Es ist ein bemerkenswerter Lauf, den der SV Darmstadt 98 im Herbst hingelegt hat.
16 Liga-Spiele plus zwei DFB-Pokal-Matches haben die Hessen inzwischen nicht mehr verloren und lachen damit zum Jahreswechsel von der Tabellenspitze der 2. deutschen Bundesliga.
Schon in der Vorsaison schnupperte ÖFB-Legionär Emir Karic mit den "Lilien" am Aufstieg.
Der 25-Jährige erklärt im LAOLA1-Interview, warum aus Darmstadt trotz der guten Ausgangsposition keine Kampfansagen zu vernehmen sind.
Zudem erinnert er sich an gemeinsame Mittelfeld-Zeiten mit Konrad Laimer und Xaver Schlager und schielt auf den Linksverteidiger-Job im ÖFB-Nationalteam.
VIDEO - Hinter den Kulissen: Darmstadt in Kaiserslautern
LAOLA1: Weißt du überhaupt noch, wie sich eine Niederlage anfühlt?
Emir Karic (grinst): Ich weiß noch, dass die letzte gegen Regensburg am 1. Spieltag passiert ist. Man muss trotzdem bodenständig bleiben. Es ist unwahrscheinlich, dass wir ungeschlagen durch die restliche Saison gehen werden.
LAOLA1: Wie ist euer Lauf erklärbar?
Karic: Ich glaube, ein bisschen ist es auch dem geschuldet, dass wir dieses erste Spiel verloren haben. Uns wurde aufgezeigt, dass es immer 100 Prozent benötigt und wir in jedem Spiel unsere Sinne schärfen müssen. Natürlich hatten wir manchmal auch das nötige Spielglück, dass wir etwa in den richtigen Momenten die Tore gemacht haben. Es ist aber ein Qualitätsmerkmal unserer Mannschaft, auf dem Punkt da zu sein und abzuliefern. Mit der Zeit kommst du in einen Flow, der dich dann wie auf einer Welle trägt.
LAOLA1: In der Vorsaison hat Darmstadt den Aufstieg hauchdünn verpasst. Hat das eine Jetzt-erst-recht-Mentalität ausgelöst?
Karic: Es war nicht unsere Denkweise, in die neue Saison zu starten und zu sagen, wir wollen unbedingt aufsteigen. Wir haben jedoch in der vergangenen Saison gesehen, was alles möglich ist, wenn wir unsere Qualitäten zeigen und sich unser Teamgeist auf dem Platz widerspiegelt. Uns zeichnet einfach aus – und das ist jetzt nicht nur so eine Floskel – dass wir von Spiel zu Spiel gucken. Unser Trainer lebt das vor. Wir schauen nicht zu sehr in die Zukunft, sondern wollen im Hier und Jetzt unsere Aufgaben erledigen. Das macht uns aus und bringt auch die Punkte.
LAOLA1: Wie geht ihr das Thema Aufstieg an? Offensiv, wenn man schon mal diese Ausgangssituation hat? Oder bleibt ihr defensiv?
Karic (schmunzelt): Du weißt doch selbst, es sind noch 17 Spiele! Vergangene Saison waren wir nach dem 26. Spieltag am ersten Platz – mitten in der Saison machen also Bestandaufnahmen oder gar Parolen überhaupt keinen Sinn. Wir bleiben auf unserem Weg. So, wie wir es bisher angegangen sind, ist es genau richtig. Mehr ist bei den Spielern gar nicht im Kopf verankert. Es ist wichtig, dass du solche Momente genießen kannst und nicht so sehr darauf versteift bist, was irgendwann einmal sein könnte. In der Winterpause kommen einige verletzte Spieler zurück. Das stachelt den Konkurrenzkampf an, macht uns noch mal ein Stück besser. Der Trainer wird die Qual der Wahl haben.
"Es herrscht gerade so eine richtig geile Symbiose zwischen Fans und Mannschaft. Das trägt uns auch ein Stück weit. Zu Hause haben wir letztmals im April verloren. Das sagt einiges aus."
LAOLA1: Wie groß ist die Euphorie unter den Fans? Oder ist ihnen auch bewusst, dass noch 17 Spiele warten?
