Warum man mit David Alaba die Gegner überraschen könnte, spezielles österreichisches Denken, die fehlende Turniererfahrung, das "Modell Rehhagel" und die immer weiter aufgehende Schere zwischen Nationalteam und Bundesliga - Marcel Koller im 2. Teil des LAOLA1-Interviews.
Hier geht es zu Teil 1 des Koller-Interviews: Arnautovic zu einem Topklub?
LAOLA1: Sie haben mit David Alaba zuletzt einiges ausprobiert. Gegen Albanien hat er eine Spur offensiver gespielt. Gegen die Türkei hat er zwischenzeitlich mit Zlatko Junuzovic die Position getauscht. Ist er taktisch jene Variable, mit der man ob seiner Vielseitigkeit einiges verändern kann?
Marcel Koller: Das sind – je nach Gegner – Nuancen. Mal versucht man es vielleicht ein bisschen offensiver, dann wieder defensiver. Das sind Möglichkeiten, genau wie der Positions-Tausch mit Junuzovic. Das wollen wir auch weiter offen lassen und versuchen. Meistens ist es jedoch dem Gegner geschuldet, wie der spielt, ob wir vielleicht eine Variation reinbringen, die ihn ein bisschen überraschen könnte.
LAOLA1: In welcher Mittelfeld-Rolle sehen Sie Alaba am liebsten?
Koller: Aus meiner Sicht hat er alles. Bei den Bayern spielt er meistens hinten, was für uns schade ist, da ich denke, dass er vorne Fähigkeiten hat. Er kann selber Tore schießen, hat einen super Abschluss, kann aber auch den letzten Pass spielen. Auch in der Defensive verhält er sich sehr gut, ist taktisch sehr affin, sieht die Löcher, die er zustellt. Für uns ist er da sehr wichtig.
LAOLA1: Junuzovic ist auf der Zehn einer der Schlüsselspieler in diesem Team. Hatte es einen perspektivischen Hintergedanken, dass Sie ihn weiter hinten probiert haben?
Koller: Diesmal hatte das rein mit dem Gegner zu tun. Bei Bremen hat er das ja schon gespielt. Ich glaube aber nicht, dass das seine Lieblingsposition ist. Wie Sie richtig sagen, ist er für uns vorne wichtig, weil er laufstark ist, weite Wege geht, einen guten Abschluss hat und den letzten Pass spielen kann. Das ist für diese Position sehr wichtig.
LAOLA1: Sie waren in den viereinhalb Jahren Ihrer Amtszeit sehr feinfühlig, was die öffentliche Stimmungslage betrifft. Wie ordnen Sie diese derzeit ein? Wird man als Teamchef täglich darauf angesprochen, dass man doch bitte Europameister werden möchte, oder hat sich das nach der jüngsten Niederlage geändert?
Koller (lacht): Nana, das hat sich nicht verändert! Die Leute sind euphorisch, freuen sich auf die EM. Das ist ja auch gut! Wenn wir das bewirken können, dann freuen wir uns. Es ist aber so, dass das noch keine Siege bringt. Auch wenn es andere Gruppen gibt, wo man theoretisch sagt, es ist besser, dass wir jetzt in dieser Gruppe F sind: Ich kann Ihnen hier und jetzt mitgeben, dass es keinen Freibrief gibt, dass wir da locker durchmarschieren werden. Die Ungarn wollen gegen uns gewinnen, Portugal als Gruppen-Kopf sowieso, die Isländer sind zäh und unbequem. Da musst du dagegenhalten! Auf der einen Seite brauchen wir spielerische Qualität, auf der anderen das Kämpferische, den absoluten Willen, wenn es hart auf hart geht, das Spiel über die Linie zu bringen und zu gewinnen. Gerade bei Endrunden herrscht eine Euphorie, die Zuschauer freuen sich, die Nervosität wird wahrscheinlich auch noch etwas höher sein. Wenn man das alles unter einen Hut bringt, ist man dabei.
LAOLA1: Sie ahnen vermutlich, wie oft man darauf angesprochen wird, dass es vielleicht besser wäre, Gruppen-Zweiter zu werden, um Belgien und Italien auszuweichen.
Koller: Das sind ja alles nur Theorien und Spekulationen! Wir wissen ja jetzt noch nicht, ob in den anderen Gruppen überhaupt alle Favoriten vorne mit dabei sind.
LAOLA1: Ist das zu sehr österreichisches Denken?
Koller: Nein. Ich glaube, das wird überall gemacht. Aber der Österreicher hat da schon ein bissl was Spezielles (lacht).
"Der Rasen wird gut sein, der Ball wird rund sein, das Tor ist auch in Frankreich rechteckig und gleich groß wie hier in Wien – das ist entscheidend. Und nur das! Alles andere ist Blabla!"
LAOLA1: Sie haben in einem Interview mit der APA betont, dass Sie die Ausrede der mangelnden Turniererfahrung nicht gelten lassen. Wird dieses Thema wirklich überbewertet?
