news

Bayerns tiefe Risse: Wer mit wem nicht mehr kann oder will

Beim deutschen Rekordmeister brodelt es. Die sportliche Misere ist ein wesentlicher Ausdruck zahlreicher interner Unstimmigkeiten.

Bayerns tiefe Risse: Wer mit wem nicht mehr kann oder will Foto: © getty

Wenn es sportlich nicht läuft, wirft das freilich die Frage auf, woran es liegt. Beim FC Bayern München ist dies schon seit einiger Zeit der Fall. So viel steht fest.

Im Vorjahr wurde zunächst Trainer Julian Nagelsmann entlassen, nach dem durchaus glücklichen Gewinn der Meisterschaft mussten Vorstandsvorsitzender Oliver Kahn und Sportvorstand Hasan Salihamidzic gehen.

Thomas Tuchel wurde anstelle Nagelsmanns geholt, eine Ära sollte er in München prägen. Von diesem Gedanken kann man mittlerweile Abschied nehmen.

Mit Christoph Freund wurde ein neuer Sportdirektor installiert, während der Stuhl von Salihamidzic zunächst vakant bliebt - ab März soll diesen Max Eberl übernehmen, auch wenn das noch nicht offiziell bestätigt wurde. Dies soll aber am 26. Februar nach der Aufsichtsratssitzung geschehen.

Viele "Brandherde" als Gründe für die Krise

Beim deutschen Rekordmeister liegt vieles im Argen. Das, was sich mit nun drei herben Pleiten in nur acht Tagen zeigt, ist nur das Symptom für eine langfristige Entwicklung, die bedenklich ist.

Ein Hauptgrund dafür ist die Gemengelage im gesamten Klub. Von der Vereinsspitze angefangen bis in die Mannschaft hinein.

Zu viele Krisenherde bedingen einen steten Negativtrend. Man gibt vor, langfristig denken zu wollen, agiert aber viel zu oft aktionistisch. Wie etwa bei der Kane-Verpflichtung oder dem Aus von Salihamidzic, Kahn und Nagelsmann.

Niemand da, der zur Ordnung ruft

Das vielbeschworene "Mia san Mia" ist nicht zu erkennen, vielmehr driftet das Bayern-Gefüge immer weiter auseinander und im Moment ist weit und breit niemand zu sehen, der es wieder zusammenzubringen könnte. Im Team sind deutliche Risse entstanden, kaum ein Spieler wirkt, als würde er für sein Team, den Trainer oder den Verein durchs Feuer gehen.

Eine, auch öffentlich so wahrgenommene, Führungspersönlichkeit fehlt den Bayern spätestens seit dem Abgang von Oliver Kahn. Dieses Machtvakuum bereitet das Feld für atmosphärische Störungen.

Es fehlt eine starke Stimme mit Bayern-Backgrund und dem nötigen Standing. Eine Stimme, die, wenn es nicht läuft, Klartext spricht und alle wieder zur Ordnung und dadurch letztlich, über alle Querelen hinweg, zum Zusammenhalt ruft. "Mia san Mia" in gelebter Form - auch das soll ein Hintergrund bei der bevorstehenden Eberl-Verpflichtung sein.

Seit dem Aus von Oliver Kahn fehlt den Bayern ein Führungspersönlichkeit.
Foto: © getty

Ohne jemanden, der dies aktiv vorlebt, fehlt als eine Folge daraus das Selbstverständnis, dass man jedes Spiel gegen jeden Gegner gewinnen kann. Jene Überzeugung, die die Bayern früher so offenherzig und transparent zur Schau trugen, dass es nicht selten überheblich wirkte, aber eben gleichzeitig nie lächerlich. Es ist dieses "Mia san Mia", das man mögen kann oder nicht. Aber es ist und bleibt ein wesentlicher Faktor für den Erfolg der Bayern.

Klar ist auch: Nur mit dem "Mia san Mia" zu arbeiten kann nicht die Lösung sein. Aber ganz darauf zu verzichten, eben auch nicht. Doch genau das hat man mit dem Umsturz im Vorjahr getan: Momentan scheint jeder sein eigenes Süppchen zu kochen. Jeder Spieler, das Trainerteam, die sportlich Verantwortlichen. Konflikten ist dadurch Tür und Tor geöffnet. Das Ergebnis offenbart sich jetzt.

