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Baumgartlinger: Ein ÖFB-Team an der Schwelle

Nüchternere Generation am Scheideweg. Julian Baumgartlinger im LAOLA1-Talk:

Baumgartlinger: Ein ÖFB-Team an der Schwelle Foto: © GEPA

Julian Baumgartlinger hat den Wettlauf mit der Zeit gewonnen.

Am 23. Jänner verletzte sich der Kapitän des ÖFB-Nationalteams am Kreuzband. Rund vier Monate später rückte er mit ins Vorbereitungs-Camp zur EURO in Bad Tatzmannsdorf ein.

Der verkorkste März-Lehrgang ist ein Indiz dafür, dass der 33-Jährige nicht nur auf dem Feld fehlte, sondern seine gewichtige Stimme auch abseits des Platzes vermisst wurde.

Im LAOLA1-Interview ordnet Baumgartlinger den Status quo rund um das Nationalteam ein. Der 82-fache Internationale stellt klar, dass die Erwartungshaltung zurecht gestiegen ist und man sich schlichtweg daran messen lassen müsse.

Zudem sieht der Leverkusen-Legionär eine "nüchternere Generation" und verdeutlicht, an welcher "Türschwelle" das Nationalteam angelangt ist.

LAOLA1: Der Fußball ist für dich natürlich generell ein großer Lebensinhalt. Hast du in den letzten Monaten noch einmal zusätzlich festgestellt, wie wichtig er dir ist?

Julian Baumgartlinger: Vor allem merkt man, wie groß der Lebensinhalt ist, wenn man dafür schuftet, dass er wieder dein Alltag wird. Das ist die doppelte und dreifache Belastung im Vergleich zu unserem "gemütlichen" Fußballer-Leben. Es war auch ein Ansporn, das so schnell wie möglich hinter mir zu lassen. Gott sei Dank hat das sehr gut funktioniert.

"Ich hatte 24/7 das Knie im Kopf. Ich denke, meine Frau ist auch froh, dass es jetzt wieder einen Shift in der Aufmerksamkeit gibt."

Julian Baumgartlinger

LAOLA1: Wie intensiv waren diese vier Monate?

Baumgartlinger: Der Moment der Verletzung am 23. Jänner war ein Schock. Zunächst habe ich es gar nicht geglaubt. Und auch als ich nach der MRT-Untersuchung das Ergebnis gehört habe, war ich ehrlich gesagt eine halbe Stunde unter Schock. Aber: Es ist dann eigentlich relativ schnell bergauf gegangen. Zusammen mit den Ärzten und Physiotherapeuten haben wir einen sehr guten und vor allem auch sehr hoffnungsvollen Plan geschmiedet. Genau so, wie es jetzt gelaufen ist, hatten wir es Woche für Woche skizziert. Es mag komisch klingen, aber für Woche 17 stand wirklich im Plan: Vollgas Mannschaftstraining. Die 16 Wochen davor waren harte Arbeit. Ich hatte 24/7 das Knie im Kopf. Ich denke, meine Frau ist auch froh, dass es jetzt wieder einen Shift in der Aufmerksamkeit gibt (grinst). Jetzt dominiert ein riesiges Glücks-Gefühl – alleine schon letzte Woche wieder zu trainieren, bei der Mannschaft und gegen Dortmund im Kader zu sein, sogar eingewechselt zu werden. Daran sieht man auch, wie schwer es sein kann, genau zum richtigen Zeitpunkt für ein Großereignis wie die EM fit zu sein. Man merkt, wie gut das Timing im Fußball immer wieder sein muss.

LAOLA1: Viele EM-Teilnehmer haben aufgrund des noch dichteren Spielplans eine besonders intensive Saison hinter sich. Sicher fehlt dir Spielpraxis, aber kann es trotzdem ein Vorteil sein, dass du vergleichsweise frisch bist?

Baumgartlinger: Eigentlich absolviere ich die längste und beste Vorbereitung, die man für ein Großereignis haben kann. Mit den kommenden drei Wochen bereite ich mich fast fünf Monate auf die EM vor – diesen Luxus hat fast keiner. Mit einem positiven Gefühl aus der Reha zu kommen, das Comeback gefeiert zu haben, wieder voller Energie zu sein, wirklich in jeder Pore Positivität zu haben, ist keine schlechte Ausgangsposition für das Camp. Klar, das eine oder andere Spiel mehr wäre natürlich nicht schlecht gewesen, aber das ändert nichts an meiner Euphorie.

