Geschichten wie die von Marvin Egho schreibt der Fußball nicht mehr allzu häufig.
Als der Wiener im Sommer 2018 beim FC Randers anheuerte, hätte er sich wohl in seinen abenteuerlichsten Vorstellungen nicht erträumt, dass er sich fünf Jahre später auf dem besten Weg zum Rekord-Legionär des dänischen Erstligisten befinden würde.
Fünf Saisonen, 139 Einsätze und 32 Tore später hat sich der einstige U21-Nationalspieler bei seinem Klub nicht nur längst zur Vereinsikone gemausert und eine Ära mitgeprägt, sondern hat im Hohen Norden eine zweite Heimat gefunden.
Im Gespräch mit LAOLA1 gewährte Marvin Egho Einblick in seine bewegten letzten Jahre, den dänischen Fußball, die bemerkenswerte "Journey" seines FC Randers, sowie seine Ziele und Träume.
26. August 2021- Europa League-Qualifikation, Playoff-Rückspiel.
Der FC Randers gastiert im Nef Stadyumu bei Galatasaray Istanbul. Elfte Minute, der Underdog aus Dänemark macht Tempo über rechts, schließlich findet eine Flanke im Sechzehner den Kopf der Nummer 45 des FC Randers.
Wenige Sekunden später muss Tormann-Ikone Fernando Muslera hinter sich greifen, ÖFB-Legionär Marvin Egho dreht zum Jubel ab.
Es sind Augenblicke wie diese, die Egho bei seinem Verein mittlerweile fast schon Kultstatus eingebracht haben. Mit dem FC Randers bestreitet Egho mittlerweile seine bereits fünfte Saison in der dänischen "Superliga". Schon längst hat der Stürmer die 100-Spiele-Marke für den Klub aus der beschaulichen Hafenstadt geknackt und gehört seit seiner Ankunft im Sommer 2018 zu den absoluten Leistungsträgern.
Doch es ist mehr als die Vereinstreue und Tore, die Egho in Randers mittlerweile zu einer Identifikationsfigur gemacht haben. Der 28-Jährige steht sinnbildlich für den Aufstieg des Vereins, erlebte und prägte die Entwicklung des im Jahr 2003 neu gegründeten Klubs mit.
In Österreich blieb Durchbruch verwehrt
Doch obwohl der 28-Jährige in der Hafenstadt bisher fast eine Bilderbuchlaufbahn hinlegt, tat sich Egho insbesondere am Beginn seiner Karriere schwer.
Das Fußballspielen erlernte Egho unter anderem beim SV Donau, Stadlau und Wiener Neustadt. Von dort aus ging es für den Donaustädter für ein Jahr in die Stronach-Akademie der Austria.
Als diese ein Jahr später die Schotten dicht machte, schloss sich Egho Donaufeld an, sorgte dort für Furore und landete bei den Rapid Amateuren.
Auch dort wusste er zu beeindrucken, Bundesligaklub Admira lotste ihn in die Südstadt, wo er aber kaum zum Zug kam.
Auf eine Leihe zu Wiener Neustadt folgte dann der Schritt zur SV Ried. Aber auch im Innviertel blieb dem Wiener der Durchbruch verwehrt.
So kam es, dass sich Egho im Sommer 2017 auf sein erstes Auslandsabenteuer einließ - und sich Spartak Trnava in der Slowakei anschloss. Eine Entscheidung, die sich als goldrichtig erweisen sollte.
Magische Saison 2017/18
Denn im slowakischen Oberhaus läuft es bei Egho auf Anhieb. Die Saison 2017/18 entwickelt sich zu einer phänomenalen Spielzeit für den Stürmer.
Unter Trainer Nestor El Maestro schreibt er mit Spartak Trnava Geschichte, der Traditionsverein holt den ersten Meistertitel der Klubhistorie.