Welche Rolle Freund spielt

Mittendrin in alldem befindet sich Christoph Freund. Sollte es nicht er sein, der für Ordnung sorgt? Nun: Er kümmert sich um die langfristige sportliche Planung. Dafür wurde er geholt und daran arbeitet er. Dass er da intern, als vom im Verhältnis kleinen Red Bull Salzburg gekommener Bayern-Neuling, kein Machtwort spricht, ist ihm nicht vorzuwerfen. Diese Autorität kann er noch nicht haben.

Zudem ist Freund einer, der sich auch in Salzburg schon immer um einen guten Dialog bemühte und nicht öffentlich die Verbalkeule schwang. Außerdem ist er zu kurz im Klub, um eine strikte Rückbesinnung auf das "Mia san Mia" glaubhaft zu fordern und zu vermitteln. Nach den Misserfolgen in den letzten Wochen übte aber auch er Kritik an den Bayern-Stars.

Tuchel: Seit PSG und Chelsea nicht dazugelernt?

Über die menschlichen Fähigkeiten eines Thomas Tuchel wurde bereits (zu) viel gesprochen. Eine in diesem Bereich mangelnde Kompetenz wurde ihm in der Vergangenheit schon häufig angelastet. Fachlich kann es über ihn keine Diskussion geben. Aber ob seine soziale Kompetenz ausreicht, um die internen Querelen zu moderieren, darf bezweifelt werden.

"Ihr gebt mir keine Energie."

Diesen Vorwurf soll Tuchel den Bayern-Stars gemacht haben.

Seit seinem Amtsantritt im März 2023 werden immer wieder Gerüchte laut, dass er die Kabine nicht im Griff habe - wie schon bei Chelsea und PSG. Wie die "tz" berichtet, sollen die Bayern-Verantwortlichen die Spieler bereits nach ihrem Verhältnis zum Trainer befragt haben.

Tuchel maßregelte sein Team schon viel zu oft öffentlich. Intern soll er seiner Mannschaft nach der Pleite bei Leverkusen gesagt haben: "Ihr seid nicht so gut, wie ich annahm, dann muss ich mich eurem Niveau eben anpassen."

Nach dem schwachen Start ins Jahr 2024 habe er außerdem den Vorwurf "ihr gebt mir keine Energie" an die Mannschaft gerichtet. Bayern weist das aber als "absurd, toxisch und würdelos" zurück.

Eine unglaubwürdige Umkehr

Tuchels Verbalumkehr in den letzten Wochen, die Schuld mehr auf sich zu nehmen oder sie auf die Umstände (Stichwort "xG-Wert") zu schieben, nimmt ihm nun kaum einer mehr ab. Und das ist der Punkt: So entflammst du eine Mannschaft nicht, bringst sie nicht hinter dich.

Wenn dir ein Trainer nicht den Rücken stärkt, nicht öffentlich und Medienberichten zufolge auch kaum intern, warum sollst du dich dann auf dem Platz zerreißen?

Stars wie Effenberg standen für klare Ansagen.
Foto: © getty

Dafür müsstest du zum Verein (wie Thomas Müller) eine enge Bindung haben. Oder aber intern als Mannschaft so gefestigt sein, dass sich jeder seinem nächsten verpflichtet fühlt. Auch dieses Gefühl vermittelt der FC Bayern nicht. Symptomatisch dafür war die Aussage Müllers nach dem Pokal-Aus gegen Drittligist Saarbrücken, als er meinte, man habe den eigenen Fans nicht den nötigen Respekt entgegengebracht.

Früher waren es Führungsspieler wie Olvier Kahn, Stefan Effenberg, Mark van Bommel oder Phillip Lahm, die intern den Ton angaben. Bayern hatte stets gleich mehrere davon. Und wenn es nicht lief, dann wusstest du als Spieler, dass du mit ihnen Ärger bekommst, wenn du dich nicht mindestens auf dem Platz zerrissen hast.

Denn das waren Charaktere, mit denen wolltest du dich nicht anlegen. Sie alle fühlten sich dem Klub eng verbunden und zeigten dies auch öffentlich - auf und neben dem Platz. Genau das vermitteln langjährige Stammkräfte wie Joshua Kimmich, Leroy Sane oder Alphonso Davies nicht.

