Wie kann ein Leben nach Red Bull aussehen?
Diese Frage musste vor fünfeinhalb Jahren auch Peter Zeidler für sich beantworten. Der Weg des Deutschen war vorgezeichnet, als Wegbegleiter von Ralf Rangnick schon bevor er sich dem Imperium der Dose verschrieb.
Im Salzburger Land arbeitete er drei Jahre beim FC Liefering auf das Ziel RB Salzburg hin. Seine große Stunde schlug, als sich Adi Hütter im Sommer 2015 dazu entschloss, sich nicht länger "als Ausbildungstrainer" der Red-Bull-Philosophie zu unterwerfen.
Zeidler, damals 53 Jahre alt, genoss viel Rückendeckung, war als Experte bekannt – und trotzdem ist er neben Huub Stevens der einzige Trainer in der Red-Bull-Ära, der während der Saison gegangen wurde. Mittlerweile kann er darüber lachen, der Stuttgarter hat auch so seinen Weg gemacht. Über den FC Sion und Sochaux landete er beim FC St. Gallen, wo er fast Marcel Koller nachahmen konnte, jedoch anders als der Ex-ÖFB-Teamchef knapp den historischen Meistertitel verpasste.
Beim FC St. Gallen auf Marcel Kollers Spuren
"Ich war sehr gerne in Österreich, jetzt bin ich im anderen Alpenland", strahlt Zeidler im LAOLA1-Interview, auch wenn er derzeit schwierigere Zeiten als im Vorjahr zu überstehen hat. Mit dem FC St. Gallen liegt er in der Schweizer Super League zwei Spieltage vor dem Ende nur auf Rang acht, nur zwei Punkte vor dem FC Vaduz und drei vor Schlusslicht FC Sion. Als Letzter droht der direkte Abstieg, als Vorletzter müsste man ins Playoff um den Ligaverbleib.
Es geht eng zur Sache, abgesehen vom neuen Serienmeister YB Bern, der die Liga dominierte. "Für uns ist es im Moment nicht ganz so einfach, was die Ergebnisse betrifft", stellt der nun 58-Jährige klar. Aufgrund des niedrigen Budgets ist die Platzierung keine allzu große Überraschung, jedoch weit entfernt vom Höhenflug des vergangenen Jahres.
"Das gab es in den vergangenen zehn Jahren nie, dass die Phalanx von Basel und Bern einbrechen kann. Ausgerechnet das kleine St. Gallen mit einer jungen, unbekannten Mannschaft war so nah dran. Das war dann schon toll, da haben wir schon für Furore gesorgt."
Mittlerweile ist Zeidler die dritte Saison bei den Ostschweizern, alle Erwartungen übertroffen wurden jedoch mit dem Vizemeistertitel 2019/20. "Das gab es in den vergangenen zehn Jahren nie, dass die Phalanx von Basel und Bern einbrechen kann. Ausgerechnet das kleine St. Gallen mit einer jungen, unbekannten Mannschaft war so nah dran. Das war dann schon toll, da haben wir für Furore gesorgt", ist Zeidler stolz auf das Erreichte.
Der dritte Meistertitel nach 1903/04 und 1999/2000 unter Marcel Koller war zum Greifen nahe, doch in den letzten fünf Spielen kassierte man drei Niederlagen.
"Hätten wir ein Spiel mehr gewonnen, hätten wir die Finalissima in Bern gehabt, wo beide Mannschaften hätten Meister werden können. Wir hatten so eine große Euphorie", erinnert sich Zeidler an den Triumphzug, gesteht aber neidlos ein, dass YB schlussendlich konstanter war.
Stolze Schweizer bauen auf Nachwuchs und Adamu
Seit Adi Hütter das Zepter bei den Young Boys inne hatte, haben sich die Machtverhältnisse verschoben. Der FC Basel hat mit Führungskrisen zu kämpfen, während Bern in jeglicher Hinsicht zum Maß aller Dinge wurde und heuer zum vierten Mal in Folge den Titel holte.
Zwar sei es schön, in Erinnerungen zu schwelgen, doch "das zählt jetzt alles nicht mehr", mahnt Zeidler zur Vorsicht aufgrund der brenzligen Tabellensituation. Die Gründe sieht er in den Abgängen von Leistungsträgern, der fehlenden Sommerpause, der Überforderung durch die ungewohnte Europacup-Belastung und dem Coronavirus, vor dem auch der FCSG nicht verschont blieb. "Am 20. Januar wurde schon wieder gespielt – da sind viele Schweizer und Österreicher in den Skiferien", nimmt der Coach die Saison der etwas anderen Art mit Humor.
