Hamburger SV Hamburger SV HSV
SC Preußen 06 Münster SC Preußen 06 Münster PMÜ
Endstand
4:1
3:0, 1:1
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Wie damals vor 60 Jahren: Der Adler fliegt hoch

Preußen Münster gastiert beim HSV - das erinnert an die ganz großen Zeiten. Wie den Münsteranern die Rückkehr auf die Bildfläche gelang:

Wie damals vor 60 Jahren: Der Adler fliegt hoch Foto: © getty

Ein junger Fan liegt im Gras.

Auf dem Rücken, oberkörperfrei, nahezu regungslos. Die Fahne in der rechten Hand schwingt er unablässig. Nach dem Adrenalinrausch kommt die Müdigkeit. Und manchmal auch die Zufriedenheit.

Stunden vorher zieht ein Fanmarsch durch Münster, der größte jemals. Alle wollen dabei sein, es geht um den Aufstieg. Schon wieder. Die erste Chance gegen den SC Verl wurde in der Vorwoche noch verpasst, im zweiten Versuch soll es gegen die SpVgg Unterhaching nun klappen. "Das war brutal. Am letzten Spieltag war voll Druck da. Jeder hat gewusst, wir müssen das jetzt schaffen", sagt Benjamin Böckle (22).

"Unsere Träume – deine Ziele" steht auf einem Banner vor der Kurve, in der eine Vielzahl von Flaggen in schwarz, weiß und grün geschwungen werden. Es liegt was in der Luft. Böckle meint: "Es war unbeschreiblich."

Das Preußenstadion platzt aus allen Nähten, Großes steht bevor
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Der heutige Rapid-Spieler spielt an diesem 38. Spieltag durch, bei Preußen Münster ist er gesetzt. Im Herbst wurde er von Fortuna Düsseldorf zum Drittligisten verliehen, er macht 27 Spiele, wird nur von einer Verletzung ausgebremst. 

"Wunder gibt es immer wieder, heute oder morgen können sie geschehen" sang Katja Ebstein 1970. Sie werden heute wahr. Schon in der vierten Minute geht Preußen Münster in Führung, im zweiten Versuch versenkt Sebastian Mrowca den Ball im Hachinger Tor, er wird noch abgefälscht. Mrowca ist wahrlich kein Goalgetter, in der Liga hatte er zuvor fünfeinhalb Jahre lang nicht getroffen.

Was hinter dem Tor passiert, gleicht einer Eruption, Fans liegen sich in den Armen, schreien ihre Freude aufs Feld und dem Nebenmann ins Gesicht. In der 16. Minute erzielt Kapitän Marc Lorenz das 2:0, Direktabnahme mit links ins Kreuzeck. "Für uns war klar: Wir spielen das jetzt runter", so Böckle.

Schon früh geht die Party los - der Aufstieg wurde auf Schiene gebracht
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"Wunder gibt es immer wieder, wenn sie dir begegnen, musst du sie auch sehn", sang Katja Ebstein 1970. 12.744 Augenpaare blicken von den Tribünen herunter, als Unterhachings Patrick Hobsch in Minute 53 vom Elfmeterpunkt an Maximilian Schulze Niehues scheitert. Preußens Keeper beendet nach dem Spiel seine Karriere. 

Angekündigte Eskalation

Nachspielzeit gibt es keine, schon in der 85. Spielminute seien die Fans am Spielfeldrand gestanden, erzählt Böckle. Ein breit gebauter Mann mit Tattoos und ohne Shirt sitzt auf der Bande hinter der Trainerbank. Als einer von vielen umarmt er den Coach, als das Spiel vorbei ist, die Fans sprinten auf den Platz, die Ordnerkette hat zu tun.

"Heute wird die Stadt auseinandergenommen", kündigt Kapitän Lorenz an. Währenddessen fangen die Fans bereits damit an, das Tornetz wird in seine Einzelteile zerschnitten.

