Satte 14 Millionen Euro könnte er Bayern München wert sein. So hoch ist dem englischen "Telegraph" zufolge nämlich die Ausstiegsklausel im noch bis 2026 laufenden Vertrag von Roberto De Zerbi, seines Zeichens Coach von Premier-League-Klub Brighton & Hove Albion.
Der 44-Jährige gilt als heißer Kandidat für die Tuchel-Nachfolge. Kontakt zwischen beiden Parteien soll es bereits gegeben haben>>>
Robert De Zerbi geriet durch die jüngsten Gerüchte immer mehr in den Lichtkegel der Öffentlichkeit, nachdem er zuvor noch ein wenig unter dem Radar schwirrte. Doch der Italiener ist der neue Shooting-Star am Trainer-Himmel.
Auch beim FC Barcelona soll De Zerbi als potenzieller Nachfolger des scheidenden Xavi weit oben auf der Wunschliste stehen. Zudem wurden zuletzt auch Gerüchte um den FC Liverpool und Manchester United laut.
Doch warum wollen so viele Top-Klubs den Mann aus Brescia? Was macht ihn so besonders und welchen Einfluss kann De Zerbi auf die zukünftige Entwicklung im Fußball haben? LAOLA1 stellt euch den Italiener näher vor.
Später Höhenflug mit Cluj
Als Spieler hatte De Zerbi eine passable Karriere, ein Star wie sein großes Vorbild Pep Guardiola war er aber nie. Lediglich zu drei Serie-A-Einsätzen reichte es, diese datieren aus dem Jahr 2007 für die SSC Napoli. Am 26. September 2007 stand der ehemalige Stürmer sogar einmal in der Startelf der Neapolitaner und mit ihm ein gewisser György Garics.
Die meiste Zeit seiner Karriere kickte er aber in der Serie B, im Herbst seiner Laufbahn wechselte er zum rumänischen Verein Cluj, wo er die erfolgreichste Phase seiner aktiven Laufbahn verbrachte. Mit dem Klub wurde er zweimal Meister, einmal Pokalsieger und schaffe es bis in die Gruppenphase der Champions League. Dort traf er sogar auf den ihn nun umgarnenden FC Bayern, gegen den er sogar einen Assist lieferte.
Rund 14 Jahre später könnte es zum Wiedersehen kommen, als Trainer hat es De Zerbi dem deutschen Rekordmeister - allen voran Max Eberl und Christoph Freund - angetan.
Dies verwundert nicht, denn all jene, die bereits mit De Zerbi zu tun hatten, geraten ins Schwärmen, wenn sein Name fällt. Vokabeln wie "außergewöhnlich" und "herausragend" fallen dabei nicht selten - und dies zurecht, wie im Zuge dieses Textes erkennbar werden wird.
"Einer der einflussreichsten Trainer der letzten 20 Jahre"
Selbst De Zerbis Idol Pep Guardiola sagt über ihn, er sei "einer der einflussreichsten Trainer der letzten 20 Jahre. Es gibt keine Mannschaft, die so spielt. Es ist einzigartig". Zwar ist beim Spanier schnell einmal alles "super, super, super", doch bei De Zerbi war dies kein taktischer Understatement-Kniff, um seinem Team einen Vorteil zu verschaffen, sondern seine ehrliche Meinung.
Das Übermaß an positivem Feedback bezieht sich allerdings nicht nur auf De Zerbis Trainerfähigkeiten, sondern auch auf seine Persönlichkeit: Bei seinen Spielern genießt er höchste Beliebtheit. Der 44-Jährige gilt als Menschenfänger. Der Grund: De Zerbi macht sich die Mühe, seine Spieler ganzheitlich zu betrachten, sie also auch über den Fußball hinaus kennenzulernen und geht damit einen Weg, der ähnlich dem des scheidenden Christian Streich in Freiburg ist.
"Ich glaube an Beziehungen, die mehr als nur taktischer Natur sind."
