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"FC Erdogan": Der Klub, der nur einen Mann interessiert

Seit zehn Jahren fordert ein neuer Klub die drei Istanbuler Giganten heraus. Sein Aufstieg hat nur einen Grund: Die politische Gunst. Das ist Basaksehir:

Foto: © GEPA

In der Serie "Das Tor zur Welt" nehmen wir internationale Fußball-Klubs und ihre Geschichten genau unter die Lupe. Wir beleuchten die Hintergründe, die in der schnellen, täglichen Berichterstattung gerne untergehen.

Von Aston Villa und Benfica Lissabon über Europas größten Fußballklub IF Brommapojkarna, den Fan-Verein CS Lebowski bis hin zum deutschen Kultverein FC St. Pauli haben wir schon einige Klubs portraitiert. Hier kannst du alle nachlesen >>>

Diesmal geht es um Rapids ersten Gegner in der Ligaphase der UEFA Conference League: Istanbul Basaksehir FK. Der kleine Verein aus dem äußersten Westen der Metropole, der viel größer sein sollte - wenn es nach einem sehr mächtigen Mann geht: Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan. Dessen Gunst ist quasi die alleinige Daseinsberechtigung für einen Verein, den sonst eigentlich niemand unbedingt haben will.

 

Besiktas. Fenerbahce. Galatasaray. Und: Basaksehir.

Ein Name, der künstlich neben die Giganten des türkischen Fußballs gestellt wirkt. Das trifft auch die Realität.

Bei allen Trennlinien zwischen ihnen: mit dem Emporkömmling, der sich seit zehn Jahren in die wechselnde Regentschaft des Trios bohrt, haben die drei Großvereine am wenigsten zu tun.

Von der Historie bis zum Zuschauerandrang - alles keine Kategorien, in denen sich der Klub aus der westlichen Vorstadt annähernd messen kann.

Viel länger als seine sportliche Relevanz existiert der Basaksehir FK in dieser Form kaum. Nicht der einzige Grund, warum von den 30.000 bis 40.000 Fans, die im Schnitt bei den anderen ins jeweilige Stadion kommen, bei Rapids erstem Gegner in der Ligaphase der UEFA Conference League eine Null weggestrichen werden muss.

Und das, obwohl seine Tickets den Menschen im wahrsten Sinne des Wortes auf der Straße nachgeschmissen werden.

Aber das ist für den bisherigen Weg des Klubs gar nicht wichtig. Die Gunst eines Mannes ist bedeutender als jene der breiten Masse: Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan.

Eine biedere Betriebsmannschaft wird relevant

Alles am Basaksehir FK ist untrennbar mit seinem Namen verbunden. Vom Konterfei in der Lobby des Trainingsgeländes bis zu den Vereinsfarben, die sich ganz zufällig mit jener von Erdogans Partei AKP decken: Dass außerhalb des engen Sympathisantenkreises vom "FC Erdogan" gesprochen wird, ist ähnlich subtil wie diese Verbindungen.

 

(Text wird unterhalb fortgesetzt)

Schon der Vorgängerverein, der "Istanbul Büyükşehir Belediyespor" - deutsch "Verein der Istanbuler Stadtverwaltung" - war als Betriebsmannschaft seit seiner Gründung 1990 eng mit der Politik verbandelt.

Und spielte sich zwar brav bis in die Süper Lig nach oben, aber nicht mehr. Zwischenzeitlich ging es wieder eine Ebene tiefer.

Doch dann wurde der Fußball zum politischen Faktor.

Erdogans Alternativkonzept zu den gefährlichen Riesen

Denn dem Staatspräsidenten wurde die gesellschaftliche Bedeutung des Fußballs vor Augen geführt. Als sich die Fanszenen von Besiktas, Fenerbahce und Galatasaray verbündeten, um bei den Gezi-Protesten 2013 aufseiten des Aufstands mitzuwirken. Eine temporäre Verbrüderung, zuvor undenkbar.

Es war in vielerlei Hinsicht ein Wendepunkt. Vor allem für die Fans, die sich seither mit schwierigen Bedingungen in der Türkei konfrontiert sehen. Ticket-Erwerb funktioniert nur mehr über eine Kreditkarte, die "Passolig" - ausgestellt von einer staatsnahen Bank. Politische Parolen und Statements sind im Stadion verboten. Übrigens eine Regelung, von der die Basaksehir-Fans ausgenommen sind.

Dem Präsidenten wurde bewusst, dass er ein Gegenkonzept zu den etablierten Vereinen braucht, um auch in diesen Lebensbereich vorzustoßen. Nicht zufällig formierte sich 2014 eine Gruppe parteinaher Investoren, um dem bislang irrelevanten Klub einen neuen Anstrich, einen neuen Namen, ein neues Zuhause zu geben.

Künstlicher Verein in künstlichem Stadtteil

Foto: © getty

Das Fatih-Terim-Stadion, das zumindest 17.300 Zuschauern Platz bieten würde, erbaut von der Kalyon-Gruppe. Auch involviert in die Baupläne rund um den Gezi-Park, Auslöser der Proteste im Jahr zuvor.

Sein Standort ist kein Zufall: Basaksehir ist ein Stadtteil, der unter der Regierung Erdogans aufgepäppelt wurde. Und mit seinen hohen Wohngebäuden, seiner Aufgeräumtheit und der unübersehbar islamischen Prägung viel mit den AKP-Idealvorstellungen, aber weniger mit dem Rest der Stadt zu tun hat. Nun sitzt hier auch ein Verein, den wenig mit den anderen verbindet.

Die Eröffnung des Stadions nahm Erdogan höchstpersönlich vor. Standesgemäß: mit einem heldenhaften Hattrick, den er beim Eröffnungsspiel des Stadions beisteuerte. Seine getragene Rückennummer 12 wird beim Basaksehir FK seither nicht mehr vergeben.

