"Dinge ändern sich, die Welt entwickelt sich weiter, auch wir haben ein neues Kapitel gestartet", sagt Oleg Petrov.
Es ist nicht so, als ob man AS Monaco als Verein groß vorstellen müsste.
Der Europa-League-Gegner des SK Sturm (Donnerstag, 18:45 Uhr im LIVE-Ticker) ist achtfacher französischer Meister (zuletzt 2017) und zweifacher Europacup-Finalist - Champions League 2004 und im Pokal der Pokalsieger 1992.
Kylian Mbappe abwärts, den man 2018 um 145 Millionen Euro zu Paris St. Germain verkaufte, trugen Weltstars das Trikot der Association Sportive de Monaco Football Club.
Aktuell ist man im Fürstentum gerade intensiv damit beschäftigt, den Verein zukunftsfit zu gestalten. Eine Evolution nach zehn Jahren Amtszeit von Präsident Dmitri Rybolovlev quasi.
Und dies durchaus auch beeinflusst von den Gedanken des Red-Bull-Fußballs, wie Vize-Präsident Petrov und Sportdirektor Paul Mitchell im Gespräch mit LAOLA1 verdeutlichen.
VIDEO - das erste Jahr von Niko Kovac in Monaco:
(Text wird unter dem Video fortgesetzt)
"The Next Level"
Mitchell arbeitete von 2017 bis zu seinem Wechsel nach Monaco 2020 für Red Bull - erst in Leipzig, dann als Technischer Direktor von Red Bull Global Soccer. Davor diente er Tottenham und Southampton als Chefscout.
Der Engländer verfügt spätestens durch seine Jahre im Dosen-Imperium über jede Menge Anknüpfungspunkte zum österreichischen Fußball, über die er exklusiv bei LAOLA1 am Donnerstag genauer berichten wird.
Petrov lotste den 40-Jährigen nach Monaco, um ein neues Kapitel im Verein sportlich zu verantworten und spannend klingende Überschriften wie "The Next Level" mit Leben zu erfüllen.
Wie in einer Millionen-Stadt
Was Mitchell zum idealen Mann dafür macht? Petrov erläutert diesbezüglich erst die Ausgangsposition der Monegassen:
"In unserem Fall hat Monaco einige Ähnlichkeiten speziell mit Red Bull, aber natürlich auch einigen anderen Klubs. Wir sind nicht in einer Millionen-Stadt, wir sind nicht in London, Paris oder - wenn man an Österreich denkt - in Wien beheimatet. Wir wollen jedoch performen, als wären wir aus einer Millionen-Metropole. Aber das ist eine wirklich komplizierte Aufgabe."
"Deshalb ist Innovation so wichtig", fährt der Russe fort und blickt auf die Rahmenbedingungen an einem Standort, der Vorteile (Steuern) wie Nachteile (überschaubares Interesse im Hotspot der Schönen und Reichen, der knapp 40.000 Einwohnern ein Zuhause bietet) vereint.
"Wir haben nicht bei jedem Spiel Zehntausende Fans, also müssen wir in allem, was wir tun, extrem effizient sein. Wir versuchen modern zu sein, setzen auf Wissenschaft und Daten. Auch wenn wir auf dem höchsten europäischen Level performen wollen, fördern wir junge Talente. Das ist die DNA des Klubs."
"Wir können behaupten, dass wir aus einem kleinen Land kommen. Wir haben nicht bei jedem Spiel Zehntausende Fans, also müssen wir in allem, was wir tun, extrem effizient sein. Wir versuchen modern zu sein, setzen auf Wissenschaft und Daten. Auch wenn wir auf dem höchsten europäischen Level performen wollen, fördern wir junge Talente. Das ist die DNA des Klubs - und auch das wirtschaftliche Modell, denn uns fehlen signifikante Stadion-Einnahmen. Um erfolgreich zu sein, müssen wir also in diesen Gebieten erfolgreich sein."
Und genau hier käme Mitchell ins Spiel: "Deshalb brauchen wir Leute, die damit Erfahrung haben, die solche Prozesse schon in ihrer Vergangenheit durchlebt und nicht nur in Büchern davon gelesen haben. Deshalb war es so wichtig für uns, Paul zu holen, um dieses Projekt zu starten."
