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Der Pionier und Provokateur von Olympique Lyon sagt "Adieu"

Mehr als drei Dekaden führte Jean-Michel Aulas den französischen Traditionsklub Olympique Lyon als Präsident an. LAOLA1 belichtet seine enormen Leistungen.

Der Pionier und Provokateur von Olympique Lyon sagt Foto: © getty

In der Serie "Das Tor zur Welt" nehmen wir internationale Fußball-Klubs und ihre Geschichten genau unter die Lupe. Wir beleuchten die Hintergründe, die in der schnellen, täglichen Berichterstattung gerne untergehen.

Von Nottingham Forest über den FC Vaduz und Dinamo Zagreb bis zum SSV Ulm haben wir schon einige Klubs portraitiert. Hier kannst du alle nachlesen >>>

Diesmal geht es um einen Verein, der durch das Zutun des über drei Dekaden dienenden Vereinspräsidenten in den 2000er-Jahren die französische Ligue 1 nach Belieben dominierte - Olympique Lyon und seinen ikonischen Klubboss Jean-Michel Aulas.


"Der König ist tot, es lebe der König" – bei Olympique Lyon wurde am Montag, dem 8. Mai, eine neue Ära eingeläutet.

Präsident Jean-Michel Aulas trat nach fast 36 Jahren Amtszeit ab und legte sein glanzvolles Vermächtnis nun ganz in die Hände der US-Investmentfirma Eagle Football Holding, die seit Mitte Dezember des vergangenen Jahres neuer Inhaber des hochdekorierten Vereins aus der Region Auvergne-Rhone-Alpes ist.

Der 74-Jährige zieht sich fortan in den Hintergrund zurück, bleibt dem Ligue-1-Klub jedoch als Ehrenpräsident erhalten. Schließlich wollen die neuen Besitzer um den US-amerikanischen Geschäftsmann John Textor weiterhin von der "Expertise und Unterstützung Aulas' profitieren", wie es im offiziellen Statement über den Rückzug des Lyon-Erfolgsmachers hieß.

"Jean-Michel Aulas wird als moderner und zukunftsorientierter Vordenker in die Geschichte eingehen, wenn es um die Führung europäischer Fußballvereine geht", ist sich Journalist und Lyon-Kenner Liam Wraith vom französischen Fußballportal "Get French Football News" gegenüber LAOLA1 sicher.  

"Innerhalb des französischen Fußballs wird man sich an ihn als jemanden erinnern, der ein Vorreiter des französischen Fußballs war und der die Entwicklung des Fußballs in den letzten Jahren maßgeblich mitbestimmt hat."

In Anbetracht des Einflusses, den Aulas auf OL hatte, und dem gewohnten Medienrummel um seine Person, sagt der Exzentriker aber nun ungewohnt leise "Servus".

 

Differenzen mit neuen Inhabern

Differenzen mit neuen Inhabern
Der US-Amerikaner John Textor ersetzt Jean-Michel Aulas interimsweise
Foto: © getty

Besagter John Textor wird nun auf unbestimmte Zeit als interimistischer Generaldirektor und Vorsitzender des Aufsichtsrats der "OL Groupe" die Zügel in die Hand nehmen, bis ein geeigneter Nachfolger gefunden wird.

Dabei hätte Aulas eigentlich noch bis ins Jahr 2025 als Präsident und Seite an Seite mit Textor die Geschicke leiten sollen. Grobe Meinungsverschiedenheiten auf sportpolitischer Ebene zwischen den gutbetuchten Selfmade-Millionären - sowohl Textor als auch Aulas häuften ihr Vermögen in der IT-Branche an - sollen den Prozess der Ablöse jedoch beschleunigt haben.

Wie stark der ikonische Ex-Klubboss zukünftig in operative Prozesse des französischen Traditionsvereins eingebunden wird, bleibt vorerst im Dunkeln.

Klar ist: In Lyon soll schon bald ein anderer Wind wehen – einer, der das Team um Klub-Kapitän Alexandre Lacazette beflügeln und sportlich in höhere Sphären zurücktragen soll, wie es einst Aulas nach seinem Amtsantritt im Jahr 1987 selbst erwirkte.

Aulas als Produzent von Lyons Erfolgsgeschichte

Aulas als Produzent von Lyons Erfolgsgeschichte
Ex-Lyon-Star Sonny Anderson im Laufduell mit Inter Mailands Ivan Cordoba
Foto: © getty

Zum Zeitpunkt der Übernahme durch Aulas befand sich Lyon bereits mehrere Saisonen in der Zweitklassigkeit. Der Klub-Dirigent zeigte gleich zu Beginn, dass er kein Blatt vor den Mund nehmen würde und spuckte große Töne: In drei Jahren soll sich der Klub für den Europacup qualifizieren – letzten Endes waren es vier.

