Es war das Sommermärchen 2019.
Christian Ilzer führte den Wolfsberger AC auf Platz drei in der österreichischen Bundesliga und somit auf direktem Weg in die Gruppenphase der Europa-League (WAC vs. AS Roma, Donnerstag, 18:55 Uhr im LIVE-Ticker und bei DAZN).
Mit dessen Abgang nach Wien zur Austria schien das Trainererbe riesengroß.
Gerhard Struber stellte sich dieser Aufgabe, überzeugte im Sommer die Verantwortlichen rund um den Macher im "Wolfsrudel" Dietmar Riegler und mittlerweile auch die breite Fußballmasse in ganz Österreich.
Eines vorweg - das Mannschaftsgerüst in Wolfsberg, sowohl technisch/taktisch als auch athletisch und insbesondere mental war bei Übernahme bereits ein sehr gutes.
Wo aber hat Struber angesetzt, um die Kärntner nicht nur auf Kurs zu halten, sondern in Sequenzen noch besser zu machen?
Der Neue hat vom Alten vieles übernommen und Entscheidendes verändert.
Gemeinsam Bälle erobern - diese Phrase werden Spieler unter dem Neo-Coach des WAC öfter gehört haben. Der Ex-Liefering-Trainer ist ein Red-Bull-Schüler, er lebt eine positive Aggressivität vor, er lebt Teamwork vor und er lebt eine ansteckende Begeisterung für seine Idee(n) vor.
Mitunter diese Leidenschaft ist es, die zu der ohnehin exzellent vorhandenen und positiven Mentalität innerhalb des Teams noch weiter beigetragen hat.
Gerhard Struber bevorzugt, wie aus seiner Zeit in der Mozartstadt gewohnt, eine klare Grundordnung aus dem 4-4-2 mit Mittelfeldraute.
Vor dem bärenstarken 1,94-Meter-Hünen Alexander Kofler im Tor verteidigen der zweikampfstarke Schmitz auf der linken Abwehrseite, das Abwehrzentrum bilden die Routiniers Rnic und Sollbauer und auf rechts setzt der WAC auf Michael Novak.
Die Mittelfeldraute bilden Safety-Player Leitgeb, in den Halbräumen bewegen sich links Ritzmaier und rechts Romano Schmid. Der Dreh- und Angelpunkt heißt Michael Liendl und startet nominell im Zehnerraum. Als Doppelspitze agieren der Israeli Shon Weissman und meist Niangbo dazu als zweiter Stürmer.
Doch wie sieht sie aus, die ominöse Struber-Idee?
WAC NEU - POSITIONSSPIEL UND "ZOCKEN"
Der WAC präsentiert sich in dieser Saison mit klareren Ideen in Ballbesitz. Der Trainingsreiz ist unmissverständlich wiederzuerkennen. Besonders das Übergangsspiel scheint ein neuer Trumpf der Wolfsberger zu sein. War es unter Chris Ilzer noch oftmals ein von den Umschaltphasen gezeichneter Fußball mit der Hauptidee, schnell in die Spitze zu kommen, so ist er dies immer noch, jedoch hat Struber mit seinem Team das Spiel in Ballbesitz weiterentwickelt.
Eröffnet und aufgebaut wird situativ gezielt hoch, situativ - und dies überwiegt mittlerweile allmählich im Muster des WAC - flach, vertikal.
Im Übergangsspiel nutzt der WAC die nominelle auch zu einer positionellen Überzahl ballnah und ballfern.
Die Viererkette spielt in einer hohen Frequenz mutige Bälle flach und steil nach vorne. Der WAC macht sich die Grundordnung zunutze, da durch die Raute im Spielfeldzentrum eine stabile Zentrumsverengung und Restspielerverteidigung gegeben ist. Dieser Aufbau ist möglich bzw. ist es erlaubt, risikoreichere Bälle vertikal zu spielen, da die Fußballprinzipien des WAC sehr zentrumslastig sind. Wodurch aber in weiterer Folge wiederum der Gegenpressingmoment bereits vorbereitet wird. Hauptgedanke dieses Aufbaus wiederum "Linien überspielen", aber eben auch flach herauskombiniert.
