Karriere-Dämpfer oder Karriere-Boost?
Man darf gespannt sein, wie das Aus von Oliver Glasner bei Eintracht Frankfurt in einigen Jahren fußball-historisch bewertet wird.
Aktuell spricht aber doch einiges dafür, dass das bittere Ende einer lange Zeit überglücklichen Beziehung gar nicht mal ein ganz großer Nachteil für seine Trainer-Laufbahn sein muss.
Es ist jedenfalls eine Trennung, die einige Facetten aufwirft. Vorne weg zwei Randaspekte.
Erstens: Mit Glasner hat es jetzt auch den letzten Protagonisten der großen Trainer-Rochade 2021 erwischt.
Gewinner der Julian-Nagelsmann-Jesse-Marsch-Marco-Rose-Adi-Hütter-Oliver-Glasner-Job-Tausch-Aktion ist so gesehen Dortmund-Trainer Edin Terzic, der sich als amtierender Pokalsieger ein Jahr lang in Warteposition begab und am Ende seinen bevorzugten Job abstaubte.
Eine Lehre daraus: Man kann einen noch so vermeintlich genialen Trainer-Coup landen – wenn die Chemie nicht stimmt, geht es flott in die falsche Richtung.
Zweitens: Da Gerhard Struber seine Zelte bei den New York Red Bulls abgebrochen hat, ist es keine allzu fantastische Woche für ÖFB-Trainer-Legionäre.
Die rot-weiß-rote Trainer-Gilde hat in den vergangenen Jahren völlig zurecht viel Lob eingeheimst. Seit Ernst Happels Zeiten waren österreichische Trainer international nicht mehr so gefragt.
Dies ist eine Entwicklung, die auf gar keinen Fall stoppen darf. Umso wichtiger wird der kommende Sommer. Neben Ralph Hasenhüttl und Adi Hütter ist nun auch bei Glasner unklar, wie es weitergeht. Ob Peter Stöger ein internationales Comeback anstrebt, ist zumindest fraglich.
Die aktuelle Unsicherheit ist zumindest ein Signal, dass man bei der Entwicklung weiterer Coaches von internationalem Format keinen Millimeter vom Gaspedal gehen darf, um weiteren Nachschub (Christian Ilzer?) hervorzubringen.
Aber zurück zu Glasner, der ein Garant dafür sein sollte, dass Österreich auch in den kommenden Jahren in internationalen Top-Ligen vertreten ist.
Das Gespür der Fans
Denn zumindest seine nächste Chance muss alleine mit dem Europa-League-Triumph 2022 gesichert sein, und das möglichst hochkarätig. Auch eine übernächste Chance ist sehr wahrscheinlich.
Und genau das spricht für einen Boost.
Europaweit wurde der Oberösterreicher in den vergangenen Monaten bereits mit diversen Hochkarätern in Verbindung gebracht. Ab Juni ist er ganz offiziell eine der heißesten Trainer-Aktien am Markt.
Co-Trainer bis EL-Sieger: Oliver Glasners Trainerstationen
So er sofort wieder einsteigen will, wird es an Glasner selbst liegen, weise zu wählen und den für ihn bestmöglichen nächsten Schritt zu gehen. Funktioniert er auch dort, wird es für ihn in der internationalen Trainer-Hackordnung noch spannender.
Und ja, so mühsam die vergangenen Wochen waren, selbstverständlich hat der 48-Jährige in Frankfurt funktioniert.
Wenn man ihn das Pokal-Finale tatsächlich coachen lässt, könnte er den zweiten Titel in zwei Jahren abstauben. Er zeichnet für eine der epochalsten Phasen der Vereins-Geschichte verantwortlich. Die Mehrheit der Fans weint ihm nicht umsonst hinterher, man kann ihnen ein feines Gespür unterstellen.
Fragen, die sich Glasner selbst stellen sollte
Glasner muss nach diesem Kapitel seiner Trainer-Karriere dennoch tief in sich gehen und für sich selbst Antworten auf so manche Frage finden.
Warum hat es zum zweiten Mal in Folge trotz immenser Erfolge menschlich nicht geklappt? Ist mitunter mehr Diplomatie von Nöten? Wäre mehr Diplomatie zu viel Kompromiss? Ist die eigene Medien-Strategie immer zum eigenen Vorteil? Oder spielen die eigenen Kontrahenten diese Karte geschickter aus? Woran gilt es so oder so, auf zwischenmenschlicher Ebene zu schrauben, sollte sich die Möglichkeit bei einem Klub ergeben, der noch mehr im medialen Fokus steht als das eher beschauliche Wolfsburg oder ein internationaler Mittelklasse-Verein wie die Eintracht?
Der Abschied aus Wolfsburg erfolgte, nachdem er den Verein in die Champions League geführt hat. Die Differenzen mit Sportchef Jörg Schmadtke galten als unüberbrückbar.
Selbiges passierte nun in Frankfurt mit Markus Krösche. Eintrachts Sportchef verweigerte Glasner die dringend benötigte Verstärkung in der Abwehr, rief als Zielvorgabe nach der erfolgreichen Hinrunde jedoch einen Champions-League-Platz aus.
Dass dies nicht ganz zusammengepasst hat, verdeutlicht der aktuelle Scherbenhaufen – wenn sportliche Leitung und Trainer offenkundig nicht in dieselbe Richtung rudern, wird es bei jedem Verein kompliziert.
Ob Glasner, der massiv mehr Kader-Qualität eingefordert hat, oder Krösche, der von seinem Coach stattdessen noch mehr Spielerentwicklung erwartet hätte, recht hatte, liegt im Auge des Betrachters und wird erst die Zukunft endgültig weisen.
Glasners Learning
Dass dieser Konflikt derart massiv in der Öffentlichkeit landete und Glasners Verhalten während und nach dem Hoffenheim-Spiel dass Fass überlaufen ließ, kann man jedoch nur als menschliches Totalversagen von allen Beteiligten nicht einmal ein Jahr nach einem der größten Momente der Vereins-Geschichte einordnen.
Dass der Trainer-Legionär seinen 2024 auslaufenden Vertrag, möglicherweise auch im Wissen der Angebotslage, nicht vorzeitig verlängern wollte, war zwischenmenschlich vielleicht auch nicht förderlich, aus seiner Sicht jedoch legitim.
Von außen betrachtet, sicherlich auch mit patriotischer Brille, lässt es sich leicht auf Glasners Seite schlagen. Dies tun übrigens auch diverse deutsche Medien, die Krösche nun schwer in der Pflicht sehen.
Glasners Learning sollte dennoch sein, einen Weg zu finden, eigentlich erfolgreiche Storys nicht an menschlichen Problemen scheitern, sondern als Helden-Geschichte enden zu lassen. Alles andere ist langfristig nicht förderlich für den Ruf.
Und was passiert, sollte es sportlich einmal nicht wie erhofft laufen?
Jeder Kassenwart im Schützenverein wird warmherziger verabschiedet als Glasner von der Eintracht. Und das bei einem Klub, der sich so sehr über seine Werte definiert. https://t.co/nTThDFxp0s
— Philipp Köster (@philippkoester) May 9, 2023