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CS Lebowski - der ganz andere Fußball-Klub in Florenz

2004 feuerten Kids plötzlich das schlechteste Team der Stadt an. Heute hat der Klub 1.800 Mitglieder und ist eine radikale Alternative zum modernen Fußball.

CS Lebowski - der ganz andere Fußball-Klub in Florenz

In der Serie "Das Tor zur Welt" nehmen wir internationale Fußball-Klubs und ihre Geschichten genau unter die Lupe. Wir beleuchten die Hintergründe, die in der schnellen, täglichen Berichterstattung gerne untergehen.

Von Premier-League-Aufsteiger Luton Town über den FC Vaduz und Torino bis zum FC Basel haben wir schon einige Klubs portraitiert. Hier kannst du alle nachlesen >>>

Diesmal nehmen wir mit Centro Storico Lebowski einen Klub unter die Lupe, der sich als Fan-Verein in Italien einen Namen gemacht hat und einen Weg aufzeigt, wie Fußball abseits Kommerz-Denkens funktionieren kann.


April 2015. Es ist Sonntag, wir stehen mitten im Nirgendwo. Rund 25 Kilometer sind wir mit dem Bus aus Florenz gen Osten gefahren, über die Hügel der Toskana, Weinreben soweit das Auge reicht. Sonst gibt es hier wenig bis Nichts, ein bisschen Wald, ein paar versprengte Häuschen.

Doch aus der Ferne hören wir Getrommel und Gesänge. Noch bevor wir den beschaulichen Dorf-Sportplatz mit seiner kleinen Tribüne sehen, wissen wir: Da ist richtig was los.

Es ist der 29. Spieltag der Prima Categoria Girone C, die siebenthöchste Spielklasse Italiens. Weit mehr als 100 Fans haben den Klub Centro Storico Lebowski in die Peripherie Florenz' begleitet. Vorsänger mit Megaphon, Zaunfahnen, Dauergesänge, alles drum und dran.

Nach dem Spiel kommen wir mit Marco ins Gespräch. Ja, natürlich sei er früher Fiorentina-Fan gewesen, nach einem tätlichen Angriff auf einen Polizisten habe er aber lange Stadionverbot. Aber bei Lebowski sei sowieso alles viel cooler. Gegen den modernen Fußball.

Die neuen Ultras des schlechtesten Teams der Stadt

Zeitsprung. November 2004. Eine Gruppe Jugendlicher fasst den Beschluss, zu einem Fußballspiel zu gehen. In der untersten Spielklasse spielt das abgeschlagene Schlusslicht AC Lebowski gegen Laurenziana. Ja, Lebowski, nach dem Kult-Film der Coen-Brüder, in dem Jeff Bridges den "Dude" spielt. Nachdem die Schüler herausgefunden haben, welches Team welche Trikots trägt und wie sie auf den Sportplatz kommen – nicht alle haben Bargeld in der Tasche, um Eintritt zu bezahlen – feuern sie die mit 0:3 in Rückstand liegenden Lebowskis lautstark an.

Nach dem Spiel kommen ein paar Spieler zu den Jugendlichen, einige sind verwirrt, andere belustigt, einer sogar richtig sauer. Soll das hier eine Verarsche sein?! Nein, wir sind ab jetzt eure Fans. Es ist der Anfang einer Bewegung.

Warum? Das kann heute niemand mehr so genau sagen. Anlässlich ihres zehnjährigen Jubiläums konnte die Gruppe die Beweggründe selbst nicht mehr so genau rekonstruieren. "Wir waren gegen den modernen Fußball." "Wir wollten uns irgendwo betrinken." "Wir waren betrunken." "Wir wollten etwas gegen die Langeweile am Samstag tun."

Eine radikale Alternative

Zeitsprung. August 2023. Centro Storico Lebowski hat über 1.800 Mitglieder. Damit wäre der Verein in Österreich der fünftgrößte Fußballklub des Landes.

2010 wurde der Verein als Centro Storico Lebowski neu gegründet, 2018 in eine Genossenschaft umgewandelt. Die Idee: Calcio populare. Ein Klub in den Händen seiner Fans. Jeder kann Miteigentümer werden.

"Dieses Modell ist eine radikale Alternative zu der Art von Fußball, die wir gewohnt sind, wo Leidenschaft und Liebe für immer den wechselhaften Launen von Bossen, Sponsoren und Märkten ausgeliefert sind. Unser Modell gibt uns im Gegensatz dazu sowohl Freiheit als auch das Wissen, dass alles, was auf dem Spielfeld passiert, nicht das Ergebnis der Entscheidungen anderer, sondern unserer eigenen Bemühungen ist – und der Magie und der Unvorhersehbarkeit, die Fußball zu dem Sport machen, den wir lieben", beschreibt der Verein den Ansatz.

