In der Serie "Das Tor zur Welt" nehmen wir internationale Fußball-Klubs und ihre Geschichten genau unter die Lupe. Wir beleuchten die Hintergründe, die in der schnellen, täglichen Berichterstattung gerne untergehen.
Von Aston Villa und Benfica Lissabon über Europas größten Fußballklub IF Brommapojkarna, den Fan-Verein CS Lebowski bis hin zum deutschen Überraschungsteam 1. FC Heidenheim haben wir schon einige Klubs porträtiert. Hier kannst du alle nachlesen >>>
Heute soll es um den anstehenden Conference-League-Gegner des SK Rapid gehen: die Shamrock Rovers. Der irische Rekordmeister lachte nicht immer von der Spitze. Über goldene Jahre, folgenhafte Entscheidungen und ein hierzulande unbeachtetes Stadtderby.
SK Rapid - Shamrock Rovers: Donnerstag, ab 21 Uhr im LIVE-Ticker >>>
Und plötzlich ist ein Schweinekopf am Spielfeldrand.
Schon zuvor lag da ein Schweinefuß. Der massive Schädel, der erst unter einer Flagge hervorgehalten wird und dann in Richtung Spielfeld geworfen wird, ist es aber, der wenig später zum Zeichen einer Rivalität wird.
Es spielen nicht Barcelona und Real Madrid, sondern die Shamrock Rovers und der Bohemian Football Club. Der Schweinekopf fliegt nicht 2002, sondern 2004. Und er gilt auch nicht Luís Figo, sondern James Keddy und Tony Grant. Die hatten es sich zuvor erlaubt, von den Rovers zu den Bohemians zu wechseln. Jahre später sagt Grant der "Irish Sun": "Dieses Spiel, es ist eine Religion für die Fans, es ist ein Kult, dafür leben sie."
Wer die Geschichte der Shamrock Rovers erzählen will, kann es kaum tun, ohne auch die Geschichte des Stadtrivalen mitzuerzählen. Denn Fußball fristet in Irland nur ein Schattendasein, im Vereinigten Königreich ist das freilich anders. Irland aber steht nur auf Platz 32 der UEFA-5-Jahres-Wertung.
Wesentlich populärer ist hier der Gaelic Football, der beim All-Ireland Final über 80.000 Zuschauer in den Dubliner Croke Park lockt. In die Premier Division der League of Ireland finden sich durchschnittlich hingegen nur 3.790 Zuschauer pro Spiel, und das, nachdem es nach der Pandemie sogar zu einem Zuschauer-Boom gekommen war.
Die meisten kommen zu den Rovers, die 2024 einen Zuschauerschnitt von 6.071 Personen verzeichnen konnten. Die Fans setzen dort nicht nur auf britischen Support, es gibt auch Ultras. Auch das ist im britischen Fußball in der Regel anders.
Das Spiel des Jahres, das ist besagtes Stadtderby gegen die Bohemians. Das war nicht immer so, aber doch immer wieder. Der aktuelle Trainer der Rovers, Stephen Bradley, stand seit 2016 in 371 Spielen am Spielfeldrand. Dem irischen Medium "The 42" sagte er:
"Es war immer eine großartige Atmosphäre, und es ist eines der größten Spiele im irischen Fußball. Es ist ein Spiel, das niemand verlieren will, denn wer am Ende obenauf ist, gewinnt das Anrecht auf Prahlerei."
Katholiken gegen Protestanten
Die Shamrock Rovers sind der erfolgreichste Fußballklub in der Geschichte der Republik Irland.
21 Mal wurde die Meisterschaft gewonnen, 25 Mal der FAI Cup in den Himmel gestreckt. Allein zwischen 1969 und 1992 wurden sieben Cup-Titel eingefahren. Kein Klub hat mehr Spieler für die irische Nationalmannschaft hervorgebracht. Die Bohemians hingegen sind der älteste Verein und der Einzige, der durchgehend seit 1921 in der höchsten Liga kickt.
Wann genau Shamrock gegründet wurde, war lange Aushandlungssache. Manche sprachen von einer Gründung im Jahr 1901, der früheste mittlerweile bekannte Hinweis auf den Klub stammt aber aus 1899. Nicht nur das Gründungsjahr haben die Rovers mit dem SK Rapid gemein, auch die Farben – Grün und Weiß – sind dieselben.
Bei den Rovers sind sie seit 1927 traditionell in Streifen auf dem Trikot platziert, ihnen haben die "Hoops" ihren Spitznamen zu verdanken.
Ihr richtiger Name stammt von der Shamrock Avenue. Dort, in der Dubliner Southside, liegen die Ursprünge des Klubs. Der Süden Dublins gilt traditionell als reicher, dort lebte die Mittelschicht, während in der ärmeren Northside die Arbeiterschicht daheim war. Im Fußball aber gelten eigene Gesetze.
Shamrock ist der Verein der Arbeiterschicht, die Bohs hingegen sind der Klub der Mittelschicht. Erstere sind der Klub der Katholiken, zweiterer hat protestantische Wurzeln, das gibt dem Derby schon grundsätzlich Brisanz.