Baumgartlinger war 2016 einer der wenigen ÖFB-Kicker in Normalform
Foto: © GEPA

LAOLA1: Euphorie ist ein gutes Stichwort. Selbige gibt es, nicht zuletzt im Vergleich zu 2016, diesmal im Vorfeld der EM nicht. Wie würdest du den Status quo rund um das Nationalteam einordnen?

Baumgartlinger: Der Anspruch ist einfach ein anderer als vor zehn Jahren und auch als vor fünf Jahren. Und das auch zurecht! Man muss nur sehen, was wir inzwischen geleistet haben, auf welchem Niveau auch die Einzelspieler mit ihren Vereinen sind, welche Rollen sie in ihren Klubs spielen. Außerdem sollte man jeden Lehrgang, egal ob im Herbst oder zuletzt im März, für sich sehen. Waren alle verfügbar? Im März waren nicht alle da. Das sollte man auch aus Sicht der breiten Öffentlichkeit zugestehen. Trotzdem: Das dürfen keine Ausreden sein! Wenn man von sich selbst EM-Teilnahmen gewohnt wird und WM-Teilnahmen anstrebt, muss man sich daran messen lassen – und das war kein guter Start in die WM-Quali. Genauso war es in der EM-Qualifikation, und da haben wir uns auch zurückgebissen. So sehe ich jetzt auch. Es ist übrigens auch ganz normal, dass der Anspruch gewachsen und die Erwartungshaltung der Öffentlichkeit höher ist. Schlimm wäre es, wenn es anders wäre.

"Wir erwarten ja selbst sehr viel von uns! Ich glaube, dass wir selbst intern am kritischten mit uns umgehen. Das stimmt mich auch optimistisch. Vor der EM 2016 haben gesagt, dass wir dann in Frankreich schon den Schalter umlegen werden und alles andere nicht überbewerten sollten. Das passiert uns dieses Jahr definitiv nicht."

Julian Baumgartlinger

LAOLA1: Inwiefern?

Baumgartlinger: Wenn eh keiner etwas von uns erwartet, wären wir wahrscheinlich gar nicht bei der EM dabei. Wir erwarten ja selbst sehr viel von uns! Ich glaube, dass wir selbst intern am kritischten mit uns umgehen. Das stimmt mich auch optimistisch. Vor der EM 2016 haben gesagt, dass wir dann in Frankreich schon den Schalter umlegen werden und alles andere nicht überbewerten sollten. Das passiert uns dieses Jahr definitiv nicht.

LAOLA1: Dieser Gedanke war 2016 sicherlich ein Fehler. Du hast das damals genau wie ein paar andere Routiniers miterlebt. Reist man so gesehen gerade als Kapitän mit einer Art Checklist ins Camp – das darf nicht passieren und das darf nicht passieren und darauf gilt es zu achten?

Baumgartlinger: Diese Turniererfahrung kann uns keiner nehmen – und vor allem auch die Aufarbeitung danach. Selbst im Herbst 2017 haben wir noch darüber geredet. Das hat dann auch hohe Wellen geschlagen und hatte einen relativ großen Umbruch – beim Trainer, aber auch bei der Mannschaft – zur Folge. Die Spieler, die das erlebt haben, aber auch alle aus dem Staff, die schon dabei waren, sowie Personen in verantwortungsvoller Position im ÖFB: Wir alle haben uns das ganz genau gemerkt. Wir wissen, worauf es zu achten gilt. Aber das ist natürlich keine Garantie, dass es funktioniert. Jetzt muss einfach auch eine sehr gute Vorbereitung folgen.

LAOLA1: In den vergangenen Jahren haben sich neue Spieler im Stamm etabliert. Wie sind die Spieler, die hinter euch Routiniers nachgewachsen sind, einzuordnen? Was ist das für eine Generation, die inzwischen am Werk ist?

Baumgartlinger: Das ist definitiv die Mannschaft, die von den Spielern und vom Altersschnitt insgesamt am weitesten ist. Wenn man schaut, wie jung die Spieler teilweise noch sind, wie viel Erfahrung sie auf Vereins- und Nationalteam-Ebene international aber schon haben, und wie breit der Kader an Leistungsträgern in ihren Vereinen ist, ist das sicher eine Mannschaft, die sehr bereit ist. Mit manchen Situationen war diese Mannschaft auf Nationalteam-Ebene allerdings noch nicht so oft konfrontiert.

