Wenn Rapid heute (21:05 Uhr) in der Europa League auf Sassuolo trifft, bekommen es die Hütteldorfer mit einem Fußball-Wunder zu tun.
1920 gegründet, dümpelte der Klub aus der 40.000-Einwohner-Stadt jahrzehntelang in den Niederungen des italienischen Fußballs herum. Erst vor zehn Jahren gelang der Aufstieg in die 3. Liga, bis es die "Neroverdi" 2013 in die Serie A schafften.
Dahinter steckt keine Geschichte für Fußball-Romantiker, sondern mit dem Milliarden-Unternehmen Mapei ein starker Investor.
Dennoch ist Sassuolo kein klassischer Retortenklub. Anstatt auf teure Ausländer bauen die Italiener auf einheimische Spieler. Dazu prägen starke Charaktäre wie Kapitän Francesco Magnanelli oder Trainer Eusebio Di Francesco den Klub. Hier sind acht Dinge, die Rapid-Fans über EL-Gegner Sassuolo wissen müssen:
1. Der Ursprung des Wunders
Giorgio Squinzi ist ein viel beschäftigter Mann. Sein Diensthandy schmückt eine schwarz-rote Hülle. Das Herz des Vorstandsvorsitzenden der Mapei-Gruppe gehört dem AC Milan. Dennoch ließ er sich 2004 zum Kauf eines anderen Fußballklubs hinreißen. „Uns wurde Sassuolo für 35.000 Euro angeboten. Bis dahin war meine einzige Verbindung zu diesem Verein, dass er in einer Region spielte, in der unser Unternehmen stark verwurzelt ist“, erklärt Squinzi, der Sohn des Firmengründers von Baustoff-Hersteller Mapei. Nach der Übernahme wurde Sassuolo Calcio von Grund auf umgekrempelt. Der neue Eigentümer führte professionelle Strukturen ein und erstellte einen Plan für den Aufstieg in den Profi-Fußball. Zwölf Jahre später landete Sassuolo in der Tabelle einen Platz vor Squinzis Lieblingsklub Milan, womit die erstmalige Qualifikation für den Europacup fixiert wurde.
Zuletzt kassierte Sassuolo in der Liga eine verrückte 3:4-Niederlage gegen die "Rossoneri", die Video-Highlights zu dem Spiel siehst du hier:
2. Sassuolo will Ronaldo und Messi verpflichten
Die Europa League ist lange nicht das Ende der Ambitionen des Sassuolo-Mäzens. „Wir wollen in den nächsten drei Jahren zu den Top-Klubs Italien gehören“, meint der Mapei-CEO gegenüber „Tuttomercatoweb“. Infolgedessen soll Sassuolo auch in der Champions League eine Rolle spielen. Squinzi denkt sogar an den einen oder anderen Sensationstransfer: „Ich werde versuchen, Cristiano Ronaldo und Lionel Messi nach Italien zu holen. Es mag unrealistisch klingen, aber im Fußball ist nichts unmöglich.“
3. Viel weniger Legionäre als Rapid
Von solch spektakulären Neuzugängen war Sassuolo bisher weit entfernt. Unglaublich, aber wahr: Seit der Mapei-Übernahme verpflichtete der Klub erst zwei Mal Spieler aus dem Ausland. Die Verantwortlichen schlagen bei Transfers fast immer in Italien zu. Dementsprechend stehen nur drei Legionäre im Kader – das sind sechs weniger als bei EL-Gegner Rapid. Auch die Einnahmen durch Spielerverkäufe können sich sehen lassen: Die Abgänge von Sime Vrsaljko (Atletico) und Nicola Sansone (Villarreal) brachten im Sommer 29 Millionen Euro ein. Ein Jahr zuvor verließ Simone Zaza den Klub um 18 Millionen Euro zu Juventus.
VIDEO: Warum Mike Büskens auch gegen Sassuolo mit nur einem Stürmer spielen will
4. Auszug aus dem eigenen Stadion
Das Stadio Enzo Ricci, Sassuolos ursprüngliche Heimstätte, fasst nur 4.000 Zuschauer. Deshalb erwarb der Klub-Eigentümer im Jahr 2013 das Stadio Citta del Tricolore in Reggio Emilia und benannte es in Mapei-Stadion um. Die 1995 erbaute Arena ist eigentlich Heimat des ehemaligen Serie-A-Klubs AC Reggiana, was immer wieder zu Protesten der dort ansässigen Fans führt. Dementsprechend nüchtern fällt mit 7.000 Besuchern pro Spiel auch der Zuschauerschnitt aus. Positiv für alle Rapidler: Aufgrund des mangelnden Interesses der Heim-Fans werden den Gästen 4.000 der insgesamt knapp 24.000 Karten zur Verfügung gestellt.