Ein Beispiel: Wie er "The Athletic" verriet, lädt er regelmäßig zwei bis drei seiner Spieler abwechselnd zu sich nach Hause ein, um sie auch abseits des Platzes besser kennenzulernen. Zuletzt tat er dies mit Barca-Leihgabe Ansu Fati und Pervis Estupinan. Dabei werden seine Schützlinge auch bekocht. "Wir hatten Pasta", wie De Zerbi wissen ließ und diese dürfte gemundet haben, wie Schnappschüsse auf Instagram beweisen.
Hat er seine Schützlinge erst richtig kennengelernt, "dann sind die Spieler wie meine Kinder", beschreibt es De Zerbi selbst. "Es sind junge Kerle. Im Fußball sind wir es gewohnt, jeden Tag etwas zu fordern, aber manchmal ist es wichtig zu verstehen, wenn sie von etwas mehr oder etwas anderes brauchen, und ich glaube an Beziehungen, die mehr als nur taktischer Natur sind", bringt er es auf den Punkt.
Das bestätigt auch Brighton-Akteur Adam Lallana. Der Zerbi sei ein Mensch, "der fast eine Vater-Sohn-Beziehung zu den Spielern aufbaut."
Diese ermöglicht es ihm auch, die Mannschaft an sich zu binden. Von Spielern hört man regelmäßig, dass sie für den Italiener geradezu durchs Feuer gehen würden. Auch Lallana war erstaunt, wie schnell es De Zerbi geschafft hat, "so viele Jungs dazu zu bringen, auf diese bestimmte Weise zu spielen. Ich denke, das ist es, was ihn so unglaublich macht".
Apropos "bestimmte Weise" - auch sportlich ist der 44-Jährige bis dato über jeden Zweifel erhaben, machte er mit seiner Spielidee doch die Underdogs Sassuolo und Brighton zu Europacup-Kandidaten oder gar Teilnehmern.
Alles begann in Darfo Boario
De Zerbi arbeitete sich in seiner Heimat über Serie-D-Klub Darfo Boario, Foggia (Serie C) und Palermo nach oben zu Benevento in die Serie A, das er im Herbst 2017 nach zehn Runden als punkteloser Letzter übernahm. In seinen 29 Spielen holte das eigentlich kaum Serie-A-taugliche Team respektable 21 Punkte, was aber zu wenig war, um dem Abstieg zu entrinnen.
Im Anschluss formte er Außenseiter US Sassuolo zu einem Team, das unter ihm in die Europacup-Ränge vorstieß, bei Brighton vollbrachte der Nachfolger von Graham Potter ähnliches. Dazwischen betreute er höchst erfolgreich Shakhtar Donezk, wo sein Vertrag nach Beginn des Angriffskriegs einvernehmlich aufgelöst wurde.
In Sachen Akribie steht De Zerbi seinem Vorbild Guardiola um nichts nach. "Wegen ihm wurde ich Trainer, weil ich sein Barcelona liebte. Ich möchte niemanden kopieren, aber ich habe Ideen von ihm übernommen, als ich anfing", schwärmte er einst bei "Sky". Daraus entwickelte De Zerbi in den Folgejahren seine ganz eigene Philosophie.
Spielkontrolle um (fast) jeden Preis
Als geradezu revolutionär wird die Herangehensweise des Brighton-Trainers beschrieben. Wie diese funktioniert? De Zerbis oberste Prämisse ist die Spielkontrolle, er will mit seinem Team immer Herr der Lage sein. Er setzt extrem auf Geduld im Ballbesitz, seine Teams bewegen sich in den Ballbesitzzahlen stets in den Top 3 der jeweiligen Liga.
Er lässt seine Mannschaft tief von hinten herausspielen, der Torwart wird aktiv eingebunden, um eine Überzahl zu schaffen. In der Offensive lässt er gerne eine Art Powerplay vor dem gegnerischen Strafraum aufziehen. Dadurch lade er "die Gegner regelrecht zum Pressing ein, damit sich dahinter Räume öffnen", erklärte Stuttgart-Coach Sebastian Hoeneß, der vor seinem VfB-Engagement bei De Zerbi hospitierte.
"Es gibt eine Methode hinter dem Wahnsinn."
