Wenn in etwas mehr als einer Woche die neue Saison in der Saudi Pro League losgeht, wird im Golfstaat nichts mehr so sein, wie es einmal war.
Über 360 Millionen Euro gaben die saudischen Klubs im bisherigen Transfersommer für Spieler, die zuvor großteils als absolute Stars in Fußball-Europa galten, aus.
Karim Benzema, Sergej Milinkovic-Savic und Riyad Mahrez heißen nur einige wenige der vielen Spitzenfußballer, die zuletzt wie zuvor schon Cristiano Ronaldo nach Saudi-Arabien wechselten.
Und auch einige prominente Trainer folgten in den vergangenen Wochen dem Ruf des saudischen Königreichs, das dank seiner Öl-Exporte eines der reichsten Länder der Welt ist. So heuerten neben Ex-Salzburg-Coach Matthias Jaissle unter anderem Liverpool-Legende Steven Gerrard oder der portugiesische Top-Trainer Jorge Jesus zur neuen Saison in der Saudi Pro League an.
Kurzum: In Saudi-Arabien ist der Fußball-Wahnsinn ausgebrochen. Die Saudi Pro League soll in einigen Jahren zu den besten Fußball-Ligen der Welt gehören, so das erklärte Ziel der saudischen Regierung. Dafür werden weder staatliche Kosten noch Mühen gescheut: Die vier größten Klubs des Landes gehören seit Anfang Juni 2023 zu 75 Prozent einem Staatsfonds des Golfstaats. Alle vier ließen es am Transfermarkt zuletzt ordentlich krachen.
Ein Mann, der diese Entwicklung hautnah miterlebt, ist Nizar Ben Nasra: Der in Tunesien geborene Österreicher ist seit 2021 erfolgreich als Co-Trainer bei der U23 des saudischen Rekordmeisters al-Hilal tätig.
Gegenüber LAOLA1 schildert er seine Eindrücke vom saudischen Fußball-Wahnsinn, erklärt, warum Saudi-Arabien aus den Fehlern Chinas gelernt haben will, und prognostiziert Matthias Jaissle Erfolg bei seinem neuen Klub.
Schon als Spieler ein Weltenbummler
Dass Ben Nasra mit Saudi-Arabien eine eher exotische Destination für seinen ersten Trainerjob wählte, überrascht nur wenig, wenn man sich den bisherigen Lebensweg des 36-Jährigen ansieht.
Ben Nasra galt als Kind als großes fußballerisches Talent, wechselte schon früh in den Nachwuchs des FC Toulouse. Nach nur einem Jahr kehrte er aus Frankreich allerdings zurück in sein Geburtsland, ehe er im Alter von zwölf Jahren nach Österreich kam und über den SC Wolkersdorf den Sprung zur Admira schaffte.
Dank starker Leistungen im U19-Team der Südstädter wurden dem einstigen Flügelspieler Nominierungen für das U19- und U20-Nationalteam Tunesiens zuteil, für die Admira durfte er 2006 in der 2. Liga debütieren. Nachhaltig durchsetzen konnte sich Ben Nasra aber weder in der Südstadt noch bei den Amateuren der Wiener Austria, denen er sich 2009 anschloss. Also beschloss er, seine Profikarriere außerhalb Österreichs fortzusetzen.
Zunächst führte ihn sein spannender Karriereweg zurück in sein tunesisches Geburtsland, Litauen, Norwegen, Slowakei, Jordanien und Kroatien hießen die weiteren Stationen. Erst 2016 kehrte der Weltenbummler nach Österreich zurück, wo er bis zu seinem Karriereende im Unterhaus kickte.
"Ich war im Fußball immer offen für alles, ich habe mich nie limitiert. Die vielen Auslandserfahrungen, die ich als Spieler hatte, helfen mir jetzt als Trainer weiter", blickt Ben Nasra auf seine bewegte Spielerkarriere zurück.
Für die Karriere danach, nämlich seiner aktuellen als Trainer in Saudi-Arabien, seien diese Erfahrungen mit vielen verschiedenen Landsmännern und Kulturen äußerst hilfreich, so das Sprachtalent, das fünf Sprachen fließend spricht.
Plötzlich Trainer der al-Hilal-Stars
Noch während seiner Spielerkarriere machte er den ersten Schritt Richtung Coaching-Laufbahn, schloss 2017 die UEFA-B-Lizenz in Berlin ab. Daraufhin hospitierte er bei mehreren europäischen Vereinen, ehe er über einen in Riad ansässigen Cousin Kontakt zu al-Hilal aufbaute.
