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Fenerbahces tiefer Fall

Top-Klub nur einen Punkt vom Abstiegsplatz entfernt - Probleme gibt es viele.

Fenerbahces tiefer Fall

In der ewigen Tabelle auf Rang eins, in der heurigen Saison jedoch nur einen Punkt von einem Abstiegsplatz entfernt. Der Kultklub und 19-fache türkische Meister Fenerbahce Istanbul steckt in einer tiefen Krise.

Drei Siege aus 14 Spielen, darüber hinaus ein Zuschauerschnitt von lediglich etwa 10.000 Zuschauern pro Spiel - in Fenerbahce wird nicht mehr der Fußball gespielt, der die Fans früher so begeisterte. Doch woran liegt das historische Tief dieses eigentlichen Top-Klubs?

Das 2:2 in der 14. Süper-Lig-Runde gegen den Zweitplatzierten Kasimpasa Istanbul kann man zwar als kleinen Erfolg, aber auch nicht als mehr vermerken. Denn nach 14 Spielen liegt Fenerbahce mit lediglich 14 Punkten auf dem 15. Tabellenrang. Bloß ein Punkt trennt „Fener“, wie der Verein von den Fans genannt wird, vom Abstieg. Der Anspruch eines Teams, das sich jedes Jahr zum Ziel setzt, um die Meisterschaft mitzuspielen, ist definitv ein anderer.

Saison stand unter guten Vorzeichen 

Fatih Demireli, Socrates-Chefredakteur und Fenerbahce-Experte, erklärt es im Gespräch gleich zu Beginn und sollte später immer wieder darauf zurückkommen: Fenerbahce befindet sich in einer größeren Krise, als man zuerst annehmen mag. Dabei sah vor der Saison alles danach aus, als ob man nach dem Vizemeistertitel im vergangenen Jahr auch dieses Jahr wieder ganz vorne mitspielen wird:

"Eigentlich hatte man vor der Saison große Hoffnungen, weil mit Ali Koc der Präsident kam, den man sich seit Jahren gewünscht hat. Der erhoffte Machtwechsel ging also in Erfüllung. Man hat sich deshalb sehr viele Erwartungen gesetzt. Die sportliche Situation sieht derzeit aber komplett anders aus. Sportlich gesehen ist es ein verdienter Platz 15. Es gab im Sommer einen großen Umbruch – viele Spieler gingen, viele Spieler kamen. Verbessert hat man sich trotz der vielen Zugänge nicht. Dass man nach so einem Umbruch die Mannschaft sogar verschlechtert hat, hat die Stimmung natürlich getrübt."

Vermutlich ist es die schlechte Transferpolitik, die es Interimstrainer Erwin Koeman, Bruder von Holland-Teamchef Ronald Koeman, schwer macht, gute Ergebnisse zu erreichen. Für die vermeintlich größten Probleme sorgen dabei die sogenannten Premium-Transfers: "Die Spieler, die am meisten gekostet haben, verstärken Fenerbahce nicht. Es sind keine besseren Spieler als die, die es vorher gab, gekommen. Wenn man an Jailson, Slimani oder Frey denkt – das sind alles Spieler, die viel Geld gekostet, Fenerbahce aber nicht verbessert haben", erklärt Demireli.

Übersicht der wichtigsten Sommertransfers Fenerbahces:

Zugänge Abgänge
Jailson (Gremio) Josef (Al-Ahli)
Michael Frey (FC Zürich) Giuliano (Al-Nasr)
Islam Slimani (Leicester City; Leihe) Fernandao (Al-Wahda)
Andrew Ayew (Swansea; Leihe) Vincent Jannsen (Tottenham; Leihe)
Harun Tekin (Bursaspor) Luis Neto (Zenit St. Petersburg; Leihe)

Schwierige Situation für Fenerbahce-Trainer

Nicht nur die fehlende Kadertiefe, sondern auch die Qualität bereitet dem Klub aus Istanbul also große Probleme. Tore kommen etwa nicht wegen fehlender Chancenverwertung zustande – meist werden erst gar keine Chancen erarbeitet. Man habe keine Spielidee und vor allem keine Spieler, die diese verkörpern könnten, meint Demireli.

