Eine schnelle Körperfinte nach links, dann macht der Spieler in Blau-Weiß Tempo. Drei Verteidiger stellen sich ihm an der Sechzehnerkante in den Weg, doch keiner kriegt ihn zu fassen. Bruchteile einer Sekunde später zappelt der Ball im Netz. Alle schauen sich verdutzt an, der Torschütze streckt seine Zunge heraus, legt seine Hände hinter die Ohren und rutscht auf den Knien mit weit aufgerissenem Mund Richtung Zuschauerränge.
An seine erfolgreiche Zeit beim FC Chelsea kann Eden Hazard heute nur mit einem müden Lächeln zurückdenken. Sieben Jahre mischte der Belgier (32) die Premier League auf, neben zwei Meistertiteln schmückt auch eine Spieler-der-Saison-Auszeichnung sein Trophäenkabinett.
Tempodribblings, Torgefahr, Wendigkeit, das gewisse Etwas. Real Madrid schielte schon länger auf den damals 28-Jährigen, im Sommer 2019 war es dann soweit. Die "Königlichen" überwiesen 115 Millionen Euro Ablöse an den FC Chelsea. Neben einem fürstlichen Jahressalär von 15 Mio. Euro erhielt Hazard auch die ominöse Rückennummer Sieben. Und mit ihr, die an sie gebundenen Erwartungen in der spanischen Hauptstadt.
In den Fußstapfen seiner Vorgänger Cristiano Ronaldo, Raul oder Emilio Butragueno stapfte der Belgier aber nie. Erfüllen konnte Hazard die exorbitanten Erwartungshaltungen in der Millionen-Metropole nördlich des Tajo bis heute nicht.
2023: Neben Ersatztorhütern und Real-Outcasts
Die Realität ist längst eine andere. Auch am 19. März 2023 muss Hazard beim 287. El Clasico mit der Bank vorliebnehmen. Neben Ersatzkeeper Andriy Lunin, Dauerreservist Alvaro Odriozola oder Ersatzstürmer Mariano Diaz eingeklemmt, verfolgt Hazard das Spiel. Real-Madrid-Trainer Carlo Ancelotti schickt einen Spieler nach dem anderen zum Aufwärmen, Hazard gehört nicht zu ihnen. Die einzige schnelle Bewegung an diesem Abend bleibt der gelegentliche Griff zu einer blauen Trinkflasche.
Für Hazard eigentlich nichts Neues. Neun Mal ging der Clasico bereits über die Bühne, seit der Belgier vom FC Chelsea nach Spanien kam. Gespielt hat er keine einzige Minute.
Eden Hazard kommt bei Real Madrid einfach nicht mehr zum Zug. 296 Minuten spielte der Belgier bisher in dieser Saison, kein einziges Mal von Beginn an. Und dass, obwohl die "Galaktischen" in der Spielzeit 2022/23 in sechs Wettbewerben antreten, zum Rotieren ist man also gezwungen.
Wie kam es zum Absturz des zehntteuersten Spielers aller Zeiten? LAOLA1 analysiert:
Starke Konkurrenz: Hazard nicht anpassungsfähig genug?
Zu behaupten, dass Hazard in der laufenden Saison die Chance auf den Turnaround nicht bekam, wäre falsch. Carlo Ancelotti bot den Belgier zu Saisonstart in mehreren Spielen auf, aufdrängen konnte sich der 32-Jährige nicht. Besonders jene Eigenschaften, die Hazard in England so erfolgreich machten, bringt er nicht mehr in gleicher Form aufs Parkett. Spieler wie Vinicius Junior oder Rodrygo sind einfach schneller, wendiger und vor allem torgefährlicher. An ihnen kommt Hazard auf dem Flügel nicht vorbei.
Besonders auf Vinicius Junior hält Real-Trainer Carlo Ancelotti große Stücke, der Flügelflitzer gehört zu den wenigen Dauerbrennern unter der Ägide des Italieners. Den Brasilianer bezeichnete Ancelotti zuletzt als "den besten Spieler der Welt".
Zentral in der Spitze schien die Chance auf Spielpraxis für Hazard größer. Im belgischen Nationalteam spielte Hazard des Öfteren die "Falsche Neun", machte dort vor allem mit Vorlagen auf sich aufmerksam.
Als Karim Benzema im Vorfeld der WM ausfiel, schien Hazard deshalb der logische Ersatz zu sein. Ancelotti stellte den Ex-Chelsea-Star als Mittelstürmer auf. Ein Experiment, das der Italiener als gescheitert betrachten dürfte - denn seitdem (11. September 2022) kam Hazard in La Liga zu keiner einzigen Einsatzminute mehr. Laut "Fußballeuropa.com" sei Hazard in der Trainer-Gunst sogar vom 18-jährigen Jungster Alvaro Rodriguez "überholt" worden.
