Der altehrwürdige Griffin Park, Heimstätte des Brentford FC im Westen Londons, hat in seiner mehr als hundertjährigen Geschichte schon viele denkwürdige Momente erlebt. Von den Bomben des zweiten Weltkrieges über eine Olympia-Erstrundenpartie zwischen Italien und den USA 1948 bis zum großen Brand von 1983. Im letzten regulären Ligaspiel des 1904 eröffneten Stadions sollte sich ein weiterer hinzugesellen.
In der ersten Minute der Nachspielzeit sicherte Clarke Oduor mit seinem ersten Profi-Tor den Gästen vom FC Barnsley doch noch das Überleben in der Championship. Darüber jubelten an diesem Tag auch vier Österreicher: Vorlagengeber Patrick Schmidt, Abwehrchef Michael Sollbauer, Mittelfeldakteur Marcel Ritzmaier und Trainer Gerhard Struber, der die "Tykes" erstmals am 17. Spieltag gegen die Blackburn Rovers in prekärer Tabellenposition betreut hatte.
"Es ist natürlich ein unglaublicher Erfolg gewesen, dass wir das hinbekommen haben", erzählt Struber im LAOLA1-Interview. "Am Ende war auch ein bisschen Überraschung dabei, weil es auch ein paar glückliche Umstände gegeben hat, dass es in diese Richtung gegangen ist."
Das Team aus der rund 90.000 Einwohner zählenden gleichnamigen Stadt, die zwischen Sheffield und Leeds liegt, stand von der elften Runde weg stets in den Abstiegsrängen, bis zum 46. und letzten Spieltag.
Des einen Leid ist des anderen Freud
Der vom Salzburger angesprochene glückliche Umstand ist ein Punkteabzug für Wigan Athletic, der den FA-Cup-Sieger von 2013 von Platz 13 auf Rang 23 beförderte und damit direkt in die Drittklassigkeit. Die Rettung von Barnsley allerdings nur auf die finanziellen Verfehlungen der "Latics", das eröffnete Insolvenzverfahren und den damit einhergehenden Punkteabzug zu schieben, wäre viel zu kurz gegriffen.
Struber hat mit dem Aufsteiger elf seiner 30 Ligaspiele gewonnen. In einer Tabelle, in der nur die vom Salzburger gecoachten Partien zählen würden, wäre das Rang 13, zwölf Punkte vom ersten Abstiegsplatz entfernt.
(Text wird unter dem Video fortgesetzt)
Die Freude nach dem Abpfiff im Griffin Park war überschwänglich. Spieler, Trainerteam, Funktionäre - alle lagen sich in den Armen, das Unmögliche wurde durch den notwendigen Sieg beim Aufstiegskandidaten am letzten Drücker doch noch möglich gemacht.
In Stein gemeißelt ist die Rettung der "Tykes" allerdings noch nicht. Wigan legt gegen den Punkteabzug Berufung ein, die Anhörung dazu wird am 31. Juli stattfinden.
"Wir haben uns in diesem Moment alle riesig gefreut, dass wir den Teil dazu beigetragen haben, den wir beitragen konnten. Sportlich alles dafür zu tun, dass wir in diese Richtung gewappnet sind", so Struber über die Szenen nach dem Spiel.
Er hat Vertrauen in die EFL, dass der vor dem letzten Spieltag bestätigte Punktabzug auch nach dem Einspruch noch halten wird. "Wenn der Verein vor der Insolvenz steht und der Masseverwalter quasi das Kommando übernimmt, und das war schon vor eineinhalb Monaten der Fall, ist klar, dass der Punkteabzug die Folge sein wird", erklärt der 43-Jährige.
"Gleichzeitig hat es im Fußball schon viele Überraschungen gegeben und wir hoffen darauf, dass diese Bestätigung hält. Weil Wigan finanziell Dinge gemacht hat, die nicht dem Regelwerk der EFL entsprechen. Weil ihnen die Insolvenz droht, resultiert ein 12-Punkte-Abzug. Daher gehen wir davon aus, dass es so bleibt."
Überlegungen für den Ernstfall, dass der Punktabzug revidiert wird und Barnsley doch noch den Weg in die League 1 antreten muss, gibt es laut Struber nicht. "Ich gehe ganz klar davon aus, dass es so bleibt, wie es im Moment die Tabelle darstellt, dass wir weiterhin in der Championship sind. Wenn es aber dann so sein sollte, dann muss man sich neu Gedanken machen und dann neu aufdröseln, wie es dann weitergehen kann. Ich habe mich mit dem Gedanken nicht gespielt."
