Die fetten Jahre in Chinas Fußball-Topliga sind vorerst Geschichte.
Die Boom-Phase ab Mitte der 2010er-Jahre hat einer gewissen Ernüchterung Platz gemacht, der vermeintlich schlafende Fußball-Riese hat sich vorerst nur umgedreht. Mit Peter Zulj, Richard Windbichler und Markus Pink sind drei Austro-Legionäre im Reich der Mitte engagiert, Hans-Peter Berger werkt als Tormanntrainer.
Er glaubt den aktuellen Problemen zum Trotz an das Potenzial der Chinese Super League.
Klub-Insolvenzen und Corona-Krise trafen China hart
Sorgten vor einigen Jahren noch die Engagements von Topleuten wie Hulk, Carlos Tevez, Ezequiel Lavezzi, Stephan El Shaarawy oder auch Marko Arnautovic für Aufsehen, vernahm das geneigte internationale Publikum zuletzt weit weniger positive Nachrichten aus China.
Erstligaklub Guangzhou City darf aus finanziellen Gründen an der Meisterschaft nicht teilnehmen, auch sieben Zweitligisten erhielten die Rote Karte, verlautete die Liga rund zwei Wochen vor ihrem Start an diesem Samstag. Dass der Serienmeister der 2010er-Jahre, Guangzhou, im Herbst 2022 infolge seines kriselnden Sponsors Evergrande absteigen musste, oder Jiangsu als amtierender Champion 2021 den Betrieb einstellte, rundet dieses Bild des wirtschaftlichen Abstiegs ab.
2020 traf Corona den Fußball hart, auch die 2021 eingeführten Gehaltsobergrenzen haben den Glamour-Faktor erheblich gebremst. Chelseas ehemaliger brasilianischer Offensivmann Oscar von Shanghai Port ist aktuell Teamkollege von Pink und der wohl bekannteste Spieler der Liga, die laut "transfermarkt.at" bei einem Marktwert von rund 165 Mio. Euro steht - und damit in etwa der zypriotischen oder bulgarischen Liga entspricht. Zulj verdingt sich seit September für Changchun Yatai.
"Alles sperrt wieder auf, China kommt retour"
Hans-Peter Berger kennt das Treiben bereits seit Herbst 2021. Sein Engagement bei Rongcheng Chengdu, das auf Betreiben seines ehemaligen Ried-Kollegen und nunmehrigen Coaches Jung-won Seo zustandekam, ist bisher ideal verlaufen. Unter dem Südkoreaner gelang erst der Aufstieg, in der Vorsaison dann - mit Windbichler in der Innenverteidigung - gar Rang fünf im Oberhaus.
"Es war sportlich brutal erfolgreich, aber wegen Corona keine leichte Zeit", sagt Berger wenige Tage vor Start der Liga. Bewegte man sich auch 2022 durchgängig noch in einer "sehr gut organisierten Blase", könne man nun endlich wieder vor Zuschauern spielen. "Alles hat wieder aufgesperrt, China kommt retour", meint Berger.
Corona habe "natürlich" auch in finanzieller Hinsicht Spuren hinterlassen, "grundsätzlich läuft das System aber sehr gut", ist Berger überzeugt. "China ist sehr sportaffin, noch immer bereit, sehr viel in den Sport zu investieren. Aber eben nicht mehr in dieser abnormalen Dimension", berichtet der Salzburger.
Fußball-Riese braucht noch Zeit, um aufzuwachen
Die Infrastruktur sei höchst professionell. "So etwas habe ich noch nie gesehen", betonte der einstige Ried- und Admira-Goalie, der auch zwei Jahre in Portugals Topliga kickte. "Trainingscenter mit 40, 50 Zimmern, drei Plätze nur für die Trainings der Kampfmannschaft, eine neue Akademie wird aktuell gebaut. Und so schaut es bei jedem Klub aus."
Klar sei freilich, dass die politisch unterfütterten Ambitionen dazu führten, dass die Verantwortlichen allerorten "natürlich auch viel Geld verbrennen". Vom Scheitern der chinesischen Träume könne aber keine Rede sein. "Es ist ein paar Jahre her, dass der Hype angelaufen ist. Das ist noch nicht so lange."
Seiner Erfahrung nach sei man "offen für alles. Sie saugen das richtig auf, viele Spieler wollen sich weiterentwickeln." Taktisch seien die Teams noch nicht auf europäischem Level, am Tormannsektor sei das diesbezügliche Potenzial besonders groß: "Da ist man noch nicht so adaptiert wie in Europa."
Derzeit versuche man, eine durchgängige Spielphilosophie vom Nachwuchs bis zur Kampfmannschaft zu etablieren. Scouting und Videoanalyse müssten noch ausgebaut werden, "das wird noch einige Jahre brauchen", sagt Berger. Dass China - u.a. aufgrund anderer kultureller Voraussetzungen (Stichwort Individual- vs. Teamsport) - selbst "in 50 Jahren nicht wettbewerbsfähig sein wird", wie es Tevez nach seinem Abgang von Shenhua 2018 formulierte, glaubt Berger nicht.
Die Entwicklung brauche Zeit. "Die Frage ist doch: Seit wann probiert man es? So lange ist das noch nicht her."