt es außerdem eine Bruchlinie zwischen den Fans und dem US-amerikanischen Klub-Eigentümer James Pallotta, der die eigenen Fans auch schon mal als „fucking idiots“ bezeichnet hat. Da brennt der Baum sowieso schon länger.
LAOLA1: Blöd gesagt: Die Kurve streikt, sie ist also befriedet, der Polizeichef hat also alles richtig gemacht.
Tippmann: Wenn man die Verkehrsunfall-Zahlen auf der Autobahn senken möchte, kann man auch einfach die Autobahn sperren. Klar, es gibt in der Kurve weder Gewalt noch schlimme Wörter. Es ist halt grabesstill im Stadion. Die Atmosphäre ist sehr, sehr traurig.
LAOLA1: Ist die Römer Szene in sich geschlossen, was den Protest betrifft?
Tippmann: Nein. Verschiedene Fans sind in ihren Ideen festgefahren – die Kurve ist das eine, Tribünen-Besucher sind das andere und Fernseh-Fans sind noch einmal etwas anderes. Die Mehrheit der Roma-Anhänger blickt sowieso nicht freundlich auf die eigene Kurve. Pro Kurve sind meistens nur die, die in der Kurve stehen oder dort mal gestanden sind.
LAOLA1: Zum letzten Mal waren die Roma-Fans im Mai 2014 international im Gespräch. Damals fand das Coppa-Finale Fiorentina-Napoli in Rom statt und der Roma-Fan Daniele de Santis hat den Napoli-Fan Ciro Esposito im Vorfeld des Spiels erschossen. Welche Auswirkungen hatte das auf die Roma-Kurve?
Tippmann: Die aktuelle Situation hat ihre Wurzeln auch in diesen Geschehnissen. Die öffentliche Meinung hat damals sehr vehement reagiert.
LAOLA1: Daniele de Santis ist ein bekennender Rechtsradikaler. Früher hat die Roma-Kurve eher als linksgerichtet gegolten. Hat sich das gewandelt?
Tippmann: Ja. Wie in vielen anderen Kurven gab es in der Roma-Kurve im Laufe der Generationen eine Verschiebung von ursprünglich links zu mehrheitlich apolitischen Kurven bis hin zu offen rechten Kurven. Rom ist eine Stadt, in der die rechte Szene sowieso sehr gut verankert ist – das ist kein Phänomen des Fußballs, sondern das einer Gesellschaft. Die Roma-Kurve hat ebenso wie die Lazio-Kurve personelle und ideenweltliche Verbindungen zu rechten Strömungen.
LAOLA1: Wie ist der Stellenwert der Roma-Ultras in der italienischen Szene allgemein?
Tippmann: Die Roma-Kurve ist auf einem historischen Tiefpunkt angelangt – was ihre Organisation und ihre zahlenmäßige Vertretung angeht. Nach der Auflösung der größeren Gruppen, der Inhaftierung von Anführern und langjährigen Stadionverboten ist die Kurve zersplittert bis hin zu einem Punkt, wo selbst Insider nicht so genau wissen, wer im Moment tatsächlich das Sagen hat oder ob es überhaupt solche Gruppen und Personen gibt. Die durchgeführten Maßnahmen und interne Konflikte haben dazu geführt, dass die Roma-Kurve sich als inhomogene und undurchdringbare Masse darstellt – nicht nur im Stadion, auch in der medialen Darstellung. Da gibt eine Gruppe ein Communiqué heraus und kurz darauf folgen zwölf andere Communiqués, die behaupten, dass diese Gruppe überhaupt nicht für die Kurve zu sprechen hat. Aber den Streik ziehen sie zumindest relativ geschlossen durch.
LAOLA1: Die Kurve ist in sich nicht geschlossen, befindet sich auf einem historischen Tiefpunkt, die Sicherheitsmaßnahmen werden immer weiter verstärkt. Kommt die Roma-Szene da überhaupt wieder heraus?
Tippmann: Ich kann mir nicht vorstellen, dass es noch lange so weitergeführt wird, wie es jetzt ist. Dafür sind Stimmung und Zuschauerzahlen zu schlecht. Irgendwann wird jemandem auffallen, dass ein Derby besser war, als 80.000 Leute im Stadion waren, es Choreographien gab und die Fans 90 Minuten gesungen haben. Das merken ja selbst Spieler regelmäßig nach den Matches an. Sportlich läuft es ja nicht so schlecht. Wenn es da keinen Einbruch gibt, habe ich die Hoffnung, dass es in den nächsten fünf Jahren wieder deutlich besser werden kann. Es wird aber sicher nie wieder so gut, wie es einmal war. Wir werden nicht zu den Stimmungs-Hochburgen der 90er und frühen 2000er Jahre zurückkommen.
LAOLA1: Es gibt Pläne für ein neues Stadion.
Tippmann: Mal sehen wie es dort wird, wenn das endlich mal gebaut wird. Die Frage ist, welche Form von Fantum dort überhaupt noch vorgesehen ist. Grundsätzlich sind die Offiziellen in Italien Fans des englischen Modells – alle sitzen und klatschen. Der Eigentümer ist US-Amerikaner und hat schon häufiger fallen gelassen, dass er sich eigentlich lieber ein Publikum wie in den USA vorstellt – wie beim Baseball, die gehen da hin, machen Picknick, Museum, kaufen ein paar Fähnchen und genießen nebenbei das Spiel.
LAOLA1: Wie ist eigentlich das Verhältnis von Roma-Legende Francesco Totti zur Kurve?
Tippmann: Er ist Römer. Er kommt aus relativ einfachen Verhältnissen, ist immer mit den Füßen am Boden geblieben und hat überhaupt keine Berührungsängste zu den Fans. Er wird geliebt, respektiert und ist über jeden Zweifel erhaben. Damit will ich aber nicht sagen, dass er zu den Geburtstagsfeiern der größten Capos der Roma-Kurve geht, aber er ist sicherlich keiner, der Abstand sucht.
Das Gespräch führte Harald Prantl