Nach dem ersten deutschen Vorrunden-Aus in der WM-Geschichte beginnt in Deutschland die Ursachenforschung.
Immer wieder als Mitgrund für das durch eine 0:2-Niederlage gegen Südkorea besiegelte blamable Ausscheiden werden außersportliche Themen genannt - beispielsweise die Kontroverse rund um die Wahl des Team-Quartiers in Watutinki oder die "Erdogan-Affäre" rund um Fotos von Mesut Özil und Ilkay Gündogan mit dem türkischen Staatsoberhaupt.
Auf die Frage, ob das DFB-Team zu viele solcher Dinge mitgeschleppt habe, deutet Bayern-Star Thomas Müller einen Einfluss an:
"Wenn du Weltmeister bist, dann stehst du unter besonderer Beobachtung und musst dich mit vielen Dingen auseinandersetzen, die gar nichts mit dem Fußball zu tun haben. Es werden auch von außen die Störfeuer gerne genommen. Jetzt haben wir die Quittung bekommen."
Weltmeister in Frage gestellt
Müller gehört zur Gruppe der Weltmeister von 2014, die in ersten medialen Reaktionen auf die Pleite im Hinblick auf einen Generationenwechsel teilweise in Frage gestellt werden.
Auf Fragen zu seiner persönlichen Zukunft im DFB-Dress reagiert der Offensivspieler gereizt: "Ich bin 28 und werde nicht eine halbe Stunde nach dem WM-Aus meinen Rücktritt erklären. Ich weiß nicht, ob man die Frage stellen muss."
Mit Sami Khedira meint ein anderer langgedienter Routinier: "Wir haben vor dem Turnier gesagt, dass die Weltmeister das Team führen müssen. Ich persönlich bin der Erste, der die Verantwortung übernimmt. Wir müssen jetzt mit den Konsequenzen leben."
Nimbus der Unbesiegbarkeit verloren
Dass die Blamage aufgearbeitet und Konsequenzen gezogen werden müssen, liegt auf der Hand. Vor allem hat Deutschland bei der WM 2018 nicht jener Nimbus der Unbesiegbarkeit, den man sich über die letzten Jahre erarbeitet hatte, ausgezeichnet.
Ein Trend, der sich jedoch bereits seit einigen Monaten andeutete. Mats Hummels sprach in einer ersten Reaktion davon, dass das DFB-Team "im Herbst 2017 das letzte überzeugende Länderspiel" auf den Platz gebracht habe.
In den Testspielen des Kalenderjahres 2018 war die 1:2-Niederlage gegen Österreich in Klagenfurt nicht der einzige Warnschuss. Auch gegen die Großmächte Spanien (1:1) und Brasilien (0:1) konnte man kein Selbstvertrauen tanken, das 2:1 gegen Saudi-Arabien fiel ebenfalls nicht unter die Kategorie überzeugender Sieg.
Neuer: Auch in K.o.-Runde wäre Aus gekommen
Diese fehlende Form machte sich in Russland bemerkbar. "Man hat gemerkt, dass wir hier eine Weltmeisterschaft spielen und keine Mannschaft auf dem Platz haben, vor der man richtig großen Respekt hat und gegen die man ungerne spielt", moniert Manuel Neuer.
"Spätestens bei der nächsten oder übernächsten Station wäre Halt gewesen für uns. Wir haben in keinem Spiel richtig überzeugt, wo wir sagen können, das war die deutsche Fußball-Nationalmannschaft. Das ist bitter und erbärmlich."
Der Goalie, der erst im letzten Moment für die WM fit wurde, findet, dass die Gruppen-Gegner Mexiko, Schweden und Südkorea nur auf die deutschen Fehler lauern hätten müssen: "Wir haben das in den vergangenen Spielen, egal ob bei den Europameisterschaften oder Weltmeisterschaften, noch nie so gehabt, sondern es war oft so, dass man gerade Kontersituationen, wie wir sie jetzt in der Vorrunde hatten, im ganzen Turnier an einer Hand ablesen konnte."
Laut Meinung des Bayern-Goalies ist das Ausscheiden verdient. Selbst wenn es doch für das Achtelfinale gereicht hätte, glaubt Neuer nicht, dass man in der K.o.-Runde reüssiert hätte:
"Ich denke, dass von uns allen die Bereitschaft nicht groß genug war und der Wille zu zeigen, dass wir bei dieser Weltmeisterschaft was reißen wollen. Spätestens bei der nächsten oder übernächsten Station wäre Halt gewesen für uns. Wir haben in keinem Spiel richtig überzeugt, wo wir sagen können, das war die deutsche Fußball-Nationalmannschaft. Das ist bitter und erbärmlich."
Keine Untergangsszenarien
Welche Konsequenzen dieses Scheitern nach sich ziehen wird, bleibt abzuwarten. Die gute Nachwuchsarbeit der vergangenen Jahre sollte jedoch die Basis für eine gute Zukunft darstellen.
Jedenfalls hält Teamchef Joachim Löw Untergangsszenarien nicht für angemessen: "Ob ich eine dunkle Zeit für den deutschen Fußball befürchte? Das denke ich nicht. Wir waren bis zu diesem Turnier die konstanteste Mannschaft der letzten zehn, zwölf Jahre. Wir waren immer unter den letzten vier bei den Turnieren. Wir haben eine lange Periode hinter uns mit der Krönung 2014 in Brasilien und 2017 beim Confed Cup. Jetzt hat es uns getroffen, das ist absolut traurig. Aber wir haben schon auch junge Spieler, die sehr talentiert und entwicklungsfähig sind. So etwas ist anderen Nationen auch schon passiert. Deswegen müssen wir daraus die richtigen Schlüsse ziehen."
Spieler für Verbleib von Löw
Die dringendste Frage ist freilich, welche Schlüsse Löw im Hinblick auf seine eigene Zukunft zieht. In einer ersten Reaktion schloss er einen Rücktritt nicht dezidiert aus, obwohl er seinen Vertrag erst vor Turnierbeginn bis 2022 verlängert hat.
DFB-intern sprechen die ersten Reaktionen dafür, dass man ihn zum Weitermachen bewegen will. Sowohl von Präsident Reinhard Grindel als auch von Teammanager Oliver Bierhoff kommt Rückendeckung, ebenso von den Spielern.
"Wir sind von seinem Weg überzeugt", sagt Müller. Joshua Kimmich meint: "Ich persönlich hoffe, dass er weitermacht." Und auch Julian Draxler hofft auf einen Verbleib von Löw: "Ich glaube, dass Joachim Löw nach wie vor der richtige Trainer für uns ist."