Es ist nicht einmal ein ganzes Jahr her, dass der FC Chelsea den Lachnummern im Fußball angehörte.
Gary Neville taufte am 25. Februar die Spieler nach dem verlorenen EFL Cup-Finale gegen Liverpool als "blue billion-pound bottlejobs", im übertragenen Sinne bedeutend "blaue Milliarden-Versager".
Seit ein Konsortium um den US-Geschäftsmann Todd Boehly den Klub Ende Mai 2022 übernahm, wurden über 1,3 Milliarden Euro für neue Spieler ausgegeben. Wahnwitzige Transfers, wie die von Weltmeister Enzo Fernandez (121 Mio.) oder Moises Caicedo (116 Mio.) wurden getätigt.
Todd Boehly und Chelseas wahnwitzige Milliarden-Offensive >>>
Junge Spieler werden mit Langzeitverträgen mit Laufzeiten von bis zu zehn Jahren ausgestattet, was einen finanziellen Kniff zum Hintergrund hat. Ablösesummen werden über die gesamte Vertragslaufzeit des Spielers in der Bilanz abgeschrieben.
Somit belasten hohe Transferausgaben den Verein bei einer möglichst langen Vertragslaufzeit entsprechend weniger. Prominentestes Beispiel ist Cole Palmer, der einen Kontrakt bis 2033 besitzt.
Die milliardenschwere Mannschaft floppte, man versank im Niemandsland. Aber innerhalb weniger Monate formte Trainer Enzo Maresca eine Chaos-Truppe zu einer Einheit.
Chelsea kann wieder konkurrieren
(Text wird unterhalb des Videos fortgesetzt)
Zwar gab es zuletzt gegen Everton mit einer Nullnummer einen kleinen Dämpfer, trotzdem können die "Blues" zuversichtlich in den Boxing Day gehen. Am Donnerstag trifft man auf den FC Fulham.
In der Premier League ist Chelsea Zweiter. Vier Punkte fehlen auf Leader Liverpool, der aber ein Spiel weniger absolvierte. Blickt man auf die Tabelle und die Leistungen, dann sind die Londoner für den Titelkampf gewappnet. Jedoch hält sich ein Mann vehement zurück: Enzo Maresca.
"Egal, wie viele Spiele wir gewinnen, glaube ich nicht, dass wir bereit sind, um den Titel mitzuspielen", sagte der bescheidene Italiener nach dem 2:1-Erfolg über den FC Brentford.
Unabhängig davon, ob es heuer mit dem Titel klappt oder nicht - Der FC Chelsea ist wieder konkurrenzfähig, wovon in den letzten gut zwei Jahren nichts zu sehen war.
Seine jüngsten Vorgänger scheiterten, wobei es unter Mauricio Pochettino im Endspurt noch einigermaßen gut lief (fünf Siege zum Abschluss und ein Quali-Platz für die UEFA Conference League). Trotzdem musste der Argentinier gehen, Maresca übernahm.
Der Lehrbub von Pep Guardiola
Doch wer ist eigentlich dieser Enzo Maresca?
Blickt man auf die Trainerhistorie der "Blues" zurück, dann ist sein Name vergleichsweise unscheinbar. Der Mann aus der italienischen Gemeinde Pontecagnano Faiano war einst selber langjähriger Profi-Fußballer, im zentralen Mittelfeld war er zuhause.
In der Jugend von AC Milan und Cagliari groß geworden, kickte er später für Spitzenklubs wie Juventus, AC Fiorentina, den FC Sevilla oder Olympiakos Piräus. Mit Sevilla gewann er zweimal den UEFA Cup.
2017 beendete Maresca seine Karriere, fortan widmete er sich dem Trainergeschäft. Bekanntheit erlangte er spätestens bei Manchester City, wo er unter Pep Guardiola 61 Spiele lang Co-Trainer war. Nach dem Triple-Gewinn 2022/23 heuerte der Italiener als Cheftrainer von Leicester City an. Mit den "Foxes" wurde er prompt Meister in der englischen Championship und führte den Klub so zurück in die Premier League.
Schließlich hieß Marcescas nächste Station Chelsea. Wer beim Londoner Großklub Trainer ist, muss mit einem immensen Druck umgehen. Dass die Fluktuation bei den "Blues" eine hohe ist, dürfte kein Geheimnis sein.
