In der niederländischen Eredivisie gelten für gewöhnlich zwei Regeln:
- Ajax Amsterdam oder PSV Eindhoven wird Meister.
- Für Ausnahmen gilt automatisch Regel eins.
Sicherlich etwas überspitzt formuliert, aber im neuen Jahrtausend eroberten die beiden Spitzenteams nun mal 15 von 17 möglichen Meisterschaften und die letzten sechs in Folge.
In dieser Saison ist ein Team aber auf bestem Weg, diese Phalanx zu brechen: Feyenoord Rotterdam träumt vom ersten Meistertitel seit 1999.
Finanzieller und sportlicher Aufstieg
2010 noch unvorstellbar. Da demütigte die PSV den Rivalen mit einer 10:0-Klatsche – die höchste Niederlage der Vereinsgeschichte. Die Finanzen des arg gebeutelten Traditionsklubs (35 Millionen Euro negatives Eigenkapital) befanden sich unter Aufsicht des Fußball-Verbandes KNVB.
Die Investorengruppe „Vrienden van Feyenoord“ half schließlich mit, den Klub zu sanieren. 2014 konnte der Verein aus dem Westen des Landes erstmals seit zehn Jahren wieder positives Eigenvermögen vermelden. In der drauffolgenden Saison verbuchte man einen Rekordgewinn von 13,6 Millionen Euro.
Mit Trainer Ronald Koeman konnte sich der Klub mit den rotweiß gestreiften Dressen auch sportlich wieder langsam oben anpirschen. Mit Coach Giovanni van Bronckhorst besiegte man Utrecht im Pokal-Finale 2016 2:1 und gewann den ersten Titel seit 2008.
Sensations-Start
Den Schwung nahm Feyenoord in die neue Saison mit. Die Rotterdamer führen die Tabelle seit dem ersten Spieltag an (5:0 Groningen) und gewannen die ersten zehn Saisonspiele. Auf die folgende einzige Schwächephase der Saison antworteten sie mit erneuten zehn Siegen en suite.
„Sie haben sich kontinuierlich weiterentwickelt. Spielerisch, aber vor allem als Team. Es herrscht ein gewaltiger Teamspirit“, erklärt Ronald de Boer den Erfolgslauf bei „goal“.
Die Folge: Endlich die nötige Konstanz in der Meisterschaft. Wurden früher in Spielen gegen Nachzügler Punkte unnötig verschenkt, nimmt der Klub diese Saison auch „dreckige“ Siege mit, wie unlängst im Südholland-Derby in Den Haag (1:0).
Team steht im Mittelpunkt
Die Konstanz auf dem Rasen spiegelt sich auch im Team wider. Mit 13 stellen die Hafenstädter nach Utrecht (14) die zweitmeisten verschiedenen Torschützen in der Liga.
Nicolai Jörgensen sticht mit 15 Treffern als Torschützenführender bzw. mit den zusätzlichen acht Assists als Topscorer der Ehrendivision hervor. Der im Sommer für 3,5 Millionen Euro vom FC Kopenhagen gekommene Däne entpuppte sich als fehlendes Puzzle-Stück in der Offensive im klassisch-niederländischen 4-3-3-System.
Vorne erhält er Unterstützung vom nach einer Schulterverletzung wieder aufblühenden Linksaußen Eljero Elia (7 Tore/8 Assists). Karim El Ahmadi treibt das Spiel aus dem Mittelfeld an.
Feyenoord-Aufstellung gegen PSV (und mögliche Meisterelf?):
Meisterwürdige Statistiken
Mit 61 Treffern stellt der 14-fache „Kampioen“ (Meister) aber nicht nur die beste Offensive. 13 Gegentreffer bedeuten auch die beste Defensive.
Neben dem erfahrenen Innenverteidiger-Duo Jan-Arie van der Heijden (28) und Eric Botteghin (29) fällt vor allem Rechtsverteidiger Rick Karsdorp auf. Der 22-Jährige gab erst im Oktober sein Länderspiel-Debüt für die „Elftal“. Ronald de Boer adelte ihn gar zum „neuen Philipp Lahm“.
Im Tor ersetzte Brad Jones die wegen einer Achillessehnen-OP lange ausgefallene, eigentlich angedachte Nummer eins Kenneth Vermeer mehr als würdig. Gleich 14 Mal wahrte er die Weiße Weste.