Aufstieg, Erfolg, Einnahmen, Absturz
Vor genau einem Jahrzehnt, im Dezember 2011, kaufte Rybolovlev den traditionsreichen Klub, als er auf Rang 19 in der Ligue 2 auf dem Boden lag.
Es ging flott nach oben. Neben dem Meistertitel 2017 qualifizierte sich AS Monaco in den letzten acht Jahren sechs Mal für den Europacup, 2017 stieß man in der Champions League gar bis ins Halbfinale vor.
Ein Erfolg, der sich nicht konservieren ließ. 2017/18 erzielte man laut "transfermarkt" 199,5 Millionen Euro mit Ablösesummen, 2018/19 - unter anderem dank des Mbappe-Deals - insgesamt sogar unglaubliche 332,25 Millionen Euro.
Nun ist es nicht so, als ob es dem Verein fremd wäre, selbst ansehnliche Summen in Transfers zu investieren. Aber dieser Substanzverlust war letztlich nicht zu verkraften. 2018/19 stürzte man bis auf Platz 17 der Ligue 1 ab.
Neues Trainingszentrum, neue Akademie
Gut möglich, dass in dieser Phase der Gedanke reifte, die nächsten Schritte zu gehen und zu versuchen, das Projekt nachhaltiger aufzustellen, die Chance auf Konstanz zu erhöhen.
Petrov wurde im Februar 2019 als Vizepräsident und CEO installiert und leitet seither das Tagesgeschäft. Zudem wurde nicht nur in Beine, sondern auch in Steine investiert.
Im Juni 2021 wurde ein neues Performance Center eingeweiht - Kostenpunkt 55 Millionen Euro (einige Eindrücke). Im September 2020 erfolgte bereits das neue "Living Center" der Akademie "La Diagonale", in dem es sich als Fußball-Talent offenkundig gut leben lässt (einige Eindrücke).
Im Sommer 2020 heuerte Mitchell an und fand einen Kader mit sage und schreibe 77 unter Vertrag stehenden Spielern vor. Eine Zahl, die er bis heute auf 37 reduziert hat (elf davon gehören Akademie-Teams an).
Nicht nur Red Bull, auch Tottenham und Southampton
"Unser Shareholder und Oleg haben mich beauftragt, eine Langzeit-Strategie ähnlich zu jener, wie es Red Bull gemacht hat, aufzusetzen. Daran arbeiten wir seither jeden Tag, um mit dieser Strategie Wurzeln zu schlagen und den zukünftigen Erfolg heranzuzüchten", erläutert Mitchell.
Gleichzeitig wäre es ein Fehler, den Briten auf seine RB-Zeit zu reduzieren: "Ich weiß, dass über meine Zeit bei Red Bull viel geschrieben wurde. Es war auch kein Zufall, dass ich für Red Bull gearbeitet habe, weil meine Philosophie schon immer sehr ähnlich war."
Um dies zu unterstreichen, erzählt er von seiner Zeit bei Southampton (Jänner 2012 bis November 2014) und Tottenham (November 2014 bis März 2017):
"Die damaligen Besitzer wollten mehr aufs europäische Festland schauen. Der einzige Weg, dass ein Verein wie Southampton mithalten konnte, war Dinge damals vor rund zehn Jahren anders zu machen als andere. Dazu gehörte, auch in Märkte zu gehen, um Spieler zu rekrutieren, die als nicht so modisch betrachtet wurden. In Großbritannien war es damals immer noch geläufiger, vor der eigenen Haustüre zu scouten, weil es sicherer schien. Southampton hat mich ermutigt, ein europäisches Netzwerk aufzubauen und auch in Märkten wie Österreich nach Spielern zu suchen. Wir haben mit statistischer Analyse und subjektiver Intelligenz nach unterschätzten Spielern gesucht."
Die falsch investierten Bale-Millionen
Für den Transfer von Salzburg-Kicker Sadio Mane zu Southampton 2014 möchte er sich nicht wirklich feiern lassen. Das Talent des heutigen Liverpool-Stars zu erkennen, war wohl auch nicht die allergrößte Scouting-Kunst.
Als Chefscout bei Tottenham sei seine Aufgabe gewesen, unterschätztes Talent zu finden, das aber auf Champions-League-Level performen könnte. Seine ersten beiden Transfers waren Dele Alli (von den Milton Keynes Dons) und ein gewisser Kevin Wimmer vom 1. FC Köln (dazu mehr am Donnerstag).