Topscorer Egho hat mit sieben Toren und zehn Assists einen Löwenanteil daran. Die Interessenten für den Torjäger stehen im folgenden Sommer klarerweise Schlange, Egho ist nicht zu halten.
"Ich hatte in Trnava ein sehr starkes Jahr, wir sind Meister geworden, ich war im Team der Saison. Da gab es dann einige Interessenten, sowohl aus Österreich als auch aus dem Ausland."
Wie es das Schicksal wollte, schlug ausgerechnet in der Stunde des Erfolges der Verletzungsteufel zu. "Ich habe mich dann leider am Knie verletzt, dann sind die Gespräche mit den meisten Klubs natürlich weniger geworden."
Nur ein Klub ließ im Werben um Egho trotz der unglücklichen Umstände nicht locker. "Außer mit Randers, der damalige Trainer Thomas Thomasberg wollte mich trotzdem unbedingt holen."
Egho mit dem slowakischen Meisterpokal:
"Wohl die beste Entscheidung in meiner Karriere"
Dänemark? Dass Egho im Vorfeld Zweifel hegte, bestreitet er nicht – auch dank Überzeugungsarbeit eines bereits zu dem Zeitpunkt in Dänemark tätigen Landsmannes ließen sich diese jedoch bald aus dem Weg räumen.
"Natürlich war es ein Abenteuer. Ich wusste natürlich nicht viel von Dänemark und muss auch sagen, es war jetzt nie irgendwie der große Traum von mir einmal in Dänemark zu spielen. Ich habe mich dann natürlich erkundigt, mein erster Ansprechpartner war Florian Hart, der damals bei Sönderjyske gespielt hat."
"Er hat gemeint, ich soll die Möglichkeit unbedingt ergreifen" - ein Ratschlag, der sich für Egho als lebensverändernd herauskristallisierte. "Jetzt nach diesen fünf Jahren muss ich sagen, dass es wohl die beste Entscheidung meiner Karriere war."
Wenngleich Eghos Transfer auch mit einer gewissen Erwartungshaltung verbunden war: "Ich bin in einer schwierigen Zeit zum Verein gekommen, der Verein ging mit meinem Wechsel und meinem Vertrag doch ein Risiko ein. Da war dann schon bisschen ein Druck da."
Egho und die "Journey" des FC Randers
Schnell stellte sich nämlich heraus, dass Egho mit dem Wechsel nach Dänemark alles richtig gemacht hatte.
Ausgerechnet mit der Ankunft des Österreichers legt der Verein nämlich einen Umbruch hin - und mauserte sich über die Jahre vom Abstiegskandidaten zum Europa-Aspiranten.
"Ich bin genau zum Zeitpunkt des 'Neustarts' zum Verein gekommen. Seitdem war es einfach eine richtige 'Journey'. Im ersten Jahr, als ich gekommen bin, sind wir fast abgestiegen, dann haben wir an den Top-6 angeklopft und mittlerweile sind wir zum dritten Mal in Folge in die Meisterrunde eingezogen. Wir haben 2021 den Pokal gewonnen, was der Klub auch schon ewig nicht geschafft hatte. Wir haben international gegen coole Klubs wie Leicester oder Galatasaray gespielt."
Pokalsieg als Sternstunde
Als absoluter Höhepunkt des sportlichen Aufstiegs des FC Randers ging der Pokalsieg 2020/21 in die Geschichtsbücher ein. Mit 4:0 schoss man Sonderjyske vor heimischen Publikum mit 4:0 ab und sicherte sich den zweiten Pokalsieg der Klubgeschichte. Speziell macht den Titel laut Egho aber insbesondere die Vorgeschichte und Reise des Vereins.
"Der Titel war zwar schön, die 'Journey' mit dem Klub vom Fast-Abstieg zum Pokalsieger macht mich aber noch stolzer und ich bin froh, dass ich dazu was beitragen konnte."
