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Deutschland - Bald nicht mehr das Land der Torhüter?

Über viele Generationen hinweg prägte Deutschland das Torwartspiel. Doch hinter Neuer und Co. drängt sich kein Weltklasse-Torhüter auf.

Deutschland - Bald nicht mehr das Land der Torhüter?

Egal ob Oliver Kahn, Jens Lehmann, Sepp Maier, Toni Schumacher oder Manuel Neuer – seit Jahrzehnten bringt Deutschland stets zumindest einen absoluten Weltklasse-Keeper hervor.

Doch die Zeiten scheinen sich zu ändern. Die Anlieferung an zukünftigen Top-Schlussmännern gerät zunehmend ins Stocken.

Die Problematik zeigt unter anderem Neuers Unterschenkelbruch auf. Das Saisonende für den 36-Jährigen ist besiegelt, Sven Ulreich – selbst bereits 34 - wird das Einser-Leiberl wohl zumindest für den Frühjahrs-Auftakt in der Bundesliga in Leipzig (Freitag, 20:30 Uhr im LIVE-Ticker) übernehmen.

Das deutsche Aushängeschild sah sich am Transfermarkt lange nach Alternativen um, am Mittwochnachmittag wurde offenbar eine Einigung mit Yann Sommer erzielt. Der Schweizer Goalie von Borussia Mönchengladbach ist damit einerseits keine einheimische Kraft und desweiteren ebenfalls schon 34 Jahre alt.

Deutschlands Primus bald ohne Nummer eins im DFB-Tor?

Von Alexander Nübel, eigentlich beim Serienmeister unter Vertrag und derzeit an die AS Monaco nach Frankreich ausgeliehen, erhielt man im Hinblick auf eine frühzeitige Rückkehr eine deutliche Absage.

Mit seinen 26 Jahren wäre er noch am ehesten die Zukunftslösung der Bayern, wurde als solche 2020 auch aus Gelsenkirchen geholt. Der 17-fache U21-Torhüter sah im Wetteifern mit Manuel Neuer jedoch (erwartungsgemäß) kein Land, war frustriert und ließ sich im Sommer 2021 ins Fürstentum verleihen.

Alexander Nübel bleibt lieber in Monaco, als seine Chance in München zu bekommen
Foto: © getty

In Monaco ist Nübel die absolute Nummer eins, strahlt allerdings nicht jene Sicherheit und Ruhe aus, die es wohl für einen langfristigen Stammplatz an der Säbener Straße und des weiteren im deutschen Nationalteam brauchen würde.

Ansonsten blickten sich Hasan Salihamidzic und Co. im Ausland um, klingende Namen wie Dominik Livakovic (Dinamo Zagreb), Bono (FC Sevilla), oder sogar Keylor Navas (PSG) waren im Spiel. Alle drei Torhüter haben eines gemeinsam: Sie stammen nicht aus Deutschland.

Sollte es nicht der Anspruch des seit Jahren unangefochtenen deutschen Champions sein, die Nummer eins im DFB-Tor zu stellen? Derzeit ist dem mit Neuer natürlich noch der Fall, doch nach der Heim-EM 2024 wird der Ausnahmekönner wahrscheinlich seine Handschuhe an den Nagel hängen.

Nur drei Stammtorhüter im Ausland

Welche Optionen haben die Bayern dann?

Marc-Andre ter Stegen, jahrelang die zweite Geige im DFB-Team, aus Barcelona holen? Wohl kaum, immerhin hat sich der 30-Jährige in Katalonien bereits ein Denkmal erschaffen, betonte nicht nur einmal, wie wohl er sich bei den Blaugrana fühlt und hat zudem noch einen Kontrakt bis 2025. Dementsprechend teuer könnte ein möglicher Transfer werden.

Ansonsten drängen sich kaum Alternativen auf, wenn man die aktuelle Lage in Europas Top-5-Ligen betrachtet.

Die deutschen Einser-Torhüter in Europas Top-5-Ligen:

Name Alter Land Verein
Manuel Neuer 37 Deutschland FC Bayern München
Kevin Trapp 32 Deutschland Eintracht Frankfurt
Oliver Baumann 32 Deutschland TSG Hoffenheim
Florian Müller 25 Deutschland VfB Stuttgart
Robin Zentner 28 Deutschland
  1. FSV Mainz 05
Marvin Schwäbe 27 Deutschland
  1. FC Köln
Alexander Schwolow 30 Deutschland Schalke 04
Manuel Riemann 34 Deutschland VfL Bochum
Bernd Leno 30 England FC Fulham
Alexander Nübel 26 Frankreich AS Monaco
Marc-Andre ter Stegen 30 Spanien FC Barcelona

Gerade einmal drei DFB-Tormänner haben im Ausland einen Stammplatz. Bernd Leno ergänzt das Trio um Nübel und Ter Stegen.

