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Der Shopping-Wahn des AC Milan

Mailänder landen einen Transfercoup nach dem anderen. Wie geht das?

Der Shopping-Wahn des AC Milan Foto: © getty

In Italien macht ein GIF die Runde. Es zeigt eine Hausfrau beim Einkauf im Supermarkt. Sie schaufelt im Vorbeigehen einfach alles vom Regal in den Einkaufswagen. Es soll das aktuelle Verhalten des AC Milan am Transfermarkt symbolisieren. Fußball-Italien glaubt es kaum.

Dabei ist der Glanz vergangener Tage eigentlich längst verblasst. Ende der 1980er, Anfang der 1990er Jahre war der AC Milan das Maß aller Dinge, Arrigo Sacchi hatte die „Rossoneri“ zur aufregendsten Mannschaft des Planeten geformt.

Ob Europacup-Sieg, Scudetto oder Weltfußballer-Wahl – kein Weg führte an den Mailändern vorbei. Baresi, Maldini, Rijkaard, Ancelotti, Gullit, van Basten,… – diese Namen begleiten die Tifosi heute noch durch ihre feuchten Träume.


Doch die Serie A ist nicht mehr das, was sie einmal war. Und selbst in einer Liga, die ihre Vormachtstellung schon vor Jahren verloren hat, war Milan zuletzt nur ein biederer Mitläufer.

Achter, Zehnter, Siebenter und Sechster wurde der 18-fache Meister in den vergangenen vier Saisonen. Vier Jahre ist es her, dass die „Rossoneri“ zum letzten Mal international gespielt haben. Klubs wie Atalanta Bergamo, Sassuolo Calcio, Genoa, Torino und Parma schnitten in den vergangenen Jahren besser ab.

Da kann man als Fan schon mal verzagen. Doch beim Trainingsauftakt der Mailänder waren rund 5000 bestens gelaunte Tifosi. Nicht nur sie trauen ihrem Klub zu, in der kommenden Saison Juventus im Kampf um den Meistertitel ernsthaft gefährlich werden zu können – als erster Verein überhaupt seit Jahren.

Die 200-Millionen-Schallmauer ist in Sicht

Landauf, landab reiben sich Experten und Fans seit Wochen nur noch verwundert die Augen. Während andere Vereine Gerüchte produzieren, macht Milan Nägel mit Köpfen und befindet sich auf einer Shopping-Tour, die ihresgleichen sucht. Am Ende der Transferzeit wird Milan mindestens 200 Millionen Euro für neue Spieler ausgegeben haben. Bei gleichzeitig praktisch keinen Einnahmen.

Milan-Fans beim Trainingsstart
Foto: © getty

Und all das, obwohl kurioserweise ein Wechsel den Großteil der Schlagzeilen beherrschte, der gar nicht stattfand. Das von dessen Berater Mino Raiola medial perfekt inszenierte Tauziehen um eine Vertragsverlängerung von Goalie Gigi Donnarumma hielt Italien in Atem. Letztendlich hat der 18-Jährige, dem zugetraut werden kann, einmal der beste Tormann der Welt zu werden, dann doch bis Sommer 2021 unterschrieben.

Und schwupp, war ein weiterer Transfer dazugekommen. Denn eine der Bedingungen für eine neue Unterschrift war, dass Milan Donnarummas 27-jährigen Bruder Antonio zurück nach Mailand holt. 1,5 Millionen Euro wurden an den griechischen Klub Asteras Tripoli überwiesen und die Sache war erledigt. Kein Thema, Peanuts, eine Randnotiz in der Ausgabenrechnung.

Ronaldos Nachfolger

Wesentlich spektakulärer war da schon die Verpflichtung von Portos Andre Silva. Cristiano Ronaldo hat den 21-Jährigen verbal schon mal zu seinem Nachfolger in der Offensive des portugiesischen Nationalteams gekürt. 38 Millionen Euro ließ sich Milan die Zukunftshoffnung kosten.

Nur ein wenig billiger war Freistoß-Spezialist Hakan Calhanoglu (23), der für 22 Millionen Euro von Bayer Leverkusen losgeeist wurde. Drei Millionen Euro mehr kostete Andrea Conti (23) von Atalanta Bergamo – in der vergangenen Saison einer der aufregendsten und besten Rechtsverteidiger der Serie A, der nach der Saison für seine Leistungen mit einer Einberufung ins Nationalteam belohnt wurde.

VIDEO: Milans CL-Siegerteam 2003:

(Artikel wird unter dem Video fortgesetzt)


Doch damit noch lange nicht genug. Ebenfalls aus Bergamo kam Franck Kessie. Der 20-jährige Ivorer, der das zentrale Mittelfeld verstärken wird, war der Shootingstar der vergangenen Saison. So ziemlich jeder Top-Klub Europas war hinter ihm her. Inklusive der einjährigen Leihgebühr und diversen Bonuszahlungen wird er Milan im Sommer 2019 schlussendlich rund 30 Millionen Euro gekostet haben.