Der letzte Trainer, Philip Cocu, blieb lediglich 100 Tage im Amt. Und das obwohl der 48-Jährige Niederländer vor seinem Engagement bei Fenerbahce mit dem PSV Eindhoven in vier Jahren drei Mal den holländischen Meistertitel und zwei Mal den Supercup holte. Nun darf sich eben sein bisheriger Co-Trainer Koeman versuchen, auf Bewährung sozusagen.

Die Erwartungen an einen Fenerbahce-Trainer sind stets extrem hoch. Verständlich, wenn man bedenkt, dass man seit 2003, bis auf eine Ausnahme, die Süper Lig immer unter den ersten drei beendete: "Wenn man bei Fenerbahce nicht Erster wird, dann ist es schon ein Skandal und wenn man dann nur einen Punkt vom Abstieg entfernt ist, dann ist das ein totales No-Go. Die Entlassung war nur eine Frage der Zeit, als es dann dazu gekommen ist, hat das niemanden in der Türkei überrascht", erklärt der Fenerbahce-Experte.

Europa-League-Aufstieg ein kleines Wunder

2017 schaltete man Sturm in der EL-Quali aus
Foto: © GEPA

Dass man sich trotz der derzeitigen Form bereits einen Spieltag vor Ende der Gruppenphase für die K.O-Runde der Europa League qualifiziert hat, überrascht dabei nahezu alle: "Auch in der Europa League war kein Spiel überragend. Man hat die wichtigen Spiele gegen Anderlecht und Trnava gewonnen, jedoch waren auch diese keine großartigen Spiele. Man darf aber nicht vergessen, dass Fenerbahce mit Valbuena oder Ayew noch immer gute Einzelspieler hat, womit man sich im Endeffekt noch über Mannschaften wie Anderlecht oder Trnava hinwegsetzen kann."

Laut Demireli war es jedoch zu erwarten, dass ein sportlicher Misserfolg früher oder später eintreffen könnte. Man kenne Fenerbahce als eine Mannschaft, die sehr offensiv agiert, die Einzelspieler hat, die ein Schlagerspiel auch im Alleingang entschieden haben. Der letzte Trainer, unter dem diese Spielphilosophie aber wirklich gelang, war Ersun Yanal im Jahr 2013.

Als wäre das alles nicht schlimm genug, droht Fenerbahce direkt wieder ein Umbruch – ein Umbruch vom Umbruch sozusagen. Denn zum Ende der Saison laufen die Verträge von nicht weniger als 14 (!) Spielern aus. Ein weiteres großes Problem stellt dabei auch das von der UEFA vorgeschriebene Financial Fair Play dar. Ein Verein darf bloß so viel Geld ausgeben, wie er einnimmt. "Und so viele Spieler, die man gewinnbringend verkaufen könnte, gibt es nicht", sagt Demireli.

Freiwilliger Verzicht von den europäischen Wettbewerben?

Deshalb wünschen sich bereits einige, die europäischen Bewerbe in der nächsten Saison auszulassen. Denn mit Ali Koc, dessen Familie die gigantische Koc Holding gegründet hat, hat man nun einen Präsidenten, der zu den reichsten Menschen in der Türkei zählt. Ein willkommener Fakt, denn um die derzeitige Mannschaft Fenerbahces zu verbessern, müsste man viel Geld in die Hand nehmen.

Seit der Liga-Einführung 1959 ist Fenerbahce in der höchsten türkischen Spielklasse vertreten. An einen Premieren-Abstieg Fenerbahces, die am Sonntag mit Akihsarspor auf einen direkten Konkurrenten im unteren Tabellenviertel treffen, glaubt Demireli trotz der zahlreichen Probleme und Baustellen nicht: "Man spielt zwar so, dass man sich darum bewirbt, aber im Endeffekt hat man im Vergleich zur direkten Konkurrenz doch einige gute Spieler. Ein Abstieg würde mich schon sehr wundern."

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