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Der Poker des Martin Fraisl

ÖFB-Goalie schildert im Interview, wie viel Geduld und Nervenstärke er aufbringen musste.

Der Poker des Martin Fraisl Foto: © getty

Am 19. Februar hatte Arminia Bielefeld letztmals ein Fußball-Spiel gewonnen.

Einen Abstieg aus der deutschen Bundesliga und einen Horror-Start in die zweite Liga mit vier Niederlagen und einem Remis später heuerte ÖFB-Torhüter Martin Fraisl auf der Alm an.

Zwei Tage nach seiner Unterschrift gelang bei seinem Debüt mit dem 4:1 gegen Eintracht Braunschweig die Erlösung.

Auch für Fraisl war es eine Erlösung, durfte er doch nach einem vereinslosen Sommer endlich wieder seinen Beruf ausüben.

Im LAOLA1-Interview nimmt uns der 29-Jährige mit in seinen Sommer der Vereinssuche, in dem jede Menge Nervenstärke und Geduld gefragt waren.

LAOLA1: Inwiefern hast du das Sieger-Gen zurück nach Bielefeld gebracht?

Martin Fraisl: Der Klub hat unglaublicherweise seit einem halben Jahr keinen Sieg gefeiert. 48 Stunden nach meiner Unterschrift durfte ich im Tor stehen. Anscheinend habe ich mitgebracht, dass man gewinnt (lacht).

Fraisl feiert gegen Braunschweig sein Debüt
Foto: © getty

LAOLA1: 48 Stunden sind nicht viel Zeit. Du hast nach dem Spiel gemeint, deine Kollegen und du habt einfach so getan, als wärst du schon ein Jahr im Verein. Wie funktioniert das?

Fraisl: In der Kürze der Zeit kannst du natürlich nicht über das Training Abläufe reinbringen. Ich habe überdurchschnittlich viel mit dem Trainerteam gesprochen. Der Videoanalyst hat mir eine klare Kategorisierung meiner Mitspieler an die Hand gegeben. Es geht darum, von der ersten Trainingssekunde an Spitznamen, Stärken oder Schwächen zu kennen, um ein Gefühl für die Kollegen zu bekommen. Welche Energie brauchen sie von einem Torhüter? Wer braucht einen Lauteren, der sich vielleicht auch einmal kritisch äußert? Wer braucht in unserer Situation einen, der einen auch mal in den Arm nimmt? Wie man sich vorstellen kann, ist es nicht so einfach, das binnen zwei Tagen herauszufinden. Ich muss ganz ehrlich sagen, dass ich vor dem Spiel nur ganz wenig Zeit hatte, mich um mich selbst zu kümmern. Es war tatsächlich so, dass ich sehr viel in das Gesamtkonstrukt Mannschaft investiert habe.

LAOLA1: Wie lange dauert es normal, wenn man neu zu seinem Verein kommt, dass die Abläufe perfekt einstudiert sind?

Fraisl: Das braucht sicherlich sechs bis acht Wochen. Meine Einschätzung ist, dass es eine Vorbereitung plus zwei, drei Pflichtspiele dauert, bis du wirklich sagen kannst, du kennst eine Mannschaft und die einzelnen Charaktere sehr gut.

LAOLA1: Dass nach 48 Stunden nicht alle Abläufe perfekt sein können, hat man am Missverständnis beim Gegentor erkennen können. Eine Situation, die angesichts des Ergebnisses schnell abgehakt ist?

Fraisl: Es war uns allen bewusst, dass nach so kurzer Zeit nicht alles flutschen wird. Ich habe von Sekunde eins an viel Verantwortung und gleichzeitig viel Vertrauen bekommen. Cheftrainer Daniel Scherning hat von mir erwartet, dass ich in der Kürze der Zeit mit meiner Art und Weise zuerst einmal helfe, alles zu stabilisieren. Dass es im technisch-taktischen Bereich Abstimmungsprobleme geben kann, war klar. Das dauert normal nicht umsonst einige Wochen. Beim Gegentor hat mein Mitspieler in der letzten Hundertstel Sekunde den Kopf eingezogen, als niemand mehr damit gerechnet hat. Er meinte, er hätte von hinten etwas gehört. Würden wir schon länger zusammenarbeiten, käme das nicht vor, denke ich. Es war unglücklich, aber wenn du 4:1 gewinnst, kannst du es schnell abhaken.

"Ich will mich auf gar keinen Fall irgendwo auf die Bank setzen – und wenn der Klub noch so groß und das Geld noch so schön ist."