Von seinem Projekt in St. Gallen ist Zeidler weiterhin überzeugt. "Wir haben unsere Art und Weise des Spiels, unseren Stil, unsere Zuschauer, jeder Schweizer Spieler spielt gern in unserem Stadion, weil eine unvergleichliche Stimmung vorhanden ist. Der ehemalige Bayern-Profi Alain Sutter und ich haben eine super Zusammenarbeit. Wir haben über 9.000 Dauerkarten ohne Rückzahlungen, das zeigt die Solidarität. Das ist St. Gallen. Wir wollen weiter unseren Nachwuchs ausbauen, das Beste herausholen, Legionäre holen. Dann brauchen wir jedes Jahr ein, zwei gute Leihspieler, wie Ashimeru einer war, und jetzt haben wir mit Adamu wieder einen tollen gefunden."
St. Gallen hat für ihn etwas Spezielles. Beim FC Sion wagte er nach der Red-Bull-Zeit einen Neuanfang, danach arbeitete er in Frankreich bei Sochaux. "Das war richtig gut, aber die haben einen chinesischen Besitzer, der insolvent war. Das ging nicht mehr, dass man das Geld nicht kriegt, deshalb habe ich Sochaux verlassen, als die Anfrage aus St. Gallen kam."
Aus seiner früheren Schweiz-Zeit kannte er das tolle Stadion, die Fans, zudem war es unweit seiner Stuttgarter Heimat. "Die sind so stolz hier auf die Ostschweiz und St. Gallen", findet der Deutsche kaum Vergleiche für dieses Zugehörigkeitsgefühl zum Verein.
Weg an Rangnicks Seite: "Inspiriert von vielen RBS-Elementen"
Vor 20 Jahren unter Koller den Titel geholt zu haben, sei in vielen Anhängern noch immer verankert und prägte eine Generation – bis heute. Platz zwei war nach 20 Jahren wieder mal ein Ausrufezeichen.
"Der Vizemeistertitel hat alle Erwartungen übertroffen. Neben dem niedrigen Budget haben wir letztes Jahr mit Abstand die jüngste Mannschaft gehabt, mit vielen eigenen Talenten, aber auch mit internationalem Touch – wie Red Bull im Taschenformat", lacht Zeidler.
Einmal Red Bull, immer Red Bull – diese Philosophie lässt einen nie ganz los. So hat der Chefbetreuer das Erlernte immer mehr verfeinert. "Ich bin inspiriert von vielen Elementen, die man von Red Bull Salzburg kennt, mit vielen Toren, hohem Pressing, Gegenpressing,... das beherrschen wir auch, die Taktik ist wichtig, aber wir hatten vor allem ein herausragendes Teem. Es ist nunmal der Lauf der Dinge, dass die besten Spieler irgendwann weiterziehen. Die kann vielleicht YB halten, aber sonst sind wir eine Ausbildungsliga wie in Österreich. Vielleicht in der Schweiz sogar noch mehr, weil uns die österreichische Liga inzwischen überholt hat."
Zeidler lernte diese Denk- und Arbeitsweise schon von der Pike auf, beim VfB Stuttgart unter Helmut Groß, der als Wegbereiter für Ralf Rangnick gilt. Zeidler arbeitete schon Ende der 80er, Anfang der 90er mit Rangnick in der Jugend des VfB zusammen, später war Zeidler drei Jahre Co-Trainer an seiner Seite in Hoffenheim. Die Zeit bei Liefering und Salzburg ist bekannt.
"Klar hat mich das sehr geprägt, auch der Austausch in der Akademie mit anderen Trainern – Marco Rose war da. Mein Co-Trainer Rene Aufhauser (Anm.: Zukünftiger Cheftrainer beim FC Liefering) hat mich besonders geprägt, so stelle ich mir einen Co-Trainer vor. Die Zeit hat mich sehr geprägt – beim Klub, aber auch von den Typen und Menschen her, und natürlich Österreich und Salzburg als Stadt."