Das polarisierende Kluboberhaupt löste seine anfänglich zweifelhaften Versprechen ein und formte durch Erfolg bringende Entscheidungen nicht nur einen Verein, der sich national in Frankreichs höchster Spielklasse etablierte, sondern auch ein Ensemble, das Trophäen erbeutete.

Mit der Bestellung von Trainer Raymond Domenech zur Saison 1988/89 setzte Aulas den ersten Grundstein für den Aufstieg in die Ligue 1. In weiterer Folge hielt man die Klasse, bis der akribische Vereinspräsident mit noch mehr Nachdruck nach den Sternen griff.

Dem Klub fehlte noch eine Gallionsfigur, ein international anerkanntes Aushängeschild. Mit dem Transfercoup von Sonny Anderson, rund zehn Jahre später im Sommer 1999, änderte sich das.

Der Brasilianer wurde für damals sagenhafte 19 Millionen Euro vom FC Barcelona losgeeist. Aulas verpflichtete mit viel Überzeugungsarbeit einen hochqualitativen Unterschiedsspieler, der zudem als Wegbereiter für nachkommende Stars fungierte.

Ein entscheidender Meilenstein, der den Klub auf die nächste Stufe hievte. Denn in den kommenden Saisonen griffen die Puzzleteile schließlich ineinander - es folgte die pure Dominanz in Frankreich.

Von 2002 bis 2008 feierte Lyon gleich sieben Meistertitel in der Ligue 1 in Folge. Zudem holte OL jeweils einmal den französischen Pokal sowie den Ligapokal und sechs Mal den französischen Superpokal.

Erfolge, die den Einfluss von Aulas, der in den wichtigsten fußballpolitischen Gremien, vom französischen Verband bis zur Liga über die mächtige European Association of Clubs (ECA) sowie dem Exekutivkomitee des französischen Verbands für den Frauenfußball, vertreten ist, erweiterten.

"OL Feminin" als Vorreiterin des Frauenfußballs

Amandine Henry feiert mit der Trophäe der UEFA Women's Champions League
Foto: © getty

Im gleichen Zeitraum, ab 2004, beginnt auch die Zeitrechnung für die höchsterfolgreiche Frauenmannschaft von Olympique Lyon, die acht Mal die Women's Champions League gewann, und darüber hinaus unzählige nationale Titel vorzuweisen hat.

Der Frauenmannschaft, die aus dem bereits 1970 gegründeten FC Lyon hervorging, widmete Aulas besondere Zuwendung.

Lyon-Experte Wraith hebt den immensen Beitrag des ehemaligen Klub-Präsidenten hervor: "Aulas war von entscheidender Bedeutung für den Männerfußball, aber noch mehr für den Frauenfußball. Er machte OL zu einer weltweit anerkannten Institution und schärfte das Profil des französischen Fußballs durch die beständigen Erfolge des Vereins sowohl im Inland als auch im kontinentalen Fußball. Die Art und Weise, wie er in den Frauenfußball investierte und die Standards für den Frauenfußball förderte, hat maßgeblich zu den immensen Fortschritten beigetragen, die in den letzten Jahren im Frauenfußball erzielt wurden. Junge Mädchen auf der ganzen Welt können von einer Karriere im Profifußball träumen, auch dank der maßgeblichen Arbeit von Aulas während seiner Zeit bei OL."

Causa Gunnarsdottir

Causa Gunnarsdottir
Sara Björk Gunnarsdottir spielte von 2020 bis 2022 für "OL Feminin"

Aulas setzte sich besonders für die Rechte der Spielerinnen ein, sorgte dafür, dass faire Konditionen für weibliche Profis durchgesetzt wurden.

"OL Feminin hat acht Champions-League-Titel gewonnen, aber das wahre Genie von Aulas ist, dass er OL zu einem der bestbezahlten Frauensportvereine der Welt gemacht hat", betont der franko-amerikanische Journalist Anthony DesRois gegenüber LAOLA1.

Dennoch gibt es auch bei OL Aufholbedarf in fundamentalen Themen des Frauenfußballs. So sorgte ein Rechtsstreit mit einer mittlerweile ehemaligen Lyon-Spielerin für ein gegensätzliches Bild:

Sara Björk Gunnarsdottir, die 2021 ein Kind zur Welt brachte, beklagte, während ihrer Schwangerschaft die zunächst zugesprochene finanzielle Unterstützung nicht erhalten zu haben.