(Text wird unter dem Video fortgesetzt)

"Über 30 Jahre hat Münster gewartet, in der 2. Liga zu spielen. Es ist unbeschreiblich. Du arbeitest das ganze Jahr als Aufsteiger damit, gegen den Abstieg zu spielen - und jetzt steigst du in die 2. Liga auf mit deinem Heimatverein", sagt Lorenz im Interview mit Tränen. Später bekommt er vom Trainer eine Bierdusche. Er meint: "Mir fehlen die Worte, ich bin unsterblich heute."

Innenverteidiger Simon Scherder fehlen nicht die Worte, sondern die Stimme. Im Stadion war es zuvor so laut, dass er die Kommandos so laut schreien musste, wie sonst nicht.

Ohne Stimme, ohne Worte - Scherder und Lorenz spielen jetzt 2. Liga
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Am Tag nach dem Spiel fahren die Aufsteiger mit dem Mannschaftsbus in die Stadt. "Egal ob es ein 20-Jähriger war oder eine 70-Jährige - alle sind mit Preußen-Fahnen am Balkon gestanden und haben uns gratuliert", so Böckle.

Wiedersehen der Gründungsklubs

Heute spielt Preußen Münster im Volksparkstadion gegen den Hamburger SV (ab 13 Uhr im LIVE-Ticker >>>). Die beiden Teams duellieren sich in der 2. Bundesliga, Preußen feierte bislang in drei Spielen ein Remis, der HSV hält bei vier Punkten. SCP gegen HSV ist eine Paarung, die es bislang nur selten gab – die aber umso mehr Tradition birgt. 

24. August 1963. Der allererste Spieltag der Deutschen Bundesliga wird ausgetragen. Acht Spiele gleichzeitig, Ankick um 17:00 Uhr. Bremen empfängt Dortmund, Saarbrücken Köln, 1860 München hat Eintracht Braunschweig zu Gast. Die Frankfurter Eintracht und Kaiserslautern spielen gegeneinander, Schalke und Stuttgart, der Karlsruher SC und der Meidericher SV. Nürnberg gastiert bei der Hertha aus Berlin. Und im Preußenstadion, da treffen Münster und der Hamburger SV aufeinander. 

Das Wetter ist mies, trotz des Regens sind 32.000 Zuschauer da. In Münster steht damit das erste ausverkaufte Stadion der Bundesliga-Geschichte. Die Zuschauer sehen ein 1:1-Unentschieden. Falk Dörr bringt die Adlerträger in Führung (70.), Charly Dörfel gleicht in Minute 86 aus. Uwe Seeler (gemeinsam mit Bruder Dieter am Platz) bleibt ohne Tor.

Im Rückspiel gewinnt der HSV daheim gegen den Vizemeister um die Deutsche Meisterschaft 1951 (1:2-Niederlage gegen Kaiserslautern) mit 5:0. Preußen Münster wird als Gründungsmitglied der Bundesliga in die Geschichte eingehen, allerdings nach dem direkten Abstieg nie mehr dorthin zurückkehren. 

Eine Stadt und ihr Verein

Als er den Verein beschreiben soll, muss Böckle nicht lange überlegen. "Ich war zehn, elf Monate dort. Das wesentlichste war für mich, dass die ganze Stadt hinter dem Verein war. Du hast einfach gemerkt: Jetzt ist wieder Heimspiel-Wochenende."

"Die ganze Stadt ist hinter dem Verein gestanden. Du hast einfach gemerkt: Jetzt ist wieder Heimspiel-Wochenende."

Benjamin Böckle, über Ex-Klub Preußen Münster

Der professionellste Verein sei Preußen nicht, auch nicht der, der am besten aufgestellt sei, erklärt Böckle. Er sagt lachend: "Wir haben einfach Fußball gespielt - und das hat funktioniert."

