Früher war alles besser.
Auch Fußballer sind gegen nostalgische Rückblicke nicht gefeit. Meist nach Ende der Karriere, manchmal noch während dieser. So könnte es auch Heiko Westermann und Klaas-Jan Huntelaar ergehen, wenn am Donnerstag das Viertelfinale der Europa League zwischen Ajax Amsterdam und Schalke 04 (21:05 Uhr, LIVE im LAOLA1-Ticker) angepfiffen wird.
Beide Spieler werden dieses zu Beginn nur aller Voraussicht nach von der Ersatzbank verfolgen. Beide Spieler erlebten ausgerechnet beim Gegner die erfolgreiche Startphase ihrer Karriere.
Huntelaar zerschießt die Eredivisie
105 Tore in 136 Pflichtspielen erzielte Klaas-Jan Huntelaar in seiner Zeit beim niederländischen Rekordmeister. Zu Jahresbeginn 2006 hatte er den SC Heerenveen Richtung Hauptstadt verlassen. Ein halbes Jahr später krönte er sich mit insgesamt 33 Toren erstmals zum Eredivisie-Torschützenkönig, 2008 wiederholte er das Kunststück (33).
Vor dem 25. Geburtstag hatten in den 25 Jahren zuvor nur die Legenden Dennis Bergkamp und Dirk Kuyt die 100-Tore-Marke in der Eredivisie geknackt. Dazwischen schoss er Jong Oranje zum U21-EM-Titel.
Kurzum: Obwohl erst mit 13 Jahren zum Angreifer umfunktioniert, erwies sich der „Hunter“ rasch als geborener Mittelstürmer im klassisch-niederländischen 4-3-3-System.
Westermann wird Führungs- und Nationalspieler
Für Westermann erwies sich die Positionsfrage parallel nicht so einfach. Via Arminia Bielefeld schaffte er 2007 den Sprung zu Schalke 04. Als Innenverteidiger geholt, musste der defensiv vielseitig Einsetzbare bald als Rechts- und Linksverteidiger, später auch im defensiven Mittelfeld aushelfen. Zunächst mit Wohlwollen.
Allein 2008/2009 steuerte er für einen Defensivmann beachtliche sechs Treffer bei. Westermann entwickelte sich nicht nur zum Nationalspieler (Debüt am 6. Februar 2008 beim 3:0 gegen Österreich), sondern auch zur Führungsfigur: Im Sommer 2009 übernahm er die Kapitänsbinde auf Schalke.
Doch sehnte er sich nach seiner Lieblingsposition in der Innenverteidigung. Als ihm Trainer Felix Magath diese nach einer auch aufgrund von Knieproblemen schwächeren Saison nicht zugestehen wollte, wechselte Westermann im Sommer 2010 für 7,5 Millionen Euro zum Hamburger SV.
VIDEO: Westermann-Eigentor gegen Barcelona
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Zu starke Konkurrenz bei Topklubs
Und verpasste damit knapp die Ankunft von Klaas-Jan Huntelaar einen Monat später. Der Niederländer hatte inzwischen eine Leidenszeit hinter sich.
Als begehrte Transferaktie konnte er sich in unruhigen Zeiten bei Real Madrid und AC Milan nicht durchsetzen. Als Neuzugang der Königlichen im Jänner 2009 für stolze 27 Millionen Euro wurde er nicht einmal für den Champions-League-Kader nominiert. Im Sommer holte Präsident Florentino Perez Kaka, Cristiano Ronaldo und Karim Benzema als Einstiegsgeschenke.
Für den „Hunter“ war kein Platz mehr, ebenfalls wie später in Mailand, als ihm mit Zlatan Ibrahimovic und Robinho erneut übermächtige Konkurrenz vor die Nase gesetzt wurde.
Ein Schicksal, das ihn bei Oranje verfolgen sollte. Trotz 42 Toren in 76 Länderspielen galt er immer nur als Nummer zwei im Sturm, musste sich hinter Ruud van Nistelrooy, aber vor allem Rekordtorschütze Robin van Persie (50) anstellen.
Da kam das Angebot von Schalke gerade recht. In seinen ersten zehn Spielen traf er gleich sieben Mal. 2011/12 krönte sich Huntelaar mit 29 Toren zum Bundesliga-Torschützenkönig. Am 8. Spieltag traf er dabei beim Gastspiel in Hamburg doppelt – gegen Heiko Westermann.
„HW4“ wird geboren
Während der zurückhaltende Huntelaar lieber Tore sprechen ließ, verstand sich der Deutsche beim Hamburger SV auch als Sprachrohr nach außen. Noch im Sommer 2010 wurde er HSV-Kapitän, für einen Neuzugang eine ungewöhnlich schnelle Beförderung. Anfangs durchaus zum Gefallen aller. Die kreative Marketing-Abteilung machte den Kämpfer – als Gegenpol zu „CR7“ – mit „HW4“ zur Kultmarke.
Problem: Der Klub mit Europacup-Ambitionen spielte immer mehr gegen den Abstieg. Das Kürzel „HW4“ erwies sich in schlechten Zeiten als Bumerang, der ihm Hohn und Spott brachte. Immer häufigere Fehler erleichterten seine Lage nicht.