Seit 2018 kickt der ebenfalls 30 Lenzen zählende Mann aus Bietigheim-Bissingen in der englischen Premier League, bei den heuer stark aufspielenden "Gunners" war Leno drei Jahre lang Stammkeeper.

Ein grottenschlechter Start der Londoner in die Saison 2021/22 wurde dem Deutschen jedoch zum Verhängnis, Mikel Arteta setzte fortan mit Aaron Ramsdale auf einen jungen, aufstrebenden Engländer, der unangefochten das Tor hütet.

Leno trat daraufhin im letzten Sommer die Flucht zum FC Fulham an, wo er wieder einen Fixplatz in der Startelf hat und ein sicherer Rückhalt ist. Für die Bayern dürfte er jedoch nicht zum Thema werden, auch mit einem Platz im DFB-Team sieht es tendenziell schlecht aus.

Jahrelange Kontinuität im DFB-Team verbarg die kritische Lage

Dabei ist die Konkurrenz gar nicht so groß.

Die Torhüter-Position ist im Nationalteam aber seit einer gefühlten Ewigkeit gleich aufgestellt: Nummer eins Manuel Neuer, Nummer zwei Marc-Andre ter Stegen, Nummer drei Kevin Trapp/Oliver Baumann/Bernd Leno.

In den letzten zehn Jahren schafften es neben dem angeführten Quintett nur Sven Ulreich, Ron-Robert Zieler, Rene Adler und Roman Weidenfeller in der DFB-Kader.

Es stellt auf der einen Seite die unglaubliche Kontinuität und zugleich Qualität, die insbesondere Neuer und Ter Stegen wöchentlich auf den Platz bringen, unter Beweis. Gleichzeitig entlarvt es aber das veritable Torhüter-Problem in Deutschland.

Der Blick in die deutsche Bundesliga ist nämlich erschreckend: Stellten vor zehn Jahren noch 17 der 18 Teams einen deutschen Stammkeeper, sind es in der Spielzeit 2022/23 nur mehr deren acht.

Von den Top-6-Teams nach dem Herbst sind das überhaupt nur Manuel Neuer/Sven Ulreich (FC Bayern) und Kevin Trapp (Eintracht Frankfurt).

Marc Ziegler: "Müssen sehr wachsam sein"

Ex-Bundesliga-Keeper Marc Ziegler leitet die Ausbildung der DFB-Torhüter von Morgen
Foto: © getty

Beim DFB hat man zumindest die Zeichen der Zeit erkannt und beschäftigt sich intensiv mit der Problematik. Hauptverantwortlich dafür: Marc Ziegler.

Der frühere Torwart des FC Tirol und der Wiener Austria ist seit 2015 beim DFB als Torwartkoordinator der Nachwuchsleistungszentren engagiert und soll sich speziell um die Ausbildung der Torhüter-Stars von Morgen kümmern.

Ihm ist natürlich bewusst, dass es um den Nachwuchs eher schwer bestellt ist. Im Gespräch mit der "Frankfurter Rundschau" erzählte Ziegler kürzlich, dass Deutschland nach wie vor "eine sehr traditionsreiche Nation im Torwartspiel" sei.

Doch die Karrieren von Neuer und Co. neigen sich früher oder später dem Ende zu und dann "müssen wir tatsächlich sehr wachsam sein und unsere Hausaufgaben machen, um unsere Talente – die es auf jeden Fall gibt – auf Topniveau zu bringen."

Mut zum Risiko ist gefordert: "Fehlerkultur gehört dazu"

Ein guter Indikator dafür ist das U21-Nationalteam. Hier ist die Situation ebenso bezeichnend: Zuletzt kristallisierte sich mit Noah Atubolo zwar eine klare Nummer eins heraus, der 20-Jährige ist beim SC Freiburg aber nur die Nummer zwei hinter Mark Flekken.

Neben ihm schafften es zuletzt Salzburgs Nico Mantl, der im Winter aufgrund mangelnder Spielzeit zu Aalborg BK nach Dänemark verliehen worden ist, und Austria-Keeper Christian Früchtl in den Kader.

Letzterer wurde beim FC Bayern jahrelang als designierter Nachfolger von Manuel Neuer angesehen, hatte jedoch ähnlich wie Nübel nie eine Chance auf einen Stammplatz und verließ ebenfalls seine Heimat, um in der Admiral Bundesliga auf Einsatzzeiten zu kommen.

Einen Grund dafür, warum sich der Nachwuchs so schwer tut, hat Ziegler schnell gefunden. "Der Wandel von der alten zu neuen Torwart-Generationen, die fast wie Feldspieler agieren können, war damals eine Riesenzäsur. Neuer oder Ter Stegen haben für die Cheftrainer einen Riesenmehrwert generiert, weil mit ihnen als erste Offensivspieler ganz anders Fußball gespielt werden konnte."

