Es war ein Klassiker der intensiv geführten Sorte.
Borussia Dortmund und der FC Bayern München schenkten sich bei ihrem Aufeinandertreffen am neunten Bundesliga-Spieltag überhaupt nichts; insgesamt neun Mal musste Schiedsrichter Deniz Aytekin in seine Brusttasche greifen - einmal sogar, um Kingsley Coman Gelb-Rot zu zeigen.
Wenn es nach den Bayern geht, hat der erfahrene deutsche Schiedsrichter aber eine entscheidende Gelbe Karte stecken lassen: Jene gegen Jude Bellingham kurz vor Seitenwechsel, die den Engländer frühzeitig mit Gelb-Rot in die Dusche geschickt hätte.
Der bereits gelbvorbelastete 19-Jährige gabelte sich die Kugel im Mittelfeld hoch, übersah dabei Alphonso Davies und traf den mit nur leicht gesenktem Kopf in den Zweikampf gegangenen Kanadier unabsichtlich mit der Fußspitze über dem rechten Auge. Davies musste daraufhin ausgewechselt und mit Verdacht auf Gehirnerschütterung ins Krankenhaus gebracht werden, Bellingham durfte weiterspielen.
"Bei der Schiedsrichterschulung vor ein paar Monaten haben wir gelernt: Sowas ist glatt Rot. Darüber brauchen wir nicht diskutieren, er tritt ihm volle Kanne ins Gesicht", ärgert sich Bayern-Coach Julian Nagelsmann nach der Partie bei "Sky".
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Aytekin: "Mir hat die Überzeugung gefehlt, das Spiel zu entscheiden"
Nagelsmanns Ärger stößt selbst bei Schiedsrichter Aytekin auf Verständnis. "Man kann das durchaus so sehen. Vom Ablauf war es so, dass die erste Gelbe Karte für Bellingham in einer hektischen Phase passierte, das war eine 'Kann'-Gelbe, keine zwingende. In der angesprochenen Situation war es für mich so, dass der Spieler von hinten reinkam und den Kopf unten hatte. Da hat mir die letzte Überzeugung gefehlt, Gelb-Rot zu geben", so der 44-Jährige erfrischend ehrlich.
Aytekin gibt zu, dass er bei Bellinghams hohem Bein auch deshalb ein Auge zugedrückt hat, weil er ihm zunächst eine relative softe Gelbe zeigte: "Das ist durchaus möglich, man muss ein Spiel im Gesamten sehen. In der Szene hat mir die letzte Überzeugung gefehlt, hier Gelb-Rot zu geben und das Spiel zu entscheiden."
Neuer: "Lag an uns, nicht an Dortmund"
Das Spiel zu entscheiden hätten die Bayern ohnehin in der eigenen Hand gehabt. Nach 53 Minuten führten sie im Signal Iduna Park mit 2:0 und fanden zahlreiche gute Kontermöglichkeiten vor, nach zwei späten Toren von Youssoufa Moukoko und Anthony Modeste musste sich der Serienmeister allerdings mit einem 2:2 zufriedengeben.
"Es lag heute ganz klar an uns und nicht an Dortmund. Wir hätten den Sack zu machen müssen, dafür hatten wir auch die Möglichkeiten", ärgert sich Manuel Neuer.
Auch Nagelsmann sind die vergebenen Chancen auf die Vorentscheidung zwar ein Dorn im Auge, er muss aber auch zugeben: "Es war ein Spiel auf Augenhöhe. In der zweiten Halbzeit waren wir näher dran, aber auch Dortmund hatte gute Momente. Ich glaube, am Ende war es ein gerechtes Ergebnis."
Terzic kämpfte nach Schlusspfiff mit den Tränen
Der BVB musste damit erstmals seit acht Aufeinandertreffen keine Niederlage im Klassiker einstecken. Dortmund-Coach Edin Terzic kämpfte nach dem ersten Punkteerfolg seiner Cheftrainer-Karriere gegen den Rekordmeister mit den Tränen und feierte das Remis nach Schlusspfiff mit viel Emotionen.
"Für mich persönlich war es keine leichte Woche, es war sehr emotional, aber mehr möchte ich nicht dazu sagen", so der 39-Jährige im "Sky"-Interview, bei dem ihm erneut die Tränen hochkommen.
Terzic selbst wechselte den Punktgewinn in Form von Anthony Modeste ein. Der Sommer-Neuzugang vergab gut zehn Minuten vor Schluss noch einen absoluten Sitzer nach Adeyemi-Hereingabe, nur um in der fünften Minute der Nachspielzeit doch noch zum umjubelten 2:2 einzunicken. Der aufgerückte Innenverteidiger Nico Schlotterbeck schlug eine punktgenaue Flanke an die zweite Stange, wo der Franzose seinen Kopf nur mehr hinhalten musste.
Modeste: "Wir wollen Meister werden"
"Ich werde kein Geheimnis daraus machen: Ich habe mich unter der Woche über die Flanken beschwert. Ich habe den Jungs gesagt, dass sie nicht immer so sexy spielen sollen, sondern effektiv sein sollen. Vielleicht war ich bei meiner vergebenen Chance deswegen überrascht, dass die Flanke so gut kam. Aber am Ende habe ich an mich geglaubt und mich belohnt", so Modeste mit einem Augenzwinkern.
Gänzlich zufrieden ist der 34-Jährige mit dem Remis aber nicht: "Wir wollen Meister werden. Natürlich nehmen wir lieber einen Punkt mit als keinen. Aber wenn du beim BVB spielst, musst du solche Spiele gewinnen."
Dieses gesunde Selbstvertrauen der Dortmunder könnte sie dieses Jahr tatsächlich etwas näher an die Bayern ranbringen. Nach genau einem Meisterschaftsviertel liegen die beiden Erzrivalen gleichauf in der Tabelle auf den Rängen drei und vier, einzig die Überraschungsteams SC Freiburg und Union Berlin liegen mit einem Punkt Vorsprung sowie einem ausgetragenen Spiel weniger voran.