Namen, die man kennt

Sportlich wurde Basaksehir zur Erfolgsgeschichte. Nach dem sofortigen Wiederaufstieg 2014 schloss der neue Klub die Süper Lig in den folgenden fünf Jahren zweimal als Vizemeister und nie schlechter als auf Rang vier ab.

Bis die drei Platzhirsche des türkischen Fußballs 2019/20 alle zeitgleich schwächelten. Und der Weg für einen Meister Basaksehir frei war.

Getragen von einem alten Erfolgsrezept: Stars nach der besten Phase ihrer Karriere. So waren etwa Robinho, Demba Ba und Martin Skrtel Bestandteil der Meistermannschaft. Auch Emmanuel Adebayor kickte schon für Basaksehir, wie es Krysztof Piatek immer noch tut.

AKP überall

Bekanntester aktueller Spieler: Krysztof Piatek
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Die Grundlage dieses Aufstiegs? Offiziell gibt es keinen Einblick in die Finanzbücher des Klubs. Dass Basaksehir seit jeher kein Problem hat, Sponsoren - speziell Unternehmen mit AKP-Nähe - aufzustellen, dürfte aber für keine schlechte Grundlage sorgen.

Es wird auch gemunkelt, dass eine Mitgift an Erdogans Klub kein Nachteil ist, wenn es um die Vergabe öffentlicher Aufträge geht.

Einige Beispiele sind augenscheinlich: So warb die Krankenhauskette "Medipol" lange im Vereinsnamen. Gegründet von Fahrettin Koca, Erdogans Gesundheitsminister und Leibarzt. Oder der neue Flughafen Istanbul, eines von Erdogans Prestigeprojekten. Unter Mitarbeit der Kalyon-Gruppe.

Die Größe der Konkurrenz wird zur Schwäche

Aber die Weisheit gilt: Geld allein schießt keine Tore, es braucht auch den richtigen Umgang damit. Und da hat Basaksehir einen entscheidenden Vorteil auf seiner Seite. Langfristige Planungsmöglichkeiten.

Denn bei den drei großen Rivalen ist Erfolg auch ein kurzfristiger Faktor. Die jeweiligen Vereinsführungen von Besiktas, Fenerbahce und Galatasaray können sich für ihre Wiederwahl keine Durchhänger leisten.

Rund um das Stadion ist der Triumph 2020 allgegenwärtig

Dazu kommt, dass die Riesen nicht nur Fußball-, sondern Sportvereine mit zahlreichen anderen Abteilungen sind, die auch Aufmerksamkeit erfordern. Im Gegensatz zu Basaksehir.

Das führte auf Dauer auch zu finanziellen Schieflagen, auf die das Financial Fairplay der UEFA ihre Augen warf.

Es ging schnell, musste es aber nicht

Woher das Geld auch kommt, bei Basaksehir wird mit Ausnahme einiger Altstars langfristiger gewirtschaftet. Auch die Infrastruktur ist State of the Art.

Dazu ist Präsident Gösel Gümüsdag - so ganz nebenbei mit einer Nichte von Erdogans Ehefrau verheiratet - in der neuen Vereins-Ära seit 2014 durchgehend im Amt.

Und Ex-Trainer Abdullah Avci, der neben dem ersten Aufstieg 2007 auch die Festsetzung in der erweiterten Süper-Lig-Spitze bis 2019 zu verantworten hatte, war mit insgesamt zehn Dienstjahren auf zwei Amtszeiten aufgeteilt für türkische Verhältnisse schon ein Trainer-Methusalem.

Erst in den letzten Jahren hat sich die Betreuer-Halbwertszeit auf ein übliches Niveau eingependelt. Und sich der sportliche Erfolg prompt relativiert. Nach dem Meisterjahr ging es in den Abstiegskampf, jetzt reicht das Abschneiden zumindest wieder für Europa.

Nichtmal geschenkt

Wohin es mit dem Basaksehir FK langfristig gehen kann, ist ungewiss. Klar: Solange Erdogan regiert, wird der Verein florieren und sportlich zumindest eine mittelgroße Rolle spielen.

Begeisterung a la Basaksehir
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Langfristig fehlen dem Verein aber viele Strukturen, die das Überleben eines Fußballklubs sichern. Allem voran die Begeisterung und der Zuspruch der Menschen.

Die aufzubauen, stellt auch eine Mammutaufgabe dar. Die nicht erzwungen werden kann - nicht durch Anweisung, nicht durch Goodies und Gratis-Eintritte. Und daher in zehn Jahren trotz des sportlichen Outputs keinerlei Fortschritte machte.

Zwar gibt es mit der betont unpolitischen Gruppe "1453" - benannt nach dem Jahr der Eroberung Konstantinopels durch die Osmanen - mittlerweile organisierte Fans, aber Kulissen von weniger als 2.000 Zuschauern sind keine Seltenheit.

Zum Scheitern verurteilt?

Das Ziel, zumindest die Bevölkerung Basaksehirs anzusprechen, könnte an einem Denkfehler scheitern: Für die strenggläubigen Muslime, die hier dominieren, ist Fußball keine adäquate Freizeitbeschäftigung.

Die Jugend mit dem Konzept eines "friedlichen" - also regierungsfreundlichen - Kurvenerlebnisses anzusprechen, dürfte im Angesicht der Alternativen ähnlich erfolgreich ausfallen.

Basaksehir wäre nicht der erste Klub, hochgezogen durch die Gunst eines einzigen Mannes, der nach einer Zeit doch wieder verschwindet. In diesem Fall ist der Mann allerdings ein sehr mächtiger.

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