Die FIFA hatte in Zusammenarbeit mit der Spielerinnengewerkschaft FIFPRO jedoch ein Jahr zuvor eine Mutterschutzregelung vereinbart, auf die man sich vor Gericht berufen konnte und nach der Vereine dazu verpflichtet sind, einer schwangeren Spielerin über 14 Wochen mindestens zwei Drittel ihres Gehalts zu zahlen.

Das Urteil ging schließlich zugunsten der isländischen Profi-Spielerin aus - Lyon musste den Zahlungen nachkommen. Gunnarsdottir spielt seit Sommer 2022 bei Juventus Turin.

Vorbildliche Jugend und neues Stadion

Vorbildliche Jugend und neues Stadion
Ein blutjunger Karim Benzema (hier 20 Jahre alt) jubelt im Lyon-Trikot
Foto: © getty

Abgesehen von den sportlichen Errungenschaften von Olympique Lyon stand bei Aulas auch der Gedanke der Nachhaltigkeit im Zentrum seines Wirkens: Angefangen mit dem Gang an die Börse im Jahr 2007 über den Aufbau und der Entwicklung einer hochprofessionellen Jugendabteilung, bis hin zu der Erbauung eines zeitgemäßen Fußball-Tempels.

Mit dem Ertrag aus den erzielten Erfolgen "baute Aulas eine der besten Akademien der Welt auf", meint DesRois, der ebenso als Redakteur für "Get French Football News" tätig ist. Dieser These kann man angesichts der hohen Talentdichte, die Lyon Jahr für aufweist, kaum widersprechen.

Um nur ein paar Beispiele zu nennen: Star-Stürmer Karim Benzema, Ferland Mendy (beide Real Madrid), Nabil Fekir (Real Betis), Hugo Lloris (Tottenham Hotspur) oder die Rohdiamanten der Gegenwart um Rayan Cherki oder Malo Gusto durchliefen allesamt die "Schule" der Lyonnais.

 

Das Groupama Stadium ist seit 2016 die neue Heimstätte von Olympique Lyon
Foto: © getty

Auch ein neues prunkvolles Stadion gehört zu den entscheidenden Verdiensten Aulas', um die finanzielle Zukunft des Klubs abzusichern. Das altehrwürdige Stade Gerland gehört der Vergangenheit an, seit Jänner 2016 spielt man im "Parc OL", der später in "Groupama Stadium" unbenannt wurde.

Die moderne Heimstätte von OL bietet Platz für beinahe 60.000 Zuschauer und ist so konzipiert, dass sie 365 Tage benutzt werden kann. Sogar Rugby- oder Eishockeyspiele können darin stattfinden.

Allein der Ticket-Umsatz konnte dadurch verdoppelt werden, rechnete Aulas voller Stolz vor: "Die Stadion-Einnahmen haben sich von knapp 25 Millionen auf mehr als 52,9 Millionen Euro in der Saison 2017/2018 verdoppelt."

Gegenwind nach Trainer-Entscheidung

Gegenwind nach Trainer-Entscheidung
Aulas beobachtet sein Team mit Argusaugen
Foto: © getty

Aulas' ausgeprägter Geschäftssinn stößt jedoch nicht in jeder Situation auf Anerkennung und Verständnis. So sorgte der ehemalige Spitzenhandballer während der Corona-Pandemie mit der Anfechtung des Saisonabbruchs 2019/20 in der Ligue 1 (Lyon verpasste dadurch die Teilnahme am Europacup) oder dem Vorschlag, eine "historische Rangliste der vergangenen drei oder fünf Jahre" heranzuziehen, um Liga-Meister in den europäischen Top-Ligen zu ermitteln, für Aufsehen.

So wäre z.B. dem FC Liverpool trotz damaligem Vorsprung von 25 Punkten auf Manchester City der Premier-League-Titel aberkannt und dem Team von Pep Guardiola zugesprochen worden. 

Aulas ist zudem als knallharter Verhandlungsführer bei Transfergesprächen bekannt. Eine ansprechende Vergütung eines OL-Spielers musste zu den Vorstellungen des Lyon-Oberhaupts passen. Klarerweise waren die interessierten Klubs oftmals nicht gut auf Aulas zu sprechen.

Auch bei der Wahl seiner Trainer scheute der heute 74-Jährige nicht davor, den Unmut der eigenen Fans auf sich zu ziehen, nur um seinen Prinzipien - Aulas bevorzugte vorwiegend Franzosen oder französisch sprechende Übungsleiter - treu zu bleiben.

