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Kroatien: Planlos ins WM-Finale

Gelingt der große Coup ohne Strategie, aber mit problematischen Nebengeräuschen?

Kroatien: Planlos ins WM-Finale Foto: © getty

In Zeiten, in denen die Schere zwischen Arm und Reich – nicht nur im Fußball – immer weiter aufgeht, haben es die Kleinen schwer.

Es benötigt besondere Anstrengungen und vor allem eine besonders gute, innovative Strategie, um mit den Marktführern mitzuhalten, diese bestenfalls sogar zu überflügeln.

Wenngleich Kroatien im Fußball durchaus eine Nummer ist, ist das Land am Balkan nicht zu den ganz großen Fußball-Nationen dieser Welt zu zählen. Seit Einführung der FIFA-Weltrangliste 1993 belegen die Kroaten durchschnittlich den 21. Platz, aktuell belegen sie Rang 20.

90 Minuten – oder wie uns diese K.o.-Phase bisher gelehrt hat, eher 120 Minuten – trennen die „Vatreni“ noch vom ganz großen Triumph, der wohl zumindest mit den größten Überraschungen der WM-Geschichte gleichziehen würde. Nach Uruguay 1930, das damals 1,9 Millionen Einwohner hatte, ist Kroaten mit 4,2 Millionen Einwohnern das zweitkleinste Land, dass es je in ein WM-Finale geschafft hat.

"Lords of Chaos"

Doch wer glaubt, der kroatische WM-Coup beruht auf einer ausgeklügelten Strategie, auf einem besonderen Plan, der seit Jahren akribisch umgesetzt wird, liegt falsch. „Lords of Chaos“, twitterte Aleksandar Holiga, einer der international angesehensten Fußball-Journalisten Kroatiens nach dem Sieg gegen England.

VIDEO: Die Highlights von Kroatiens Sieg gegen England!

(Artikel wird unter dem Video fortgesetzt)

Tatsächlich tut der kroatische Fußball seit Jahren vor allem eines: improvisieren. Igor Stimac, Niko Kovac und Ante Cacic, die letzten drei Teamchefs vor dem aktuellen Amtsinhaber Zlatko Dalic, haben ihre Jobs mitten in wichtigen Qualifikationsphasen verloren.

Stimac musste vor dem Playoff der WM-Quali 2014 gehen, Kovac führte das Team mit dem Aufstieg gegen Island zur Endrunde nach Brasilien. Vor den beiden finalen Quali-Spielen für die EURO 2016 war für ihn dann Schluss, Cacic rettete mit Siegen gegen Bulgarien und auf Malta den Platz bei der Europameisterschaft. Ihm wurde wiederum die vergangene WM-Quali zum Verhängnis, Dalic übernahm nur 48 Stunden vor dem entscheidenden Gruppenspiel gegen die Ukraine, fuhr einen 2:0-Sieg ein und schaffte dann das Playoff gegen Griechenland.

Jugendarbeit made by Dinamo

Mit den Trainern wechselte immer auch die Strategie, übergeordneten Plan gab und gibt es keinen. Auch nicht in der Nachwuchsarbeit. Seit 2004 war Kroatien bei keiner U21-EM mehr, die letzte Teilnahme an einer U20-WM ist fünf Jahre her, an U19- und U17-Endrunden wird zwar regelmäßig teilgenommen, wirklich nennenswerte Erfolge sind jedoch rar gesät.

Eigentlich wird die Nachwuchsarbeit vor allem einem Klub überlassen: Dinamo Zagreb. Wer nicht in der Jugend des Rekordmeisters spielt, hat kaum Chancen, in Nachwuchs-Nationalteams einberufen zu werden.

Das liegt nicht nur daran, dass andere Vereine – Hajduk Split ein wenig ausgenommen – wenig Geld in den Nachwuchs investieren, sondern auch an den engen Verknüpfungen Dinamos mit dem kroatischen Verband HNS.

Die teils mafiösen Strukturen, die Zdravko Mamic, von 2003 bis 2016 offiziell Boss von Dinamo Zagreb, aufgezogen hat, sind ein großes Problem. Fan-Proteste gegen die Korruption, die nicht zuletzt dank Mamic im kroatischen Fußball Einzug gehalten hat, haben in der Vergangenheit auch bei Länderspielen für viel Aufsehen gesorgt.

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Anfang Juni wurde Mamic zu sechseinhalb Jahren Haft veruteilt, sein Bruder Zoran fasste vier Jahre und elf Monate aus. Im Prozess ging es um Betrug bei Transfers mehrerer Spieler und infolgedessen um massive Steuerhinterziehung. Zdravko Mamic hat sich nach Bosnien-Herzegowina abgesetzt.

Ebenfalls verurteilt, aber noch nicht rechtskräftig, wurde im Zuge dieses Prozesses Damir Vrbanovic, früher im Dinamo-Vorstand, heute Generalsekretär des Verbandes. Dass der Mann beim WM-Spiel gegen Russland auf der Ehrentribüne unmittelbar neben der kroatischen Präsidentin Kolinda Grabar-Kitarovic zu sehen war, ist kein Zufall.

Die Politikerin, die zuletzt medienwirksam unmittelbar nach den jüngsten Triumphen stets in der kroatischen Kabine aufgetaucht ist, um die Kicker zu herzen, ist eine gute Freundin von Mamic. Dass der mächtige Mann zahlreiche Veranstaltungen für sie organisiert hat und auch mit Spenden beim Wahlkampf behilflich war, leugnet sie gar nicht.

Auch HNS-Präsident Davor Suker ist ein enger Vertrauter Mamics. Während er sich in den vergangenen Monaten zunehmend mit unangenehmen Fragen konfrontiert sah, darf der frühere Stürmer mittlerweile wieder von den Heldentaten seiner Generation bei der WM 1998, als Kroatien im Halbfinale an Frankreich scheiterte, erzählen.

Auch zwei Spieler des aktuellen WM-Kaders sind vom Prozess rund um Mamic betroffen: Kapitän Luka Modric und Abwehrspieler Dejan Lovren. Das Duo steht nun wegen Falschaussagen vor Gericht, es drohen Haftstrafen.

Nationalistischer Jubel

Der aktuelle Freudentaumel übertüncht derartige Probleme zumindest kurzfristig. Andererseits wirft er ein Schlaglicht auf andere Fehlentwicklungen. Im kollektiven Jubel wird das problematische Verhältnis vieler Kroaten zum Nationalismus deutlich sichtbar.

Fahnen der faschistischen Ustasa-Bewegung sind bei Feiern keine Seltenheit. Der berühmte Rechtsrocker Marko Perkovic „Thompson“ liefert mit seinen ultranationalistisch betexteten Liedern den Soundtrack zur großen WM-Euphorie.

Kritische Auseinandersetzung mit problematischen Schlachtrufen, Gesten und Symboliken findet in Kroatien keine statt. Die nationalistische Rhetorik ist in Kroatien allgegenwärtig und längst in der Mitte der Gesellschaft angekommen.

Aber all den großen und kleinen Problemen zum Trotz, hat es Kroatien geschafft, Nationen wie Deutschland, Brasilien und Spanien hinter sich zu lassen und weiter den Traum leben zu dürfen.

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