Als Leeds-United-Trainer Marcelo Bielsa am Mittwoch zahlreiche Journalisten in den Presseraum des Stadions rief, um kurzfristig eine Pressekonferenz abzuhalten, rechneten viele mit einem Rücktritt beziehungsweise einer Entschuldigung des Trainers. Doch wieso?
Der 63-jährige Bielsa wurde beschuldigt, im Vorfeld des Spiels gegen das von Frank Lampard betreute Derby County, ein Crew-Mitglied zum Training Derbys geschickt zu haben, um den Gegner auszuspionieren. Die Spionage wurde bemerkt, Bielsa und seine Mannschaft offen kritisiert.
Die spontane Pressekonferenz verlief dann komplett anders als erwartet. Über eine Stunde lang sprach Bielsa über den angeblichen Spionagefall. Die Hauptaussage: Bielsa hat nicht nur Derby County, sondern eigentlich alle Championship-Vereine bis ins kleinste Detail ausspionieren lassen.
Der Argentinier ging die daraus gezogenen Schlüsse daraufhin mit den Journalisten durch. Es entwickelte sich nicht weniger als eine der unterhaltsamsten Pressekonferenzen der letzten Jahre:
Bielsa nimmt "Schuld" auf sich
"Es geht um das Beobachten eines Trainings von einem öffentlichen Platz aus, ohne dabei das Fair-Play zu missachten. Ich bin der einzige, der dafür verantwortlich ist. Der Klub trägt keine Verantwortung für diese Aktionen. Die Person, die ich entsandte, folgte meinen Anweisungen", begann Bielsa seinen Monolog. Niemals wollte er unfair agieren, eher seinen Verein einfach nur gut auf das nächste Spiel vorbereiten.
Es folgte die Kernaussage: "Ich möchte nun über etwas sprechen, dass die Untersuchungen einfacher machen wird. Ich werde Ihnen nun alle Informationen geben, die dazu benötigt werden. In nur wenigen Worten: Wir haben alle unsere Rivalen überwacht, gegen die wir in dieser Saison gespielt haben und wir haben im Vorfeld der Spiele alle Trainings der jeweiligen Teams verfolgt. (...) Bezüglich dessen was ich getan habe - Es ist nicht illegal. Es ist nicht explizit verboten. Wir können darüber diskutieren, aber es ist keine Verletzung des Gesetzes", erklärt Bielsa ehrlich.
"Ich würde gerne erklären, wie das Gehirn eines Trainers funktioniert. Außer den Spielern hast du in einem Verein noch 20 andere Crew-Mitglieder. Diese 20 Leute erzeugen eine Menge an Informationen, die eigentlich absolut nicht nötig werden. Doch wieso tun wir das? Weil wir uns schuldig fühlen, wenn wir nicht genug arbeiten. Weil wir dann nicht ängstlich sind. Und wir denken, dass wir durch mehr Informationen dem Sieg näher sind." Mit diesen Worten begann Bielsa die Aufarbeitung der Video-Analyse.
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Fail to prepare...
— BBC Sport (@BBCSport) 17. Januar 2019
When Marcelo Bielsa called an unexpected press conference to discuss 'Spygate', nobody was expecting an hour-long presentation on data analysis.
His staff watched all 51 of Derby's games last season, with each match taking four hours to analyse. pic.twitter.com/49NCDZyctq
360 Stunden Arbeit für Videomaterial
Insgesamt knapp 360 Stunden kostete es dem Staff die Informationen zu sammeln und bereitzustellen. Bielsa startete eine PowerPoint-Präsentation und besprach mit den Journalisten die Matchvorbereitung. "Ich kann zwar kein Englisch, aber ich verstehe dafür die 24 Mannschaften der Championship."
Immer wieder nannte ein Journalist eine Zahl - jede Zahl bedeutete einen Spieltag. So wurde beispielsweise Nummer 27 besprochen - das Spiel gegen Bristol City.
In diesen Schritten ging es dann auch weiter. Bielsas taktisches Wissen begrenzt sich jedoch nicht auf die Championship: "Als ich damals Coach von Athletic Bilbao war, haben wir im Copa-del-Rey-Finale gegen Barcelona gespielt. Sie haben 3:0 gewonnen. Ich war sehr traurig. Als das Spiel vorbei war, habe ich Guardiola (damals noch Trainer von Barcelona, Anm.) als Gratulation meine Analyse geschickt. Er schrieb mir: 'Du weißt über Barcelona ja mehr als ich.' Aber es war eh egal, weil wir trotzdem drei Tore bekommen haben."
Das taktische Geschick spiegelte sich zwar vielleicht nicht gegen Barcelona wider, in der Championship jedoch schon. Denn da liegt Leeds United nach 27 Spieltagen mit vier Punkten Vorsprung auf Platz eins und ist auf dem besten Weg, im nächsten Jahr in der Premier League zu spielen.
Eine Pressekonferenz, die kurios beginnt, muss dann natürlich auch kurios enden. So sagte Bielsa zum Schluss: "Ich wiederhole: Wieso mache ich das alles? Weil ich denke, dass ich dumm bin. Das ist alles, danke für Ihre Geduld."