2021 wurden schließlich Plätze im Trainerteam der zweiten Mannschaft des Hauptstadt-Klubs frei, einen davon bekam Ben Nasra. Sein bisheriges Resümee: "Es ist sehr spannend. Ich versuche, das Beste aus diesem Abenteuer herauszuholen."
Und erfolgreich ist dieses Abenteuer für den Austro-Tunesier ebenfalls. Zwei Mal konnte er mit der zweiten Mannschaft von al-Hilal den saudischen U23-Meister-Titel holen, immer wieder schaffen von ihm betreute Eigenbauspieler den Sprung in die erste Mannschaft des saudischen Rekordmeisters.
Letztere durfte er zuletzt sogar erstmals höchstpersönlich betreuen. Da zum Start des Sommer-Trainingslagers von al-Hilal Anfang Juli in Villach zunächst noch kein neuer Cheftrainer verpflichtet wurde, wurde Ben Nasra kurzfristig aus seinem Urlaub zurückbeordert und er und sein Team waren für einige Tage für die Saison-Vorbereitung der ersten Mannschaft verantwortlich, ehe Starcoach Jorge Jesus das Ruder übernahm.
Jesus ist bekanntlich nur einer von vielen, vielen großen Namen, die seit diesem Sommer neu in der Saudi Pro League sind. Den großangelegten und vom Staat finanzierten Investitionen der saudischen Klubs steht Ben Nasra positiv gegenüber.
"Hoffe, sie machen es besser als China"
"Ich finde es gut und hoffe, sie machen es besser als China. Ich finde es schön zu sehen, was gerade passiert. Es ist Werbung für Saudi-Arabien", so Ben Nasra, der bereits erste Effekte dieser Werbung erkennen kann: "Man merkt, dass viele Europäer hierherkommen."
Ich bin mir sicher, dass die Saudis wissen, was sie machen. Sie werden versuchen, dass alles schön und gut aussieht, nachdem sie so viel Geld reingesteckt haben.
Ben Nasra glaubt, dass man in Saudi-Arabien von den Fehlern Chinas, wo vor wenigen Jahren ein ähnlicher Transferboom herrschte, der aus verschiedenen Gründen allerdings jäh endete, gelernt hat und auf lang- statt kurzfristigen Erfolg setzt.
Ähnlich wie bei der WM in Katar, die trotz scharfer Kritik im Vorfeld schlussendlich großteils als (von Seiten des Gastgebers medial perfekt inszeniertes) Fußballfest in Erinnerung blieb, geht er davon aus, dass auch die saudische Pro League ihr Bestes geben wird, sich massentauglich zu vermarkten.
"Ich bin mir sicher, dass die Saudis wissen, was sie machen. Sie werden versuchen, dass alles schön und gut aussieht, nachdem sie so viel Geld reingesteckt haben", so Ben Nasra.
"Hier wird nicht erst seit gestern Fußball gespielt"
In Saudi-Arabien sei der Fußballsport, anders als in den meisten anderen Nationen der arabischen Halbinsel, zudem ohnehin schon länger ein großes Thema. Ben Nasra führt hierbei die sechs saudischen Teilnahmen an den letzten acht ausgetragenen FIFA Weltmeisterschaften an. 2034 würde Saudi-Arabien gerne selbst eine WM veranstalten - auch das ist ein Grund für die immensen aktuellen Investition in den heimischen Klubfußball.
"Schon als ich jung war, waren sie in Saudi-Arabien vom Fußball begeistert, sie haben Fußball immer geliebt. Hier wird nicht erst seit gestern Fußball gespielt", hält der Jung-Coach fest.
Und schlecht wird außerdem auch nicht gespielt. Erst vor wenigen Monaten, bei der WM 2022 in Katar, sorgte die saudische Nationalelf mit einem 2:1-Sieg über den späteren Weltmeister Argentinien für eine Sensation. Der damalige Siegtorschütze, Salem Al-Dawsari, kickt bei al-Hilal und war zuletzt einer der Schützlinge von Ben Nasra beim Trainingslager in Kärnten.
Der 31-jährige Flügelspieler ist in Saudi-Arabien der Superstar schlechthin, aus einer internationalen Perspektive wurde ihm dieser Rang bei al-Hilal nun aber abgelaufen.
