Auf welchen Trainer sich der VfL Wolfsburg mit Oliver Glasner freuen darf, weiß man hierzulande.
Was den bisherigen Erfolgscoach des LASK in Niedersachsen konkret erwartet, lässt sich vor Ort besser einschätzen.
Bei LAOLA1 analysieren Tim Lüddecke von der "Wolfsburger Allgemeinen Zeitung" und Robert Schreier, Wolfsburg-Experte der "Sportbild", welche Herausforderungen auf den 44-Jährigen beim VW-Klub zukommen.
Vom Meistertitel 2009 über DFB-Pokal-Sieg und Vizemeisterschaft 2015 bis hin zum Überlebenskampf in den Jahren 2017 und 2018 war für die sportliche Wundertüte im vergangenen Jahrzehnt alles drin.
Wohin soll die Reise unter Glasner gehen? Dies klären wir mit der Beantwortung folgender Fragen:
WAS ERWARTET MAN IN WOLFSBURG VON GLASNER?
Die Jahre in der tabellarischen Achterbahn sollen unter Glasner ein Ende haben. Er soll "die nächste Entwicklungsphase" angehen, wie Geschäftsführer Jörg Schmadtke, der einst mit Peter Stöger schon einen Österreicher zum 1. FC Köln gelotst hat, klarstellt. Was bedeutet dies konkret?
"Erfolg und Kontinuität", meint Schreier, "Glasner genießt bei Schmadtke und Co. den Ruf als 'Bessermacher'. Er soll über lange Zeit ein Team entwickeln, das sich in der oberen Tabellenhälfte, bestenfalls im oberen Drittel etabliert. Er soll Spieler auf ein neues Level heben, gerne auch Talente aus dem eigenen Nachwuchs. Zudem soll er als neues Gesicht des Vereins die Werte Bodenständigkeit, Ruhe und Fleiß verkörpern. Passend zum Vereinsmotto: 'Arbeit, Fußball, Leidenschaft'."
"Den Fans in Wolfsburg - wie überall in Deutschland - war sein Name anfangs tatsächlich kein Begriff. Nachdem Glasner nun aber schon seit ein paar Wochen gehandelt wurde und hierzulande das Bild eines akribischen und umgänglichen Entwicklers gezeichnet wird, sind ihm die Anhänger durchaus positiv zugetan."
Glasners Vorgänger Bruno Labbadia hat den VfL nach zwei schwierigen Saisonen inklusive Kampf um den Klassenerhalt - zwei Mal rettete man sich als Tabellen-16. erst in der Relegation - stabilisiert. Als Neunter darf Wolfsburg vier Runden vor Schluss noch auf eine Europacup-Teilnahme hoffen.
Besonders wichtig erscheint jedoch, dass Glasner bei seinem seinem neuen Arbeitgeber das gelingt, was er in den vergangenen Jahren beim LASK geschafft hat: Einen unverwechselbaren und vor allem erfolgreichen Spielstil zu implementieren. Hierbei muss der Oberösterreicher nicht bei null beginnen.
Lüddecke verdeutlicht: "Manager Jörg Schmadtke und Sportdirektor Marcel Schäfer haben bei der Trainersuche stets hervorgehoben, dass sie einen Nachfolger für Bruno Labbadia wollen, der seine Art und Weise, wie er in Wolfsburg - erfolgreichen - Fußball hat spielen lassen, fortsetzt. Das bedeutet: Ein dominantes Spiel. Labbadia hat dabei auf viel Ballbesitz und ein variables Positionsspiel gesetzt. Dass Glasner aus der RB-Schule, die ja für Power-Fußball steht, stammt, wird bei der Entscheidung, ihn zu holen, sicher für ihn gesprochen haben. Er soll die Entwicklungskurve, die in dieser Saison nach dem Fast-Abstieg in der Vorsaison steil nach oben zeigt, weiter anheben."
WIE REAGIEREN DIE FANS AUF DIE VERPFLICHTUNG EINES NO-NAMES?
Auch wenn Wolfsburg für deutsche-Bundesliga-Verhältnisse ein eher ruhiges Pflaster ist, muss sich Glasner auf ungleich größeren Druck einstellen, als er es in der heimischen Bundesliga gewohnt war.