Dennoch erfüllt den Österreicher der nicht enden wollende Höhenflug mit dem FC Randers vor allem mit Stolz. "Die Leute in dem Verein schätzen das alles auch. Ich war jetzt zum Auftakt der Rückrunde auch Kapitän. "Es ist schön, dass die Leute auch meinen Namen mit dem Aufstieg von Randers verbinden."
In der aktuellen Saison gelang Randers einmal mehr der Einzug ins Meister-Playoff, vor rund zwei Wochen zwang man Titelfavorit Kopenhagen mit einem 1:0-Überraschungssieg in die Knie. Auch dieses Jahr lebt die Chance auf die Teilnahme am internationalen Geschäft.
Auf individueller Ebene lief es für den Sturmtank in der laufenden Spielzeit vor allem im Herbst gut, seit Jahreswechsel ist jedoch ein wenig der Wurm drinnen. Mit Krisen weiß der Routinier jedoch umzugehen.
"Im Vorjahr war ich lange verletzt, habe fast gar nicht gespielt. Im Sommer war alles ein bisschen ungewiss. Das erste halbe Jahr war dann richtig gut, ich habe viele Tore geschossen und viel gespielt. In der Rückrunde ist mir bis jetzt noch nicht so das Licht aufgegangen, ich hab aktuell einen kleine Hänger. Aber das kann vorkommen."
Dennoch: Sechs Tore gelangen Egho bislang in der laufenden Spielzeit.
"Es ist schön, dass die Leute auch meinen Namen mit dem Aufstieg von Randers verbinden."
Wohlfühloase Randers - "Es ist einfach familiär"
Für Egho selbst ist Randers längst weit mehr als ein einfacher Fußballklub.
Das Leben und die Leute im 5-Millionen-Einwohner-Land im Süden Skandinaviens haben einen bleibenden Eindruck beim Wiener hinterlassen. In Dänemark hat Egho längst eine zweite Heimat gefunden.
"Es ist ein extrem schönes Land, in dem man richtig gut leben kann. Die Leute hier sind so nett, hilfsbereit und offen. Es ist ein bisschen anders als in Österreich. Die Leute lächeln, wenn sie dir entgegenkommen, sind nicht so negativ."
Wenn er über die Stimmung bei seinem Herzensklub spricht, kommt Egho aus dem Schwärmen kaum heraus. Besonders das Miteinander und die Atmosphäre hebt der Wiener hervor.
"Man muss es einfach erleben. Man fühlt sich einfach richtig wohl, egal ob man den Zeugwart oder den Sportdirektor auf dem Vereinsgelände trifft: Jeder versteht sich mit jedem. Es ist einfach familiär. Der Koch, die Leute im Büro, der Zeugwart, alle halten zusammen. Das ist halt wirklich selten. Alles ist entspannter."
"In Österreich ist es ein bisschen wilder"
Mit Simon Piesinger erlebte ein weiterer ÖFB-Legionär an der Seite Eghos das Phänomen Randers. Nach zwei gemeinsamen Jahren brach Piesinger vergangenen Sommer seine Zelte in Dänemark wieder ab und kehrte in die Bundesliga zum WAC zurück. Ein Abgang, der wehtat: "Er wäre gerne noch da, weil Dänemark halt einzigartig ist."
Mit Kumpel "Piesi" tauscht sich Egho aber immer noch regelmäßig über die Unterschiede zwischen dem österreichischen und dem dänischen Fußball-Oberhaus aus. Egho kommt dabei zu dem einen oder anderen interessanten Schluss.
"Ich rede oft mit 'Piesi'. Ich würde sagen, der Fußball ist der Bundesliga recht ähnlich. In Dänemark ist es allerdings eher taktisch geprägt, in Österreich ist es ein bisschen wilder, man findet mehr Räume. In Dänemark schießen die Topscorer auch nicht so viele Tore."
Als Stürmer hat man es in der "Superliga" laut Egho nicht leicht. "Es ist oft schwierig, zu Chancen zu kommen, weil der Fußball sehr körperbetont ist. Es wird viel Wert darauf gelegt, hinten einmal stabil zu stehen."
