Der 26. Dezember 2018 wird in Erinnerung bleiben. Es war der Tag, dem viele Fußballfans entgegengefiebert haben. Im Mailänder San Siro kam es zum Aufeinandertreffen zwischen Inter und Napoli.
Was rund um das Duell geschah, lässt Erinnerungen an dunkelste Zeiten in der italienischen Serie A wach werden. Es kam zu heftigen Ausschreitungen und rassistischen Beleidigungen. Ein Inter-Ultra stirbt, vier Napoli-Ultras werden mit Messerstichen verletzt.
Nun sind die Süditaliener wieder in Mailand. Nachdem sie am Samstag in der Liga gegen Milan gespielt haben (Spielbericht), treffen beide am Dienstag (20:45 Uhr, DAZN) im Viertelfinale der Coppa Italia aufeinander.
Gemeinsam mit Kai Tippmann, Journalist und Betreiber des Blogs altravita.com, wirft LAOLA1 einen Blick auf den Zustand des Fußballs im Land des Weltmeisters von 2006.
Fan-Problematik
"Das, was am 26. Dezember rund um das San Siro passiert ist, hätte ich in der Form nicht für möglich gehalten", sagt Tippmann. "Wie es gelingen konnte, dass die Napoli-Fans ohne Polizei-Eskorte, für gewöhnlich werden die Gästefans bereits auf der Autobahn überwacht, in die Nähe des Stadions kommen konnten, ist mir ein Rätsel."
Die Fanlager von Inter und Napoli sind "gut verfeindet", wie es Tippmann nennt. Dabei handelt es sich um die üblichen Abneigungen zwischen Nord- und Süditalienern.
Für den Experten sind deshalb zwei Fragen im Bezug auf den Vorfall zu klären. Einerseits, wie ein so großes Fanlager wie jenes von Napoli ohne Polizei-Eskorte in die Nähe des Stadions kommen konnte und, wie es in einer so gut organisierten Stadt wie Mailand für 120 Inter-Fans möglich war, völlig unbewacht auf die Ultras aus dem Süden zu warten.
"Ich will hier keine Verschwörungstheorien aufstellen, weil ich diese Dinge nicht beweisen kann, aber es wirkt so, als wurde hier gezielt eine Falle gestellt. Irgendjemand hat hier seinen Job nicht gemacht."
Mittlerweile hat die Polizei einen Verdächtigen festgenommen. Er soll das Fahrzeug gefahren haben, das den Capo der Varese-Ultras, die an diesem Abend jene von Inter unterstützten, überrollt hat.
"Salvini nutzt nur Vorhandenes aus"
Aber nicht nur mit Ausschreitungen vor dem Stadion schrieb dieses Top-Spiel am Stephanitag Schlagzeilen, auch die rassistischen Beleidigungen gegen Napolis Abwehrboss Kalidou Koulibaly sorgten für Aufsehen.
Daran ist auch die italienische Politik nicht unschludig. "Die rechtspopulistische Regierungspartei Lega hat in der Lombardei und im Veneto großen Zuspruch", erklärt Tippmann.
Trotzdem will er nichts davon wissen, dass Leute wie der umstrittene Innenminister Matteo Salvini den Rassismus auf den Rängen verstärken würden. "Salvini nutzt nur Vorhandenes aus. Er wird es aber auch nicht dämpfen", sagt der Journalist.
Schlechtes Image
Es sind solche Vorfälle, die das Bild des italienischen Fußballs im Rest von Europa schwer beschädigt haben. Aus der einstigen Vorzeigeliga, in der sich reihenweise Weltstars ihr Geld verdient haben, ist die Problemliga geworden.
Nicht ganz unschuldig an dieser Entwicklung ist für den Italien-Kenner die Berichterstattung außerhalb Italiens. "Es ist unbestritten so, dass für alles, was im italienischen Fußball schiefläuft, den Ultras die Schuld gegeben wird", sagt er. Das sei ein wiederkehrendes Problem der 80er- und 90er-Jahre.
So ein Beispiel ist auch die mediale Aufmerksamkeit an einer Auseinandersetzung zwischen Bologna- und Torino-Ultras auf einem Parkplatz nahe Florenz, nur wenige Tage nach den Geschehnissen von Mailand.
"Wären vorher nicht die Krawalle von Mailand gewesen, hätte es dieser Vorfall, wenn er sich denn überhaupt in dieser Form zugetragen hat - die Sensationsgier macht manchmal mehr daraus als es war -, wohl nicht in die Medien geschafft", sagt der Journalist.