Sportliche Bedeutungslosigkeit und Strafen-Orgien

Ende der 70er-Jahre drückt infolge eines Schwarzkartenskandals des Präsidenten der Schuldenberg, zur Insolvenz kommt es aber nicht. Bis Anfang der 90er-Jahre hält man sich mit Unterbrechung in der Zweitklassigkeit, dann geht es runter. Oberliga Westfalen, Regionalliga West-Südwest, Regionalliga Nord, Regionalliga West. Zwischen 2011 und 2020 gelingt wieder die Rückkehr in die 3. Liga

Der HSV indes entwickelt sich in dieser Zeit zu einem der schillerndsten Klubs Deutschlands, wird Europapokalsieger der Landesmeister, Europapokalsieger der Pokalsieger, gewinnt zwei Meisterschaften und zweimal den Pokal. 2018 stieg der "Dino" erstmals ab - und nicht mehr auf.

Lautstark und explosiv - Münsters Kurve
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Schlagzeilen schreibt man bei Preußen lange meist nur neben dem Platz. Die Fanszene steht auf Pyrotechnik, der DFB geht nicht mit der Auffassung mit, dass das kein Verbrechen sei. Gut 330.000 Euro an Strafen überweist der Klub über die Jahre. In der Saison 2019/20 geht es wieder runter. Beim 0:3 gegen Meppen ist das Stadion leer, die Covid-Pandemie grassiert. 

Kein Feuerlöscher, sondern Aufstiegs-Angler

Im Winter wurde damals Sascha Hildmann als Feuerwehrmann verpflichtet. Der heute 52-Jährige coachte zuvor Sonnenhof Großaspach und den 1. FC Kaiserslautern, den Abstieg der Münsteraner konnte er nicht verhindern. Aber er blieb auch in der Regionalliga Trainer.

Und entpuppte sich als der richtige für den Job. Der Coach habe einen guten Draht zur Mannschaft, so Böckle. "Es ist brutal, was der mit Münster durchgemacht hat. Ich glaube, er hat selber auch nicht damit gerechnet, von der Regionalliga so schnell in die 2. Bundesliga zu kommen", sagt er. Mittlerweile ist Hildmann der am drittlängsten dienende Trainer im deutschen Profifußball.

Auch abseits des Fußballs ist er auf der Suche nach großen Fängen. Beim Hochseeangeln in der Dominikanischen Republik habe er mal eine fast drei Meter lange Blue Marlin gefangen, erzählte er der "11 Freunde".

Einmal runter, zweimal hoch - Hildmann führte den Verein nach 33 Jahren zurück in die 2. Bundesliga
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Im Jahr nach dem Abstieg führte Hildmann Münster auf Rang drei, wiederum ein Jahr später verfehlte Preußen nur um ein drei Treffer schlechteres Torverhältnis den Aufstieg, Rot-Weiß Essen ging rauf. 2023 war es geschafft.

Die Sonne schien, das Münsterland-Derby gegen RW Ahlen wurde locker mit 3:0 gewonnen. Marc Lorenz reckte den Pokal in die Höhe, und weil das so schön war, gab es im Folgejahr direkt den nächsten Aufstieg, der Durchmarsch in die 2. Bundesliga war perfekt. 

Der Charme des Maroden

Dort warten die Adlerträger bislang noch auf ihren ersten Sieg. Das neue Heimtrikot wird auf Social Media ob seiner Schlichtheit aber vergöttert, das in die Jahre gekommene Preußenstadion war bislang zweimal ausverkauft.

"Es ist sicher nicht das beste Stadion, auch mir der Laufbahn rundherum. Aber die Fans haben es speziell gemacht", meint Böckle. Aktuell sind nur die Haupttribüne und die Gegengerade überdacht. Die Fankurve steht unter freiem Himmel, die Westtribüne wurden wegen Bauarbeiten bereits abgerissen. Bis 2027 soll das Preußenstadion komplett modernisiert sein.

Das ist Zukunftsmusik, am Wochenende geht es jetzt mal zum HSV. Auswärtsspiel im Volksparkstadion. Wie damals in der Bundesliga.

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