Martin Fraisl

LAOLA1: Auch wenn du kaum Zeit hattest, dich um dich zu kümmern: Wie groß war die Sehnsucht bereits, deinen Beruf wieder ausüben du dürfen?

Fraisl: Wie groß die Sehnsucht tatsächlich bereits war, habe ich erst danach richtig gespürt. Wenn du dann mit der Mannschaft vor den Fans stehst und realisierst: "Boah, ich bin wieder da!" Ich war zuvor sehr geduldig und habe lange gebraucht, um einen Verein zu finden, zu dem ich wie Arsch auf Eimer passe, wie man in Deutschland so schön sagt. Jetzt merke ich, wie sehr es mir eigentlich gefehlt hat. Vorher habe ich vielleicht versucht, mir das ein bisschen schönzureden. Im Nachhinein muss ich sagen: "Oh mein Gott, es hat mir so gefehlt! Es ist so schön, das wieder zu erleben!"

LAOLA1: Nimm uns bitte mit in diesen Sommer der Vereinssuche. Wie viel Geduld und Nervenstärke waren vonnöten?

Fraisl: Ich muss ein wenig ausholen. Ich habe in meiner Vergangenheit bereits in drei Transferphasen bewiesen, dass ich geduldig auf das Richtige warten kann und jedes Mal entwickelte es sich dann überragend. In Rumänien habe ich erst wenige Tage vor dem Start der Meisterschaft unterschrieben, dieser Schritt sollte mich später nach Deutschland bringen. Zu ADO Den Haag kam ich recht spät im Jänner, es wurde eine wichtige Auslands-Erfahrung und mein Sprungbrett zu Schalke. Auf Schalke habe ich zwei Tage vor dem ersten Saison-Spiel unterschrieben. Diese Phasen haben mich wachsen lassen und jedes Mal zu einem Verein gebracht, der extrem gut zu mir passt und bei dem ich die nächste Karrierestufe erklimmen konnte. Wahrscheinlich bin ich auch deshalb überdurchschnittlich geduldig. Außerdem war mir nach meiner Zeit auf Schalke eines ganz klar bewusst.

LAOLA1: Und zwar?

Fraisl: Ich will mich auf gar keinen Fall irgendwo auf die Bank setzen – und wenn der Klub noch so groß und das Geld noch so schön ist. Für mich ging es ganz klar darum, zumindest eine sehr große Wahrscheinlichkeit zu haben, die Nummer eins zu sein. Ich war sehr früh nach Saisonende auch bei großen Vereinen im Gespräch, habe dort jedoch selbst ein bisschen gezögert, weil ich mir eben unsicher war. Danach haben sich zwei sehr konkrete Dinge last Minute zerschlagen. Da bin ich dann schon mal dagestanden und habe mir gedacht: "Oida, was mach' ich jetzt?" Dann ging es eben darum, wirklich geduldig zu sein. Als Torhüter weißt du: Wenn du nicht vor der Vorbereitung verpflichtet wirst, wird es von der Tendenz her eher spät. Diese Geduld musste ich aufbringen.

LAOLA1: Welchen Markt hast du angestrebt? Bei Vereinen welcher Kategorie haben sich die Engagements zerschlagen?

Fraisl: Ich sage es einfach ganz ehrlich: Mein Anspruch war, dass ich in eine Top-5-Liga Europas wechsle. Ein Verein, der in der obersten Kategorie angesiedelt ist, war natürlich eher unwahrscheinlich, da ging es eher um Klubs, die vielleicht um den Klassenerhalt spielen, bei denen jedoch dementsprechend auch die Chance da ist, dass du den Konkurrenzkampf für dich entscheidest. Der Alternativ-Gedanke war ein Top-Klub in einer großen zweiten Liga, wo du perspektivisch um den Aufstieg spielst. Über alles andere habe ich nicht diskutiert.

Fraisl wurde im Juni erstmals ins ÖFB-Team einberufen
Foto: © GEPA

LAOLA1: Warum nicht?

Fraisl: Es waren Sachen aus Holland oder Belgien da, aber die haben mich einfach nicht gereizt. Ich sehe große zweite Ligen wie jene in England oder Deutschland vom Niveau und der Leistungsdichte einfach ganz klar drüber, finde sie insgesamt spannender. Für mich als Torhüter sind außerdem große Stadien mit vielen Zuschauern wichtig. Das hast du in der 2. Bundesliga in Deutschland, aber beispielsweise in Belgien nicht immer. Dementsprechend war das K.o.-Kriterium entweder Top-5-Liga oder ein großer Verein mit Tradition in einer großen zweiten Liga. Es wurde Zweiteres. Arminia Bielefeld wurde als einer der Topfavoriten auf den Wiederaufstieg gehandelt. Der Bauchfleck, den die Arminia zum Start hingelegt hat, war völlig unverständlich, weil viele Experten vom – gemeinsam mit dem HSV – besten Zweitliga-Kader gesprochen haben. Wenn du dann nach vier Niederlagen in den ersten vier Spielen den Trainer wechseln und den Reset-Knopf drücken musst, ist das vielleicht im Moment nicht gut, aber natürlich nicht das Ende.