Die Grafik vom Heimspiel gegen die Austria mit dem nun ehemaligen "Wolfsrudel"-Trainer Ilzer nimmt Bezug auf eine Variante in der Spieleröffnung und im Aufbau des WAC.
Der Zielraum für den Ballempfänger gegen eine Austria im hohen Angriffspressing ist grün eingezeichnet. Bereits im ersten Drittel ist viel Dynamik und Bewegung drin, sodass die Austria hier - ungeachtet der ohnehin riesigen Abstände im Mannschaftsverbund - komplett in ihrer ersten Pressinglinie überspielt wird.
Kofler eröffnet über den kurz kommenden Sechser, welcher sofort auf die ballferne Halbspur verlagert, wo der Achter im freien Raum im Rücken der Austria-Stürmer annehmen und das Übergangsspiel einleiten kann. Da die erste Pressinglinie mit nur wenigen Pässen flach überspielt ist, wird es essentiell, im Übergangsspiel die herausgespielte Überzahl plus Eins zielgerichtet und mit Tempo zu transportieren. Anhand der Grafik sehr gut erkennbar.
Ritzmaier, Leitgeb, Schmid und Liendl sind technisch hochwertige Instinktfußballer. Genau das macht sich der WAC zunutze. Diagonalität in und mit der Raute ist sinnbildlich für die Spielidee des WAC.
Erkennbar ist die stetige Diagonalität beim Spiel in die wechselseitigen Halbräume. So öffnet sich Ritzmaier explosiv bei Ballbesitz Sollbauer, beim Aufbau über Rnic bewegt sich Romano Schmid den diagonalen Passweg entlang.
Ein extremer Lückenreißer ist die Mittelfeldrotation der Kärntner. Ebenso interessant sind die bei den beiden Achtern immer wiederkehrenden Bewegungen aus der Tiefe. Die vier Zentrumsspieler besitzen im Übergangsspiel nicht nur die Fähigkeit zu oft gewollten Steil-Klatsch-Tief-Lösungen im System Struber unter Dritter-Mann-Einbindung, sondern sind auch im Eins gegen Eins stark und betreiben ein laufintensives Spiel, wodurch enorme fußballerische Wucht im Übergangsspiel vorhanden ist.
Die Königsdisziplin im Übergangsspiel - Überzahl kreieren bzw. allen voran die kreierte Überzahl transportieren - beherrschen die Wolfsberger nahezu perfekt. Ist der Ball kontinuierlich vom Aufbau in den Übergang zirkuliert, gibt es kaum einen Tempoverlust. Ebenso interessant sind die bei den beiden Achtern immer wiederkehrenden Bewegungen aus der Tiefe. In weiterer Folge agieren die beiden Stürmer situativ eng, situativ in bestimmten Phasen nach gegnerischen Grundordnung gewählt auch breit - abhängig von der vorrangig geplanten Zielraumbesetzung im jeweiligen Match.
MICHAEL LIENDL - MARKE "AUSNAHMESPIELER IN WOLFSBERG"
Das Herz dieser WAC-Mannschaft ist Michael Liendl.
Liendl ist ein Spieler mit der zitierten und oftmals gesuchten Entscheiderqualität. Als Spieler viel zu unterbewertet in Österreich. Er ist der Denker und Linebreaker im Spiel der Kärntner.
Im Spiel mit dem Ball bewegt sich Liendl permanent zwischen den Linien. Sein Aktionsradius ist sowohl horizontal, als auch vertikal ausgerichtet. Liendl stellt eine permanente Gefahr für den Gegner dar und reißt dazu noch Lücken für seine Mitspieler, wenn er nicht am Ball ist.
