In der Serie "Das Tor zur Welt" nehmen wir internationale Fußball-Klubs und ihre Geschichten genau unter die Lupe. Wir beleuchten die Hintergründe, die in der schnellen, täglichen Berichterstattung gerne untergehen.
Von Premier-League-Aufsteiger Luton Town über Europas größten Fußballklub IF Brommapojkarna bis hin zum Fan-Verein CS Lebowski haben wir schon einige Klubs portraitiert. Hier kannst du alle nachlesen >>>
In dieser Ausgabe nehmen wir das spanische Überraschungsteam FC Girona unter die Lupe.
Heimische Fußballfans werden sich beim Blick auf die Tabelle der Primera Division derzeit wohl die Augen reiben.
Ganz vorne finden sich dort zwar die “üblichen Verdächtigen” wie Real Madrid, der FC Barcelona, Atletico Madrid und Real Sociedad (das wir ebenso schon in einem “Tor zur Welt” behandelt haben).
Doch mittendrin befindet sich auch ein Name, den man dort nicht erwarten würde: der FC Girona, der heuer seine insgesamt erst vierte Saison in La Liga spielt.
Dass dies möglich ist, hat gute Gründe, auf die wir folgend näher eingehen wollen. Zunächst aber widmen wir uns der Geschichte dieses aufstrebenden Vereins und dessen Heimatstadt.
Nur Villarreal ist kleiner
Girona - den Namen werden jene Fans, welche das spanische Fußball-Oberhaus nicht so eng verfolgen, bis dato eher von anderswo her kennen.
Denn wer vor der leidigen Pandemie per Billigflug nach Barcelona wollte, landete oftmals auf dem dortigen Flughafen, etwa 100 Kilometer nördlich der katalanischen Metropole.
Girona ist die Hauptstadt der gleichnamigen Provinz, liegt an der spanischen Ostküste und zählt etwas mehr als 100.000 Einwohner. Damit ist sie die 62. größte Stadt Spaniens.
In der Primera Division ist nur Villarreal mit etwas über 50.000 Bewohnern kleiner als Girona. Auch das Montolivi-Stadion ist mit seinen 11.800 Plätzen das kleinste in der Liga.
Der Name der Stadt geht, so weit bekannt, auf die Epoche des Römischen Reichs zurück. In der Zeit bis etwa 400 n. Chr. befand sich dort ein römisches Militärlager (“Kastell”), welches den Namen “Gerunda” trug.
Fußball wird in Girona bereits seit Ende des 19. Jahrhunderts gespielt. Der erste Verein, der dort 1902 ganz offiziell entstand, bezog seinen Namen sogar vom römischen Kastell und firmierte als “FC Gerundese”.
Zu Beginn der 1920er wurden mit dem CE Girnoi und der UD Girona zwei weitere Klubs gegründet. Im Jahr 1930 bündelte man schließlich die Kräfte und so entstand der FC Girona. Bereits zuvor gab es mit der Unio Esportiva Girona einen derartigen Versuch, dieser kollabierte aber aus wirtschaftlichen Gründen.
Die Gründungsversammlung fand allerdings nicht in Form einer großen Sitzung in einem Veranstaltungssaal oder dergleichen statt. Vielmehr, so berichten spanische History-Magazine, soll man sich in einem heißen Sommer während der Siesta im Cafe Norat auf der Rambla in Girona getroffen haben. Dort wurde der Klub am 23. Juli 1930 offiziell ins Leben gerufen.
Immer munter rauf und runter
Die Geschichte danach liest sich allerdings nicht so glamourös wie bei anderen spanischen Klubs. Am knappsten dran am Oberhaus war man vor dem spanischen Bürgerkrieg. In der Saison 1935/36 qualifizierte sich Zweitligist Girona für das damals im Ligaformat ausgetragene Playoff, scheiterte aber als Vorletzter deutlich.
In den folgenden Jahrzehnten pendelten die “Blanquivermells” munter zwischen der zweiten und dritten Spielklasse. Im Jahr 1959 stieg man aus Liga zwei ab und purzelte zwischendurch auch immer wieder bis in die Viertklassigkeit. Es sollte letztlich ein halbes Menschenleben dauern, bis man wieder in frühere Sphären zurückkehren konnte.
In der Saison 1996/97 erreichte die sportliche Berg- und Talfahrt einen neuen Tiefpunkt, als der FC Girona mit nur sechs Siegen aus 40 Spielen unter drei verschiedenen Trainern in die katalanische Regional-Meisterschaft abstieg. Das bedeutete also Fußball in Liga fünf, der Klub soll damals wegen ausständiger Spielergehälter und weiterer Verbindlichkeiten kurzfristig gar vor dem Aus gestanden sein.
