Im Sepp-Doll-Stadion kommt es am Samstag (ab 18.15 Uhr im LIVE-Ticker >>>) zu einem echten Kracher: In der ersten Runde des ÖFB-Cups treffen zwei Cupsieger aufeinander.
Der SK Sturm gewann den Titel in den letzten beiden Durchgängen sowie in den Jahren 17/18, 09/10, 98/99, 96/97 und 95/96. Auf sieben Cuptitel kommt der Kremser SC zwar nicht – streckte den Pokal dafür schon lange vor den Grazern in den Himmel. In der Saison 1987/88 holten die Kremser als Zweitligist überraschend den Titel. Thomas Janeschitz spricht noch heute von der "größten Sensation der Cupgeschichte".
Lieblingsbewerb eines Torjägers
Der Weg hin zum ganz großen Erfolg gestaltet sich für den Klub aus der damaligen 2. Division – der heutigen 2. Liga – zunächst gnädig. "Bis zum Finale haben wir eine ganz günstige Auslosung gehabt", erinnert sich Janeschitz. Der heutige Leoben-Sportdirektor stand als damals 21-Jähriger noch am Anfang seiner Karriere.
"Für mich war es das erste Mal, dass ich mich zeigen konnte. Alles, was dann passiert ist, liegt sicher auch an der Zeit in Krems", meint er.
Über den FC St. Margarethen (4:0), den SC Zwettl (4:1) und den FC Puch (2:0) ging es für das Team im Viertelfinale gegen den Wiener Sportclub. Beim 2:0-Sieg steuerte Angreifer Janeschitz gegen seinen Ex-Verein beide Treffer bei.
"Mir persönlich ist damals in dieser Cupsaison im Grund alles aufgegangen", sagt er. Schon gegen Zwettl traf er dreifach, gegen Puch folgte ein Doppelpack. Am Ende der Cupsaison wird er bei neun Treffern halten.
In 29 Cupspielen, die Janeschitz im Laufe seiner Karriere bestreitet, trifft er 26 Mal.
Schongang im Training, Vollgas im Cup
Von Professionalität sei man damals in Krems noch weit entfernt gewesen. Der Verein war in der Stadt verwurzelt, spielte lange in der Regionalliga. Und erlebte 1988 erstmals eine Fußballeuphorie. Sepp Doll, nachdem das Stadion heute benannt ist, war Präsident und Gönner, als sehr korrekten und familiären Menschen bezeichnet Janeschitz ihn. "Das war schon eine Wohlfühlgeschichte, wo man gemerkt hat, dass was zusammenwächst", sagt er.
Manche Spieler arbeiteten noch, es gab zwei Fahrgemeinschaften. Ronald Otto, Erwin Wolf, Hannes Neumayer und Janeschitz starteten damals zu viert aus Wien los. Im Kader waren dank Trainer Ernst Weber einige Ex-Admira-Kicker, Spieler aus Krems und der Umgebung dienten als Bezugspersonen. "Das war wichtig, damit die Leute gespürt haben: Das ist nicht nur irgendein Fußballspiel, sondern da ist auch Verbundenheit da."
(Text wird unter dem Video fortgesetzt)
Janeschitzs damaliger Mitspieler Slobodan Batricevic meinte in einem Interview im "Ballesterer", dass die Kremser Mannschaft damals nur mit geringer Intensität trainiert habe – Trainer Weber habe dies damit begründet, dass die Spieler großteils eh schon im fortgeschrittenen Fußballeralter waren. "Der Ernst Weber war natürlich sehr erfahren und hat irgendwo auch gemerkt, dass er uns laufen lassen kann. Dass er einfach das Vertrauen in die Spieler hat", stimmt Janeschitz zu.
Parallel zu den Erfolgen im Cup musste das Team aber in der Liga der Mehrfachbelastung Tribut zollen. "Da hat die Meisterschaft ein bisschen mehr gelitten. In den Cup-Spielen waren wir gut beisammen. Aber dadurch war natürlich grundsätzlich in der zweiten Saisonhälfte wenig Intensität möglich", so Janeschitz.
Im Cup-Halbfinale wartete mit VfB Union Mödling ein Ligakonkurrent. "Da war dann Krems eh schon völlig euphorisiert. Im Halbfinale war es bummvoll. Sämtliche Spielverläufe waren in dieser Saison so, dass diese Begeisterung sowohl in der Mannschaft als auch in der Umgebung gewachsen ist", sagt Janeschitz.
Die Kremser ziehen vor eigenem Publikum ins Endspiel ein. Das Spiel geht in die Verlängerung, mit dem Elfmeter zum 3:1 fixiert Janeschitz die Party in der 119. Minute vom Punkt.
In der Form ihres Lebens
Finalgegner ist der FC Tirol, damals einer der ganz großen Klubs der Bundesliga.
Bruno Pezzey, Hansi Müller und Peter Pacult spielen damals für den Finalgegner, "Grantler" Ernst Happel kam vor der Saison als Trainer vom Hamburger SV in den Westen Österreichs.
Janeschitz spricht von einer "großartigen Aufgabe", viele sahen eine gmahte Wiesen für den großen Favoriten. Zumal das Finale noch in Hin- und Rückspiel ausgetragen wurde.
"Da waren wir natürlich krasser Außenseiter", wusste auch Janeschitz. Dadurch habe man aber sicher die leichtere Ausgangsposition gehabt, fügt er hinzu. Respekt vor den Tirolern sei auf jeden Fall da gewesen, die Motivation, sich mit solchen Spielern messen zu können, ebenso. Nicht nur bei ihm, sondern auch bei älteren Spielern wie Johann Drabek und Peter Netuschill.