Koller: Es gibt schon Situationen, in denen Turniererfahrung gut ist und du dann vielleicht ein bisschen mehr Ruhe hast. Aber: Du bist 90 oder 120 Minuten auf dem Platz, der Rasen wird gut sein, der Ball wird rund sein, das Tor ist auch in Frankreich rechteckig und gleich groß wie hier in Wien – das ist entscheidend. Und nur das! Alles andere ist Blabla! Sonne, Regen, Wind und Sturm? Interessiert keinen! Auf dem Platz die Leistung abrufen (Koller klopft energisch auf den Tisch), die jeder kann, die jeder in sich hat – das zählt! Trotz Nervosität, trotz möglicher Probleme zu Hause, trotz Probleme mit dem Trainer oder weiß der Kuckuck was. Das interessiert keinen! Niemanden! Okay, mich interessiert es, weil ich ja – sollte es Probleme geben – versuchen muss, sie zu lösen. Aber auf dem Platz ist das zu tun, was wir uns vornehmen, und gemeinsam im Team das abzurufen (Koller klopft nochmals energisch auf den Tisch), was jeder in sich hat.
LAOLA1: Womit wir beim Schlüssel für die EM wären.
Koller: Genau das ist der Schlüssel! Natürlich werden die Fans schreien. Aber du weißt ja nicht: Schreien sie gegen dich oder jubeln sie für dich? Wenn sie pfeifen (Koller klopft abermals auf den Tisch): Gedanken ausmachen! Der klare Gedanke wird das Entscheidende sein!
LAOLA1: Wird man noch intensiver als normal sportpsychologisch den Hebel ansetzen?
Koller: Nicht mehr oder weniger, aber das haben wir sicher auch mit dabei. Das ist individuell. Auch darum wird es in der Vorbereitung gehen, um die Dinge ruhiger angehen zu können, nicht hektisch oder nervös zu sein, nicht 100 andere Gedanken als das Spiel im Kopf zu haben, sondern nur das, was zu tun ist, was wir über den Gegner herausgearbeitet haben und wir als Team umsetzen müssen.
LAOLA1: Hat die Mannschaft mittlerweile eine Altersstruktur, mit der man ihr eher zutrauen kann, solch einer Drucksituation standzuhalten, als beispielsweise vor acht Jahren?
Koller: Klar, mit Erfahrung wirst du ruhiger und eigentlich auch besser. Das heißt aber nicht, dass nicht auch ein Junger mit solch einer Situation umgehen kann. Das kommt individuell auf den Typen an. Er kann 20, staubtrocken und abgeklärt sein. Er kann aber auch 34 sein und immer noch nervös. Auch das gibt es. Vielleicht wirkt der 34-Jährige nicht nervös, ist es jedoch auf dem Platz, während der 20-Jährige ruhig bleibt, super Bälle spielt, das macht, was er kann, und den Fokus vor dem Tor wahrt. Es ist alles möglich.
LAOLA1: Auch wenn man das Thema Turniererfahrung nicht überbewerten sollte: Ist es für Sie perspektivisch im Hinblick auf Ihre weitere Arbeit wichtig, dieses Element jetzt einmal mitzunehmen?
Koller: Ja, klar. Als Spieler habe ich die Erfahrung, als Trainer habe ich auch noch nie eine Endrunde absolviert. Das sind auch wieder Erfahrungen, die man sammelt und mitnimmt, wenn es dann wieder weitergeht. Von solchen Erfahrungen zehrt man auch und holt sie in gewissen Situationen wieder hervor: Das war gut, das war schlecht, das wollen wir, das wollen wir nicht.
LAOLA1: Ihnen wird gerne die Ambition nachgesagt, dass Sie noch einmal in der deutschen Bundesliga arbeiten möchten. Drehen wir den Spieß einmal um. Für viele Coaches ist es ein Karriereziel, einmal Nationaltrainer zu sein. Österreich ist zumindest laut Weltrangliste inzwischen eines der besten Nationalteams der Welt. Gibt es noch so viele reizvollere Jobs, als eines der besten Nationalteams der Welt zu trainieren?
Koller: Das ist schwierig zu beantworten. Es gibt sicher noch reizvolle Aufgaben. Aber das ist jetzt auch wieder theoretisch. Das hängt nicht nur davon ab, was man sich vielleicht noch vorstellen könnte. Das ist für mich immer nur mit Gesprächen eruierbar. Ist es gut? Wäre das eine Möglichkeit? Oder muss man das vergessen? Aber jetzt habe ich verlängert, also muss man ja nicht über Klubfußball sprechen…(lacht)
LAOLA1: Loyalität ist für Sie ein wichtiger Wert. Halten Sie es für denkbar, dass gerade eine Art „Modell Rehhagel“ am Entstehen ist?
Koller: Dafür braucht es immer zwei! Auf der einen Seite ist es so, dass ich jetzt zwei Mal verlängert habe, weil es gut ist. Ich weiß aber nicht, ob es in Zukunft auch noch gut sein wird. Das hängt ja wahrscheinlich auch davon ab, ob wir uns qualifizieren. Beide Seiten müssen zufrieden sein. Wenn nur eine Seite zufrieden ist, gibt es wahrscheinlich Probleme…(lacht). Vielleicht will ich weg, oder die andere Seite will nicht verlängern, weil man keinen Erfolg hat. Wenn wir Erfolg haben, können beide Seiten zufrieden sein und wir verlängern nochmals. Trainer ist ein schnelllebiges Geschäft – im Klubfußball noch mehr als im Nationalteam. Das ist alles offen und viel zu weit weg.