Wenig deutete seinerzeit darauf hin, dass ein späterer La-Liga-Tabellenführer im FC Girona schlummert.
Zuerst kam das iPhone, dann Pablo Machin
Doch die “Blanquivermells” überlebten, nicht zuletzt dank engagierter lokaler Sponsoren, auch diese Misere und schafften schließlich das Comeback im Profi-Kick.
Zuletzt war dies, wie erwähnt, 1959 der Fall - in diesem Jahr kam weltweit der erste Mikrochip auf den Markt und es sollte noch zehn Jahre bis zur ersten Mondlandung dauern. In der Saison 2007/08, als Girona das Comeback in der zweiten Liga fixierte, verkaufte Apple das erste iPhone.
Am 16. Juni 2008 kehrte man nach 52 Jahren in die Segunda Divison zurück. Im Playoff-Finale überwand Girona mit einem Gesamtscore von 1:0 Atletico Ceuta.
Danach konnte sich das Team in der 2. Liga halten, kämpfte aber in den ersten Jahren regelmäßig gegen den Abstieg - bis Pablo Machin kam.
Der Ex-Profi coachte davor nur seinen Heimatklub CD Numancia und sollte sich bei den “Blanquivermells” schließlich einen Namen machen.
Machin übernahm den zu jener Zeit Tabellenletzten Girona Anfang März 2014 nach einer 0:4-Pleite gegen den direkten Konkurrenten Sabadell, richtete eine am Boden liegende Truppe wieder auf und führte diese zu Rang 15, der zum Klassenerhalt berechtigte.
Er war es, der aus dem Klub ein Spitzenteam in der Segunda Dvision machte, das im Jahr danach als Dritter nur haarscharf am Aufstieg vorbeischrammte.
Dieser gelang zwei Jahre später. Als Zweiter glückte Girona erstmals in der Klubgeschichte der Sprung in La Liga. “Für mich war es wie ein Märchen” meinte Machin gegenüber der spanischen “As”. Er erlebte auch eine Zäsur in der Klubgeschichte mit.
“Das Herz von Pablo wird immer mit Girona verbunden sein”
Ein Einstieg nach dem Aufstieg
Zu jener Zeit wurde auch die City Football Group auf den Klub aufmerksam. Dies ist jene Gesellschaft, die mit Millionen aus Abu Dhabi finanziert wird und mittlerweile Anteile an zwölf Klubs hält, an deren Spitze Manchester City steht.
Sie stieg am 23. August 2017 offiziell beim FC Girona ein und kaufte die Mehrheit der Anteile.
Machin ließ sich von dem Trubel nicht beeinflussen und setzte seinen Erfolgsweg bei den “Blanquivermells” fort. Dass er dort einen solchen Status genießt, liegt auch an den Meilensteinen, die er in der Klubhistorie gesetzt hat. Einer davon war das erste, auch international wahrgenommene, Ausrufezeichen seiner Truppe.
Am 29. Oktober 2017 besiegte Girona Liga-Krösus Real Madrid im heimischen Montolivi-Stadion mit 2:1. Damals in den letzten acht Spielminuten mit von der Partie war ein gewisser Larry Kayode, der vor der Saison von der Wiener Austria zu Manchester City gewechselt war und umgehend nach Girona weiterverliehen wurde.
Für Kayode sollten danach nur noch 47 weitere Spielminuten dazukommen, im Winter nahm er wieder Abschied. Ebenso wie Machin im Sommer 2018. Der Erfolgstrainer wurde, nachdem er mit Girona überraschend Rang zehn erreichte, vom FC Sevilla losgeeist.
Machin geht als Legende
“Es war ein unschlagbares Angebot”, meinte Machin bei seinem Abschied. Die “As” adelte den damals 43-Jährigen: Es sei sein Verdienst, dass es Kinder gibt, die mit dem Girona-Trikot durch die Straßen laufen, “das war in der bisherigen Klubgeschichte undenkbar.”
“Das Herz von Pablo wird immer mit Girona verbunden sein”, meinte Präsident Delfi Geli. Machin gilt bei Girona bis heute als bester Trainer der Klubgeschichte.
“Die Fans waren sehr wichtig, sie sind der große Wert, den der Verein hat. Wir sind gewachsen und sie sind von grundlegender Bedeutung, denn es spiegelt sich in diesem Satz wider, den ich gesagt habe: Nämlich, dass ich versuchen würde, die Leute dazu zu bringen, erst nach Girona und dann zu einer anderen Mannschaft zu gehen und T-Shirts auf den Straßen zu sehen, und das haben wir alle gemeinsam erreicht”, sagte Machin sichtlich stolz bei seiner Verabschiedung.