So geschah es bei der Verpflichtung von Rudi Garcia im Oktober 2019. Nur wenige Monate zuvor trainierte der 59-Jährige den Erzrivalen Olympique Marseille, war jedoch zu diesem Zeitpunkt verfügbar und passte ins Profil. 

Ein weiterer brisanter Aspekt bei der Einstellung des Franzosen ist jener, dass Aulas in der Vergangenheit auf Twitter gegen den Trainer geschimpft hatte. "Es ist besser, Jean-Michel Aulas mit sich, anstatt gegen sich zu haben", befand Garcia auf der Pressekonferenz zu seiner Vorstellung.

Aulas auf Twitter omnipräsent 

Später hätten die beiden "darüber gelacht", meinte Aulas und fuhr fort: "Ich denke, dass ein Trainer in der Lage sein sollte, eine Fehde mit einem erfahrenen Präsidenten eines anderen Teams auszutragen. Das heißt nur, dass er seine Institution und seinen Klub verteidigt. Das heißt, dass er nicht zögert, durchs Feuer zu gehen – und solche Leute brauchen wir bei Olympique Lyon."

Als Medienprofi wusste Aulas Social Media als Werkzeug einzusetzen, um auch in schweren Zeiten, die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen.

"Auf Twitter spiele ich meine Rolle als Präsident", sagte er einst. "Es bedeutet, die Mannschaft zu verteidigen, die Fans zu schützen und manchmal diejenigen, die mich beleidigen, in die Schranken zu weisen."

Der Glanz vergangener Tage ist verblasst

Durch sportliche Misserfolge war die schützende Hand Aulas' mehr als einmal notwendig. Denn nur drei Jahre nach dem letzten Meistertriumph 2008 wendete sich das Blatt:

Lyon musste ab dem Sommer 2011 plötzlich mit Paris Saint-Germain, dem durch Katar-Millionen finanzierten Ligarivalen, konkurrieren. Während PSG durch den monetären Rückenwind gen französische Spitze marschierte, blieb OL nur der Platz im Schatten des neuen Ligue-1-Riesen.

Immerhin qualifizierte sich der Verein von 1997 bis heute, mit der Ausnahme der Saison 2020/21, jede Saison für einen europäischen Wettbewerb.

Platz acht aus dem Vorjahr bedeutete zudem das schwächste Saison-Ergebnis seit 1996. Auch in der laufenden Saison hat man mit den Spitzenplätzen wenig am Hut. Mit dem siebenten Tabellenrang hält Lyon zumindest aktuell die Chance, sich für die Europa oder Conference League zu qualifizieren, am Leben.

Vom ausgesteckten Ziel, dem Ligakrösus Paris Saint-Germain langfristig ein Bein zu stellen, ist man derzeit jedoch meilenweit entfernt.

 

"Mit der Beherrschung des französischen Männerfußballs in den 2000er Jahren und des Frauenfußballs weltweit hat Aulas vielen Menschen, die mit dem Verein verbunden sind, viel Freude bereitet, und dafür werden sie ihm sicher ewig dankbar sein"

Liam Wraith (Get French Football News)

Dankbarkeit und Hoffnungsschimmer

Und dennoch: Aulas erfreut sich in Frankreich, obgleich seiner Kontroversen, großer Beliebtheit. Darüber sind sich die Lyon-Experten Wraith und DesRois einig.

"Mit der Beherrschung des französischen Männerfußballs in den 2000er Jahren und des Frauenfußballs weltweit hat er vielen Menschen, die mit dem Verein verbunden sind, viel Freude bereitet, und dafür werden sie ihm sicher ewig dankbar sein", so Wraith.

"Aulas hat Lyon von einem angeschlagenen Verein zu einem der größten und finanziell profitabelsten Klubs in der Ligue 1 gemacht", ergänzt DesRois.

Zudem können Fans von OL trotz des Machtwechsels in eine "rosige Zukunft blicken und optimistisch gespannt sein", meint Wraith.

"Aulas wird auch seinen Platz im Vorstand behalten und Ehrenpräsident bleiben, sodass er dem Verein und den Herzen der Fans nicht fern sein wird", legt sich DesRois fest.

Die besten Zitate von Ex-Lyon-Präsident Jean-Michel Aulas

Das Tor zur Welt - alle Episoden:

#1 Nottingham Forest

#2 AC Monza

#3 FC Vaduz

#4 FC Torino

#5 Hapoel Be'er Sheva

#6 FC Andorra

#7 Dinamo Zagreb

#8 Argentinien

#9 FC Malaga

#10 Katar

#11 Australien

#12 Serbien

#13 Napoli

#14 FC Zürich

#15 Real Sociedad

#16 FC Südtirol

#17 SSV Ulm


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