"Es sieht für die Fans wahrscheinlich beängstigend aus, wenn wir um den Strafraum herumpassen", muss sogar Brighton-Kapitän Lewis Dunk im Gespräch mit dem "Telegraph" grinsen. "Es klingt verrückt, das wissen wir, aber wir wissen auch genau, was wir mit jedem Pass erreichen wollen. Wir machen das nicht, um gut auszusehen, sondern um ein Tor zu erzielen", schildert er. Man wolle dadurch die beiden zentralen Offensivspieler in Eins-gegen-Eins-Situationen bringen. "Es gibt eine Methode hinter dem Wahnsinn", meint er lachend.
De Zerbi zeigte Klopp "eines der besten Fußballspiele"
Eines der bisherigen Highlights in der Karriere des Taktik-Genies war ein Spiel, das in der öffentlichen Wahrnehmung ein wenig unterging. Schließlich hat der Italiener schon mehrere Siege gegen Top-Teams wie Chelsea oder Juventus Turin zu Buche stehen.
Als eine Art "Krönung" des "De-Zerbi-Balls" wird von vielen Experten und Trainer-Kollegen das 6:0 Brightons gegen Wolverhampton im April 2023 angesehen. Dafür adelte ihn sogar Jürgen Klopp. "Brighton hat an diesem Wochenende eines der besten Fußballspiele gespielt, das ich je in meinem Leben gesehen habe", so der Deutsche.
Bei aller Euphorie um das Trainer-Ausnahmetalent: Diese Spielidee hat, wie die meisten, aber freilich auch Nachteile. De Zerbis Teams rücken für ihr Powerplay sehr weit auf. Gelingt das Durchbrechen des gegnerischen Pressings nicht, findet der Gegner viele Räume vor, weshalb verhältnismäßig viele Chancen zugelassen werden. Aber auch dieser Wert besserte sich über die letzten beiden Jahre, weil es De Zerbi gelang, seine Spielidee weiter zu perfektionieren.
Das unterstreicht auch sein Schützling Pascal Groß. De Zerbi sei es dadurch gelungen, "uns nochmal auf ein anderes Level" zu heben.
Es lässt sich festhalten: Der Fußball, wie ihn De Zerbi spielen lässt, könnte eine neue Ära einleiten, wie es einst Trainer-Haudegen wie Arrigo Sacchi und Pep Guardiola vermochten. Denn schon jetzt nehmen sich viele ein Beispiel daran, wie etwa Sebastian Hoeneß mit dem VfB Stuttgart oder Fabian Hürzeler mit dem FC St. Pauli. Setzt sich dieser Trend fort, und danach sieht es aktuell aus, könnte De Zerbi für die kommende Trainer-Generation als Role-Model fungieren. Sportlich, wie auch charakterlich.
Wohin zieht es den Trainer-Shootingstar?
Und wie geht es nun für De Zerbi weiter? Sein Vertrag bei Brighton läuft noch bis 2026, die Interessenten stehen aber schon seit Monaten Schlange. Ob Bayern, Barca oder Liverpool - sie alle brauchen zur kommenden Saison einen neuen Mann an der Seitenlinie. Ein zumindest dezentes Trainerbeben ist wohl zu erwarten, denn auch anderenorts, wie bei De Zerbis Jugendklub AC Milan ("Werde dem Klub mein ganzes Leben lang dankbar sein") und Chelsea, wackeln Trainerstühle.
De Zerbi sieht die Sache nüchtern: "Wenn ich höre, dass große Klubs an mir interessiert sind, dann ehrt mich das. Ich bin stolz, fokussiere mich aber auf die Arbeit, die täglich ansteht." Auch bleibt er demütig. Er wolle stets nur das tun, wozu er in der Lage ist und das sei "der Mannschaft meinen Stempel aufzudrücken". Bei Sassuolo und vor allem bei Brighton gelang ihm das eindrucksvoll, De Zerbi wird dafür mit Lorbeeren überhäuft, "aber das Lob gebührt den Spielern", so der bescheidene Coach.
Der Weg De Zerbis, er ist vorgezeichnet. Wohin dieser Weg noch führt, werden die nächsten Monate und Jahre zeigen. Oder wie es Kevin-Prince Boateng, einst unter De Zerbi bei Sassuolo aktiv, formuliert: "Ist er besser als Guardiola? Ja, das ist er. Ich denke, er wird der beste Coach der nächsten 20 bis 30 Jahre."