"Es ist vielleicht eine nüchternere Generation, die manches anders einordnet, aber nichtsdestotrotz haben wir eine genauso passionierte und leidenschaftliche Nationalelf."

Julian Baumgartlinger

LAOLA1: Welche Situationen meinst du?

Baumgartlinger: Früher ist man vielleicht auch mal aus einem Jahr gekommen, in dem man drei Spiele gewonnen und sieben verloren hat. Jetzt ist der Anspruch, von zehn Spielen vielleicht ein oder zwei Unentschieden zu spielen und maximal eines zu verlieren. Sonst ist es ein negatives ÖFB-Jahr. Das ist eine Generation, die das eigentlich nur so kennt. Es ist vielleicht auch eine nüchternere Generation, die manches anders einordnet, aber nichtsdestotrotz haben wir eine genauso passionierte und leidenschaftliche Nationalelf. Es sind wieder viele aus der U21 rausgekommen. Das erinnert mich daran, dass wir damals auch mit einem relativ großen Stamm aus der U21 nachgerückt sind. Da sind echt viele gute und reife Burschen dabei, die zwar noch jung sind, aber mit viel Qualität und Persönlichkeit kommen.

LAOLA1: Die 2016er-Generation hat durch die Qualifikation für ein Turnier das Publikum ganz anders abgeholt. Kann sich dieser etwas nüchternere Ansatz vielleicht erst richtig in Euphorie ummünzen, wenn man beim Turnier die Gruppenphase übersteht?

Baumgartlinger: Wir müssen den nächsten Schritt gehen. In Deutschland reicht es auch nicht, nur bei einer WM oder EM dabei zu sein. Deutschland soll jedes Spiel am besten mit vier Toren gewinnen – das WM-Halbfinale ist fast schon Pflicht, sonst gibt es eine Riesen-Debatte. Nicht falsch verstehen: Ich will uns nicht mit Deutschland vergleichen. Aber es gilt auf unserem Weg mitzunehmen, dass der Anspruch ein anderer ist und wir den nächsten Schritt machen wollen. Auf Vereins-Ebene ist dieser Schritt meiner Meinung nach schon geglückt.

"Ich denke, an genau diesem Punkt sind wir jetzt. Scheideweg hört sich so negativ an, aber meinem Empfinden nach ist es so."

Julian Baumgartlinger

LAOLA1: Das sieht man an der immer größeren Anzahl an starken Legionären.

Baumgartlinger: International wird immer öfter über österreichische Spieler diskutiert, ob sie beispielsweise den nächsten Schritt nach England oder wohin auch immer machen. Es gibt auch für Spieler, die schon im Ausland sind, immer mehr Angebote. Daraus resultierend kann man nur fragen: Was ist das nächste Ziel – und bei welchem Ziel ist auch legitim, dass es so erwartet und erhofft wird? Ich denke, an genau diesem Punkt sind wir jetzt. Scheideweg hört sich so negativ an, aber meinem Empfinden nach ist es so. Man kann natürlich auf einem gewissen Level stehen bleiben, aber wir alle erhoffen uns doch, dass wir diesen nächsten Step schaffen. An dieser Türschwelle zum nächsten Schritt befinden wir uns gerade. Und dann kann es auch sein, dass die Euphorie auch einmal später einsetzt.

LAOLA1: Soll zusammengefasst heißen, das logische Ziel ist natürlich, nach langer Zeit ein K.o.-Spiel für Österreich rauszuholen.

Baumgartlinger: Das muss bei einer EM sowieso das Ziel sein! 2016 sind wir ja auch nicht mit dem Ziel hingefahren, in drei Spielen eine ordentliche Leistung zu bringen und nach zwei Punkte zu sagen: "Wie schade, jetzt haben wir es nicht ganz geschafft." Dafür haben wir damals eine viel zu gute Quali gespielt, und die Erwartungshaltung war sowieso hoch. Jetzt ist die Mannschaft auch einfach gut. Wir sind in der Nations League aufgestiegen, haben in den letzten Jahren seit der EM auch ganz andere Kaliber geschlagen oder gezeigt, dass wir zumindest mithalten können. Da wäre es ja eigentlich fast schon fahrlässig zu sagen, wir schauen einmal und lassen es auf uns zukommen. Natürlich wollen wir weiterkommen!

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