"Die Strahlkraft eines Ronaldo hilft"
Für den Blogger wird die italienische Liga oft belächelt. Seiner Meinung nach wird die Liga aus verschiedenen Gründen als rückständig gesehen. "Viele sogenannte Experten sind ja auch immer noch der Meinung, dass alle Teams sich nur hinten reinstellen und 'Catenaccio' spielen. Ich muss diese Leute enttäuschen, das macht seit 15 Jahren niemand mehr."
Liga im Aufschwung
Denn trotz aller Probleme: Die Serie A ist gerade im Begriff, an glorreiche Zeiten anzuknüpfen. Der Wechsel von Mega-Star Cristiano Ronaldo zu Serienmeister Juventus im vergangenen Sommer ist nur ein Anzeichen für die positive Entwicklung.
"Der Erfolg von Juventus hat sich herumgesprochen. Lange Zeit fand der nur in Italien Beachtung, was auch daran lag, dass es oft eine Diskrepanz zwischen nationaler und internationaler Leistung gab. Aber Juventus hält Italiens Fahne hoch", erklärt Tippmann.
In sportlicher Hinsicht ist Italien also zurück auf dem Weg zu alter Stärke, auch wenn der Anschluss an La Liga und Premier League nur ganz langsam hergestellt wird. "Die Strahlkraft eines Ronaldo hilft. Wenn noch mehrere solcher namhaften Spieler in die Liga kommen, kann das nur positiv sein", sagt auch der Fachmann.
Und auch bei den Zuschauerzahlen lässt sich ein Aufschwung feststellen. Das liegt vor allem daran, dass viele Beschränkungen für Ultras gelockert wurden. So wurden wieder mehr Gästefans erlaubt als früher und auch das Mitbringen von Fanutensilien wird nicht mehr so eng gesehen.
Dinge, die nach den Vorkommnissen von Mailand möglicherweise noch einmal überdacht werden.
"Der große Umschwung ist es meiner Meinung nach nicht", relativiert Tippmann, "aber das kommt vielleicht auch daher, dass ich noch Zeiten kenne, in denen es keine Tickets im freien Verkauf gab, weil die Stadien mit Dauerkarten ausverkauft waren."
Es gibt aber einen weiteren, für Tippmann vielleicht viel entscheidenderen Faktor, der für die Entwicklung der Serie A sorgt: Die Änderungen in den Eigentümerverhältnissen der Klubs.
Lange Zeit war es Standard, dass Serie-A-Vereine in den Händen von Besitzern mittelständischer italienischer Firmen waren. Hier machte sich die Wirtschaftskrise besonders bemerkbar - plötzlich war kein Geld mehr für den Fußball da.
"Ich will in keiner Form die Entwicklungen des modernen Fußballs loben, aber in dem speziellen Fall Italiens hat es durchaus seine Vorteile, dass finanzkräftige Investoren aus den USA oder China hinter Klubs wie Inter oder Milan stehen."
Die Talsohle habe die Serie A möglicherweise überwunden, nun gehe es darum, die richtigen Schritte für die Zukunft zu setzen, fordert der Deutsche.
Starke Generation
Auffällig ist auch, dass es wieder vermehrt junge Spieler aus den Nachwuchsteams in die Kampfmannschaften schaffen. Das liegt für den Experten auch an Umstellungen in den Trainingsmethoden.
"Milan wäre da so ein Beispiel. Sie waren früher bekannt dafür, dass von der Jugend bis zu den Herren eine Formation gespielt wurde. Irgendwann wurde das fallen gelassen. Vielleicht ist man dazu zurückgekehrt."
Auf die Frage, welches Talent der Serie A man besonders im Auge behalten sollte, nennt Tippmann, trotz zahlreicher italienischer Talente, den Ivorer Franck Kessie von Milan. "Ich denke, dass er mit seinen Anlagen bei großen Klubs spielen könnte."
Nicht zu übersehen ist, dass trotz des Liga-Aufschwungs das Nationalteam zuletzt nicht aufzeigen konnte und bekanntermaßen auch die WM-Teilnahme 2018 verpasste.
Im Juni wird in Italien die U21-Europameisterschaft ausgetragen, für die sich auch erstmals die ÖFB-Auswahl dieses Alters qualifizieren konnte.
"Italien hat zum ersten Mal seit langer Zeit wieder einige starke Talente im Alter zwischen 18 und 23 Jahren", sagt Tippmann.
Es sind Spieler wie Nicolo Zaniolo (Roma), Patrick Cutrone (Milan) oder Federico Chiesa (Fiorentina) von denen sich die Italiener in Zukunft viel versprechen. Und natürlich Mega-Tormanntalent Gianluigi Donnarumma - sie alle könnten bei der U21-EM zum Einsatz kommen.
Eine große Aufmerksamkeit genoss der Nachwuchs aber in der Vergangenheit nicht. Von der "nächsten Generation" wird trotzdem nicht weniger als der Titel im eigenen Land erwartet.