Gründe für Zeidlers RB-Aus: Malmö und RB Leipzig
Trotzdem gilt es die Frage zu klären, warum es damals bei RB Salzburg nicht nach Wunsch klappte? Nach dem Hocharbeiten im RB-System und der lang ersehnten Erfüllung aller Träume mit der Beförderung zu den Profis im Sommer 2015 war im Dezember darauf schon wieder Schluss.
"Natürlich war dann das halbe Jahr bei den Profis nicht der günstigste Zeitpunkt für mich mit der Umstrukturierung nach Leipzig und anderen Dingen. Ich war selber auch nicht in Hochform zu dem Zeitpunkt", gibt Zeidler offen und ehrlich zu.
"Meine Spieler, die ich dann mitgeprägt habe mit anderen Trainern, waren damals noch nicht ganz so reif. Konrad Laimer war noch nicht an der Spitze. Ich habe den Fehler gemacht, dass ich damals nicht den Mut hatte, Stefan Lainer spielen zu lassen. Xaver Schlager und Hee-chan Hwang waren auch noch nicht so weit. Die waren damals halt erst 17 oder 18."
"Die Rahmenbedingungen waren nicht so gut. Ein paar Spieler sind davor nach Leipzig gewechselt. Sadio Mané war der erste, dann waren irgendwann Kevin Kampl, Peter Gulácsi, Stefan Ilsanker und Marcel Sabitzer weg. Es hätte klappen können, ich hätte auch gerne Aufhauser nach Liefering auch bei Salzburg dabei gehabt (Anm.: kam erst unter Interimsnachfolger Thomas Letsch). Es hat gut begonnen, aber das Entscheidende war das Ausscheiden in der Champions-League-Qualifikation gegen Malmö. Das erneute Scheitern war für den Verein und für viele Spieler dann zu viel, die Enttäuschung war richtig groß und die haben wir nicht mehr ablegen können."
Die Hoffnung starb zuletzt, als Beispiel führt Zeidler Roger Schmidt an, dem trotz des Ausscheidens gegen Düdelingen schlussendlich länger die Chance gegeben wurde. Überraschend war jedoch, dass er komplett aus dem Red-Bull-Imperium ausschied. Kein Rückschritt etwa als Co-Trainer, nach Liefering oder in einer Funktion im Nachwuchs. "Ich wusste, es war nicht der richtige Moment", begründet Zeidler.
Lainer, Laimer, Schlager und Co. mitgeprägt
Salzburg war im Umbruch. Viele Talente, die danach groß rauskamen, hatte Zeidler zwar schon unter seinen Fittichen, sie waren aber noch nicht so weit.
"Meine Spieler, die ich dann mitgeprägt habe mit anderen Trainern, waren damals noch nicht ganz so reif. Konrad Laimer hat unter mir auch schon gespielt, war aber noch nicht an der Spitze. Ich habe den Fehler gemacht, dass ich damals nicht den Mut hatte, Stefan Lainer spielen zu lassen, den ich davor auch schon zwei Jahre trainiert hatte. Xaver Schlager und Hee-chan Hwang waren auch noch nicht so weit. Die waren damals halt erst 17 oder 18."
So viel Selbstvertrauen hat der Trainer, um zu behaupten, dass er es heute um Klassen besser machen könnte, gleichzeitig will er die Erfahrung nicht missen. "Natürlich ist die Enttäuschung immer groß, wenn man gesagt bekommt, du bist nicht gut genug und wir wollen dich austauschen. Das ist kein angenehmer Moment, da hat man auch daran zu knabbern. Aber ich glaube, dass ich mich in jeder Stadt gesteigert habe. Ich erzähle allen, dass ich für Liefering, Salzburg und für den österreichischen Fußball große Sympathien habe und mich das geprägt hat. Das sind keine Sprüche, das ist so."
Zeidler meint mit etwas Abstand: "Ich habe mich entwickelt, bin eine noch bessere Persönlichkeit und ein besserer Trainer geworden."
Nicht immer ist man zur richtigen Zeit am richtigen Ort, das musste auch der 58-Jährige früh erfahren. Der Red-Bull-Zug ist womöglich abgefahren, dafür kann er das Erlernte beim FC St. Gallen mit vielen jungen Talenten umsetzen. Es gibt also ein Leben nach Red Bull, auch wenn die weitere Karriere immer ein bisschen davon geprägt sein wird.