LAOLA1: Was ist noch drin?

Fraisl: Ich weiß aus meiner Zeit auf Schalke, dass irgendwann in einer Zweitliga-Saison jeder Klub so eine Phase hat. Wenn du sie ganz am Anfang hast, ist es wahnsinnig bitter, weil es die Euphorie nicht nur bremst, sondern komplett eindämmt. Trotzdem: Wir können den Turnaround hinbekommen, also auch mental den Sprung zurück zur Gewinnermannschaft vollziehen. Aber das ist harte Arbeit im Training, das wird dir nicht geschenkt.

LAOLA1: Ist die Arminia nun quasi Plan A, um sich mit einem Aufstieg den Traum von einer Top-5-Liga zu erfüllen? Oder musst du dir die Option offen lassen, dass sie ein Sprungbrett dahin ist?

Fraisl: Definitiv Plan A. Logischerweise ist es weiter mein Anspruch, in eine Top-5-Liga zu kommen. Die Arminia war zuletzt zwei Jahre in der Bundesliga, dahin haben sie sich nach langer Zeit zurückgekämpft. Mein Ziel ist es, kurzfristig einmal so lenkend eingreifen zu können, um auch für die Arminia diesen Traum wieder zu wecken.

LAOLA1: Noch mal zurück zu deinem geduldigen Sommer. Wusstest du immer, dass die Wahrscheinlichkeit sehr hoch ist, dass ein Verein wie Bielefeld kommt, und du "nur" warten musst?

Fraisl: Ja. Ich war mir sicher, dass in dieser Kategorie etwas kommt, weil ich in den Wochen davor schon Anfragen von Vereinen dieser Kategorie hatte, die aber abgelehnt habe. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Verein, der vielleicht hinter den Erwartungen zurückgeblieben ist, auf mich zurückkommt, war hoch. Wenn du den Aufstieg mit Schalke 04 – dem wahrscheinlich größten Zweitligisten der Welt - in der Vita hast und dort Ralf Fährmann auf die Bank verdrängt hast, weißt du als Verein in der Außendarstellung schon, dass du einen holst, der für Erfolg steht – ohne das jetzt großartig aufzublasen. Ich wusste nur nicht, wann etwas kommt – ob am 10. August, 27. August oder 10. September. Aber dass etwas kommt, war klar, also bin ich auch ruhig geblieben.

"Dass ich im Leben nicht in die vierte Liga gehe, versteht sich von selbst. Es ging rein um gegenseitige Hilfe."

Martin Fraisl

LAOLA1: Trotzdem: Frei nach Oliver Kahn – wie viele Eier braucht es, um als vereinsloser Spieler auch noch Angebote einer gewissen Kategorie abzulehnen?

Fraisl: In der Phase vor der Vorbereitung war ich sehr eifrig am Ablehnen und Aufschieben, weil ich versucht habe, zuerst einmal ins oberste Regal zu greifen. Ich denke, das ist auch nachvollziehbar. Das macht man auch mit dem Wissen um das Risiko, dass dann die zweite Kategorie nicht kommen könnte. Aber das bin ich eingegangen, und am Ende ist es der Liga-Krösus in einer zweiten Liga geworden – ein absoluter Traditionsverein, bei dem es intensiv und emotional zugeht und zu dem ich sehr gut passe.

LAOLA1: Wie hast du die Phase des Wartens überbrückt?

Fraisl: Wir sind im Ruhrgebiet wohnen geblieben, weil wir dort unser Haus haben und uns wohlfühlen. Dort ist im Juli unser Sohn zur Welt gekommen, dafür war alles vorbereitet. Ich habe beim FC Eindhoven, einem Zweitligisten in Holland, die komplette Vorbereitung mitgemacht. Dort ist mein alter Tormanntrainer von ADO Den Haag tätig. Außerdem war ich zwei Wochen bei der zweiten Mannschaft von Bayern München im Training, weil sie extremes Verletzungspech hatten und ich gefragt wurde, ob ich helfen kann. Das war für beide Seiten eine Win-Win-Situation. Ich habe wieder neue Dinge gelernt, habe mir Trainings der Profis angeschaut und konnte selbst intensiv arbeiten. Ich habe die Zeit gut genutzt. Im Prinzip hatte ich eine normale Vorbereitung, nur ohne Testspiele und fixe Mannschaft.