Karic: Die Leute hier sind "Malocher", wirklich sehr bodenständige Menschen. In den vergangenen Jahren gab es auch schlechtere Phasen. Ich denke, sie sind froh, dass sie ins Stadion kommen und wissen, dass ihre Mannschaft in jedem Spiel 100 Prozent gibt und alles auf dem Platz lässt. Wir spielen für unsere Fans, sie geben uns das mit ihrem Support zurück. Es herrscht gerade so eine richtig geile Symbiose zwischen Fans und Mannschaft. Das trägt uns auch ein Stück weit. Zu Hause haben wir letztmals im April verloren. Das sagt einiges aus. Träumen können die Fans, aber ich denke, sie wissen es realistisch einzuschätzen, dass noch einiges an Arbeit vor uns liegt.
LAOLA1: Du bist seit eineinhalb Jahren bei Darmstadt, so richtig schlechte Zeiten hast du noch nicht kennengelernt. War diese Entwicklung für dich bei der Unterschrift absehbar?
Karic (lacht): Soll ich jetzt ehrlich sein oder schummeln?
LAOLA1: Gerne Ersteres.
Karic: Ganz ehrlich: Dass es so gut läuft, habe ich natürlich nicht gedacht. Ich wusste schon, dass Darmstadt eine gute Mannschaft hat. Mein Landsmann Mathias Honsak war schon länger hier, ich kenne ihn schon ewig aus Salzburger Zeiten. Er hat mir vor dem Wechsel versichert, dass die Mannschaft noch viel stärker sei, als es der Tabellenplatz hergibt. Ich habe den Verein natürlich verfolgt, die Spielphilosophie passt voll zu mir, es ist genau mein Fußball. Ich dachte mir damals schon, es ist der richtige Schritt. Aber davon, dass es so gut läuft, hätte ich nicht mal träumen können.
LAOLA1: Wolltest du unbedingt nach Deutschland, oder gab es auch die Überlegung, den nächsten Schritt bei einem Top-Klub in Österreich zu machen?
Karic: Ich habe gar nicht an einen Schritt in Österreich gedacht, denn seit meinen Jugendtagen war es mein Traum, in Deutschland in der ersten oder zweiten Liga zu spielen. Daher war das für mich der einzig logische nächste Schritt. Nach dem Wechsel gab es kritische Stimmen aus Altach, die von einem sportlichen Rückschritt gesprochen haben. Ich kann wirklich aus hundertprozentiger Überzeugung sagen, dass es ein Schritt um zwei Klassen nach vorne war. Diese Liga ist unglaublich stark und ausgeglichen. Ich spüre bei mir selbst, wie sehr ich mich weiterentwickelt habe.
LAOLA1: Inwiefern?
Karic: Einerseits persönlich, andererseits spielerisch und von den Positionen her. In Altach war ich ausschließlich Linksverteidiger. Hier weiß ich inzwischen gar nicht mehr, wo ich noch nicht gespielt habe – außer Torwart (schmunzelt).
LAOLA1: Auf welcher Position siehst du dich selbst? Oder hast du diese Entwicklung zum Allrounder so angestrebt?
Karic: Am liebsten spiele ich natürlich Linksverteidiger. Das ist einfach meine Position, die ich jahrelang bekleidet habe. Die Entwicklung kam so zustande, dass wir Ausfälle hatten. Ich habe früher in Salzburg schon mal auf der Sechs gespielt. Der Trainer hat mich im Training auf verschiedenen Positionen probiert, und das ging Gott sei Dank auf. Aus heutiger Sicht mache ich das sehr gerne. Mit Frank Ronstadt haben wir auf der anderen Seite denselben Spielertypen, der auch mal rechts hinten, rechts vorne oder auf der Sechs spielt. Es ist ein Qualitätsmerkmal, dass wir extrem flexibel und für den Gegner unberechenbar agieren können. Der Trainer kann im Spiel das System nach Lust und Laune verändern. Im modernen Fußball brauchst du solche Spielertypen.
LAOLA1: In Salzburg hast du beispielsweise Youth-League-Spiele im zentralen Mitfeldfeld an der Seite von Konrad Laimer absolviert.
Karic: Mit Konni und auch mit Xaver Schlager – und ich war natürlich der Beste von uns Dreien. (lacht)
LAOLA1: Wie war es gegen solch namhafte Konkurrenz?