Auch als Wandspieler fungiert der WAC-Zehner per excellence. Die Grundordnung der Kärntner kommt seiner Spielweise sehr entgegen, so kann er im Steil-Klatsch-Prinzip auf die beiden gefährlichen Achter ablegen, welche im Tempo auf die gegnerische Kette andribbeln und selbst ist Liendl sofort im Tiefgang-Modus Richtung Box unterwegs.
WAC-LER DURCH UND DURCH
Er ist einer dieser Jungs, die als Synonym für das "Wolfsrudel" stehen. Mario Leitgeb ist ein Kämpfer. Seinen größten Kampf hat er 2018 nach schwerer Augenerkrankung gewonnen.
Aber auch am Fußballplatz ist Leitgeb nicht nur ein Kämpfer, sondern auch ein Vorbild und einer, der sich aus Überzeugung für eine Vertragsverlängerung beim WAC und den dortigen Weg entschieden hat.
Im Spiel gegen den Ball fungiert Mario Leitgeb als Lückenfüller der Kette, um gut in der Kette zu verdichten. Der Sechserraum ist mit den beiden Achtern Ritzmaier und Schmid, die verengen, zu.
Zudem ist Leitgeb der Safety-Player nach Überspielen des Achters im Raum. Wird beispielsweise Ritzmaier links im Halbraum überspielt, so schließt Leitgeb ebendiesen Raum. Um das Zentrum möglichst stabil und kompakt in der inneren Linie zu halten, rückt der ballferne Achter eins weiter ein, sodass in dem Moment Schmid die fiktive Doppelsechs bildet.
Ein massiver Vorteil im Mittelfeldzentrum ist durch das Lenken des gegnerischen Aufbaus in die Mitte die Möglichkeit zum Doppeln im Mittelfeld. Gegen ein System mit, wie heutzutage vielmals praktiziert, drei zentralen Mittelfeldspielern ist durch das Dazunehmen der tiefen Sechs in der Raute ein guter Zugriff möglich. Mit Leitgeb entsteht somit eine 2-gegen-1-Situation durch Doppeln.
ATTACKE A LA STRUBER
Struber lässt intensiv und aggressiv anrennen.
Aus dem 4-Raute-2 sind es meist die beiden Stürmer, die am Mann die gegnerischen Innenverteidiger unter Druck setzen, den Aufbau unterbinden und zu einem hohen Ball zwingen.
Die Achter nehmen ein mögliches kurzes Anspiel auf die Außenverteidiger auf. Der Zehner, überwiegend Liendl, ist beim gegnerischen tiefen Sechser am Mann. Spielt der Gegner mit Doppelsechs, so stellen Liendl und der ballferne Achter die beiden Zentralen zu.
Durch das druckvolle und taktisch disziplinierte Vorwärtsverteidigen gelingt es den Kärntnern hervorragend, den gegnerischen Aufbau zu stören. Was bleibt ist der lange Ball.
Sollbauer und Rnic sorgen für eine optimale Tiefensicherung. Alles andere spielt dem WAC in die Karten - es ist unumstritten eine Paradedisziplin im "Wolfsrudel": das Spiel auf den zweiten Ball.
Wie in der Grafik ersichtlich, verteidigt der WAC - hier wiederum im Heimspiel gegen die Wiener Austria - hoch in der gegnerischen Hälfte. Die beiden Stürmer nehmen jeweils die Innenverteidiger auf. Die tiefe Sechs der Violetten wird durch Liendl übernommen. Der Zugriff ist ersichtlich, somit wird explosiv nach vorne verteidigt. Im maximalen Sprint und aus dem Deckungsschatten.
Da sich die Violetten zwar für hohe Außenverteidiger im Aufbau entscheiden, aber keine Gegenbewegung der beiden Achter in den Sechserraum kommt, verlagert sich die Mittelfeldraute des WAC - ausgenommen Liendl, der bereits im Pressing ist - auf Höhe der Austria-Zentralen, um eine mögliche Pressing-Falle mit kurzem Anlocken und Überspielen zu vermeiden.