LAOLA1: Das heißt, Bayern war von vornherein ausschließlich als gegenseitige Hilfeleistung vorgesehen?

Fraisl: Dass ich im Leben nicht in die vierte Liga gehe, versteht sich von selbst. Es ging rein um gegenseitige Hilfe. Ein Vorteil war, dass sie mit Jaroslav Drobny einen sehr guten Tormanntrainer haben, der auch aus seiner Spieler-Karriere viel Erfahrung mitbringt.

Schalke stieg mit Fraisl als Stamm-Goalie auf
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LAOLA1: Dein Abschied von Schalke hat viele Leute verwundert. Wie verwundert warst du selbst, dass ihr euch nicht auf eine Fortsetzung der Zusammenarbeit verständigen konntet?

Fraisl: Im Fußball ist nicht immer alles logisch, aber ich habe es ein Stück weit verstanden. Ich habe offen kommuniziert, dass ich die klare Nummer eins sein will. Als Nummer zwei sehe ich mich einfach nicht. Der Verein wollte nach dem Aufstieg einen Torhüter mit Bundesliga-Erfahrung holen, mit dem ich um die Nummer 1 kämpfe. Schalke hatte aber auch immer noch Ralf Fährmann unter Vertrag. Und nach meiner Einschätzung war Ralf auch bereit, als Nummer zwei auf die Bank zu gehen. Für mich wäre das eine schwierige Situation geworden, weil der potenziell neue Torhüter natürlich mit einem Bonus gekommen wäre, weil man keinen Keeper aus der Bundesliga kauft, damit er anschließend die Nummer drei ist. Leider Gottes haben sich unsere Wege somit getrennt. Für mich ist das aber überhaupt keine Tragik, weil immer die Art und Weise, wie man sich trennt, entscheidend ist. Und wir sind immer noch so, so gut miteinander!

LAOLA1: Wie äußert sich das?

Fraisl: Ich finde den Verein hochsympathisch, bin ein Riesen-Anhänger dieser Mannschaft, habe dort viele wunderschöne Momente erlebt, bin mit einem riesengroßen Verein Zweitliga-Meister geworden. Das sind Dinge, die mir dieser Klub ermöglicht hat. Gleichzeitig haben sie von mir am Weg zum Erfolg vieles zurückbekommen. Auch eine Win-Win-Situation. Wir verstehen uns nach wie vor sehr gut. Wenn man hört, dass sich die Arminia bezüglich meines Charakters erkundigt hat und man als Feedback bekommt, dass man auf Schalke geschwärmt hat, ist das schön. Auch daran merkt man, dass es eine Trennung mit Stil war. Wir haben eine Zeit lang gemeinsam voneinander profitiert. Jetzt gehen wir im Guten auseinander und bleiben in schönem Kontakt.

"Ich finde, es ist nicht verfrüht zu sagen, dass wieder Euphorie ins Fußball-Land zieht. Meiner Meinung nach ist hier etwas Großes im Entstehen."

Martin Fraisl

LAOLA1: Mit der erstmaligen Einberufung ins Nationalteam hast du im Juni ein Zwischenziel erreicht. Das nächste Ziel ist vermutlich ein Einsatz, oder?

Fraisl: Auf Nationalteam-Ebene ist meine Denke als Torhüter ein wenig anders. Im Klub ist es der Anspruch, die Nummer eins zu sein. Im Nationalteam geht es darum, einmal permanent dabei zu sein und mit der Zeit über meine Klubleistungen irgendwann hoffentlich die Chance auf Einsätze zu bekommen. Das möchte ich mir erarbeiten. Das Zwischenziel, das erste Mal dabei zu sein, habe ich erreicht. Das war eine spannende Erfahrung.  Jetzt möchte ich es Schritt für Schritt angehen und geduldig warten, bis es passiert.

LAOLA1: Der Start unter Teamchef Ralf Rangnick ist in der Öffentlichkeit gut angekommen. Wie hast du es aus der Innensicht empfunden?

Fraisl: Sehr gut! Der Umgang der Mannschaft untereinander ist total positiv. Das Trainerteam hat einen super Schwung reingebracht. Sie haben eine ganz klare Idee, wie der Fußball aussehen und wie diese Vision umgesetzt werden soll. Ich finde, es ist nicht verfrüht zu sagen, dass wieder Euphorie ins Fußball-Land zieht. Meiner Meinung nach ist hier etwas Großes im Entstehen.

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