LAOLA1: Was waren eigentlich die viel zitierten Rahmenbedingungen, die Ihnen bei dieser Vertragsverlängerung so wichtig waren?
Koller: Das möchte ich nicht groß in der Öffentlichkeit besprechen. Ich fühle mich wohl in Österreich und in Wien. Die Mannschaft hat das Potenzial, um weiter dran zu bleiben. Es gibt ein paar Junge, die nachstoßen, aber noch nicht gezeigt haben, dass sie auf diesem Level diese Klasse dann auch zeigen können. Das wird die Zeit mit sich bringen.
LAOLA1: Die Rahmenbedingungen haben vermutlich auch mit den Möglichkeiten im ÖFB zu tun. Zum Beispiel ist Thomas Janeschitz nun fix Ihr Co-Trainer und erledigt nicht nebenher andere Aufgaben. Sind dies Bereiche, auf die Sie bei Ihrer Vertragsverlängerung besonders viel Wert gelegt haben?
Koller: Es war wichtig für mich, dass wir als Betreuerteam zusammenbleiben. Wir arbeiten jetzt viereinhalb Jahre zusammen. Wir sind sehr gut eingespielt und mit sehr viel Respekt verbunden. Das sind Dinge, die wichtig sind und natürlich auch dazu beitragen, dass ich hiergeblieben bin.
LAOLA1: Im ÖFB tut sich in diesem Jahr auch abseits vom Sportlichen einiges. Mit Bernhard Neuhold und Thomas Hollerer bekommen Sie neue Chefs. Wie sehr beschäftigt Sie diese Umstrukturierung?
Koller: Das ist grundsätzlich nicht meine Aufgabe, sondern jene des Präsidiums, des Präsidenten und des Generaldirektors. Aber wir kennen die Leute, die jetzt die Posten wechseln. Es ist ja nicht so, dass jemand ganz Fremder kommt und alles anders macht. Grundsätzlich ist der Präsident der Oberste und in diesem Sinne auch der Wichtigste, der das Ganze vorgibt.
LAOLA1: Präsident Leo Windtner hat immer wieder auf das enge Verhältnis zu Ihnen hingewiesen. Ist er eine Vertrauensperson für Sie geworden?
Koller: Vertrauensperson ist in Bezug auf eine Vertragsverlängerung ein bisschen übertrieben (grinst). Aber ich denke, er ist ein sehr guter Präsident, der viel unterwegs ist und versucht, überall die Übersicht zu haben und mit dem ich freundschaftlich verbunden bin.
"Es ist auch wichtig, dass die Vereine talentierte Spieler teuer weiterverkaufen können, damit sie wieder ein bisschen Geld haben, um weitere Junge auszubilden."
LAOLA1: Zum Abschluss ein Thema, das zuletzt intensiv diskutiert wurde, nämlich die immer weiter auseinander gehende Schere zwischen Nationalteam und Bundesliga. Es ist grundsätzlich natürlich nichts Schlechtes, wenn das Nationalteam das Zugpferd ist und viele Spieler im Ausland spielen. Aber müsste sich die Bundesliga nicht etwas offensiver als Ausbildungsliga positionieren?
Koller: Ich glaube, das Nationalteam steht über allem, so sollte es eigentlich auch sein. Wenn in der Bundesliga einer gut spielt, dann sind die Scouts aus den Topligen da und ein halbes Jahr später ist er weg. Da kann die Bundesliga selber nicht viel machen. Die Vereine haben nicht die finanziellen Möglichkeiten, um die Spieler zu halten. Das ist ein bisschen schade, denn für den einen oder anderen talentierten Jungen wäre es gut, wenn er in der Liga bleiben und dort seinen Weg machen könnte. Man kann sicherlich auch ein bisschen später wechseln, das hat beispielsweise Zlatko Junuzovic gezeigt. Man muss nicht immer schon mit 15 oder 16 weggehen.
LAOLA1: Aber genau so könnte sich die Bundesliga ja positionieren – als Liga der Stars von morgen. Die Realität ist jedoch, dass sie derzeit eher in jener Jammer- und Raunzer-Phase ist.
Koller: Rapid zum Beispiel versucht schon auch, den einen oder anderen Jungen hochzunehmen. Kainz, Schobesberger, Schaub oder Stangl sind alles Spieler, die ihren Weg machen und mit längeren Verträgen ausgestattet wurden. Wenn sie weggehen, kosten sie nicht ein paar hunderttausend Euro, sondern ein paar Millionen. Es ist auch wichtig, dass die Vereine talentierte Spieler teuer weiterverkaufen können, damit sie wieder ein bisschen Geld haben, um weitere Junge auszubilden.
Das Gespräch führte Peter Altmann