Dadurch kriegt der WAC Zugriff in einer Linie auf die horizontal gebildete Achse der Austria im Übergangsspiel. Diese Flexibilität im Spiel gegen den Ball hat viel mit nominellem Denken zu tun und ist eine Weiterentwicklung des WAC im System des neuen Trainers Gerhard Struber.
KÄRNTNER RENAISSANCE: AUS ILZER WIRD STRUBER
Schnell und intensiv sind wohl Begrifflichkeiten, welche mit Christian Ilzers Zeit beim WAC nach wie vor assoziiert werden.
Dessen Spielidee mit viel Fokus aufs Umschalten ist eine Steilvorlage für Gerhard Struber, gilt dieser als extremer Verfechter und positiv Besessener dieser Spielkultur.
Struber hat das ohnehin gute Pressing der Kärntner durch neue Räume und flexible Angriffshöhen verfeinert - in Nuancen, aber dafür entscheidendend.
Desweiteren ist es ihm gelungen, durch clevere Einkäufe die Spielidee kompletter zu gestalten. Diese Einkäufe zeichnen sich vor allem im Trainerteam aus. Seine Co-Trainer Mohamed Sahli und Maximilian Senft haben gute Überlegungen aus dem Positionsspiel mit ins Team gebracht.
Der WAC ist in Ballbesitz sowohl stabiler, was die Zeiten angeht, als auch dynamischer, was die Raumaufteilung angeht, geworden. Zweifelsohne.
WAC UND EUROPA: GEHT NICHT, GIBT'S NICHT!
Wie wird der Europa-League Neuling auf die Doppel- bzw. Dreifachbelastung reagieren? Sind europäische Größen wie Borussia Möchengladbach oder AS Roma eine Nummer zu groß für die Kärntner?
Das Spiel vor zwei Wochen in Mönchengladbach hat viele Skeptiker eines Besseren belehrt. Die positive Energie innerhalb des "Wolfsrudels" war regelrecht bei jedem der vier erzielten Tore zu spüren. Der WAC war inhaltlich hervorragend eingestellt auf Gladbach, hat im Auswärtsspiel bei der Borussia auf hohe Ballbesitzzeiten verzichtet und die eigene Pressinglinie tiefer als gewohnt markiert, um mehr Raum im Rücken der Gladbacher Kette zu bekommen.
Bleibt zu hoffen, dass das "Wolfsrudel" uns am Donnerstagabend abermals einen unvergesslichen Abend beschert und einem vermeintlich großen Gegner wie der AS Roma trotzt, ehe das Tagesgeschäft am Sonntag wieder Bundesliga heißt, St. Pölten um genauer zu sein.
Doch zuerst will der WAC Europa genießen, sich mit dem Staraufgebot von Paulo Fonseca messen - bestens vorbereitet und wiederum, wie von Neo-Leitwolf Struber gefordert, "scharf wie ein Messer"!
Der Tiroler Ognjen "Ogi" Zaric ist im Besitz der UEFA-A-Lizenz und hat am Weg dahin alle Ausbildungen mit Auszeichnung absolviert. Der 30-Jährige sieht den Fußball daher aus einem anderen Blickwinkel als der durchschnittliche Stadionbesucher. Mit seinem geschulten Trainer-Auge versucht er den LAOLA1-Usern in Zukunft taktisches Insider-Wissen rund um das runde Leder zu vermitteln. Sein eigener Trainer-Weg führte ihn 2014 nach Deutschland, wo er unter anderem die U17 der SpVgg Unterhaching und zuletzt als Chefcoach den Regionalligisten 1860 Rosenheim betreute. Seit Sommer 2019 ist er Trainer und Sportlicher Leiter beim FC Kufstein.