"Tottenham hatte zu dieser Zeit gerade die Ablöse für Gareth Bale falsch investiert und viele, viele Millionen für Spieler ausgegeben, die nicht funktioniert haben. Also wollten sie dieses neue Modell, das auch ihre eigene tolle Jugendabteilung beinhaltete. Dort befanden sich glücklicherweise Spieler wie Harry Kane."
Was Mitchell sagen möchte: Als der Anruf von Red Bull gekommen ist, hatte er bereits reichlich Erfahrung mit deren Idee: "Red Bull investiert auf dem Markt in Talent und kreiert eine Kultur und eine Umgebung, die dieses junge Talent wachsen und konstant erfolgreich sein lässt."
Die nächste Generation
Und jetzt also Monaco. Auch an der Cote d'Azur soll an der Seite einiger Routiniers wie Wissam Ben Yedder, Kevin Volland oder des verletzten Welt- und Europameisters Cesc Fabregas die nächste Generation an Monaco-Youngsters herangezogen werden.
Der 2020 verpflichtete defensive Mittelfeldspieler Aurélien Tchouaméni (Jahrgang 2000) hat inzwischen bereits sein Debüt für Frankreichs A-Team gefeiert - als insgesamt 69. Monaco-Spieler in der Historie von "Les Bleus", nur Olympique Marseille stellte mit deren 81 mehr Teamspieler.
Der 20-jährige Benoit Badiashile hat trotz seiner jungen Jahre bereits die Marke von 100 Pflichtspielen für Monaco geknackt.
Die jüngste Startelf Monacos in einem Liga-Spiel dieser Saison hatte ein Durchschnittsalter von 23,5 Jahren.
Auftritt Niko Kovac
Mitchells zweite Aufgabe in Monaco war es, den richtigen Coach zu finden, der die Truppe in den frühen 20er-Jahren begleitet. Die erste war es, den damals im Amt befindlichen Trainer zu bewerten. Das Assessment der Verantwortlichen fiel nicht zu Gunsten des Spaniers Robert Moreno (heute beim FC Granada) aus. Für die enorme Aufgabe des angedachten Strukturwandels sei er ein wenig zu unerfahren gewesen.
"Wir wollten Umfeld und Kultur komplett ändern. Das bedeutet eine harte Umgebung für einen Coach in seinem ersten echten Job als Head Coach", erläutert Mitchell, der schließlich bei einem großen Namen und aus seiner Salzburger Zeit auch in Österreich bestens bekannten Trainer fündig wurde: Niko Kovac.
"In Niko haben wir einen Coach gesehen, der Wert auf Disziplin legt, und der es gewohnt war, unter komplexen Umständen zu arbeiten. Erfahrung ist nichts Schlechtes. Es ist gut, die Erfahrung zu haben, internationale Spieler trainiert zu haben, wenn du in die Kabine gehst. Wir hatten das Gefühl, dass Niko für unseren Rebuild perfekt passt."
Komplexe Umstände lernt man wohl speziell beim FC Bayern definitiv kennen. Saison eins des Wandels schloss Monaco auf Rang drei ab, befand sich dabei jedoch lange im Titelrennen. In der aktuellen Spielzeit läuft es in der Meisterschaft bislang nicht wirklich zufriedenstellend, derzeit reiht man sich auf Rang sieben ein. Umso wichtiger natürlich, dass das Team in der anspruchsvollen Europa-League-Gruppe mit PSV Eindhoven, Real Sociedad und Sturm Graz reüssieren konnte.
Ein fordernder, aber delegierender Multi-Milliardär
Mittelfristig sind die Ansprüche natürlich andere. Dies versteht sich bei einem ehrgeizigen Besitzer wie Rybolovlev tendenziell von selbst. Wie denn der 55-Jährige eigentlich so sei, als Boss?
Petrov, ein langjähriger Wegbegleiter des Vereinsoberhaupts, meint: "Er ist sehr mit dem Klub verbunden, schaut sich jedes Spiel an. Er interessiert sich für Details, ohne Mikromanagement zu betreiben. Er delegiert und erlaubt uns, eigenständig unseren Job zu machen. Es ist angenehm für ihn zu arbeiten, auch wenn er sehr fordernd ist, denn natürlich verlangt er Performance."