Als Spieler konnte sich der frühere Innenverteidiger seinen Deutschland-Traum nicht erfüllen. Auch daraus resultiert, dass sein Name im Nachbarland nicht gerade ein klingender ist. Dieses Amt als No-Name anzutreten, muss jedoch nicht zwingend ein Nachteil sein, wie beide Experten hervorstreichen.
"Den Fans in Wolfsburg - wie überall in Deutschland - war sein Name anfangs tatsächlich kein Begriff", gibt Lüddecke zu, "nachdem Glasner nun aber schon seit ein paar Wochen gehandelt wurde und hierzulande das Bild eines akribischen und umgänglichen Entwicklers gezeichnet wird, sind ihm die Anhänger durchaus positiv zugetan."
Die deutschen Medien haben sich in der Tat intensiv mit der Personalie Glasner beschäftigt. Dabei haben sie ein relativ akkurates Bild des Noch-LASK-Trainers gezeichnet.
Als "gelassen" beschreibt Schreier daher die Reaktion der VfL-Fans, was jedoch auch damit zu tun haben könnte, dass man sich in Wolfsburg an ein gewisses Kommen und Gehen von Trainern bereits gewöhnt hat:
"Nach viel zu vielen Trainern in den vergangenen Jahren hat sich der Wolfsburger Fan abgewöhnt, viel darüber nachzudenken, wer als nächster kommt. Sicherlich gibt es hin und wieder bei Glasner das Fragezeichen, ob es reicht, in Österreich erfolgreich gewesen zu sein, um auch in der deutschen Bundesliga bestehen zu können. Ein frischer Trainer ist vielen aber lieber als altbekannte Gesichter, die zuletzt schnell kamen und schnell wieder weg waren. Bei den Fans wird er seine Chance bekommen."
In Wolfsburg war im vergangenen Jahrzehnt tatsächlich so ziemlich jeder Trainer-Typus gefragt. Die Cheftrainer seit dem Abschied von Meistertrainer Felix Magath 2009: Armin Veh, Lorenz-Günther Köstner, Steve McClaren, erneut Felix Magath, erneut Lorenz-Günther Köstner, Dieter Hecking, Valerien Ismael, Andries Jonker, Martin Schmidt und bis zum Saisonende Labbadia.
WEITERENTWICKLUNG DES KADERS ODER UMBRUCH?
Ein Kommen und Gehen gab es in den vergangenen Jahren auch immer wieder spielerseitig. Dies soll diesmal anders sein. Bis auf zwei Kadermitglieder sind alle Akteure über die laufende Saison hinaus gebunden, großteils sogar bis zumindest 2021. Folglich erwarten auch beide Experten, dass Glasner großteils mit dem aktuellen Spielermaterial arbeiten wird.
"Oliver Glasner wurde bei den Gesprächen klar gesagt, dass er mit dem Großteil des Kaders arbeiten soll und dass es einen konzeptionellen Rahmen gibt, den der Verein vorgibt."
"Ein Umbruch ist nicht zu erwarten, genauso wenig wie Transfers von größeren Kalibern", glaubt Lüddecke und analysiert: "Der Kader ist breit und langfristig aufgestellt. Schon im Vorjahr hatte es keinen Schnitt gegeben, obwohl man ihn nach zwei Jahren der Relegation hätte nachvollziehen können. Stattdessen hat ihn Schmadtke punktuell und sinnvoll mit Spielern wie Jerome Roussillon, Daniel Ginczek und Wout Weghorst ergänzt beziehungsweise ausgedünnt."
Auch Schreier betont, dass ein neuerlicher Umbruch nicht gewollt ist: "Oliver Glasner wurde bei den Gesprächen klar gesagt, dass er mit dem Großteil des Kaders arbeiten soll und dass es einen konzeptionellen Rahmen gibt, den der Verein vorgibt. Eine Fluktuation in größerem Umfang soll es nicht mehr geben. Dennoch werden Neuzugänge mit ihm abgestimmt. Erstes Beispiel: Rechtsverteidiger Kevin Mbabu, der aus Bern kommt."