Wer 25 Euro bezahlt, wird Mitglied und bekommt einen Anteil am Klub, ist in alle wichtigen Entscheidungen eingebunden. Es können zwar bis zu 400 Anteile pro Person erworben werden, es bleibt aber bei einer Stimme.

"Ein anderer Fußball ist möglich", ist der Klub sicher. Tatsächlich wird der inklusive Ansatz gelebt. Wer Mitglied ist, kann sein Kind auf die seit 2012 bestehende Fußballschule des Klubs schicken. Über 150 Mädchen und Buben genießen derzeit ihre Ausbildung bei CS Lebowski.

Freilich gibt es auch ein Frauen-Team, das jüngst sogar den Aufstieg in die Serie C geschafft hat. Doch der Klub verzichtet auf eine erstmalige Teilnahme an einer überregionalen Meisterschaft, es sei schlichtweg nicht leistbar.

Der "Bürgermeister" ist dabei

Borja Valero
Foto: © getty

Die Männer sind inzwischen auch schon drei Mal aufgestiegen, kicken aktuell in der Promozione Girone B, der sechsthöchsten Spielklasse. An die 1.000 Zuseher sind bei den Heimspielen in der Regel dabei.

Teil des Kaders ist seit Sommer 2021 Borja Valero. Der Mann wurde bei Real Madrid ausgebildet, hat 2011 an der Seite von Andres Iniesta, Fernando Torres, Gerard Pique und Co. ein Länderspiel für Spanien bestritten. Ein Jahr später wechselte er von Villarreal zur Fiorentina.

Dort erlangte der Mittelfeldspieler Ikonen-Status. Auf seinem Arm hat er die Koordinaten der "Ponte Vecchia", der berühmten Brücke in Florenz, tätowiert. Die Fans der Viola nannten ihn "il Sindaco", den Bürgermeister.

Seit 2021 steht der Spanier gelegentlich für CS Lebowski am Feld. Was zunächst eine eher scherzhafte Annäherung via Social Media war, wurde Realität. Bei diesem Klub sind eben Dinge möglich, die im modernen Fußball so eigentlich nicht vorgesehen sind.

"Das ist wirklich fantastisch hier. Die Essenz des Fußballs, wie man ihn überall leben sollte. Spaß und Freude pur", sagte Valero einmal zum "kicker".

Die Kurve mit dem Porno-Namen

Bejubelt wird er von den "Ultimi Rimasti Lebowski", wie sich die Ultrá-Gruppierung des Klubs nennt. Ihre Tribüne heißt "Curva Moana Pozzi", ist nach einer berühmten Porno-Darstellerin benannt. Einfach so, weil es eben lustig ist. Wer sich dem Markt nicht verpflichtet fühlt, muss sich nicht immer ganz so ernst nehmen.

Seit Jahren besteht eine enge Fanfreundschaft zu den "Coloniacs" aus Köln. Unter den Mitgliedern des Klubs finden sich Menschen aus aller Herren Länder.

Gleichzeitig ist der Verein fest in der regionalen Community verhaftet. Das jährliche "Sagra del fritto misto" ist über die Jahre hinweg zu einem mehrere Tage andauernden Straßenfest angewachsen, das Tausende besuchen. Regionale Künstler profitieren von der Bühne, die der Klub ihnen bietet.

Die alternative, linke Szene der Stadt partizipiert bei CS Lebowski. Gleichzeitig erklärte vor zwei Jahren im "kicker" ein Funktionär aber: "Natürlich sympathisieren viele mit der Linken, doch bei uns ist jeder willkommen. Wir existieren nicht gegen die Fiorentina oder um Links-Politik zu machen. Uns geht es um puren Calcio und Gemeinschaft."

Ein Stadion soll kommen

Es ist ein bunter Klub. Trotz seiner schwarz-grauen Trikots. Die sind seit den Anfangstagen geblieben, damals hat sich der AC Lebowski aus einem ganz simplen Grund dafür entschieden – die Trikots waren im Abverkauf, weil sie niemand haben wollte.

Was lange Zeit eines der größten Probleme des Klubs war, scheint nun auch gelöst. Lebowski musste seine Heimspiele schon an unterschiedlichsten Orten austragen, nun will die Stadt im Norden des "Parco delle Cascine" in eine Sportstätte investieren, um dem Verein eine echte Heimat zu geben. Es soll kein kommerziell genutztes Stadion, sondern ein offener Ort für alle sein, wie man das von CS Lebowski gewohnt ist.

Es ist der nächste Meilenstein auf einer unglaublichen Reise abseits der modernen Fußball-Gepflogenheiten.

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