Ein Job, in welchem Rybolovlevs Leitplanken umgesetzt werden sollen. "Er ist ein guter Visionär. Ich denke, er hat eine langfristige Vision, was die Fußball-Landschaft betrifft."
Der Lebenslauf des russischen Multi-Milliardärs ist nicht gänzlich frei von Konflikten und Ungereimtheiten, als Chef in Sachen Fußball scheint Rybolovlev aber jedenfalls sehr unterstützend zu wirken.
Keine Einbahnstraße
"Ich habe in meiner Karriere viele verschiedene Shareholder aus aller Welt kennengelernt, mit verschiedenen Erwartungen und Ambitionen. Dmitri ist bei diesem Projekt, in unserer Philosophie und der Langzeitplanung sehr hilfreich für Oleg und mich. Er ist ein sehr intelligenter Mann und seit zehn Jahren im Fußball. Das heißt, wir teilen Erfahrungen, es ist keine Einbahnstraße", beschreibt Mitchell die Zusammenarbeit.
Natürlich sei der Chef fordernd und ehrgeizig. Aber genau das sei auch notwendig bei einem Klub wie AS Monaco. Mit dem neuen Modell und Konzept müsse man auch Ambitionen haben:
"Er ist einer der Besten, für die ich bislang gearbeitet habe. Nach zehn Jahren im Verein weiß er, dass wir diese nächste Phase in einem aufgrund von Covid sehr volatilen Markt Schritt für Schritt angehen müssen. Er weiß, dass ein bisschen Geduld notwendig ist. Das lernst du nur mit Erfahrung."
Mit einem Fingerschnips lässt sich gerade der Hauptkonkurrent nicht besiegen.
Auf der Fußball-Landkarte Europas herausstechen
Nun herrscht in Monaco bestimmt keine Armut, aber die dank der Anstrengungen Katars scheinbar kaum limitierten finanziellen Ressourcen von Paris Saint-Germain stellen für die Mitbewerber logischerweise eine Herausforderung dar. Ist ein Spieler wie Lionel Messi am Markt, kann man ihn sich auch leisten.
Titel lassen sich daher bei Monaco kaum versprechen. Wie evaluiert man dann den Erfolg des neu aufgesetzten Projekts?
Das Ziel sei laut Petrov, immer auf hohem Level im europäischen Fußball vertreten zu sein: "Ein Erfolg ist es, regelmäßig in der Champions League zu spielen, was über die französische Liga eine Herausforderung darstellen kann. Aber wir wollen zurück auf dieses Level und dann auch dort bleiben. Wir wollen diese Unbeständigkeit vermeiden. Natürlich wollen wir auch PSG immer wieder herausfordern und wieder französischer Meister werden. Aber generell wollen wir modern und innovativ sein, und als Klub in vielen Bereichen - egal ob am Feld der Medizin, bei Spielerverpflichtungen oder mit wissenschaftlichen Zugängen - auf der europäischen Fußball-Landkarte herausstechen."
Oder wie es der Russe auf den Punkt bringt: "Wir wollen in allem, was wir tun, hervorragend sein."
PSG für Monaco wie die Bayern für Leipzig
"In unserem Kontext ist eben PSG wie Bayern. Wir müssen mit Intelligenz, einem Langzeitplan und einer Strategie operieren. Wir wollen der Rivale Nummer eins sein."
Was unterm Strich dabei herauskommt, wird sich weisen. Mitchell nimmt die Herausforderung, die gerade PSG darstellt, jedoch an:
"Es ist ein bisschen wie die Challenge bei Red Bull, wo du mit Leipzig gegen Bayern München antrittst. In unserem Kontext ist eben PSG wie Bayern. Wir müssen mit Intelligenz, einem Langzeitplan und einer Strategie operieren. Wir wollen der Rivale Nummer eins sein. Wir wollen mit moderner Arbeitsweise die Lücke von Jahr zu Jahr verkleinern. Und wer weiß, vielleicht kommen wir in irgendeiner Saison nahe genug an sie heran, um sehen zu können, was dann passiert - es gibt immer Wandel, Teams werden älter, Dinge ändern sich."
Und in Monaco ändert sich gerade so einiges.