Einen Stammplatz hatte Hazard in den letzten Jahren eigentlich nur in der belgischen Nationalmannschaft, die er sowohl in der Nations League als auch bei der WM 2022 als Kapitän aufs Feld führte. Ex-Belgien-Teamchef Roberto Martinez hielt trotz fehlender Spielzeit am 32-Jährigen fest, obwohl sich mit Leandro Trossard ein formstarker Flügelspieler als Ersatz aufdrängte. Auch bei den "Roten Teufeln" war das nicht unumstritten. Nach dem frühen WM-Aus zog Hazard einen Schlussstrich unter seine Teamkarriere.
Der Grund: Er wolle sich jetzt voll und ganz auf Real Madrid konzentrieren.
"Ich kann nicht verhehlen, dass es auf seiner Position einen Spieler gibt, der viel einbringt, nämlich Vinicius."
Courtois: "Da hat er den Kopf schon etwas hängen lassen"
"Als Hazard von der WM zurückkam, hat er sehr gut trainiert und auf eine Chance gewartet, weil die Brasilianer nicht da waren", berichtete Teamkollege Thibaut Courtois. Vinicius Junior und Rodrygo waren mit Brasilien noch in Katar, stiegen erst später ins Training der "Königlichen" ein. Die guten Neujahrsvorsätze des Belgiers in Ehren, änderte das aber nichts an der vorherrschenden Situation. Trotz Trainingsvorsprung haftete die Reservistenrolle an Hazard weiterhin wie Pech.
"Die Gelegenheit kam nicht", brachte es Courtois auf den Punkt. Ancelotti schenkte den gleichen Günstlingen wie vor der WM-Pause das Vertrauen. Hazard war bekanntlich keiner davon. Dann verletzte sich der Belgier zu allem Überfluss noch. "Da hat er den Kopf schon etwas hängen lassen", so Courtois weiter. Böses Blut soll der Linksaußen im Team aber nicht verbreiten. Mit der Situation gehe er professionell um, sagte Courtois.
Toni Kroos stieß in einem Interview mit dem belgischen TV-Sender "Eleven" in ein anderes Horn. Auf die Frage, ob der Deutsche Mitleid mit Hazard habe, antwortete Kroos mit einem entschiedenen "Nein". Hazard sei "selbst verantwortlich" für die Situation. Was er damit genau meinte, ließ der Deutsche offen.
Zu "gesättigt" nach Madrid gekommen?
Die Vorschusslorbeeren, mit denen Hazard nach Madrid kam, waren riesig. Real sicherte sich immerhin den Topscorer der abgelaufenen Premier-League-Saison (16 Tore und 15 Vorlagen), dessen Marktwert laut "transfermarkt.at" damals mit 150 Mio. Euro beziffert wurde. Unglaublich aber wahr: Heute sind es gerade einmal noch 7,5 Mio. Euro - ein Zwanzigstel des Marktwerts von vor vier Jahren!
Kam Hazard, abgesehen von den sieben Kilo Übergewicht, die er aus dem Sommerurlaub nach Madrid mitbrachte, zu satt aus der Fußballpause zurück? Bei seiner Vorstellung vor 50.000 Madrid-Anhängern im Santiago Bernabeu sagte der Belgier, dass mit dem Transfer zu Real "ein absoluter Traum in Erfüllung" ginge. Schon als kleines Kind sei Hazard Real-Anhänger gewesen. Hatte er mit dem Wechsel und den dazugehörigen 15 Mio. Euro Jahresgehalt schon alles erreicht, was er sich gewünscht hatte?
In der ersten Saison nach seinem Wechsel funktionierte bei Hazard so gut wie gar nichts. Auf dem Platz machte er nicht durch Tempodribblings und Gustostückerln, sondern durch mangelnde Fitness auf sich aufmerksam. Verletzungsbedingt kam er nur auf 22 Einsätze und 1.545 Einsatzminuten (In der Vorsaison 3.878 Minuten), schoss dabei gerade einmal ein Tor (16) und gab sieben Vorlagen (15).
Nicht nur bei den Fans wurden Vorwürfe laut, dass Hazard nicht professionell genug lebe. Immer wieder fiel der Linksaußen durch muskuläre Probleme aus. Der Belgier verpasste in etwas mehr als drei Jahren verletzungsbedingt 71 Spiele bei Real Madrid. Zum Vergleich: Bei Chelsea waren es in sieben Jahren lediglich 21 Partien gewesen.