"Es ist auf jeden Fall anspruchsvoll, aber es macht viel Spaß hier zu spielen. Es gibt coole Stadien, viele Fans. Es ist eine sehr gute Liga."
"Man merkt, dass jeder jeden biegen kann"
Im Vergleich zur Bundesliga seien auch die Kräfteverhältnisse nicht ganz so eindeutig verteilt.
"Es ist nicht wie in Österreich, wo nach Red Bull Salzburg lange nichts kommt. Kopenhagen hat natürlich das größte Budget, es wird eigentlich schon immer davon ausgegangen, dass sie die Meisterschaft holen. In den letzten Jahren hat Midtjylland sie aber immer herausgefordert und ist sowas wie die Nummer zwei geworden. Dann gibt es noch Bröndby, das kann man ein wenig mit Rapid vergleichen. Richtig viel Tradition, viele Fans und gutes Budget. Die Drei machen sich die Meisterschaft dann meistens aus."
"Dann gibt es noch Nordsjaelland, dort spielen viele junge Dänen. Dann kommen Vereine wie Aalborg, Aarhus oder Randers. Man merkt einfach, dass jeder jeden biegen kann. Ich habe noch nie ein Spiel gehabt, wo ich mir gedacht habe: 'Okay, heute verlieren wir'."
Auf Karas Spuren
So sehr der Österreicher Randers auch ins Herz geschlossen hat - bis an sein Karriereende wird er Randers nicht erhalten bleiben. Egho träumt von einem Wechsel in die USA.
"Es wäre schön, einmal in die MLS zu wechseln. Ich habe mit meinem Berater auch besprochen, dass, wenn sich die Möglichkeit ergeben würde, es super wäre, wenn ich sowas noch machen könnte. Ich bin auch ein riesengroßer NBA-Fan und wenn ich mir ein Ziel aussuchen könnte, dann wäre es auf jeden Fall die MLS. Aber natürlich, wenn es am Ende eine andere Liga ist, die sich interessant anhört oder ich noch länger in Randers bleibe, dann ist das natürlich auch interessant."
Ein Wechsel in die Vereinigten Staaten könnte tatsächlich in absehbarer Zeit Form annehmen. "Es gab schon Gespräche. Ich hab jetzt sechs Tore gemacht, wenn ich in den verbleibenden Spielen noch vier, fünf, sechs Tore mache dann könnte sich vielleicht was ergeben. Wenn es etwas geben sollte, das Sinn macht und alle Parteien einverstanden sind, würde ich das mit der MLS schon gerne machen."
"Bin einfach glücklich und dankbar"
Eine fußballerische Rückkehr nach Österreich peilt Egho jedenfalls nicht so bald an - auch wenn Kontakt besteht.
"Eher nicht, aber man kann im Fußball niemals nie sagen. Markus Katzer kenne ich beispielsweise sehr gut, auch Andi Schicker kenne und schätze ich. In Österreich ging es mir fußballerisch nicht so gut. Ich mag es, andere Kulturen und Städte kennenzulernen. Im Unterhaus würde ich in Österreich vielleicht wieder spielen."
Sollte es mit einem Wechsel in die Vereinigten Staaten jedoch nicht klappen, sei das auch kein Weltuntergang.
Was am Ende bleibt, sind vor allem Stolz und Dankbarkeit. In Randers reifte Egho nicht nur als Fußballer, sondern auch als Mensch. "Wenn man sich meine ganze Karriere anschaut, dann sollte ich eigentlich nicht in so einer Position sein, wie ich jetzt bin."
"Darum freut es mich, dass ich sowas heute erleben darf und es geschafft habe. Ich erwarte in den nächsten Wochen auch ein Kind. Ich bin sehr dankbar und glücklich darüber, dass ich so einen Verein gefunden habe, wo ich all diese Dinge erreichen und erleben konnte."