Die nachkommenden Talente könnten nun aber "keinen Faktor aus ihrer Ausbildung vorbringen", den ein etablierter Torhüter nicht auch hätte, meint der Nachwuchskoordinator weiter.

Der 46-Jährige nimmt dabei vor allem die Vereine in die Pflicht, sie müssten den Mut aufbringen, "einen jungen deutschen Torhüter aufzustellen", fordert Ziegler. Patzer dürften nicht sofort zu einem Vertrauensverlust führen, denn "eine Fehlerkultur gehört dazu. Wenn wir ihnen schon im Jugendbereich das nicht zugestehen, können sie sich nicht verbessern."

Talente müssen in Spielzeiten, nicht in Euro bezahlt werden

Dass die Torhüter-Lage im Nachwuchs schon einmal rosiger aussah, will Ziegler gar nicht verneinen. "Aber nach wie vor gibt es großartige Torwarttalente bei uns."

Dazu gehört beispielsweise Tjark Ernst von Hertha BSC. Der 19-Jährige bringt mit 1,93 Metern absolutes Gardemaß mit, ist außerdem bereits Ersatztorhüter bei den Hauptstädtern und gab im November sein Debüt im U20-Nationalteam.

Auch Jonas Urbig - ebenfalls 19 Jahre jung, beim 1. FC Köln unter Vertrag, derzeit aber an Jahn Regensburg verliehen – wird großes Talent nachgesagt. Wohin ihre Wege schlussendlich führen werden, wird sich erst weisen.

Ziegler mahnt zur Geduld, hält gleichzeitig aber nochmal fest, dass "die Jungs Spielpraxis sammeln müssen, um sich weiterzuentwickeln." Dafür müssen junge Torhüter, im Gegensatz zu früher, teilweise eben den Umweg über die zweite oder die dritte Liga bzw. das Ausland gehen.

"Der Flaschenhals ist wirklich eng geworden, es kommen nur tropfenweise gute Torhüter raus."

Marc Ziegler

Um sich den Weg an die Spitze zu bahnen, gehört heutzutage auch Glück dazu. Zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein, also "im richtigen Verein den richtigen Trainer im richtigen Moment zu haben", wird fast schon zur Herkulesaufgabe.

Bei Manuel Neuer war das auf Schalke damals der Fall, Mirko Slomka verhalf ihm im Alter von 20 Jahren und vier Monaten bereits zum Bundesliga-Debüt.

Der im Dezember 2022 verstorbene Sinisa Mihajlovic warf Italiens Gianluigi Donnarumma im Oktober 2015 sogar mit 16 Jahren und acht Monaten ins kalte Wasser. Seitdem bestritt der heute 23-Jährige über 350 Pflichtspiele für die AC Milan, Paris Saint-Germain und das italienische Nationalteam.

Zahlen, von denen die deutschen U21-Europameister von 2021, Finn Dahmen, Lennart Grill und Markus Schubert, nur Träumen können. Sie drücken sowohl bei Mainz 05, Union Berlin als auch Vitesse Arnheim die Ersatzbank.

Projekt "N28": Wer hütet 2028 das DFB-Tor?

Um den nächsten Neuer oder Ter Stegen zu finden, hat der DFB deswegen vor zwei Jahren das Projekt "N28" ins Leben gerufen. Die Kernfrage: Wer steht 2028 im deutschen Nationalteam-Tor?

Um in den kommenden Jahren die Antwort zu finden, wurde eine "Torwart-DNA" erstellt, welche das Anforderungsprofil des Nationaltorhüters der Zukunft veranschaulicht. Den Jugendspielern soll dadurch ein Leitbild mit auf den Weg gegeben werden.

Torhüter sollen zukünftig Positionsmanager sein, gleichzeitig Organisatoren und Performer zwischen den Stangen. Insgesamt zehn Bausteine umfasst die "Torwart-DNA", diese müssen da sein, "um im Spitzenfußball und international bestehen zu können", erklärte Ziegler im Sommer 2022 gegenüber dem "Kicker".

Das Projekt wird sowohl von Nachwuchs-Trainern als auch -Torhütern gut angenommen, der Austausch zwischen Verband und Klubs funktioniert. Die Vereine würden gute Arbeit verrichten, aber: "Der Flaschenhals ist wirklich eng geworden, es kommen nur tropfenweise gute Torhüter raus."

Deswegen muss im Nachwuchs umso genauer selektiert werden, wer tatsächlich die Anlagen für den nächsten Weltklassetorhüter hat. Da kommen die vier "E" als Kernfaktoren ins Spiel: "Entdecken, entwickeln, etablieren und in der Elite ankommen."

Mit ihnen soll die nächste langfristige Nummer eins im DFB-Tor gefunden werden.


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