Unmut in der Kabine

Vielmehr wirkt das Team zerstritten und die immer wiederkehrenden taktischen Experimente von Thomas Tuchel tun das Ihrige, sorgen für Unzufriedenheit und vergraulen einzelne Spieler. Die negativen Auswirkungen auf das Gesamtkonstrukt Mannschaft scheint er dabei außer Acht zu lassen.

Unter den Spielern scheint die Atmosphäre angespannt zu sein. Spiegelbildlich dafür ist der jüngste Zoff zwischen Joshua Kimmich und Co-Trainer Zsolt Löw nach der Bochum-Pleite. Generell soll Kimmich mit seinem Stil als Führungsspieler nicht besonders beliebt sein und die Mitspieler mit seinen Ansagen nerven.

Von Manuel Neuer erwarte man sich zudem, dass er noch mehr die Führung übernimmt. Der Vorwurf lautet, dass er sich in heiklen Fragen zu oft zurückhält. Auch der oftmals nicht berücksichtigte Matthijs de Ligt gilt aufgrund seiner Unzufriedenheit als Unruheherd. Selbiges gilt für Alphonso Davies und weitere ausgebootete Ex-Stammkräfte.

Knisternde Luft zwischen Tuchel und den Bossen

Tuchel verkörpert das Bayern-Gen nicht, wirkt Ich-bezogen und lieferte sich immer wieder öffentlich Dispute mit der Führungs-Riege. Wie etwa im Sommer mit der leidigen Diskussion um die "Holdig six" und seine medial kundgetanen Transferwünsche, die nicht erfüllt wurden.

Die Stimmung zwischen ihm und den Klub-Patronen um Uli Hoeneß, Karl-Heinz Rummenigge, Herbert Hainer und Jan-Christian Dreesen war ebenfalls schon besser. Speziell Hoeneß war ein starker Befürworter der Verpflichtung Tuchels, das Auftreten des 50-Jährigen ließ den Ehrenpräsidenten aber schon öfters verschnupft reagieren. Beide kommunizierten ihren Unmut über die Medien, kommentierten dort die Aussagen des jeweils anderen zumindest indirekt. Das Verhältnis gilt bisweilen als belastet.

Nicht mehr wie früher: Das Verhältnis zwischen Hoeneß und Tuchel gilt als belastet.
Foto: © getty

In einer abendlichen Krisensitzung nach der Niederlage in Bochum gab es ein Treffen der Bayern-Bosse. Dort sei man sich über die Tuchel-Zukunft nicht gänzlich grün geworden. Man einigte sich schließlich darauf, den 50-Jährigen nicht ad hoc zu entlassen.

Leipzig-Spiel könnte Domino-Effekt auslösen

Die Verantwortlichen wissen längst, dass die Verpflichtung von Tuchel ein Fehler war. Eine Frage, die sie mit großer Wahrscheinlichkeit beschäftigt: Wenn man ihn entlässt, wer sollte dann kurzfristig übernehmen?

Womöglich hat man auch Angst, dass ein Rausschmiss als Eingeständnis der eigenen Unfähigkeit verstanden wird. Denn der Umbruch im Vorjahr mit dem Aus von Kahn, Salihamidzic und Nagelsmann machte alles nur noch schlimmer. Auch bei Transfers, was Zu- aber auch (verfrühte) Abgänge betrifft, lag man zu oft daneben und leistete sich Ausrutscher - wie bei Palinha, Gravenberch, Stanisic, Bella-Kotchap oder jüngst Dragusin.

Die Leipzig-Partie wird aus mehrerlei Hinsicht zum Schicksalsspiel. Verliert Bayern auch dort, ist Tuchel kaum noch zu halten, was einen Dominoeffekt in Gang setzen könnte. Zu tief sind die Risse innerhalb von Vereinsführung, Trainer, Mannschaft und dazwischen. Zu deutlich erkennbar ist die Tatsache, dass er Umbruch 2023 ein Griff ins Leere war, als dass all dies ohne Konsequenz bleiben könnte.

Ein erneuter Umbruch im Sommer wäre nicht unwahrscheinlich und die Verpflichtung Eberls nur der erste Schritt. Mit dem Ex-Gladbacher als neues, starkes Bayern-Gesicht, unterstützt von Freund, ist ein radikaler Kader-Umbau unter einem neuen Coach, der auch die Generation um Kimmich, Goretzka & Co betrifft, nur die logische Folge. 


Kommentare