Um fast 180 Millionen Euro: Vier neue Stars für al-Hilal
Al-Hilal, neben al-Nassr, al-Ahli und al-Ittihad einer der vier vom saudischen Staatsfonds übernommenen Klubs, shoppte im bisherigen Transfersommer im großen Stil.
Der Brasilianer Malcom (26), Wolverhampton-Regisseur Ruben Neves (26), Mittelfeld-Superstar Sergej Milinkovic-Savic (28) und Ex-Chelsea-Verteidiger Kalidou Koulibaly (32) dockten für insgesamt 178 Millionen Euro in Riad an.
"Ich finde gut, dass al-Hilal es mit jungen Spielern, und speziell Malcom und Neves sind in meinen Augen junge Spieler, wenn man sieht, wie alt die Neuzugänge bei anderen Vereinen in Saudi-Arabien sind, probiert", ist Ben Nasra von den Neuzugängen überzeugt.
Nun gehe es darum, die prominenten Neuzugänge rasch in die bestehende Mannschaft zu integrieren. Jenes der vier großen Teams, welchem das am schnellsten gelingt, dürfte gute Chancen auf den Meistertitel haben.
"Jaissle wird gute Arbeit machen"
Der schärfste Konkurrent al-Hilals auf den Titel dürfte al-Ittihad heißen. Der Verein aus Dschidda wurde in der Vorsaison ohne ganz große Namen im Kader Meister und hat sich nun mit den Superstars Karim Benzema und N'Golo Kante sowie dem portugiesischen Wirbelwind Jota punktuelle Verstärkung von Welt-Format dazugeholt.
Besonders freut sich Ben Nasra schon auf die Duelle seines Vereins mit al-Nassr. Der Klub von Cristiano Ronaldo und bald auch Sadio Mane ist der Stadtrivale von al-Hilal und hat mit Seko Fofana von noch Danso-Klub RC Lens, Kroatiens Mittelfeld-Strippenzieher Marcelo Brozovic und dem brasilianischen Außenverteidiger Alex Telles ebenfalls bereits hochrangige Transfers in diesem Sommer vollzogen.
Am fleißigsten kaufte bisher aber al-Ahli, der neue Verein von Matthias Jaissle, ein. Der saudische Großklub stieg erst zu dieser Saison nach einem Jahr peinlicher Zweitklassigkeit wieder in die saudische Pro League auf und hat nun Großes vor, wie Einkäufe wie Riyad Mahrez, Allan Saint-Maximin, Edouard Mendy und Roberto Firmino zeigen.
"Die Fans haben nach dem Aufstieg nichtmal akzeptiert, dass die Spieler bei der Meisterfeier feiern, weil sie so viel Stolz besitzen: Der Klub hätte niemals in der 2. Liga spielen dürfen. Sie werden sicher alles zur Verfügung stellen, um vorne mitzuspielen. Das sieht man an den Transfers. Ich glaube, Jaissle wird dort gute Arbeit machen", prognostiziert Ben Nasra.
Rückkehr nach Österreich ein Thema?
Jaissle war dem Auslands-Österreicher freilich bereits vor dessen Engagement in Saudi-Arabien ein Begriff, verfolgt er die österreichische Bundesliga doch regelmäßig. Österreichs Serienmeister, den FC Red Bull Salzburg, würde er auf einem ähnlichen Niveau wie al-Hilal, das mit vier Titel in der AFC Champions League auch als "Real Madrid Asiens" bekannt ist, einstufen.
Ob Ben Nasra mit einer Rückkehr nach Österreich, wo Frau und Kind ihren Hauptwohnsitz haben, spekuliert? "Ich bin als Trainer für alles offen. Heute bin ich hier, morgen weiß man nie, wo man ist."
Er versuche in Österreich Kontakte aufrecht zu erhalten, so der 36-Jährige, der in seiner aktiven Karriere unter anderem mit Marc Janko, Erwin Hoffer oder Roman Wallner zusammenspielte und kurzzeitig unter ÖFB-Sportdirektor Peter Schöttel trainierte. Momentan fühle er sich in Riad aber sehr wohl.
Die Eindrücke und Erfahrungen, die Ben Nasra in diesem irren saudischen Fußball-Sommer bis dato sammeln durfte, könnten sich im Laufe seiner weiteren Trainerkarriere als durchaus nützlich erweisen.
Nur wenige Trainer haben das Privileg, den Beginn eines Aufstiegs einer Nation zur vermeintlichen Fußball-Weltmacht aus nächster Nähe mitzuerleben.