Getrennt sind die Klubs von der Liffey, die durch Dublin fließt, und einer guten halben Stunde Fahrtweg durch die Stadt von Tallaght (Rovers) zum Dalymount Park (Bohs).
Four F’s und ein Finale
Die ersten Versuche der Rovers im Fußball bleiben von kurzer Dauer, erst ab 1920 ist man so wirklich angekommen. An der Milltown Road wird Land gemietet, nach und nach entsteht der Glanmalure Park, der lange als Heimstätte fungiert.
Schon im Jänner 1915 treffen Rovers und Bohemians erstmals aufeinander, Stürmer Ned Brooks führt die Bohs mit einem Hattrick zum 3:1-Erstrundenerfolg im Leinster Senior Cup. Eine große Feindschaft ist es damals noch nicht, das weitaus größere Derby ist jenes zwischen Bohemians und dem Shelbourne FC, der zwar aus dem Süden kommt, im Gegensatz zu den Rovers aber ebenfalls protestantisch geprägt ist.
Der Konflikt zwischen Protestanten und Katholiken in Nordirland und Irland wird Jahrzehnte später noch einmal blutig eskalieren, bereits 1920 führt er aber zur Spaltung Irlands in einen katholischen Freistaat Irland und Nordirland. Im Zuge der Teilung wird auch die Football League of Ireland gegründet.
In der Premierensaison sind die Rovers noch nicht dabei, die zweite Meisterschaft gewinnen sie 1922/23 aber direkt. Zu dieser Zeit entsteht die Konkurrenz zwischen Bohemians und Rovers, beide Vereine holen in zehn Jahren jeweils drei Ligatitel. Sportlich sorgen bei Shamrock die "Four F’s" - Bob Fullam, Billy "Juicy" Farrell, John Joe Flood und John "Kruger" Fagan - für Furore.
Die Rovers gewinnen zudem fünfmal in Folge den Cup – den ersten ausgerechnet im Finale gegen die Bohemians, 1929 auswärts im Dalymount Park. Das Duell mit den später verhassten Finalgegnern hat da seinen ersten Eklat bereits hinter sich.
Zwei Raufbrüder und ein Arzt mit Fieber
1923 fordert der oberkörperfreie Bohemians-Halfback, irische Rugby-Kapitän und Weltkriegsveteran Ernie Crawford nach Abpfiff eines Spiels nämlich Rovers-Starstürmer (und Hafenarbeiter) Bob Fullam zu einem Faustkampf heraus, nachdem in den 90 Minuten zuvor zwei Bohs-Spieler verletzt vom Platz getragen werden mussten.
Auch Fullam ist nicht als Kind von Traurigkeit bekannt – das Pokalfinale im Jahr zuvor endete in einer Massenschlägerei, die erst ein Ende fand, als ein Spieler der Siegesmannschaft von St. James’s Gate Fullam mit einer Pistole bedrohte.
Die Rivalität zwischen "Hoops" und Bohs findet ihren vorläufigen Höhepunkt, als die Teams im Finale des FAI Cup 1945 vor einer Rekordkulisse von 45.000 Zuschauern aufeinandertreffen.
Auf Seiten der Bohemians spielt auch Kevin O’Flanagan, irischer Nationalspieler und promovierter Arzt. Er erwischt nicht seinen besten Tag, was auch daran gelegen haben mag, dass er an einer Grippe litt und mit 39 Grad Fieber spielte. Die Rovers gewinnen 1:0.
Nach Europa und noch weiter
Zum Zeitpunkt des Rekord-Finals sind die Bohs eigentlich schon über ihrem Zenit.
Dem Profifußball hatten sie sich stets widersagt, die besten Spieler gingen daher zur Konkurrenz. Größter Herausforderer der Rovers wird stattdessen der Drumcondra FC, das Spiel der Rovers gegen sie das größere Derby.
In den 50ern dominieren die Rovers unter Trainer Paddy Coad, die Medien schreiben anerkennend von "Coad's Colts" (Coads Jungs).
Später schaffen es die Rovers als erstes irisches Team in den Europacup, 1957 setzt es gegen Manchester United und Matt Busby aber ein 0:6 im Hinspiel, wenngleich das Rückspiel knapper gestaltet wird (2:3).
In den 1960ern spielt man gegen Valencia, Real Zaragoza und 1964 auch gegen Rapid, die Wiener gewinnen mit 2:0 und 3:0. 1966 scheidet man nur knapp gegen den späteren Titelgewinner Bayern München aus, das entscheidende Tor von Gerd Müller ist umstritten.
1967 geht es für die Rovers sogar nach Übersee. Die in den USA kurzerhand gegründete United Soccer Association brauchte Teams, engagiert wurden zwölf Teams aus Europa und Südamerika, die jeweils Städte in Nordamerika repräsentieren sollten. Neben Stoke City, Sunderland, Aberdeen, Dundee United oder Wolverhampton wurden auch die Shamrock Rovers verpflichtet, die als Boston Rovers spielten. Das allerdings weniger erfolgreich, man wurde das schlechteste der zwölf teilnehmenden Teams.