5. Juve-Coach Allegri hat Sassuolo viel zu verdanken
Der Aufstieg des US Sassuolo ist eng mit dem Namen des aktuellen Juve-Erfolgstrainers verbunden. Beim Retortenklub aus der 40.000-Einwohner-Stadt sorgte Massimiliano Allegri erstmals als Trainer für Furore. In der Saison 2007/08 führte er die „Neroverdi“ souverän zum Aufstieg in die Serie B. Daraufin holte ihn Cagliari in die Serie A, wo er zwei Mal in Folge zum Coach des Jahres gewählt wurde. Seitdem gehört er zu den Top-Trainern Italiens. Meistertitel mit Milan und Juventus folgten.
6. Italienisches Catenaccio? Weit gefehlt!
Allegri ist nicht der einzige Coach, der sich bei Sassuolo einen Namen machte. Eusebio die Francesco, benannt nach dem legendären Portugiesen, gehört mittlerweile zu den begehrtesten Trainern am Stiefel. Dabei wollte ihn Sassuolo vor zwei Jahren selbst noch los werden. Der Klub feuerte den Coach Ende Jänner 2014, nur um ihn einen Monat danach wieder einzustellen. Der Turnaround machte sich bezahlt. EDF, wie er in Italien genannt wird, rettete Sassuolo vor dem Abstieg. Seitdem hat der 47-Jährige, der den Verein auch in die Serie A führte, das Team kontinuierlich weiterentwickelt. Das Besondere an seinem Stil: Vom italienischen Catenaccio hält er gar nichts. Stattdessen verfolgt EDF einen spielerischen Ansatz. Nicht umsonst bezeichnet er Offensiv-Papst Zdenezk Zeman als seinen Mentor. Klub-Mäzen Squinzi hält seinen Coach sogar für einen besseren Trainer als Antonio Conte.
7. Ihr Kapitän war zu schlecht für die vierte Liga
Di Francescos verlängerter Arm am Spielfeld heißt Francesco Maganelli. Der Kapitän sieht manchmal etwas ungeschickt aus. Technische Finesse ist seine Stärke nicht. Dafür beeindruckt der defensive Mittelfeldspieler mit seinem Kämpferherz. Verliert er den Ball, erobert er ihn einfach wieder zurück. Dazu spielt der Sechser aus der tiefe richtig starke Pässe, mit denen er den Angriffswirbel der "Neroverdi" einleitet. Maganelli ist der unumstrittene Chef bei Sassuolo. Dabei hatte er zu Beginn seiner Karriere Probleme, überhaupt in der vierten Liga Fuß zu fassen. Erst mit seinem Wechsel zu Sassuolo im Jahr 2005 ging es bergauf. Seitdem marschierter er mit seinem Herzensklub von der vierten Spielstufe bis in die Serie A. Nun will er auch international für Furore sorgen.
8. Das Supertalent fällt aus, dafür hat ihr Innenverteidiger zwei Mal den Krebs besiegt
Kapitän Magnanelli mag der heimliche Star der Mannschaft sein, zu den großen Namen gehören jedoch andere. Die Routiniers Alessandro Matri (Ehemals Juve und Milan) und Paolo Cannavaro (Bruder von Fabio, ehemals Napoli) zum Beispiel, Sassuolos heißeste Transfer-Aktien sind momentan aber zwei ganz besondere Kicker: Innenverteidiger Francesco Acerbi und Offensiv-Spieler Domenico Berardi.
Letzterer wird mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit im nächsten Sommer zu einem Top-Klub wechseln. Der 22-Jährige hätte aufgrund einer Klausel in seinem Vertrag bereits heuer für Juventus unterschreiben können. In weiser Voraussicht gab der Flügelspeiler jedoch dem vertrauten Umfeld in Sassuolo den Vorzug. Das machte sich zu Saisonbeginn bezahlt, als er in den ersten sechs Pflichtspielen immer zumindest ein Tor erzielte. Danach stoppte ihn eine Knieverletzung, wegen der er auch das Hinspiel bei Rapid verpassen wird.
Während Berardi im Angriff glänzt, behält Acerbi in der Abwehr kühlen Kopf. Der 28-jährige Nationalspieler wurde zuletzt mit Wolfsburg in Verbindung gebracht. Es gleicht einem Wunder, dass der ehemalige Milan-Profi überhaupt noch im Profi-Fußball aktiv ist. Schon zwei Mal wurde bei ihm Hodenkrebs diagnostiziert, der Kampf gegen die Krankheit hat ihn geprägt: „Ich habe ein wütendes Verlangen entwickelt, zurückzukommen und wieder Fußball zu spielen.“ Ob Acerbi nach dem Krebs auch Rapid besiegen kann, werden die nächsten Europa-League-Spiele zeigen.
Jakob Faber/Harald Prantl