Video: Die fünf schönsten Tore von Eden Hazard während seiner Chelsea-Zeit (Story geht unterhalb weiter)
Die ewige Verletzungsgeschichte des Eden Hazard
Die Patellasehnenverletzung, an der der Belgier im vergangenen Februar laborierte, reiht sich in eine fast lückenlose Verletzungsgeschichte ein. Für Hazard kam sie wie gewohnt zur Unzeit. Nämlich gerade dann, als er Madrid zum wiederholten Male zeigen wollte, was er wirklich kann.
Seit seiner Unterschrift bei Real Madrid hatte der Belgier keine verletzungsfreie Saison mehr. Von 2019 bis Jahresende 2021 war Hazard nie mehr als zwei Monate am Stück fit. Die Frage, die sich stellt: Kann man nach so einem Start überhaupt noch ins Teamgefüge finden?
In seiner ersten Saison im Dress der Madrilenen verpasste Eden Hazard 24 Spiele. Ein Haarriss im Fuß setzte den Belgier insgesamt 67 Tage außer Gefecht, im Verlauf der Saison hatte der Linksaußen außerdem mit anderen kleinen Blessuren zu kämpfen. Der fulminante Einstand, den man bei den "Königlichen" für den neuen Star geplant hatte, schien fürs Erste nur aufgeschoben.
Doch auch in der Folgesaison 2020/21 war Hazard der Dauerpatient des "Weißen Ballets". Eine hartnäckige Muskelverletzung warf den Belgier immer wieder zurück. Nach erfolgreicher Genesung knockte eine Coronavirus-Erkrankung den Real-Star aus.
Wenn auch die großen Weh-Wehs in den vergangenen beiden Spielzeiten ausblieben, kämpfte Hazard immer wieder mit kleinen Blessuren. Die Sommervorbereitung für die Saison 21/22, bei der sich Hazard unter Neo-Trainer Carlo Ancelotti in die Auslage spielen wollte, verpasste der Linksaußen wegen einer Oberschenkelverletzung komplett. Im weiteren Saisonverlauf reichte es zumindest zu sieben Startelfeinsätzen, bevor eine Fissur des Wadenbeins im Frühjahr 2022 erneut Probleme machte.
"Kühles" Verhältnis mit Ancelotti als Hindernis
Beim Amtsantritt von Carlo Ancelotti als neuer Real-Trainer im Sommer 2021 war Hazard verletzt. Die Arbeitsbeziehung scheint unter der anfänglichen Absenz des Belgiers gelitten zu haben bzw. nie vertieft worden zu sein.
Das Verhältnis mit dem Italiener bezeichnete Hazard in einem Interview mit "RTBF" im März 2023 als distanziert. "Es gibt Respekt zwischen uns. Aber ich werde nicht sagen, dass wir miteinander reden, weil wir nicht miteinander reden", sagte Hazard.
Ancelotti bestätigte die Aussagen seines Schützlings wenige Tage später auf Mediennachfrage, wollte aber von Kälte im Verhältnis nichts wissen. "Hazards Aussage? Die Beziehung ist nicht kalt. Aber ja, wir reden nicht viel. Er hat die Wahrheit gesagt. Aber das Wichtigste ist, dass wir uns gegenseitig respektieren." Eine rege Kommunikation mit allen Kaderspielern sei nicht das Wichtigste, meinte Ancelotti.
"Wenn du spielen willst, musst du entweder deine Einstellung ändern und arbeiten, oder du wirst nicht spielen."
Ancelotti: "Ändere deine Einstellung, oder du wirst nicht spielen!"
Dabei sind die Töne, die Ancelotti heute gegenüber dem Belgier anschlägt, noch überraschend freundlich. Im November 2021 hatte Ancelotti Hazard in einer Pressekonferenz nach einem Champions-League-Spiel, das der Belgier auf der Bank verbracht hatte, die Leviten gelesen. "Wenn du spielen willst, musst du entweder deine Einstellung ändern und arbeiten, oder du wirst nicht spielen", sagte Ancelotti damals.
In der Zusammenarbeit der beiden sei damals "etwas zerbrochen", titelte die "As". Hazard bekomme das Gesicht von Bale, also das eines Sündenbocks, schrieb die Zeitung. Der Waliser, der Real Madrid mit Sprüchen wie "Wales, Golf, Madrid - in that order", (also Wales, Golf, Madrid - in dieser Reihenfolge, d. Wichtigkeit Anm. d. Red.) in aller Öffentlichkeit veralbert hatte, wurde von Ancelotti aber lange gedeckt. Ancelotti hatte sich eher auf den formschwachen Hazard eingeschossen.