Nicht nur die internationalen Ausflüge der Rovers prägen das Jahrzehnt, auch die Bohemians werden wieder relevant, als mit Seán Thomas ausgerechnet ein Trainer die Wende einleitet, der zuvor mit den Rovers Meister wurde und sich mit der dort bestimmenden Familie Cunningham zerstritt.
Mit dem Aufgeben des Amateurstatus Ende der 60er-Jahre, und der wenig später folgenden Auflösung der Drums, ist die alte Feindschaft wieder zurück, weg war sie ohnehin nie.
Vom Höhepunkt zum Niedergang
Für die Rovers sind die 70er hingegen trist. Das liegt daran, dass die Familie Cunningham nach vier Jahrzehnten im Vorstand ihre Anteile an die Kilcoyne-Brüder verkauft, die zunächst wenig investieren. Die Zuschauer bleiben zu Hause, statt ins marode Stadion zu kommen.
Das Engagement wird schließlich doch intensiviert, unter Johnny Giles als Spielertrainer werden zahlreiche irische Internationale hervorgebracht – die praktischerweise von Johnny Giles im Nationalteam gecoacht werden. Jim McLaughlin und Dermot Keely führen das Team zwischen 1983 und 1987 zu vier Meisterschaften in Folge, die Rovers sind die Nummer eins. Das Hochgefühl findet ein rasches Ende.
1987 verkaufen die Kilcoynes das Stadiongelände zur Immobilienentwicklung. Die Initiative KRAM (Keep Rovers at Milltown) stemmt sich dagegen, kann das aber nicht verhindern. Für die Rovers beginnt eine jahrelange Herbergsuche. Gespielt wird auch in feindlichem Territorium, im Norden der Stadt, unter anderem im Tolka Park von Shelbourne und sogar zwei Jahre im Dalymount Part der Bohemians.
Wie Phönix aus der Asche - dank der 400
Pläne für ein neues Stadion im Vorort Tallaght gibt es schon 1996. Es wird erst 2009 eröffnet. Weil sich die Rovers beim Bau komplett übernehmen, und mit mehreren Millionen an Schulden fast in die Auflösung des Vereins schlittern.
Eine Faninitiative, der "400 Club" rettet die Hoops vor dem Aus, 25 Prozent der Anteile an den Shamrock Rovers gehören auch heute noch dem Members Club. Trotz der Rettung steigt man 2005 aber für ein Jahr in die First Division ab.
Mit dem neuen Heimstadion, das vom County South Dublin fertiggestellt wird, kehrt die Stabilität zurück. Im Juli 2009 gibt hier ein gewisser Cristiano Ronaldo in einem Freundschaftsspiel sein Debüt für Real Madrid. 2010 und 2011 wird die Meisterschaft bejubelt, die Rovers spielen Champions League, holen 2019 nach 32 Jahren wieder den Cup. Und zwischen 2020 und 2023 vier Meistertitel in Serie.
Die vor kurzem abgelaufene Saison 2024 wurde auf Platz zwei abgeschlossen, weil Shelbourne in Minute 85 noch das Siegtor gegen Derry City erzielt hatte.
Die Bohs hingegen warten seit 2009 auf einen Titel, hatten mit finanziellen Problemen zu kämpfen.
Auf und neben dem Platz umkämpft
Auch deshalb ist das Dubliner Derby schon länger nicht mehr das Duell der beiden Besten. Das war einmal so, ist aber länger her. Die Bohs hatten es in der vergangenen Dekade nur zweimal in die Top-drei geschafft. Zuletzt wurden sie Achter. Das Derby ist aber immer für Überraschungen gut.
Auf den Rängen etwa. Im Richmond Park - einem anderen Ausweichstadion - sind die Rovers 2003 nicht mehr willkommen, weil die Fans nach einem Derby aufeinander losgegangen waren. 2000 muss ein Derby wegen Auseinandersetzungen 20 Minuten unterbrochen werden. 2016 kommt es zu Prügeleien auf dem Feld. Spielen Rovers und Bohemians gegeneinander, ist die Präsenz der Garda Síochána - der nationalen Polizei - so stark wie nie.
Aber auch das Geschehen auf dem Feld ist unvorhersehbar. So wie 2001.
Die Rovers spielen daheim, aber auch nicht. Die aktuelle Heimstätte ist das Morton Stadium in Santry, schon nach zwei Minuten erzielt Tony Grant am 28. Jänner die Führung. Der Mann, dem später der Schweinekopf gelten soll.
In die Halbzeit gehen dir Rovers mit einer 4:1-Führung in die Halbzeit. Deckel drauf, Kuchen gegessen, Messe gelesen? Die Bohs drehen nach Wiederanpfiff auf, erzielen fünf Tore. 4:6 steht am Ende auf der Anzeigetafel.
Der Fußball schreibt seine eigenen Geschichten. In Dublin umso mehr.