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Berardis ewige Treue: Ein Totti für Sassuolo

Der Europameister im Team von Sassuolo ist auf dem besten Weg zur Legende der "Neroverdi":

Berardis ewige Treue: Ein Totti für Sassuolo Foto: © getty

Dauerbrenner im Fußball sind selten geworden. Für die heutige Generation von Fußballfans ist es gar der Normalzustand, dass Spieler die Vereine wechseln wie Unterhosen.

Jene Kicker, die ihre gesamte Profi-Karriere bei einem Klub verbringen, können wohl salopp gesagt an einer Hand abgezählt werden - beschränkt man sich auf die Top-5-Ligen Europas.

Da stellen Ausnahmen von dieser Regel eine willkommene Abwechslung dar. Eine solche setzt ihre Fußspuren derzeit im italienischen Oberhaus, der Serie A, und fliegt international gesehen ein wenig unter dem Radar: Domenico Berardi.

Der 28-Jährige kickt bei US Sassuolo, ist dort Leitfigur und Urgestein. Er verlängerte jüngst seinen Vertrag bis 2027 und zementierte so seinen Status als Fanliebling und Urgestein beim Klub aus der Kleinstadt nahe Modena ein. Der italienische Teamkicker geht in sein zwölftes Vertragsjahr - heutzutage eine Rarität.

Doch wer ist dieser Domenico Berardi eigentlich? Wie wurde er, obwohl gerade einmal 28, zum "Totti in schwarz-grün"?

Kommissar Zufall als Glücksbringer

Die Vergleiche mit der Roma-Legende kommen nicht von ungefähr, schließlich kickte auch Francesco Totti Zeit seines Profi-Lebens ausschließlich für seine AS Rom.

Im zarten Alter von 16 Jahren "stolperte" der unbedarfte Berardi in ein Probetraining bei den "Neroverdi", wie Sassuolo Calcio von den Fans genannt wird. Der Jungspund agierte zu jener Zeit im Nachwuchs von Cosenza Calcio, das damals in der Serie C spielte.

Als er seinen in Modena studierenden Bruder besuchte, kickten sie gemeinsam mit dessen Bekanntem auf der Straße. Besagter erkannte sofort das Talent des heutigen Nationalspielers und vermittelte ihn über einen Kontakt zu einem Probetraining bei Sassuolo Calcio.

"Ich habe ihn mit zu den Profis genommen und meinte zu meinem Chef, dass er sich den Jungen anschauen müsse", erzählt sein damaliger Jugendtrainer bei "Tuttosport". "Nach 15 Minuten sagte er: 'Er ist unser bester Spieler.' Und da waren wir uns einig."

Seither hat Berardi kein anderes Trikot mehr getragen, obwohl er offensichtlich zu Höherem berufen wäre.

Steile Entwicklung mit Krönung Europa League

Berardi verkörpert gewissermaßen den Aufstieg der US Sassuolo Calcio. Die "Neroverdi" spielten vor 15 Jahren noch viertklassig. Bis zum Jahr 2008 schaffte es der Klub schließlich bis in die Serie B. Fünf Jahre später krönte sich Sassuolo auch in dieser zum Meister und durfte den Aufstieg in die Serie A bejubeln.

Damals bereits federführend mit dabei: Domenico Berardi. Dem zu jenem Zeitpunkt 19-Jährigen gelangen elf Tore und sechs Vorlagen. Von da an war seine Entwicklung nicht mehr aufzuhalten.

Das registrierte auch Juventus. Der damalige Serie-A-Primus sicherte sich für 4,5 Millionen Euro 50 Prozent der Transferrechte an dem Talent und verlieh ihn umgehend zurück an die "Neroverdi". Zwei Jahre später verkaufte die "Alte Dame" besagte Rechte für 10 Millionen wieder an Sassuolo, das ihn fest verpflichtete. Berardi bestritt am Ende kein einziges Spiel für die "Bianconeri".

Stattdessen blieb er weiter Teil der Underdog-Truppe und spielte zwischenzeitlich mit Sassuolo sogar in der Europa League. In der Saison 2017 in der Gruppenphase auch gegen Rapid Wien. Beide Spiele endeten damals Remis (1:1, 2:2).

Hitzköpfiger Topscorer

Berardi zeigte auch in der höchsten Liga Italiens sein Können. In den kommenden fünf Spielzeiten sollten ihm 43 Tore und 35 Vorlagen gelingen. Er spielte sich nicht nur in die Notizblöcke unzähliger Scouts, sondern auch in jenen von Teamchef Roberto Mancini. Am 1. Juni 2018 debütierte Berardi in der "Squadra Azzura".