ÖFB-Enfant-terrible Paul Scharner, dessen HSV-Karriere selbst wohlgemerkt nur 46 Minuten dauerte und der bei seinem Debüt nach 35 Minuten mit Gelb-Rot vom Platz flog, dazu bei „bwin“: „Ich glaube, ich hatte noch nie einen Mitspieler, der so viele Tore verschuldet hat wie er und trotzdem immer gesetzt war. Von den 60 Toren, die wir bekommen haben, hat er gefühlt 30 verschuldet.“
Verantwortung wird zur Bürde
Woche für Woche erklärte Westermann Niederlagen, die aber wie die Klatschen in München (0:6, 0:5, 2:9, 0:8) kurz nach dem Spiel nur schwer in Worte gefasst werden konnten. Er stellte sich trotzdem immer den Medien, viele Pleiten blieben an ihm hängen. „Nach zweieinhalb Jahren hatte ich keine Lust mehr, mich für Sachen zu verantworten, für die ich nichts kann und habe das Kapitänsamt abgegeben“, erklärte er bei „spox“ im Nachhinein.
Westermann wurde zum Synonym für den Abstieg des Vereins, der aus dem Chaos – bis heute – nicht mehr rauskam. Alleine „HW4“ erlebte elf Trainer beim HSV, ehe er diesen 2015 zu Betis Sevilla verließ.
Dort eilte ihm sein Ruf voraus. In Barcelona leitete er die 0:4-Pleite mit einem bitteren Eigentor ein (siehe Video oben), im Rückrunden-Duell sah er binnen acht Minuten Gelb-Rot. Danach fiel er mit einem Knochenödem länger aus und verlor seinen Stammplatz. Die neue Vereinsführung gab ihn schließlich an Ajax Amsterdam ab.
Vom Aussterben bedroht
Die erste große Liebe des "Hunters", die er danach erst wieder bei Schalke fand. Der Niederländer fühlte sich endlich wieder heimisch. Kein Wunder, konnte er doch so in seinem Heimatort Hummelo wohnen, von wo ihn sein Vater täglich 103 Kilometer zum Training nach Gelsenkirchen chauffiert.
Mit 125 Toren in 234 Spielen ist er der zweiterfolgreichste Torschütze in der Geschichte der Knappen (Platz eins: Klaus Fischer 223). Egal unter welchem Trainer, Huntelaar netzte. Nur 2014/15 nicht im zweistelligen Bereich (9) in der Bundesliga.
Es muss rund um diese Zeit gewesen sein, seitdem sich Kritik am Torjäger mehrte. Immerhin sei er der Topverdiener des Klubs. Zwölf Tore wie letzte Saison fallen da eher in die Kategorie Pflicht, auch wenn Coach Andre Breitenreiter nicht gerade für offensive Feuerwerke stand.
Das Spiel hat sich aber auch generell geändert. Der für Louis van Gaal einst „beste Strafraumstürmer der Welt“ gehört zu einer aussterbenden Art. Der vollkommene Stürmer wie Robert Lewandowski bei den Bayern oder die falsche Neun verdrängten Angreifer der Sorte Huntelaar: Mit dem Killerinstinkt zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein.
Burgstaller verdrängt den „Hunter“
Ausgerechnet der formstarke ÖFB-Neuzugang Guido Burgstaller vermasselte den Plan des Niederländers, nach überstandenem Außenbandriss im Knie in der Rückrunde wieder voll durchzustarten. Die Zeichen stehen deutlich auf Abschied: „Es läuft nicht zu meiner Zufriedenheit gerade auf Schalke. Mein Vertrag läuft aus, das ist also mein letztes Jahr auf Schalke", so Huntelaar zum "Telegraaf".
Abenteuer wie in China schließt der 33-Jährige aus, die Gerüchteküche bringt – wie in jeder Transferperiode – eine Rückkehr zu Ajax Amsterdam ins Spiel, wo er für die junge Talenteschmiede, allen voran Mittelstürmer Kasper Dolberg (19), als erfahrener Lehrmeister fungieren könnte.
Erfahrener Anker für Ajax-Talente?
Genau die Rolle, die Heiko Westermann in dieser Saison nicht ausfüllen konnte. Er brachte zwar die nötige Erfahrung, aber nicht mehr die nötige Klasse mit, um sich gegen die nachrückenden Youngsters wie Jung-Nationalspieler Matthijs de Ligt (17) zu behaupten.
Die Chancen zu Saisonbeginn konnte er nicht nutzen, indem er gegen PAOK Saloniki gleich einen Patzer fabrizierte (siehe Video unten). So fand der neue Trainer Peter Bosz seine Stammformation ohne Westermann, für den nur drei Einsätze über 90 Minuten zu Buche stehen. Der Deutsche zeigt Verständnis: „Welcher Trainer wechselt, wenn eine eingespielte Mannschaft alles gewinnt? Ajax ist eben ein Ausbildungsverein, und so richtig gut passe ich da mit meinen 33 Jahren nicht mehr rein.“
Die Familie könnte ihn aber bis Vertragsende 2018 in Amsterdam halten.
Derselbe Grund könnte Huntelaar dorthin locken: "Ich war immer ein großer Ajax-Fan. Meine Familie hatte immer Ajax im Schädel.“
Vielleicht laufen also die beiden Veteranen zukünftig für den selben Klub auf. Vielleicht denken dann beide während des Spiels am Donnerstag:
Nächste Saison wird alles besser.