Barnsley "total am Limit"
Das Restprogramm war für die Mannschaft des Salzburgers nach den Unentschieden gegen Luton Town und Wigan Athletic beinhart. Mit Leeds wartete der frischgebackene Meister, mit Nottingham Forest und Brentford zwei Teams in den Playoff-Rängen. Zu Buche standen eine 0:1-Niederlage gegen das Team von Marcelo Bielsa, bei der sich Barnsley sehr teuer verkauft hatte, und zwei furiose Siege gegen Teams auf der anderen Seite der Tabelle.
"Man muss der Mannschaft ganz ein großes Kompliment machen, dass sie es geschafft haben. Speziell nach der Corona-Pause, bis auf das Spiel gegen Stoke City, total an das Limit zu kommen, in jedem Spiel. Auch bei den Spielen, wo wir ergebnismäßig nicht so sauber ausgestiegen sind", resümiert der 43-Jährige.
Die Ergebnisse spiegeln allerdings nicht die gesamte Realität wieder. Zahlenwerte würden das Bild komplettieren. "Wenn man sich die Expected-Goals-Werte oder generell die Statistik anschaut, waren wir in allen Spielen dominant und hätten uns in allen Spielen einen Sieg verdient. Gott sei Dank haben wir das zum Schluss noch einmal unter Beweis stellen können, dass ein mentaler Glaube da war und die notwendige Fitness, um das so hinzubekommen".
Doch nicht nur als Kollektiv konnten die "Tykes" in den letzten Runden viel Aufmerksamkeit auf sich ziehen, die jeweiligen Spieler gaben laut Struber ihre Visitenkarten ab. "Das war sportlich Werbung, die jeder Spieler einzeln abgegeben hat, auch für sich selbst."
Das Durchschnittsalter der Startelf im Spiel gegen Brentford lag bei 23,3 Jahren, in vielen Spielen davor klar darunter. Dreimal lag das Durchschnittalter bei nur 22,6 Jahren. "Wenn man sich den Kader anschaut, das Durchschnittsalter der Mannschaft, da ist es klar, dass wenn wir nicht immer am Limit sind, wird es einfach ganz schwierig."
Nach der Rettung ins Oberhaus?
Nicht einmal eine Woche nach dem dramatisch fixierten Klassenerhalt ist laut Struber der Blick wieder nach vorne gerichtet. Es geht auch um seine persönliche Zukunft, der er offen gegenübersteht, aber auch festhält, dass Barnsley sein erster Ansprechpartner bleibt.
Aus sportlicher Sicht hat der Salzburger ambitionierte Ziele. "Ich möchte auf Sicht nicht gegen den Abstieg spielen, sondern mich in der Championship nach vorne orientieren. Natürlich möchte ich zukünftig eine Richtung einschlagen, in der es um Aufstieg und Titel geht, aber für mich zählt erstmal das Hier und Jetzt", stellt Struber klar.
In diesem Sinne sieht er die Führung des 1887 gegründeten Vereins unter Zugzwang. "Da ist Barnsley gefordert, die Eigentümer gefordert, mir auch dementsprechend unter die Arme zu greifen was die Spieler angeht, was meine ambitionierten Ziele angeht. Da müssen wir im Einklang sein, dass das gemeinsam in Zukunft Sinn macht."
Abgang? "Kein Stress" bei Struber
Berater Thomas Böhm wurde laut Struber in den vergangenen Wochen und Monaten immer wieder von Vereinen kontaktiert. Die Arbeit des Salzburgers, der in der Schlussphase der Championship zweimal Trainer der Woche wurde, findet auch außerhalb Barnsleys Anerkennung.
Obwohl Struber einen Abgang nicht hundertprozentig ausschließt, hat er "überhaupt keinen Stress, von heute auf morgen von Barnsley wegzudrängen. Ich habe mich mit meiner Mannschaft sehr wohlgefühlt. Sie haben vieles in eine gute Richtung bewegt. Ich will weiterhin mit Barnsley diesen Weg gehen, Barnsley bleibt mein erster Ansprechpartner."
Der 43-Jährige ist noch bis 2022 mit Option auf ein weiteres Jahr an den Klub aus Yorkshire gebunden. Entscheidend ist für ihn dennoch, dass Klub und Trainer auf einer Wellenlänge agieren. "Wenn das nicht so sein sollte, muss man sich einfach unterhalten, wie das weitergehen kann", hält Struber fest.
Die neue Saison in der Championship startet am Wochenende des 12. Septembers, Gerhard Struber wird Stand jetzt wieder den Platz auf der Bank des FC Barnsley einnehmen. Dazu müssten allerdings seine Ambitionen erfüllt sein.