Danach ging es unter Ex-Barca-Star Eusebio, der Machin nachfolgte, steil bergab - und sogar zurück in die Segunda Division, in der man drei Jahre zubrachte, ehe man 2021 wieder aufstieg. Seither gibt es bei Girona nur noch eine Richtung und diese führt nach oben. Mit Aufstiegstrainer Michel, der auch heute noch amtiert, erreichte man im Vorjahr Rang zehn.
Ein Guardiola für Girona
Wer bei aller Sentimentalität hinter dem FC Girona ein Fußballmärchen à la Leicester City vermutet, befindet sich jedoch auf einem Irrpfad. Denn, wie schon erwähnt, befindet sich der Klub in der Hand arabischer Investoren.
“Wir hoffen, dass die Fans verstehen, dass City darin enthalten ist, so wie ein Intel-Chip in ihrem Computer.”
Seit der Übernahme durch die CFG hat auch ein äußerst prominenter Name seine Finger bei den “Blanquivermells” im Spiel und dieser lautet Guardiola. Nicht aber City-Coach Pep, sondern dessen Bruder Pere, der ihm - mit Bart und ohne Haupthaar - zum Verwechseln ähnlich sieht und auch Peps Berater ist.
Pere, bis dahin fast ausschließlich als Berater aktiv, ist Eigentümer der “Girona Football Group”, die sich seit seinem Einstieg die Haupt-Anteile am FC Girona mit der “City Football Group” zu je 44 Prozent aufteilt. Glaubt man spanischen Medienberichten, soll Pere der entscheidenden Mittler für den Deal gewesen sein.
Im September 2020 übernahm er auch das Amt als Vorstandsvorsitzender des Klubs. Seit dem Aufstieg vor zwei Jahren agiert Girona als eine Art “La-Liga-Spielwiese” für kommende Man-City-Stars.
Daraus machen die Verantwortlichen auch gar kein Geheimnis. “Wir hoffen, dass die Fans verstehen, dass City darin enthalten ist, so wie ein Intel-Chip in ihrem Computer”, sagte Man-City-CEO Ferran Sorinao vor einiger Zeit.
Ein Kader voller Geheimtipps
Im Kader der “Blanquivermells” finden sich so einige, die künftig im himmelblauen Jersey auflaufen könnten.
Noch sind Spieler wie der Brasilianer Savio sowie die beiden Ukrainer Artem Dovbyk und Viktor Tsygnakov international kein großer Begriff.
Das soll sich aber bald ändern - das Ziel für sie heißt Premier League. Und wie Dovbyk ganz unverhohlen durchblicken lässt, sei es nicht der FC Girona als solcher gewesen, der ihn vom Wechsel von Dnipro zu den “Blanquivermells” überzeugte.
“Schon vor zwei Jahren wollten sie mich nach der EM nach Troyes (ein weiteres Mitglied der CFG) holen. Deswegen weiß ich, dass sie mich seit 2021 auf dem Schirm haben”, so der Angreifer auf der Webseite seines ehemaligen Klubs.
Den Weg über den französischen Zweitligisten Troyes nahm dagegen sein diesjähriger Teamkollege Savio. Der 19-jährige Brasilianer kam im Sommer nach Girona und ist der Shootingstar schlechthin im Kader der “Blanquivermells”.
Nicht umsonst haben ihn bereits Top-Klubs wie der FC Barcelona, Arsenal und die AS Rom auf dem Zettel.
“Seit Vinicius nach Spanien kam, habe ich keinen Spieler gesehen, der seinen Gegner leichter ausspielen kann als Savio“, lobt Trainer Michel sein Top-Talent.
Bayern-Neuzugang Blind von Girona “begeistert”
Im Kader der Spanier finden sich aber auch einige Namen, die der geneigte Fan bereits kennt. Darunter die ebenso im Sommer gekommenen Eric Garcia (Barcelona), Daley Blind (Bayern) und Paulo Gazzaniga (Fulham).
Zudem kickt bereits seit 2017 Ex-Uruguay-Teamstürmer Christhian Stuani für die “Blanquivermells” und wurde dort zur Klub-Ikone. Der langjährige Kapitän erzielte 118 Tore in 221 Spielen und ist damit Rekordtorschütze des FC Girona.
Sein Teamkollege Blind erlebt nach seiner Zeit bei Bayern und davor Ajax und Manchester United eine ganz andere, viel kleinere Fußballwelt. In dieser fühlt sich der Niederländer aber bisher pudelwohl.