Zumindest der Respekt zwischen beiden Fußball-Granden ist groß, kaschiert aber auch ein Stück weit Enttäuschung und Frust. Schließlich gab Ancelotti Hazard trotz des langfristigen Ausfalls von Karim Benzema vor der WM nur ein Spiel Zeit, sich als falsche Neun zu beweisen. Der Italiener nahm Hazard nach 60 Minuten vom Feld und bot ihn seither in keiner Liga-Partie mehr auf. Vertrauen sieht anders aus. Öffentlich gibt sich Ancelotti mittlerweile dennoch versöhnlicher.
„Ich kann garantieren, dass er uns bei Real Madrid immer noch helfen kann, ganz sicher. Ich danke Eden, denn er hat sich immer respektvoll verhalten", sagte Ancelotti über Hazard. Gleichzeitig schränkte der Italiener aber ein: "Ich kann nicht verhehlen, dass es auf seiner Position einen Spieler gibt, der viel einbringt, nämlich Vinicius."
Zukunft: Hazard will Vertrag erfüllen und sich beweisen
Eden Hazard machte in den vergangenen Jahren nie einen Hehl daraus, dass er seinen bis 2024 datierten Vertrag bei Real Madrid erfüllen will. "Ich möchte gerne bleiben, das habe ich immer gesagt", sagte Hazard vor wenigen Wochen dem TV-Sender "RTBF". "Wenn es nach mir geht, dann bleibe ich die nächste Saison hier. Man weiß aber nie, was passiert."
Die Gründe für Hazards unbändigen Willen, Madrid um keinen Preis den Rücken kehren zu wollen, sind vielfältig. Wie in mehreren Interviews durchschien, dürfte der 32-Jährige der Ansicht sein, dass er Real Madrid sein wahres Gesicht noch nicht gezeigt hat. Das will der Belgier unbedingt noch richtigstellen, sich beweisen.
Mehrere Weggefährten Hazards bestätigten diesen Eindruck. "Er ist geradezu besessen davon, bei Real richtig durchzustarten", sagte etwa Ex-Belgien-Teamchef Roberto Martinez vor der WM in Katar. Auch Landsmann und Real-Teamkollege Thibaut Courtois schlug in mehreren Interviews in dieselbe Kerbe. Erfolg muss her, an dem Hazard persönlichen Anteil haben will. Die zwei spanischen Meistertitel (2019/20, 2021/22) und den Gewinn der Champions League (2021/22) seiner "Amtszeit" feierte der Linksaußen nämlich nur als Zaungast.
Andererseits sollen auch private Gründe eine große Rolle spielen. Hazards Famile fühlt sich in Madrid sehr wohl, sein Sohn spielt zudem für ein Jugendauswahlteam des Klubs. Nach seinem Wechsel aus England hat die Nummer Sieben der "Galaktischen" in Madrid Wurzeln geschlagen, in dem Glauben lange hier zu bleiben.
Real sucht Käufer, Top-Teams nicht interessiert
Die Real-Bosse würden den Belgier hingegen gerne von der Gehaltsliste streichen. Hazard ist mit 15 Mio. Euro Jahresgehalt der bestbezahlte Spieler im Kader der "Königlichen". Das Einkommen steht aus Klubsicht schon lange nicht mehr im Einklang mit der erbrachten Leistung. Bei einem passenden Angebot wäre man wohl nicht abgeneigt, die Zusammenarbeit schon im Sommer 2023 zu beenden. Schon im Winter bot man Hazard zum Kauf an.
An einen nationalen Rivalen will man den Belgier aber nicht abgeben, aus den anderen Top-Ligen (England, Frankreich, Italien, Deutschland) lagen im Jänner keine Angebote für den Linksaußen auf dem Tisch. Einen Wechsel in die USA oder nach Katar schließt hingegen Hazard aus, der noch die sportliche Herausforderung sucht.
Beide Vorstellungen in Einklang zu bringen - schwierig. Einzig das Angebot von Fenerbahce Istanbul soll sowohl Spieler- als auch Klubseite ansprechen. Die türkische Zeitung "Fotomac" titelte im März bereits mit "Fenerbahce - Eden Hazard kommt". Im Winter waren die Türken bei Real abgeblitzt, diesmal gäbe es aber keine Zweifel, schrieb das Blatt.
Noch steht die entscheidende Saisonphase aber bevor, Hazard könnte sich mit überzeugenden Trainingsleistungen in die Real-Startelf zurückkämpfen. Aber, wenn das in den letzten Jahren nicht gelungen ist, warum sollte es ausgerechnet jetzt klappen?