Die vierte Minute der Nachspielzeit läuft, im Signal Iduna Park von Borussia Dortmund ist die Hölle los. Kurz vor Spielende gibt es noch einmal einen Eckball für den Ruhrpott-Rivalen Schalke 04. Die Gastgeber sehen ihre Felle davonschwimmen: Die Königsblauen kämpften sich nach einem 0:4-Pausenrückstand zurück und stehen kurz vor dem Ausgleich.
Yevgen Konoplyanka dreht die Ecke in den Strafraum, Verteidiger Naldo wuchtet die Kugel ins Netz: 4:4! Im Gästeblock bricht der helle Wahnsinn aus, die Spieler und Betreuer liegen sich in den Armen als hätte man gegen den Erzrivalen die lang ersehnte Meisterschaft gewonnen.
Zweieinhalb Jahre später muten diese Bilder wie aus einem anderen Universum an. Wenn die Dortmunder am Samstag (ab 15:30 Uhr im LIVE-Ticker) an selber Stelle die Schalker empfangen, wird nichts so sein wie an jenem 25.11.2017.
(Text wird unter dem Video fortgesetzt)
Leeres Stadion beim Revier-Derby
Das kommende Revier-Derby wird nicht an die teilweise wilden Aufeinandertreffen zwischen Dortmund und Schalke erinnern. Diese Duelle sind von der Leidenschaft der Fans, Jubeltrauben und erhitzten Gemütern geprägt.
Die Zuseher müssen aber diesmal draußen bleiben, stattdessen gibt es Einlaufmusik vor leeren Rängen. Die Schwarz-Gelben haben für dieses Szenario bereits trainiert. Jubeltrauben nach Toren, die in Derbies besonders zelebriert werden, wird man ebenfalls nicht zu Gesicht bekommen. Das „Abklatschen“ mit Füßen und Ellenbogen bleibt das Höchste der Gefühle.
Dass die Corona-Pandemie den Fußball grundlegend verändert hat, wird bei einem Derby mit solcher Bedeutung besonders evident. Die Mikrofone im Stadion werden keine Fan-Gesänge zur Anfeuerung oder das Raunen nach vergebener Großchancen aufnehmen. Die Trainer, die ihre Anweisungen in Richtung Spieler brüllen, werden hingegen besonders deutlich zu hören sein. Vorausgesetzt, sie nehmen ihren Mund-Nasen-Schutz vorübergehend ab und halten dabei Sicherheitsabstand zu den anderen Akteuren.
Die Dortmunder werden ihren Heimvorteil jedenfalls vermissen. "Unsere Heimbilanz ist so gut, weil uns in den kritischen Situationen mehr als 70.000 Borussen unter den 81.000 Zuschauern massiv nach vorne pushen", sagt BVB-Boss Hans-Joachim Watzke gegenüber DAZN. Er fühle jedenfalls Erleichterung, dass der Ball wieder rollt.
Schalke atmet auf
Die Geisterspiele, die bis auf weiteres in Deutschland, Österreich und dem Großteil des Planeten abgehalten werden müssen, zeigen die Probleme des Systems Fußball deutlich auf.
Schalke 04 hätte ohne die Fernsehgelder, die nun doch in die Vereinskassen fließen, wohl nicht überlebt. Dies ist nur ein Beispiel, das zeigt, dass die Vereine mittlerweile über ihren Verhältnissen leben. Dass gewinnorientierte Unternehmen, die Fußballklubs mittlerweile sind, nicht über einen längeren Zeitraum ohne Einnahmen überleben können, ist logisch. Erstaunlich ist es aber, dass es nach nur wenigen Wochen schon um Leben und Tod einiger Vereine geht.
Obwohl der finanzielle Aspekt im Mittelpunkt steht wenn es um die Austragung von Geisterspielen steht - ein Umstand, aus dem die handelnden Akteure nie einen Hehl gemacht haben - spielen auch gesellschaftliche Überlegungen eine Rolle.
Fußball als Selbstzweck?
Milliarden von Fußball-Fans auf dem gesamten Erdball mussten ihren Durst auf Profi-Fußball knapp zwei Monate lang mit weniger beachteten Ligen, wie der weißrussischen oder der turkmenischen, löschen.
Der Fußball soll in den Wohnzimmern wieder einen Fixpunkt einnehmen und den Menschen dabei helfen, mit der Coronakrise umzugehen. Auch kritische Situationen im häuslichen Bereich sollen so entspannt werden.
Normalität soll einkehren. Doch paradoxerweise sind die Geisterspiele der beste Beweis dafür, dass sich das Leben verglichen mit der Zeit vor Corona drastisch verändert hat – neue Normalität eben.
Der BVB wird in dieser wichtigen Partie auf einige Stützen verzichten müssen. Kapitän Marco Reus, Emre Can, Dan-Axel Zagadou und Axel Witsel fallen allesamt verletzt aus. Eine Randnotiz an diesem denkwürdigen 26. Spieltag.