“Meiner Frau und meinen Kindern gefällt es. Girona gehört nicht zu den größten Vereinen der Welt, aber sie waren positiv gestimmt, wollten wachsen und ich war begeistert, als ich mit dem Manager über den Stil des Fußballs und des Vereins sprach. Ich bereue bisher nichts und der gute Start hat geholfen”, so der Abwehrchef bei “The Athletic”.
Bei den besagten Transfers nutzte Pere Guardiola sein Netzwerk. So werden Blind und Tsygankov von seiner Berater-Agentur gemanagt. Bei Eric Garcia war es zudem wohl ebenso kein Nachteil, dass er zuvor unter Pep Guardiola bei City kickte. Mit Yangel Herrera (im Sommer von Man City nach Leihe gekauft) und Yan Couto (von Man City ausgeliehen) finden sich zwei weitere Spieler mit CFG-Background im Kader.
Von Peres Herangehensweise ist Neuzugang Dovbyk begeistert. “Pere löst alle Probleme, die mit der Entwicklung in Girona verbunden sind. Ich finde es gut, wie sich der Verein entwickelt. Er hat tolle Aussichten”, lobt der Ukrainer.
Was Girona von anderen Investoren-Klubs unterscheidet
Es ist ein Kader, den Michel und Sportdirektor Quique Carcel rund um diese Spieler aufgebaut haben, der Girona zum aktuellen Höhenflug führt.
Das Highlight: Am 27. September 2023 war Girona nach einem 2:1-Sieg gegen Villarreal erstmals in der Geschichte La-Liga-Tabellenführer.
“Wir müssen bescheiden bleiben und uns zugleich große Ziele setzen”, meinte Coach Michel danach.
Nach dem ersten Saison-Viertel befindet sich Girona, das mit dem 0:3 gegen Real Madrid die einzige Niederlage bezog, weiter voll im Spitzenfeld.
Freilich ist der Erfolg des spanischen Überraschungsteams keineswegs so überraschend, wie es auf den ersten Blick wirkt. Dennoch holt Girona aus jenen Mitteln, die zur Verfügung stehen, so gut wie das Maximum heraus.
Denn CFG hin oder her: die großen Stars - vor allem im Vergleich zu Barca, Real und Atletico - sucht man im Kader der “Blanquivermells” vergeblich.
"Es ist kein Zufall, dass wir ganz oben stehen. Wir als Mannschaft haben großen Spaß und wollen noch mehr erreichen.”
Dies ist auch ein maßgeblicher Unterschied zu anderen spanischen Klubs, die sich Investoren ins Boot holten. Man denke an den FC Malaga (auch über diesen findet ihr bei uns ein “Tor zur Welt”), den FC Valencia und Racing Santander. Sie alle kauften nach der Übernahme groß ein, bis der Geldgeber die Lust verlor, wodurch die Klubs danach alle mehr oder weniger in der Versenkung verschwanden.
Zudem hat man im Vergleich zu den genannten Beispielen bei Girona nicht den kurzfristigen Erfolg im Blick und neigt keineswegs dazu, etwas übers Knie zu brechen. Das Engagement der CFG ist langfristig ausgelegt und man nimmt auch zwischenzeitliche Misserfolge, wie die drei Jahre in Liga zwei, in Kauf. Im Mittelpunkt steht die Entwicklung der Spieler, die im Idealfall für den Schritt in die Premier League vorbereitet werden sollen.
Wohin führt Gironas Weg?
Ob der FC Girona seinen derzeitigen Erfolgslauf mit dieser Besetzung bis zum Ende der Saison aufrecht erhalten kann, bleibt abzuwarten. Spanische Experten trauen den “Blanquivermells” aber eine Platzierung unter den besten Sechs und damit die Qualifikation für den Europacup zu.
Vize-Kapitän Aleix Garcia gibt sich jedenfalls angriffslustig: “Es ist kein Zufall, dass wir ganz oben stehen. Wir als Mannschaft haben großen Spaß und wollen noch mehr erreichen.”
Die Segel sind gesetzt und sollte der Girona-Dampfer tatsächlich in den Europacup-Hafen schippern, droht womöglich das nächste Fragezeichen.
Aufgrund der engen Verstrickung zwischen den “Blanquivermells” und Manchester City ist fraglich, ob die UEFA bei einer Qualifikation für den selben Bewerb hier gute Miene zum bösen Spiel machen würde.
Diese Frage ist vorerst aber ohnedies eine rein hypothetische. Die Gegenwart heißt Spitzenfeld in einer der besten Ligen der Welt und damit hat man in Girona aktuell alle Hände voll zu tun.