Karic: Ich erinnere mich gerne an diese Zeit zurück, weil ich wirklich viel mitnehmen konnte. Nehmen wir Konni: Natürlich spielt er meistens auf der Sechs oder Acht, aber unter Julian Nagelsmann in Leipzig hat er auch hin und wieder rechts in der Viererkette gespielt. Im Nationalteam spielt er manchmal rechts vorne. Er ist genauso flexibel. Konni ist ein Spielertyp, bei dem ich gerne hingucke und mir etwas abschaue.
"Wenn du beim FC Liefering spielst, ist es dein Ziel, dass du in der ersten Mannschaft von Salzburg andockst. Ich würde nicht von einem Knacks sprechen, aber ich habe es natürlich schade gefunden."
LAOLA1: Hast du es damals als Knacks empfunden, dass es für dich in Salzburg nicht weiterging? Oder hast du es verstanden, weil Salzburg eben Salzburg ist und gnadenlos aussortiert.
Karic: Wenn du beim FC Liefering spielst, ist es dein Ziel, dass du in der ersten Mannschaft von Salzburg andockst. Ich würde nicht von einem Knacks sprechen, aber ich habe es natürlich schade gefunden. Auf der anderen Seite habe ich es auch irgendwie verstanden. Nur ein Beispiel: Gideon Mensah war auch ein starker Linksverteidiger, er hat es ebenfalls nicht geschafft, jetzt spielt er in der Ligue 1. Man weiß es ja: Andi Ulmer war da einbetoniert – man muss fast sagen jahrzehntelang. Deswegen war es schwierig für mich. Ich wollte dann zu einem Verein gehen, bei dem ich auf jeden Fall viel spiele und meine nächsten Schritte machen kann. Ich habe in Altach meinen Weg in die österreichische Bundesliga gefunden, daher habe ich dem nicht lange nachgetrauert. Für mich ist es seither eher eine Erfolgsgeschichte.
LAOLA1: Die Situation bezüglich Linksverteidiger im Nationalteam ist bekannt. Hast du das im Blick? Das Zeitfenster wäre günstig.
Karic: Darauf hat man irgendwo schon ein Auge. Ganz allgemein gesprochen, haben wir sehr gute Spieler im österreichischen Nationalteam. Zuletzt war mit Marco Friedl der Kapitän einer guten Mannschaft aus der deutschen Bundesliga nicht dabei. Das heißt, der Sprung ins ÖFB-Team ist nicht einfach. Von der Position her würde es sich gerade anbieten. Der Fußball von Ralf Rangnick würde auch zu mir passen. Aber das Wichtigste ist, mit Darmstadt meine Hausaufgaben zu erledigen und so viele Einsatzminuten wie möglich zu sammeln.
LAOLA1: Mathias Honsak kam in dieser Saison verletzungsbedingt noch nicht zum Einsatz. Wie schwer war der Herbst für ihn?
Karic: Es war fünf, sechs Monate verletzt, vor allem am Anfang war es mental eine richtig schwere Zeit. Denn zwischenzeitlich hat er sich zurückgekämpft und dann einen erneuten Rückschlag erlitten. Ich habe natürlich versucht, so gut wie möglich an seiner Seite zu stehen und Trost zu spenden. Ab Jänner greift er wieder an und wird zeigen, wie wichtig er für die Mannschaft ist. Im Training ist er bereits flott wie eh und je.
LAOLA1: Deine Waschmaschine hat er dir ersetzt?
Karic (schmunzelt): Hat er! Seine Freundin und er haben mir damals beim Umzug nach Darmstadt geholfen, die Sachen aus dem LKW in meine Wohnung hochzutragen. An diesem Tag war es schon relativ warm, er hatte schwitzige Hände, sich aber trotzdem gedacht, dass er die Waschmaschine alleine tragen kann. Die Waschmaschine ist auf den Boden geprallt und war kaputt.
LAOLA1: 2023 wird nicht nur in der Liga spannend, nach dem Sieg gegen Borussia Mönchengladbach trefft ihr im DFB-Pokal auf Lokalrivalen Eintracht Frankfurt. Wie groß ist die Vorfreude?
Karic: Unfassbar! Während der Pokal-Auslosung hatte ich einen Facetime-Call mit Torhüter Marcel Schuhen. Als es Frankfurt wurde, sind wir beide komplett ausgerastet. Ich habe schon vorher gesagt: Entweder Bayern, weil es seit klein auf meine Lieblingsmannschaft war, oder Frankfurt, weil es wegen der Rivalität ein spannendes Los ist. Dass es Frankfurt wurde, ist richtig geil. Es wird ein packendes und hitziges Duell!