„Gio“ van Bronckhorst, der im Dezember seinen Vertrag bis 2019 verlängerte, scheint die richtige Mischung im Team gefunden zu haben. Im Winter-Transferfenster verzichtete er bewusst auf große Transfers.
Kuyt oder nicht Kuyt, das ist hier die Frage
Kleinere Problemfälle wurden bisher gut überstanden.
Der Ausfall von El Ahmadi aufgrund seiner Afrika-Cup-Einsätze für Marokko wurde gut kompensiert, Trainingsschwänzer Michiel Kramer ohne viel Aufsehen konsequent suspendiert.
Ausgerechnet Routinier Dirk Kuyt sorgt noch für den meisten Gesprächsstoff.
Der 105-fache Oranje-Nationalspieler hat mit van Bronckhorst zusammen den WM-Vizetitel 2010 miterlebt und ist der verlängerte Arm des Erfolgstrainers. Dieser setzt den 36-jährigen Haudegen seit dieser Saison als Zehner ein.
Ungewohnt, aber die Flexibilität war schon immer Kuyts Stärke: Bei der WM 2014 agierte der Kämpfer gar als Linksverteidiger, Rechtsaußen (Stamm-Position) und Rechtsverteidiger – in einem Spiel (Achtelfinale gegen Mexiko 2:1).
Viele, darunter unter anderem Ex-Coach Ronald Koemann, würden aber mittlerweile lieber der jüngeren, spielfreudigeren Kombination Jens Toornstra und Vilenha den Vorzug im Mittelfeld geben.
Auch van Bronckhorst scheint dieser Auffassung allmählich zu folgen. Gegen PSV setzte er seinen Kapitän nur auf die Bank: "Manche Entscheidungen sind schwierig zu treffen, aber ich muss immer danach entscheiden, was das Beste für das Team ist."
Prompt schoss Ersatzmann Toornstra den Führungstreffer im so wichtigen Spiel.
Ex-Spieler und Fans glauben an Titel
Und Kuyt? Der sprang nach Schlusspfiff als Erster von der Ersatzbank freudeschreiend auf, um den Sieg zu feiern. Von Unruhe kann also weiterhin keine Rede sein.
Zu fokussiert ist das Team auf das große Ziel - und mittlerweile auch zu routiniert. Der UEFA-Cup-Sieger von 2002 stellt die erfahrenste Mannschaft der Eredivisie. 27,1 Jahre beträgt das durchschnittliche Startelf-Alter in dieser Saison (Zum Vergleich: Ajax 22,5).
Ein Umstand, der auch Patrick Paauwe – neben unter anderem Goalie-Legende Jerzy Dudek, Paul Bosvelt und Jon Dahl Tomasson Mitglied der letzten Rotterdamer Meistermannschaft 1999– zuversichtlich macht: „Ich habe volles Vertrauen ins Team. Es spielt sehr stabil, das haben die Partien nach der Winterpause gezeigt.“
Nach Jahresbeginn gewann Feyenoord die ersten sechs Spiele zu Null und stellte damit einen neuen Eredivisie-Rekord auf. Einziger Wermustropfen: Auch Ajax, zu denen der Erzrivale noch in die Amsterdam-Arena (2.4.) muss, blieb verlustpunktfrei.
Überraschender Daumendrücker
Die Trümpfe liegen aber diesmal im Gegensatz zu den letzten Saisonen in der Hand der Rotterdamer. Das wissen auch die Fans: Alle restlichen Heimspiele im De Kuip sind bereits restlos ausverkauft.
Selbst von oberster Funktionärsebene hat Feyenoord den Segen. So meint KNVB-Direktor Gijs de Jong, der pikanterweise nahe Eindhoven geboren wurde: "Sorry PSV, aber ich drücke Feyenoord die Daumen. Dieser Traditionsklub hat jahrelang gekämpft, um finanzielle und andere Katastrophen abzuwenden. Es wäre für den gesamten Fußball gut, wenn Feyenoord Kampioen wird!"
Die Zeit für Feyenoord als wiedererstarkte dritte Großmacht scheint gekommen. Und für neue Regeln in der Eredivisie.