Der Videobeweis im Fußball ist gekommen, um zu bleiben - so richtig angekommen scheint er in allen Köpfen aber noch nicht zu sein.
In Russland wird der Video-Assistent erstmals bei einer Weltmeisterschaft eingesetzt, nicht wenige befürchten das totale Chaos. Der Weltverband FIFA bleibt ruhig. "Es war gut, dass wir den Videobeweis eingeführt haben", sagt Schiedsrichter-Chef Massimo Busacca.
In Russland erlebt der Videobeweis nun seine Premiere auf der größten Bühne, die der Fußball zu bieten hat.
Die deutsche Bundesliga, die italienische Serie A, die portugiesische Primeira Liga, die amerikanische Major League Soccer, die K League 1 in Südkorea und die A-League in Australien setzen den "Video Assistant Referee" (VAR) bereits in jedem Match ein.
In den Niederlanden, England, Frankreich, Belgien, Polen, Qatar und Südamerika stand die Innovation für gewisse Spiele bzw. Wettbewerbe zur Verfügung. Die spanische Primera Division bereitet die Einführung zur kommenden Spielzeit vor.
Bei FIFA WM 2018 steht die Video-Zentrale in Moskau
In Russland bei der WM werden bei jedem Spiel ein Video-Referee und drei Assistenten die Partie auf mehreren Bildschirmen in der Video-Zentrale in Moskau verfolgen. Sie können auf Aufnahmen von mehr als 30 Kameras zurückgreifen. Ermöglicht hat dies das International Football Association Board (IFAB), das Anfang März in Zürich die Aufnahme des Hilfsmittels ins offizielle Regelwerk beschloss.
"Die Chance, eine richtige Entscheidung ohne Video-Assistent zu treffen liegt bei 93 Prozent. Mit dem Video-Assistent liegt sie bei 99 Prozent", behauptete FIFA-Präsident Gianni Infantino. Die Technik soll nur dazu verwendet werden, eklatante Fehlentscheidungen korrigieren zu können, die Tore, Elfmeter, Rote Karten und Verwechslungen zu bestrafender Spieler betreffen.
Zahlreiche strittige Szenen bleiben daher unberührt. "Das Ziel ist nicht, dass wir zu 100 Prozent richtige Entscheidungen erreichen, sondern dass wir einen Skandal verhindern", erklärte der Schweizer Busacca (Bild).
Dass es noch Entwicklungspotenzial in der Umsetzung gibt, ist allen klar. Der Videobeweis hat die Debatten über Schiedsrichter keineswegs beendet, sondern sogar intensiviert. Allein in Deutschland gab es nahezu jedes Bundesliga-Wochenende hitzige Diskussionen und Kopfschütteln.
Regeltechnische Wissenslücken, was der VAR tun soll und explizit nicht darf, wurden häufig weder von Schiedsrichtern noch den medialen Berichterstattern aufgeklärt.
Viele WM-Schiedsrichter haben kaum Video-Erfahrung
Bei einer Weltmeisterschaft ist das Publikum noch größer. Die Regeln sind zweifellos komplex und viele WM-Schiedsrichter mit dem System bisher kaum in Berührung gekommen. Können sie die Vorgaben unter enorm stressigen Live-Bedingungen richtig anwenden?
Fakt ist, dass von den 35 Russland-Referees nur vier regelmäßig in Ligen pfeifen, in denen der Videobeweis in jedem Match zum Einsatz kommt: Felix Brych (GER), Mark Geiger, Jair Marrufo (beide USA) und Gianluca Rocchi (ITA). Eine Handvoll andere kann man als routiniert bezeichnen, den Großteil als relativ unerfahren.
"Der Level an Erfahrung ist so hoch wie er sein kann für etwas, das erst seit rund eineinhalb Jahren eingesetzt wird", konstatierte MLS-Schiedsrichter Geiger.
Video-Überprüfung wird bei der WM in Stadion kommuniziert
Einen Kritikpunkt aus der bisherigen Praxis hat die FIFA aufgegriffen. So soll bei der Weltmeisterschaft der Ablauf einer Video-Überprüfung im Stadion kommuniziert werden.
Sebastian Runge, der bei der FIFA für Innovationen zuständig ist, kündigte an: "Wir werden Grafiken und Wiederholungen auf den riesigen Bildschirmen haben, und wir werden die Fans über den Ausgang eines Videobeweises und die Überprüfung informieren." Die Erklärungen sollen auch auf der FIFA-Webseite, einer App und im Fernsehen zu sehen sein.
Den Videobeweis wieder abzuschaffen, ist für die FIFA kein gangbarer Weg.
"Es ist offensichtlich, dass der Fußball vor der modernen Welt nicht die Augen verschließen kann", glaubt Carlos Queiroz, der portugiesische Coach der iranischen Nationalmannschaft. Die UEFA will dagegen in ihren Wettbewerben, allen voran der Champions League, vorerst weiter auf die Entscheidungshilfe verzichten.
Die österreichische Bundesliga denkt über einen Start frühestens zur Saison 2019/2020 nach.