"Wir haben gewusst, dass wir zu Hause eine absolute Macht darstellen, dass wir die Qualität in der Mannschaft haben. Wir haben eine gute Mannschaft gehabt, viele haben in der Form ihres Lebens gespielt."
Zwischen Stadion und Telefonzelle
Vor eigenem Publikum gelingt Krems an einem Dienstagabend im Mai 1988 die Sensation, mit Qualität, Euphorie und vielleicht auch etwas Unterschätzung seitens des Bundesligisten gewinnt der Zweitdivisionär das Hinspiel mit 2:0.
"Absolut verdient", sagt Janeschitz und meint: "Eigentlich hätten wir auch höher gewinnen können."
In der 22. Minute ist Tirols Manfred Linzmaier am Ball, Janeschitz spekuliert darauf, dass dieser den Ball zum Torhüter zurückspielen wird – die Rückpassregel ist damals noch nicht eingeführt. Linzmaier spielt blind zurück, Janeschitz, der einfach vorne stehengeblieben war, fängt den Ball ab, legt quer, Ronald Otto schließt ab.
In der 70. Minute fliegt eine Flanke von Erwin Höld in den Strafraum, Janeschitz timed den Kopfball gut und trifft zum Endstand. Über 9.000 Zuschauer im Kremser Stadion sind aus dem Häuschen. Die Stimmung ist am Siedepunkt: "Es war fantastisch. Die Leute sind an den Flutlichtmasten gehängt."
Am Tag nach dem Hinspiel musste Janeschitz wieder in die Uni, wo er Leibeserziehung und Mathematik studierte. Das Studium rückte an diesem Tag in den Hintergrund, Janeschitz blockierte die Telefonzelle vor dem Universitätsgebäude in der Wiener Boltzmanngasse, von dort aus beantwortete er Interviewanfragen.
"Es war einfach eine große Euphorie, im Grunde haben alle zu uns gehalten. Das hat uns getragen", sagt er. Auch seine Professoren hätten bei der Cupreise mitgefiebert.
"Im Grunde haben alle zu uns gehalten. Das hat uns getragen."
An den Titel habe trotzdem keiner geglaubt. "Die Leute haben gewusst, dass eine Woche später in Innsbruck das Rückspiel ist. Da haben schon alle anderen damit gerechnet, dass es sich schon noch ausgeht für den großen Favoriten."
Dem Auswärtstor sei Dank
Die Kremser fuhren trotzdem nicht ohne Optimismus nach Innsbruck. Zurecht.
Hinten hält Torhüter Gottfried Angerer den Underdog vor allem bei Tiroler Freistößen im Spiel, Krems spielt in Hälfte eins wieder auf Augenhöhe mit Tirol und geht durch Erwin Wolf früh in Führung (13.).
"Und auch dort nicht unverdient. Das war eigentlich die große Überraschung: dass wir in den Spielen, in denen wir geführt haben, das absolut verdient getan haben", so Janeschitz.
In der zweiten Hälfte wird es trotzdem noch einmal spannend. Tirols Robert Wazinger trifft mit dem Wiederanpfiff. "Da haben dann wieder alle geglaubt, jetzt kippt es", sagt Janeschitz. "Wir haben aber gewusst: Dass sie uns vier Tore schießen, ist schon schwierig."
Das Publikum wacht aber auf, Tirol macht Druck, Krems hält dagegen. In der 80. Minute fällt das 2:1 durch Andreas Spielmann, Rupert Marko trifft noch zum 3:1 (90.). Cupsieger wird dennoch Krems – aufgrund der Auswärtstorregel.
"Dass in einem Spiel im Cup schon viel passieren kann, das kennt man ja. Aber dass wir den FC Tirol mit der damaligen Besetzung in zwei Spielen schlagen können, das haben uns vielleicht zwei, drei Prozent zugetraut. Das hat es umso schöner gemacht", so Janeschitz.
Partykolonne von Innsbruck ins Waldviertel
Nach dem Titelgewinn geht die Feierei schon in der Kabine los. "Wir waren ja durchaus eine trinkfeste Truppe - also ich damals noch nicht. Aber wir haben schon ein paar gehabt, die gewusst haben, wie man feiert", erzählt er lachend.
Schon auf der Heimfahrt sei die Stimmung großartig gewesen, die Party verlagerte sich zwischenzeitlich auf eine Raststätte, der Vorstand lud ein. Frühmorgens kommen die Cupsieger in Krems an.
Krems steigt im Folgejahr in die Bundesliga auf, hält sich dort bis 1992. Weltmeister Mario Kempes kam noch ins Waldviertel, anschließend ging es bergab. Ab 2008/09 spielte man sogar in der 2. Landesliga-West, 13/14 führte der Weg wieder hoch, seit zwei Jahren ist Krems zurück in der Regionalliga Ost.
Die Cupsieger von 1988 sind immer noch über eine WhatsApp-Gruppe in Kontakt und treffen sich hin und wieder bei Tennisveranstaltungen. Die Mannschaft von 2024 trifft mit Neo-Trainer Jochen Fallmann im Pokalbewerb auf Titelverteidiger Sturm Graz.
Ein Erfolg gegen den Champions-League-Teilnehmer wäre eine Sensation. Eine solche ist Krems schon einmal gelungen. Damals, vor 36 Jahren.