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Fußball ist wie Schach
Auch für den Italiener war der Start holprig. Der Kader ist prall gefüllt, 30 Spieler werden auf der offiziellen Webseite des FC Chelsea gelistet. Dazu sind weitere 15 Akteure verliehen. Eines der prominentesten "Leih-Opfer" ist Raheem Sterling.
Generell hat es Zeit gebraucht, um die ideale Startelf zu finden. Die Formation wurde frühzeitig festgelegt. Maresca bevorzugt das 4-2-3-1.
"Für einen Trainer ist es wichtig, die Mentalität eines Schachspielers zu haben: einen Plan entwickeln, Gegenzüge studieren, die Anordnung der Figuren wählen."
Sein Spiel ist auf anpassungsfähige Formationen und Pressingstrategien basiert, welche den Spielern einen reibungslosen Übergang zwischen Angriffs- und Verteidigungsphasen ermöglicht.
Der Italiener pflegt eine interessante Spielphilosophie, er vergleicht seine taktische Herangehensweise mit Schach.
"Das Wichtigste sind Positionsspiel und Strategie. Für einen Trainer ist es wichtig, die Mentalität eines Schachspielers zu haben: einen Plan entwickeln, Gegenzüge studieren, die Anordnung der Figuren wählen", lautet sein Ansatz, welcher durch die Zusammenarbeit mit Pep Guardiola stark geprägt ist.
Flops werden zu Gewinner
Unter Maresca versucht Chelsea, das Spieltempo zu kontrollieren, Räume zu kreieren und diese effektiv zu nutzen. Dazu hat man mit etlichen schnellen Flügelspielern, sei es ein Pedro Neto, Noni Madueke, Joao Felix oder Jadon Sancho, sehr gutes Personal. Vor allem hat Sancho in England endlich Fuß gefasst, nachdem es bei Manchester United nie funktionierte.
Generell hat Maresca den Luxus, bei Ausfällen auf qualitativ gute Spieler zurückzugreifen: Bei einer Dreifachbelastung sicherlich ein Vorteil.
Zudem schaffte es der 44-jährige Trainer Kaliber wie Fernandez und Caicedo aufzubauen. Fernandez hat die Freiheiten, vorne die Räume zu finden, um so Chancen zu kreieren und auch den Abschluss zu suchen. Hingegen putzt Mittelfeld-Partner Caicedo als dynamischer Sechser und rechter Außenverteidiger hinten alles aus.
Im offensiven Mittelfeld ist Cole Palmer der Lenker und Denker. Darüber hinaus brilliert der wortkarge Engländer mit einer Coolness, Dribbelstärke, Übersicht und Abschlussstärke, ganz zu schweigen seiner 100-prozentigen Elfmeterquote. Vorne hat der als Chancentod belächelte Nicolas Jackson auch in die Spur gefunden. Offensiv läuft es wie geschmiert.
Defensiv stabil(er)
Problemzone ist weiterhin die Defensive.
Links hinten ist Marc Cucurella mittlerweile eine Bank, der EM-Titel dürfte ihm viel Auftrieb gegeben haben. Auf rechts ist aktuell Malo Gusto erste Wahl, weil der etatmäßige Kapitän Reece James verletzungsanfällig ist. Die Leistungen der Innenverteidigung und des Torhüters schwanken zwischen Genie und Wahnsinn.
Vor allem leisten sich die "Blues" im Aufbauspiel unzählige vermeidbare Schnitzer, da gibt es noch einiges an Verbesserungsbedarf. Jedoch muss man auch zugute halten, dass die Mannschaft eine recht junge ist. Das Durchschnittsalter liegt bei 24,1 Jahren.
Bei Krisen nicht überreagieren
Bekommt Chelsea das Problem in der Defensive gefixt, dann sind die Londoner wieder ein ernstzunehmendes Team in Europa. Klar ist aber, dass es auch unter Maresca Schwächephasen geben wird.
Diese gilt es gut zu überstehen, hier wird es vor allem auf Klub-Boss Todd Boehly ankommen, dem Team das Vertrauen auszusprechen. Wenn der US-Amerikaner nicht aus Panik die Reißleine zieht und Maresca und Co. die nötige Zeit gibt, dann steht den "Blues" eine glorreiche Zukunft bevor.