Eine Adaption dieses Plans könnte lediglich ein starkes Saison-Finish herbeiführen. "Einzig bei einer Europa-League-Qualifikation könnte man vielleicht davon ausgehen, dass der VfL noch mal qualitativ auf dem Transfermarkt zuschlägt", glaubt Lüddecke, "ansonsten gibt es die Überzeugung, dass der Kader durchaus noch entwicklungsfähig ist - was eine der Aufgaben Glasners ist."
AUF WELCHE SCHLÜSSELSPIELER KANN GLASNER BAUEN?
Wer sind also die entscheidenden Spieler des bestehenden Kaders, mit denen Glasner den nächsten Schritt gehen soll? Zumindest sofern nicht die Transfer-Pläne anderer Vereine dazwischenfunken. Denn die Leistungen des einen oder anderen VfL-Leistungsträgers sind auch andernorts durchaus aufgefallen.
"Es gibt eine Achse, die der VfL halten will und die auch in den nächsten Jahren bestehen soll: Torwart Koen Casteels, einer der besten Keeper der Liga, Abwehr-Boss John Anthony Brooks, Kapitän und Sechser Josuha Guilavogui, der fußballerisch und menschlich das Herz dieser Mannschaft ist. Und vorne Wout Weghorst, der gleichermaßen Tore schießt und Räume für seine Kollegen erkämpft", erklärt Schreier.
Für Lüddecke sind Casteels und Guilavogui die beiden wichtigsten Spieler: "Casteels hat sich in den letzten eineinhalb Jahren ins Blickfeld der absoluten europäischen Topklubs gespielt. Kapitän Guilavogui ist nicht nur ein resoluter Abräumer im Mittelfeld, sondern sein Wort ist in der Kabine Gesetz. Der Verbleib dieser Spieler hängt womöglich aber auch von einer Qualifikation für Europa ab."
"Unter Labbadia gehörten zudem Innenverteidiger John Anthony Brooks, mit Abstrichen Kreativkopf Admir Mehmedi und die beiden Stürmer Wout Weghorst und/oder Daniel Ginczek zur Wolfsburger Achse", ergänzt Lüddecke.
Schreier streicht zudem folgende Akteure hervor: "Weitere wichtige Spieler sind die Eigengewächse Maximilian Arnold und Robin Knoche, deren Meinung und Laune intern wichtig ist. Linksverteidiger Jerome Roussillon hat sich als neuer Leistungsträger etabliert."
Aus rot-weiß-roter Sicht wird spannend, ob Glasner versucht, den einen oder anderen LASK-Spieler mitzunehmen. Joao Victor wird immer wieder genannt. Mit Torhüter Pavao Pervan steht bekanntlich ein früherer Schützling bereits im Kader. Er ist der vierte ÖFB-Legionär in der Wolfsburger Historie nach Didi Kühbauer, Gernot Plassnegger und Emanuel Pogatetz.
WARUM SO WENIG KONSTANZ?
Auch wenn derzeit Konstanz oberstes Gebot bei den Niedersachsen zu sein scheint, sollte inzwischen verstanden sein, dass dies in den vergangenen Jahren nicht immer der Fall war. Vorsichtig formuliert.
Wolfsburg ist immer noch der letzte deutsche Meister, der nicht auf den Namen FC Bayern München oder Borussia Dortmund hört. Doch den Titel 2009 konnte man ebenso wie die Erfolge unter Dieter Hecking, der den Verein zum DFB-Pokal-Sieg und zur Vizemeisterschaft 2015 führte, nicht nutzen, um sich nachhaltig im Kreis der deutschen Elite zu etablieren.
Damit sind nicht nur die beiden Relegations-Saisonen gemeint. Schon 2011, also zwei Jahre nach der Meisterschaft, beendete man die Saison nur auf Rang 15. Das Image, eine der eher graueren Mäuse der Liga zu sein, konnte man bestenfalls in den Erfolgs-Saisonen, in denen man auch für Fußball fürs Auge stand, abstreifen.
Die Gründe dafür sind vielschichtig, Schreier versucht es wiefolgt zusammenzufassen: "Neben der Fluktuation im Kader, der aber fast jede Mannschaft unterliegt, sind es vor allem falsche Entscheidungen, die dazu führten. Das Problem in Wolfsburg war oft, dass sportliche Inkompetenz auf wichtigen Positionen wie Sportdirektor oder Aufsichtsrat saß. So wurden Trainer geholt, die nicht zum Verein oder zum Kader passten, gute Leute früh ausgetauscht, oder Mannschaften zusammengestellt, die nicht die richtige Mischung hatten."