Die Aufzählung ist noch längst nicht zu Ende. Der argentinische Nationalspieler Mateo Musacchio (26) wurde für 18 Millionen Euro von Villarreal gekauft – er soll die Innenverteidigung stabilisieren. Der Schweizer Linksverteidiger Ricardo Rodriguez (24) kam für dieselbe Summe aus Wolfsburg. Und weil sie in Mailand eben gerade so in Fahrt waren, holten sie auch noch Offensivmann Fabio Borini (26) von Sunderland.

Die Transferbombe

Als die Fans danach schon überaus zufrieden die Liste der Neuzugänge studierten, platzte schließlich die Transferbombe: Leonardo Bonucci wechselt von Juventus zu Milan! Ein unglaublicher Coup und der – neben Bayerns James-Verpflichtung – spektakulärste Wechsel dieses Sommers.

Der Abwehrchef des Serien-Meisters hatte sich gegen Ende der vergangenen Saison offenbar mit Juve-Coach Max Allegri überworfen. Während alles mit einem Abgang in die Premier League rechnete, griffen die Mailänder zu und nahmen einen der besten Verteidiger der Welt unter Vertrag. Rund 40 Millionen Euro kostet sie der Spaß.

Und als Draufgabe kommt auch noch Lucas Biglia von Lazio. Der bisherige Kapitän der Römer könnte sich als wichtiges Verbindungsstück zwischen Defensive und Offensive herausstellen. 49 Länderspiele für Argentinien hat der 31-Jährige schon bestritten. Kostenpunkt: 17 Millionen Euro.

Mirabelli, Montella und Fassone
Foto: © getty

Vermutlich kommt auch noch ein namhafter Angreifer hinzu. Der Transferreigen scheint noch nicht zu Ende. "Wir würden gerne Andrea Belotti (Torino), Alvaro Morata (Real Madrid) oder Pierre-Emerick Aubameyang (Dortmund) verpflichten. Mal sehen, wer kommen wird", sagt der Klub-Vorsitzende Marco Fassone. Auch Fiorentinas Nikola Kalinic war zuletzt ein Thema. Zudem zeigen sich die Mailänder an Bayerns Renato Sanches interessiert.

Nennenswerte Abgänge gibt es kaum. Juraj Kucka ging zu Trabzonspor, Mattia de Sciglio steht vor einem Wechsel zu Juventus.

Wie machen die Mailänder das? Die chinesische Macht-Übernahme beim AC Milan macht es möglich. Über viele Monate hinweg hat sich der Verkauf der Vereins wie ein Kaugummi gezogen. Ein nicht enden wollendes Hin und Her mit vielen leeren Versprechungen und noch mehr Gerüchten fand im April 2017 doch noch ein Ende.

Die neue Führungsriege

Silvio Berlusconi, der seit 1986 das Zepter in der Hand hielt, gab es an eine Investment-Firma rund um Younghong Li ab. 740 Millionen Euro wechselten ihre Besitzer. Und fortan blieb kein Stein auf dem anderen.

Berlusconi-Statthalter Adriano Galliani, viele Jahre lang das Mastermind hinter dem sportlichen Erfolg der „Rossoneri“, räumte seinen Stuhl. Neuer CEO ist Marco Fassone, der in ebendieser Funktion auch schon bei Juventus, Napoli und Inter tätig war.

Massimiliano Mirabelli wurde als Sportdirektor eingesetzt. Der 47-Jährige war bisher keine ganz große Nummer. In den vergangenen Jahren hat er sich vor allem als Scout bei Inter und Sunderland einen Namen gemacht. Mirabelli gilt eigentlich nicht als Schreibtischtäter, sondern vielmehr als klassischer Spielerbeobachter, der fast das gesamte Jahr auf Reisen ist, um den nächsten großen Superstar zu entdecken. Mit den chinesischen Millionen in der Tasche lebt er nun offensichtlich seinen Traum.

Zweifelnde Stimmen

Doch bei all der Euphorie mischen sich auch zweifelnde Stimmen in das Gebaren der Mailänder. Nicht umsonst hat die Milan-Übernahme so lange gedauert. Li soll nämlich gar nicht so reich sein, wie er sich gibt. Der US-amerikanische Hedgefonds Elliot musste ihm unter die Arme greifen.

Angeblich ist Li noch etwas mehr als 300 Millionen Euro schuldig. Bis Oktober 2018 sollen diese zurückgezahlt werden. Ob diese Summe für ihn und seine Investment-Firma zu stemmen ist, steht in den Sternen.

Doch darüber machen sie sich in Mailand derzeit keine großen Gedanken. Vielmehr wollen sie nach den Sternen greifen, wieder im alten Glanz erstrahlen. Trainer Vincenzo Montella konnte in der vergangenen Saison mit dem Gewinn der Supercoppa einen Vorgeschmack geben.

Mit all den neuen Stars und Sternchen soll Juventus aber nicht nur in einem Spiel, sondern über die gesamte Saison hinweg geärgert werden.

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