In jüngeren Jahren fiel der Nationalspieler oftmals aber auch durch seine Hitzköpfigkeit auf. In seinen ersten drei Serie-A-Jahren kassierte er 33 Gelbe und drei Rote Karten.

Frau und Kind bringen frischen Wind

Berardi wirkt in den letzten Jahren in seinem Spiel jedoch deutlich gesetzter, ruhiger und fokussierter. Die Saison 2020/21 war die erste in Italiens Eliteliga, in der ihm kein Platzverweis "gelang". Ein Umstand, der wohl zu dieser Veränderung beitrug, hört auf den Namen "Nicolo".

Berardis Sohn wurde just in dieser Saison geboren. Zudem gab er seiner damaligen Verlobten das "Ja-Wort". Übrigens: Berardi blieb auch in der vergangenen Saison ohne Platzverweis.

Ein Blick auf seine Profile in den sozialen Medien genügt, um zu erkennen, dass ihm seine Ehefrau und sein Sohn sehr viel bedeuten. Berardi ist nicht nur 100 Prozent Fußballer, er ist auch 100 Prozent Familienmensch. Die Rolle als Vater und Ehemann hat offenbar auch sein Verhalten auf dem Rasen positiv beeinflusst.

Familie als wunder Punkt

Dennoch sorgte der Italiener vor Kurzem abseits des Platzes für einen Aufreger: Nach dem Ausscheiden Sassuolos in der Coppa Italia gegen Rivale Modena ging er auf einen pöbelnden Fan los.

Dieser hatte zuvor seine Frau und seinen Sohn auf üble Art beleidigt und damit einen wunden Punkt getroffen. Umstehende hinderten beide Kontrahenten daran, ernsthaft handgreiflich zu werden.

Berardi entschuldigte sich anschließend für seinen Ausfall: "Ich möchte mich für das entschuldigen, was (...) passiert ist. Wir sind Profis und müssen vor allem ein Vorbild für die Jugendlichen und Kinder sein. Heute habe ich mich vor den Augen aller nicht so verhalten. Das liegt daran, dass (...) meine Familie, meine Frau und mein Sohn, abseits des Spielfelds auf eine Art und Weise beleidigt wurden, die mich zutiefst verletzt hat. Ich möchte mich auch bei den Fans der gegnerischen Mannschaft entschuldigen."

Die "Sassolesi" aber lieben ihren "Mimmo" und sehen ihm seine Aktion mittlerweile nach.

Alle wollen, keiner darf

Vielfach wurde der Topscorer der "Neroverdi" bereits mit Europas Spitzenklubs in Verbindung gebracht. Von der AC Milan über Juventus Turin, den FC Liverpool und Chelsea reichte die Liste der Interessenten in den letzten Jahren.

Gerüchte wie diese kommentiert Berardi mit Aussagen wie: "Es ist schmeichelhaft, dass so viele Mannschaften hinter mir her sind. Ich muss aber für Sassuolo gut sein. Es ist einfach der Verein, der mir so viel gegeben hat."

Nach einer starken EM im vergangenen Jahr brodelte erneut die Gerüchteküche. Berardi gehörte in der "Squadra Azzura" zum Stammpersonal, konnte auf dem Weg ins Finale auch zwei Assists beisteuern. Im Endspiel verwandelte er zudem seinen Versuch im Elfmeterschießen und trug so maßgeblich dazu bei, dass er sich heute Europameister nennen darf.

Sein Marktwert beziffert sich laut "Transfermarkt" auf 35 Millionen Euro. Es wäre eigentlich alles angerichtet für den nächsten Karriereschritt.

Speziell die AC Milan und Juventus Turin sollen heiß auf den Offensivkünstler gewesen sein. Doch der tat, was er auch in den letzten knapp 13 Jahren stets getan hatte, und folgte seiner fußballerischen Eingebung.

Eine (Fußballer-)Leben, eine große Liebe

So kam es, wie es kommen musste: Berardi unterschrieb erneut bei seinem Herzensverein. Sein neuer Kontrakt läuft bis zum Jahr 2027. Da wird der Offensivspieler 33 Jahre alt sein. Ein Wechsel zu einem großen Klub ist dann wohl eher unwahrscheinlich, wenngleich auch nicht gänzlich ausgeschlossen.

Die wahrscheinlichste Option ist und bleibt aber wohl, dass er es seinem Idol gleichtut. Berardi könnte für Sassuolo werden, was Totti für die Roma ist. Denn Spieler kommen und gehen, aber Legenden bleiben.

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