Dazu kommt, dass Wolfsburg für Spitzenleute nicht immer die erste Adresse ist: "Ein generelles Problem in Wolfsburg ist, dass Verantwortliche meinen, Spieler oder Trainer mit Geld überzeugen zu müssen. Die Folge war oft, dass der Vertrag schon die Erfüllung war, die Motivation, etwas leisten oder beweisen zu müssen, entwickelte sich kaum."
Dabei hätte man auch andere Argumente als Geld zu bieten: "Optimale Infrastruktur, Ruhe und inzwischen auch mehr als 20 Jahre Bundesliga-Tradition sind ideal für jüngere Spieler oder Trainer, um den berühmten nächsten Schritt zu machen. Wolfsburg ist einer der besten Sprungbrett-Vereine in Deutschland. Beispiele wie Kevin de Bruyne oder Edin Dzeko belegen das."
WIE INTENSIV IST DIE UNTERSTÜTZUNG VON VW?
Wolfsburg ist mit seinen rund 125.000 Einwohnern nicht gerade eine Metropole und wohl auch deshalb nicht von vornherein ein Magnet für Stars, die längerfristig bleiben wollen.
Daran kann tendenziell auch die Volkswagen AG nichts ändern, die ihren Hauptsitz in Wolfsburg hat, weshalb der VfL logischerweise auch nicht das Aushängeschild Nummer eins der Stadt ist.
Diese Rolle gebührt einem der bekanntesten Konzerne der Welt, dessen Engagement bei "seinem" Fußball-Verein immer wieder für Schlagzeilen gesorgt hat. Der Automobilhersteller hat schließlich schon einfachere Phasen seiner Firmen-Geschichte erlebt als die letzten Jahre.
"Intensiv wie immer, vernünftig wie selten", beschreibt Schreier den Status quo des Engagements von VW beim VfL Wolfsburg. Konkret bedeutet dies:
"Mit Frank Witter hat der Verein endlich einen Aufsichtsratsvorsitzenden, der den Job ideal interpretiert. Das Tagesgeschäft hat er den Geschäftsführern übergeben und hält sich intern und vor allem öffentlich raus. Seine Funktion ist die Aufsicht, darauf beschränkt er sich. Und das kann er als Chef-Controller des VW-Konzerns."
"Die finanzielle Unterstützung ist nach wie vor da, es wird aber nicht mehr in Saus und Braus gelebt."
Laut Lüddecke habe Schmadtke schon öfters betont, dass er vernünftig zu wirtschaften hat. Der VfL war wohl schon mal mehr finanzielles Schlaraffenland, als er es derzeit ist.
Schreier: "Die finanzielle Unterstützung ist nach wie vor da, es wird aber nicht mehr in Saus und Braus gelebt. Ein Beispiel: Im Winter hätte Trainer Bruno Labbadia gerne neue Spieler gehabt. Als absehbar war, dass die nicht finanzierbar waren, wurden sie ihm verweigert. Der VfL stand zu dem Zeitpunkt leicht im Budget-Minus. Eine größere Misere wollte man nicht mehr eingehen. So ist zu erwarten, dass das Budget grundsätzlich stabil bleibt, der noch immer aufgeblähte Kader weiter verkleinert werden soll."
Mit zunehmenden sportlichen Herausforderungen würde aber auch "der Handlungsspielraum wachsen. Naheliegendes Beispiel: Schafft es der VfL in die Europa League, wird der Kader der Doppelbelastung entsprechend aufgestellt. Fiktives Beispiel: Qualifiziert sich das Team eines Tages für die Champions League, wird der Kader sicher konkurrenzfähig bestückt - aber selbst dann dürften Ablösen jenseits der 30 Millionen utopisch sein."
Egal wie viel Geld zur Verfügung steht und wie intensiv sich VW engagiert: Mit Glasner hat sich der VfL Wolfsburg einen Trainer geangelt, der es gewohnt ist, dass er aus im Vergleich zur Konkurrenz geringeren Mitteln viel herausholen muss. Mit Möglichkeiten, wie sie der VfL hat, war er so gesehen noch nie konfrontiert.