Des Fußball-Professors Lieblingsschüler.
So oder so ähnlich lässt sich Nicolas Seiwalds Rolle im ÖFB-Team beschreiben. Seit der Amtsübernahme Ralf Rangnicks als Teamchef hat der 23-jährige Mittelfeldspieler nur 135 von über 1.900 möglichen Länderspielminuten verpasst. In der abgelaufenen Saison hat er sogar mehr Spielminuten für die österreichische Nationalmannschaft als in der deutschen Bundesliga für seinen Klub RB Leipzig absolviert.
Bei der anstehenden EURO wird Seiwald eine absolute Schlüsselfigur im ÖFB-Team sein.
"Seiwald ist für uns ein extrem wertvoller Spieler. Noch viel mehr nach Schlagers Ausfall. Das war für uns einer der Worst Cases. Dadurch kommt ihm eine noch größere Bedeutung zu", hob Rangnick erst kürzlich wieder die Wichtigkeit des Kuchlers hervor.
Doch was macht Seiwald für Rangnick so unverzichtbar? Warum wird der Rechtsfuß nach oftmals vermeintlich unauffälligen Leistungen von datenbasierten Spielerbewertungsplattformen ein ums andere Mal als einer der besten Spieler Österreichs ausgemacht?
Gemeinsam mit unserem Spielanalyse-Partner, dem Internationalen Fußball Institut (IFI), präsentieren wir die erste Ausgabe der LAOLA1-Taktik-Analyse, bei der wir diesen Fragen mithilfe eines professionellen Spielanalysten auf den Grund gehen.
Als Analyse-Grundlage dient diesmal Österreichs freundschaftliches Länderspiel gegen Serbien vom Dienstag. Seiwald kam bei dieser Partie wie gewohnt im zentralen Mittelfeld zum Einsatz.
Der "Staubsauger"
Seine beste Szene des Abends hatte der Kuchler in der 13. Minute, als er nach einem guten Tackling von Kevin Danso gegen Dusan Vlahovic an den Ball kam, blitzschnell schaltete und seinen Nebenmann Florian Grillitsch einsetzte. Dieser wiederum bediente Christoph Baumgartner wunderbar zum 2:0.
Besagte Szene in der Spielanalyse-Grafik:
In dieser Szene werden die Qualitäten Seiwalds perfekt abgebildet, sowohl defensiv als auch offensiv. Eine seiner größten Defensiv-Stärken ist, Räume, in die zweite Bälle nach Ballgewinnen seiner Mitspieler bzw. Ballverlusten seiner Gegenspieler kommen, gut zu besetzen. So geschehen nach Dansos Zweikampf gegen Vlahovic.
Er agiert in solchen Situationen oftmals wie ein menschlicher "Staubsauger", der zweite Bälle vermeintlich magisch anzieht. Tatsächlich steckt dahinter die Gabe zur Antizipation.
Eine der größten Stärken Seiwalds in der Offensive liegt in seiner sogenannten "Vororientierung": Er weiß genau, wo seine Mitspieler zu jeder Zeit positioniert sind und kann diese deshalb blitzschnell in Szene setzen. Aufgrund seiner hervorragenden technischen Ausbildung benötigt er kaum Zeit, um in eine Stellung zu kommen, in welcher er den Ball sofort weiterspielen kann. Dadurch bleibt die Angriffsgeschwindigkeit nach Ballgewinnen hoch.
Genau dies gelang ihm vor Österreichs 2:0, als er die Kugel mit dem ersten Kontakt annahm und mit dem zweiten sogleich in Grillitschs Lauf weiterspielte.
Viel Variabilität im Spielaufbau
Nun zum Spielaufbau: Hier nahm Seiwald gegen Serbien zunächst eine etwas andere Rolle ein, als er es normalerweise an der Seite von Xaver Schlager tut. In der Anfangsphase des Spiels war er in den Spielaufbau eher selten aktiv eingebunden; er war eher dafür vorgesehen, die serbischen Stürmer zu binden, um dadurch Räume für Österreichs Innenverteidiger zu schaffen.
Er versuchte, Bewegung beim Gegner reinzubekommen und dadurch Lücken zu erzeugen, die im Spielaufbau entweder durch präzise Pässe oder Dribblings bespielt werden konnten.
Mit Verlauf des ersten Durchgangs, speziell aber nach der verletzungsbedingten Auswechslung Grillitschs kurz vor der Pause, ließ sich Seiwald, wie von ihm im ÖFB-Team normalerweise gewohnt, immer öfter zwischen die Innenverteidiger zurückfallen und gestaltete den Spielaufbau fortan aktiv mit.
Diese variable Auslegung der Sechserposition macht Österreich in Ballbesitz deutlich unberechenbarer. Für die gegnerische Mannschaft ist es sehr schwierig, Seiwald mit einem klaren Muster aus dem Spiel zu nehmen, da er aufgrund seiner Spielintelligenz situativ seine Verhaltensweise im Spielaufbau ändern kann.
Einer der besten Balleroberer der deutschen Bundesliga
Nun zu seiner defensiven Performance. Wenig überraschend liegen die Stärken Seiwalds in der Balleroberung. In dieser Kategorie zählte er statistisch, trotz geringer Einsatzzeit, hochgerechnet sogar zu den besten Spielern der abgelaufenen Saison der deutschen Bundesliga.
Gegen Serbien attackierte er, bei tiefer Positionierung des Gegners, oftmals sehr hoch. Aufgrund seines starken Timings gelang es ihm immer wieder, relevanten Druck auf die gegnerischen Sechser auszuüben. Nicht immer resultierte daraus auch ein Ballgewinn, aber immerhin konnte er durch diese proaktive Spielweise serbische Angriffe im Ansatz unterbinden, indem er deren vertikale Spielfortsetzung früh unterband.
In der Rückwärtsbewegung ließ er sich in den richtigen Momenten hinter die letzte Linie fallen, um gegebenenfalls Lücken aufzufüllen oder Tiefenläufe des Gegners mitaufzunehmen.
Einen perfekten Tag erwischte Seiwald am Dienstag freilich nicht, die zuletzt mangelnde Spielpraxis war ihm in einigen Szenen durchaus anzumerken.
So legte er in Halbzeit eins, bei einer der oben beschriebenen Defensivaktionen, ungewollt für Dusan Tadic auf, der eine Riesenchance liegen ließ. Nach Seitenwechsel traf er bei einer vielversprechenden Kontersituation eine schlechte Entscheidung.